Wieviel Psychologie steckt im Weltmeistertitel?

Regine Rachow, Chefredakteurin unserer Zeitschrift Kommunikation & Seminar, befragte zwei Experten, die es wissen müssen: Karin Helle und Claus-Peter Niem sind Trainer- und Spielerentwickler im Profifußball und tauschen sich unter anderem mit dem Bundestrainer aus.

Wo sahen Sie das legendäre 7:1 der Deutschen im WM-Halbfinale gegen Brasilien?

Wir sahen das Spiel mit Bekannten und Freunden in unserer Fußball-Stammkneipe im Dortmunder Kreuzviertel. Eine typische Eckkneipe, normalerweise sehr borussenlastig. Hier wird immer über Fußball diskutiert – vor und nach den Heimspielen von Borussia Dortmund und überhaupt jeden Tag. Und so gesehen waren die Stammgäste der Nationalmannschaft gegenüber nicht unbedingt nur positiv gestimmt, da aus Sicht der Dortmunder der Bayernblock zu groß war. Was der Stimmung an diesem einmaligen Abend allerdings nicht schadete.

Sie engagieren sich schon einige Jahre im Fußball, und auch für den Nachwuchs. Wen von den Spielern, die wir auf dem Platz sahen, kennen Sie persönlich?

Am nächsten stand uns sicherlich Mario Götze, da wir uns mit seinem ehemaligen Jugendtrainer Peter Hyballa (zur Zeit A-Jugend-Coach, Bayer Leverkusen) immer wieder austauschen. Schon früher konnte Mario unter Peter Hyballa Spiele entscheiden, wenn er in einer engen Situation von der Bank kam (dort lange „schmoren“ musste). Damals brauchte er diesen Druck, um Höchstleistungen bringen zu können. Das wiederum klappte im Endspiel ja dann auch…

Karin Helle & Claus-Peter Niem

Insgesamt erlebten wir eine überzeugende Leistung der deutschen Mannschaft. Und doch schien der Sieg am Ende an einem hauchdünnen Faden zu hängen. Wie viel mentale Arbeit, wie viel Psychologie steckt da drin?

Mindestens 50 Prozent. Neben körperlicher Fitness, Technik und Taktik gilt es, schon lange im Vorfeld auf das Turnier bestmöglich „prepared“, vorbereitet, zu sein. Dazu gehören schauspielerische Fähigkeiten, den Druck lieben zu lernen, mit Angst und Hitze umgehen zu können, mentale Stärke und Selbstglaube zu trainieren. Nehmen Sie mal die Brasilianer – die waren einfach zu einseitig vorbereitet. Emotionen und Leidenschaft können natürlich entscheidend sein (siehe Endspiel der Deutschen), doch auch Ruhe, Körpersprache und Bestimmtheit gehören dazu. Das strahlten sie nicht aus. Natürlich spielt auch das Glück eine Rolle. Sie sprechen ja den hauchdünnen Sieg der Deutschen gegen Argentinien an. Und doch hatte Manuel Neuer, vielleicht auch intuitiv und unbewusst, eine solche Präsenz, dass die Argentinier mehrfach das Tor nicht trafen. Trotz 100-prozentiger Chancen. Und ein solches Auftreten erarbeitet man sich eben auch mental. Würden wir dem argentinischen Trainer nahe stehen, hätten wir ihm den Tipp gegeben, seinen Spielern Szenen zu zeigen, in denen Manuel Neuer überwunden wurde. Naja, hat er wohl glücklicher Weise nicht gemacht.

Als Zuschauer erleben wir am Rande eines Spiels Trainer, Mannschaftsarzt und Physiotherapeuten. Ich las, dass diesmal auch ein Sternekoch im Camp war. Von Mentalcoaches hört man nix. Welche Rolle spielen die in so einem Turnier?

Wir sagen den Trainern immer: Lass nichts und niemanden an deine Mannschaft ran. Vor allem nicht in der heißen Phase. Ein Trainer muss alles selbst drauf haben. Je mehr Handwerkszeug – auch im Bereich Persönlichkeitsentwicklung, Kommunikation, Mentaltraining usw. – desto besser. Unser Motto: Starke Trainer, starke Mannschaft. Sinn machen sicherlich hin und wieder Impulsseminare von außen, genauso wie ein gutes Umfeldmanagement der Spieler und Fachleute, die für den Fall der Fälle parat stehen. Aber mal ganz abgesehen davon: Mit Hans Dieter Herrmann war auch ein Sportpsychologe mit im Camp.

