Mit „gehirngerechten“ Zielen zum Erfolg

Die Macht der Gedanken

Von Cora Besser-Siegmund

Man hat herausgefunden, dass Menschen mit einer lebhaften Vorstellungskraft ihr Leben besonders zufriedenstellend und erfolgreich gestalten können. Das liegt an der faszinierenden Struktur der Gedanken, denn obwohl man sie nicht sehen oder greifen kann, bestehen sie durchaus nicht aus Luft. Ihre Entstehung geht mit messbaren Stoffwechselprozessen einher. Der Schriftsteller Rudyard Kipling – Autor des Weltklassikers „Dschungelbuch“ – sagte einmal: „Worte sind die mächtigste Droge, welche die Menschheit benutzt.“ Ein eindrucksvoller Beweis für diese These ist der bekannte Placebo-Effekt, der allein durch Sprache aktiviert werden kann. Man gibt einem von Kopfschmerz geplagten Menschen eine simple Zuckerpille und sagt dabei: „Hier bekommen Sie eine besonders wirkungsvolle Schmerztablette“ – und der Schmerz verschwindet. „Placebo“ ist Latein und heißt übersetzt: „Ich werde nützlich sein.“ Allein ein Satz mit nur wenigen – aber den richtigen – Worten bewirkt den positiven Effekt, weil die Person den Sprach-Reiz durch die Macht der Gedanken mit einer positiven Erwartungshaltung verknüpft, die dann ein wohltuendes Echo im Körpererleben auslöst: schmerzlindernde Endorphine setzen sich in den Nervenverbindungen frei, Muskeln lockern sich, die Gefäße reagieren mit einem ausbalancierten Volumen – und schon fließt der Schmerz davon. Wir sprechen vom „Neurolinguistischen Coaching“, wenn wir unseren Sprachschatz für die Verwirklichung unserer Ziele nutzen.

Es gibt viele eindrucksvolle Placebo-Experimente zu diesem Thema. So entwickelte auch die amerikanische Psychologin und Harvard-Dozentin Ellen Langer ein einfaches und wirkungsvolles Studien-Design, das sich mit der Arbeit von Raumpflegerinnen in Hotels beschäftigte. Ihr Forscherteam wandte sich an diese Raumpflegerinnen, die in zwei Gruppen aufgeteilt waren: eine Versuchsgruppe und eine Kontrollgruppe. Vor dem eigentlichen Experiment wurden alle Studienteilnehmerinnen medizinisch untersucht, beide Gruppen erzielten hier vergleichbare Werte. Beim eigentlichen Experiment wurden dann die Teilnehmerinnen der Versuchsgruppe darüber informiert, dass ihre Arbeit eigentlich einem idealen Fitnesstraining entsprechen würde und daher – medizinisch betrachtet – sehr gesund sei. Diese Information erhielt die Kontrollgruppe nicht. Hierzu berichtet der Arzt Johannes Koepchen im Online-Magazin Mentalmed:

„Die Ergebnisse nach 4 Wochen für die Studiengruppe:

  • deutlich mehr Raumpflegerinnen sahen ihre Arbeit als Training (Anstieg von 29 auf 45, in der Kontrolle nur 15 %)
  • das Gewicht sank in 4 Wochen im Schnitt um ca. 2 Pfund
  • das Körperfett reduzierte sich deutlich
  • der Taillenumfang nahm deutlich ab
  • der systolische Blutdruck verminderte sich um ca. 10 Punkte“

Dieser deutliche Unterschied im Vergleich zur Kontrollgruppe ergab sich bei den Teilnehmerinnen also allein durch die Begrifflichkeit „ideales Fitnesstraining“ – diese Worte änderten nicht nur die Einstellung zur geleisteten Tätigkeit, sondern wirkten sich konkret und messbar auf die körperlichen Gesundheitsdaten der beforschten Frauen aus. Ellen Langer hat noch eine Reihe weiterer Studien zu diesem Thema veröffentlicht – beispielsweise auch bei älteren Menschen –, die alle ähnlich konkret messbare Verbesserungen der körperlichen Gesundheit bei den Probanden aufweisen.

Die Placebo-Forschung zeigt, wie wichtig zielführende Gedanken für unsere körperliche Gesundheit und auch für Erfolge im Leben sind. Ungefähr 60.000 Gedanken gehen uns täglich durch den Kopf. Wenn wir sie nicht selbst positiv gestalten, führen sie einfach ein Eigenleben, denn das Gehirn arbeitet rund um die Uhr. Wollen wir unser Gehirn mit seinem Gedankenpotential bewusst für die Erreichung von Zielen nutzen, können wir uns schon im Hier und Jetzt mental in den Zielerfolg hineinversetzen. Die präzise Zieldefinition ist für das Gehirn das geeignete Kursinstrument auf dem Weg zur positiven Veränderung, und schon arbeiten die sechzigtausend Gedanken für uns. Dazu ist es wichtig, die Gehirnfunktionen der Wahrnehmungsverarbeitung für ein erfolgreiches Gedankenmanagement kennen und nutzen zu lernen.

Für die gedankliche oder ausgesprochene Zieldefinition ist es wichtig zu wissen, dass unser Gehirn spontan eine Negation wie ein „Nein“ oder ein „Nicht“ ganz anders als erwünscht bearbeitet. Machen Sie den Test: Denken Sie jetzt bitte nicht an ein Krokodil. Und spontan präsentiert Ihnen Ihr Gehirn diese grüne Riesenechse. Auf diese Art und Weise machen Sie Probleme zu Krokodilen, die mit ihrem großen Gebiss auf dem Erfolgsweg lauern und den Mut und das Durchhaltevermögen auf dem Weg zum Ziel gefährden. Überprüfen Sie im Alltag, wie oft Sie in Gedanken ein Ziel mit „Krokodilen“ beschreiben: „Ich möchte auf keinen Fall in der Prüfung nervös sein“ – anstatt zu denken: „Ich gehe ruhig und gelassen zum Prüfungstermin.“ Beim Neurolinguistischen Coaching nennen wir diese unterstrichenen Begriffe „Go-Wörter“: sie bewirken aufgrund ihrer Wortdynamik, dass wir unsere Potenziale aktiv ausleben und auf der Handlungsebene verwirklichen können. Ein Wort wie „nervös“ hingegen ist dann ein „Stop-Wort“: es irritiert und hemmt die Gedanken- und Handlungsmöglichkeiten.

Psychologen und Pädagogen weisen schon lange darauf hin, wie ungünstig es ist, zu einem Kind zu sagen: „Pass auf, du fällst gleich hin. Stolpere nicht!“ In dem Moment, in dem das Wort „Stolpern“ fällt, muss das Kind erst einmal begreifen, was Stolpern eigentlich ist. Das Gehirn aktiviert nun alles Wissen, das es zum Thema „Stolpern“ programmiert hat. „Aha, da muss man also die Füße so nachlässig über den Boden schleifen, damit sie an einem Stein hängenbleiben!“ Und da das Denken an eine Körperreaktion und deren tatsächliche Auslösung von denselben Gehirnarealen gesteuert wird – stolpert das Kind. Der Muskeltonus ist sofort als Reaktion auf den Gedanken erschlafft, und das Kind konnte den Fuß nicht mehr ausreichend anheben. Wir haben es bei diesem Beispiel nicht mit einem Phänomen der Magie zu tun, sondern mit einer schlichten Falschprogrammierung des Gehirns durch ungünstige Stop-Wörter oder Stop-Gedanken. Es tritt genau jene Panne ein, wovor das Kind geschützt werden sollte.

Unser Gehirn muss immer ein Ziel mit seinen 120 Milliarden Gehirnzellen zunächst gedanklich aktivieren, bevor es das Erreichen des Zieles organisieren kann. Man spricht hier auch vom „Zukunftssinn“ des Menschen: Wir können lebhaft in unserem inneren Erleben eine Geburtstagsparty planen, die erst in einem halben Jahr stattfinden wird. Diese mentale Programmierung entfaltet ihre größte Wirkung für die Realisierung der Ziele, wenn sie möglichst „gehirngerecht“ und genau ausfällt: Nicht nur Wörter, auch innere Bilder und deren Qualität beeinflussen den Erfolg: Farbe, Größe und Licht können positive Emotionen verstärken – und bewegte Bilder wirken dynamischer als Standbilder. Auch Bilder und Wörter reichen noch lange nicht aus – auch das Körpergefühl, das Hören, das Riechen und Schmecken unterstreichen Sätze und Formulierungen, die den Zielzustand positiv beschreiben und verstärken auf diese Weise die Macht der Gedanken.