Mit Jogi Löw verbindet Sie eine langjährige Zusammenarbeit. Wie standen Sie während des Turniers mit ihm in Kontakt?

Nennen wir es einfach eine freundschaftliche Beziehung. Wir durften ihn einmal über Jürgen Klinsmann kennen und schätzen lernen, haben mit beiden tolle innovative Projekte für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen und tauschen uns öfter mal aus – während der WM via Mail und SMS.

Wobei konnten Sie ihn unterstützen?

Wir haben einfach an ihn geglaubt.

Wie geht es Ihnen jetzt nach dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft?

Wir fühlen uns weltmeisterlich, weil wir der Meinung sind, dass es Jogi und sein Team nach zehn Jahren harter Arbeit verdient hat. Mindestens genauso freuen wir uns für Jürgen Klinsmann, der 2004 eine Initialzündung auslöste – mit vielen unbequemen Entscheidungen, einer klaren Vision und ganz viel Herz und Leidenschaft. Er ist der Vater des Erfolges, ein absoluter Visionär und Querdenker, ein Entwickler. Beide zusammen sind fast unschlagbar. Vielleicht trainieren sie eines Tages noch einmal die „Three Lions“ zusammen – das wäre unsere Vision 😉

 

Die Fragen stellte Regine Rachow.

Ausgabe 3 von Kommunikation & Seminar mit einem Artikel von Claus-Peter Niem und Karin Helle zum Thema Psychologisches Coaching im Fußball kann hier bestellt werden.

 

Zwei Tage, um aufzublühen

Menschen zum Aufblühen zu bringen ist das zentrale Anliegen der Positiven Psychologie. Zwei Tage Positive Psychologie in Berlin: das war mein Wochenendprogramm am 12. und 13. Juli. Große Namen und interessante Themen ließen sich der Kongressankündigung entnehmen – und bereits froh gestimmt machte ich mich auf den Weg.

„Unsere Kongresse sind institutsübergreifende Veranstaltungen. Martin Seligman war bereits zweimal in Deutschland, doch dass er nun zusammen mit anderen Größen der (Positiven) Psychologie zu sehen ist, ist wirklich etwas Besonderes. Wir möchten mit diesen Kongressen dazu beitragen, dass die Positive Psychologie im deutschsprachigen Raum einem breiten Publikum bekannt wird.“ – Das sagte Daniela Blickhan in einem Interview, das ich im Februar 2014 mit ihr führte. Das war noch vor den drei Kongressen zur Positiven Psychologie in Rosenheim, Graz und Berlin. Inzwischen kann man sagen: Alle drei Veranstaltungen sind mit äußerst guter Resonanz und großem Erfolg vonstattengegangen.

Die Liste der Referenten für den Berliner Kongress war wirklich beeindruckend, u.a. Joachim Bauer, Mihály Csikszentmihály, Gunther Schmidt, Mathias Varga von Kibéd und Martin Seligman. Wen wunderte es da, dass es im Audimax der Freien Universität kaum freie Plätze gab. „Update on Positive Psychology“ lautete das Kongress-Thema und die Positive Psychologie wurde an diesem Wochenende aus verschiedensten Perspektiven beleuchtet.

Doch bevor am Samstagnachmittag Mihaly Csikszentmihály über „Neues vom Flow“ sprechen konnte, erhielt das Auditorium zunächst einen Ausblick in die Zukunft. Judith Mangelsdorf, Vorsitzende der Ausbildungskommission des Dachverbandes Positive Psychologie, berichtete über ein Stipendiaten-Programm. Studierende waren im Vorfeld des Kongresses aufgefordert worden, Beiträge zur Positiven Psychologie einzureichen. Ein filmischer Beitrag hatte die Ausbildungskommission so sehr beeindruckt, dass man sich entschlossen hatte, ihn vor Csikszentmihálys Vortrag zu zeigen, ging es in dem Film doch auch um das Thema Flow. Und so erlebte der inzwischen 80-jährige Mihaly Csikszentmihály auf der Bühne mit, wie eine junge Frau seine wesentlichen Erkenntnisse filmisch aufbereitet hatte.

Für den späteren Nachmittag hatte Organisator Philip Streit dem Publikum

Martin Seligman

noch eine Überraschung in Aussicht gestellt, die dann so aussah, dass der eigentlich erst am Sonntag erwartete Martin Selgiman die Bühne betrat, um ein Gespräch mit Mihaly Csikszentmihály zu führen. Vor 15 Jahren hatten beide die Positive Psychologie begründet – und nun wollten sie in einem lockeren Gespräch ergründen, wie es um ihren Ansatz bestellt ist. In diesem Gespräch zeigten sich erstaunlich Differenzen. Während einer – Seligman – den Zustand der Menschheit als besser denn je bezeichnete, war sein Gegenüber nicht ganz so überzeugt. Seligman sah ein wesentliches Problem darin, dass die Kreativität junger Forscher erheblich beeinträchtigt würde, indem man sie wieder und wieder dazu auffordere, ihre Ergebnisse zu replizieren. Mihaly Csikszentmihály hingegen sprach sich durchaus für gesicherte Forschungsergebnisse aus – auch wenn das mehrmaliges Replizieren beinhalte.

Nun hat es fast den Eindruck, als würde Mihaly Csikszentmihály sich gegen Kreativität aussprechen, was aber so ganz nicht stimmen kann. Neben Flow ist Kreativität sein zweites großes Forschungsgebiet und für diese Arbeit wurde er während des Kongresses mit einem Preis ausgezeichnet. Die Deutsche Gesellschaft für Kreativität e.V. verlieh ihm den CREO 2014. Diese Preisverleihung war jedoch für mich der Tiefpunkt in dem ansonsten sehr anregenden uns inspirierenden Kongressprogramm. Keine Spur von Kreativität in der Laudatio! Ganz im Gegenteil. Der Laudator hatte wohl den Ehrgeiz, die Forschungsergebnisse vieler, vieler Jahre in einer Rede zusammenzufassen. Und mag ihm das rein sachlich auch gelungen sein: Für die Zuhörenden war es eine Qual.

Inzwischen etwas weniger glücklich gestimmt machte ich mich auf den Weg ins Foyer – und traf einen sehr glücklichen Menschen an: Uwe Böhm freute sich über den großen Andrang an seinem Büchertisch.

„Wenn dir das Leben Zitronen schenkt, mach Limonade daraus!“ – Das Interview mit Sigrun Kurz

In der kommenden Woche (ab dem 21.07.2014) erscheint bei uns ein Buch über Selbsthypnose für krebskranke Menschen: „Verborgene Kräfte wecken“. Die Autorin, Dr. Sigrun Kurz, hat dieses Buch nicht nur als Psychotherapeutin, sondern auch als Betroffene geschrieben. Im Interview berichtet sie uns von ihren Erfahrungen mit Hypnose und darüber, wie eine Krankheit den Blick auf die Welt verändert.

Liebe Frau Kurz, Sie sind Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis. Zu Ihrem Arbeitsschwerpunkt gehört die Behandlung von Menschen mit schweren körperlichen oder chronischen Erkrankungen. Welche Erfahrungen haben Sie in diesem Kontext mit dem Einsatz von Hypnose gemacht?

Bei körperlichen oder chronischen Erkrankungen können wir auf sehr gute Weise von der Hypnose profitieren, denn diese Heilmethode wirkt nicht nur auf der seelischen Ebene sondern unterstützt stets auch den Körper. Eine Hypnose stärkt immer das Immunsystem und senkt die Stresshormone, also eine Förderung der Gesundheit. Hinzu kommt, dass eine Hypnosebehandlung für die Betroffenen sehr angenehm ist und als hilfreiche und fürsorgliche Zuwendung erlebt wird.

In Ihrem Buch „Verborgene Kräfte wecken“ richten Sie sich speziell an krebskranke Menschen, die mit Selbsthypnose den Heilungsverlauf unterstützen wollen. Was das Buch besonders persönlich macht, ist, dass Sie nicht nur als Psychologin, sondern auch als ehemals selbst Betroffene – gewissermaßen auf einer Augenhöhe – an Ihre Leser schreiben. Hat Ihre Erkrankung den Anstoß zu diesem Buch gegeben?

Ja, das war schon lange ein Wunsch von mir: all das hilfreiche Wissen und meine Erfahrungen weiterzugeben. Als dann Patientinnen mich um Hypnosetexte zur Anleitung baten, wurde dieser Wunsch konkret und ich begann, das Buch zu schreiben.

In einem Gespräch erwähnten Sie einmal, dass die Hypnoseanleitungen aus dem Buch letztendlich für jeden Menschen, auch für gesunde, eine Kraftquelle darstellen können. Welche Rolle spielt Hypnose für Sie persönlich heute, nach Ihrer Genesung, in Ihrem Alltag?

Eine ganze Reihe der Hypnosetexte aus meinem Buch kann tatsächlich für jeden Menschen hilfreich sein – auch für Gesunde. Stärkung der Lebenskraft, Ermutigung und Zuversicht können wir alle immer wieder gebrauchen. Ich selbst benutze Hypnose im Alltag sehr oft, manchmal für kleine oder größere Unpässlichkeiten, manchmal für die Erholung und oft einfach zur Stärkung.

Wenn Sie Ihre persönlichen und beruflichen Erfahrungen zusammennehmen: Was verändert sich durch eine Krebserkrankung?

Eine Krebserkrankung erinnert uns immer an die Begrenztheit unseres Lebens und unserer Möglichkeiten. Dadurch relativiert sich in unseren Werten so einiges. Die Bedeutungen verschieben sich. Was ist wirklich wichtig für mich, für mein Leben? Wir lernen, den Wert des Alltags und des Lebens selbst mehr zu schätzen. Durch eine schwere Erkrankung wie Krebs ist das vorher Selbstverständliche plötzlich wertvoll.

Im Buch gehen Sie absolut ehrlich, realistisch, aber auch Mut machend mit dem Thema Krebs um. Was sollen Ihre Leser vor allem mitnehmen? Was ist Ihnen wichtig zum Ausdruck zu bringen?

Das Wichtigste ist meiner Erfahrung nach zu lernen, auch mit schweren Dingen umzugehen, das Leben zu leben mit seinen Einschränkungen, aber auch all seinen Möglichkeiten. Auch wenn wir nicht wissen, was kommen wird. Aber: Wer weiß das schon? So wird der Augenblick, das Jetzt, das Heute, wichtiger. Erkrankungen sind oft mit einer Fixierung im Negativen verbunden. Mit meinem Buch möchte ich Wege zeigen, um aus dieser Problemtrance herauszukommen. Und es tut einfach gut, wenn wir merken, dass wir selbst mithilfe unserer Vorstellungskraft und unserer Phantasie etwas verändern können.

Krebs ist natürlich ein sehr persönliches und sicher auch Angst besetztes Thema, mit dem jeder anders umgeht. Aber was würden Sie sich für die öffentliche Diskussion/den öffentlichen Umgang damit wünschen?

Ich wünsche mir, dass das Thema Krebs in der Öffentlichkeit noch viel selbstverständlicher vorkommen dürfte, ohne Panik und ohne Sensationslust. Es wäre gut, wenn es noch weniger Tabus zu dieser Krankheit gäbe, einer Krankheit, die so viele Menschen bekommen. Dann würden sich viele Betroffene weniger einsam fühlen müssen.

Ich habe Sie während der Arbeit an diesem Buch als eine sehr selbstbewusste, energiegeladene und auch humorvolle Frau kennengelernt. Verraten Sie uns, wie Sie – einmal abgesehen von Hypnose – Ihre Batterien wieder auftanken und Zuversicht bewahren? Haben Sie eine Art Wohlfühlrezept?

Ich bemühe mich um eine möglichst ausgewogene Balance von Aktivität und Entspannung, passend zu meinen persönlichen Erfordernissen. Aber ich muss zugeben, dass mir das natürlich nicht immer gelingt. Besonders wichtig ist für mich, immer wieder meine Aufmerksamkeit auf das Positive, auf die Möglichkeiten zu lenken, statt über Einschränkungen und das Negative zu grübeln. Es gibt ein Sprichwort, das ich als Leitsatz sehr hilfreich finde: Wenn dir das Leben Zitronen schenkt, mach Limonade daraus. Also: Nutze das, was da ist, und lebe damit – so gut es nur geht.

Liebe Frau Kurz, vielen Dank für das Interview. Ich bin sicher, dass das Buch vielen Betroffenen eine Hilfe sein wird.