IMAGINATIONSÜBUNG: Selbstmotivation durch Gedanken-Management

1. Denken Sie an ein „mittelwichtiges“ Alltagsziel, für das Sie eigentlich etwas tun müssten – es aber nicht machen: energievoll aufwachen, sich mehr bewegen, ein bestimmtes Buch lesen usw. Dabei sollten Sie das erwünschte Verhalten schon im Repertoire haben: Sie können sich bewegen, ins Bett gehen oder lesen – aber Sie tun es eben nicht oder zu wenig.

2. Was passiert, wenn Sie es weiterhin nicht tun?

3. Und wofür lohnt es sich, diese Sache zu tun/ diesen Zustand zu erreichen? Beschreiben Sie das Motiv in positiv formulierten „Go-Wörtern“ und „Go-Sätzen“

4. Begeben Sie sich in die Vorstellung, Sie hätten diesen Zielzustand erreicht. Reisen Sie mit allen fünf Sinnen auf diese Zukunft. Was genau nehmen Sie alles wahr, wenn Sie gedanklich schon am Ziel sind?

SEHEN

HÖREN

FÜHLEN

RIECHEN

SCHMECKEN

5. Welche dieser Sinneserlebnisse lösen (oder löst) die intensivste Vorfreude in Ihnen aus?

6. Was können Sie selbst in den nächsten fünf Tagen konkret tun, um dieser positiven Zielvorstellung näher zu kommen? Aktivieren Sie immer wieder die positiven Sinneserlebnisse und Ihre „Go-Worte“, während Sie über drei Möglichkeiten nachdenken. So vernetzen Sie die Ihre Handlungen gedanklich mit Vorfreude und steigern so die Chance zur Verwirklichung.

7. Besorgen Sie sich einen Erinnerungs-Anker, der Sie überall an dieses Zielerlebnis erinnern kann: ein Glasstein, ein Ring, ein Kugelschreiber, ein Parfum, ein bestimmtes Foto auf dem Handy usw. Und wann immer Sie sich einen Schritt in Richtung Ziel bewegt haben, geben Sie sich selbst in einem freundlichen Tonfall innerlich positives Feedback – denn das tut sprichwörtlich der „Stimmung“ gut.

Sie können Ihr Kreativitätspotenzial für diese Übung und für die Entwicklung zielführender Gedanken noch durch den Einsatz der speziell komponierten wingwave-Musik intensivieren. Selbstcoaching mit der wingwave-Musik reduziert Stress, steigert das Wohlgefühl und inspiriert zu kreativen Gedanken. Diese Musik wirkt über einen abwechselnden Links-rechts-Takt, der im Ruhe-Rhythmus des Herzens Ihren Gehör-Sinn und damit Ihr ganzes Nervensystem „berührt“. Die Wirkung entfaltet sich durch den Einsatz von Stereokopfhörern. Es gibt eine entsprechende wingwave-App, die für Ihr Selbstcoaching verschiedene Mental-Übungen in Verbindung mit der wingwave-Musik vorstellt. Die Basis-Version dieser App ist gratis. Alle Informationen und das Gratis-Musikstück „Feelwave“ gibt es zusätzlich auch im wingwave-online-shop.

Auch mit einer positiven inneren Stimmung können Sie Ihr Gedankenmanagement effektiv unterstützen – ganz konkret, indem Sie den Tonfall der inneren Ansprache motivierend klingen lassen. Wir reagieren zunächst immer emotional auf Wörter und Sätze – die Wortbedeutung „verblasst“, wenn wir uns mit einer strengen oder gar ungeduldigen Stimme fast schon befehlen: „Ich darf Erfolg haben!“ Wir haben zwei Hörzentren – genannt Hörcortex. Sie sind für verschiedenen Interpretationen von Hörreizen zuständig: Die linke Seite für die inhaltliche Bedeutung – „Was ist das?“ – und die rechte Seite für die Interpretation, wie die Botschaft gemeint ist – „Wie ist das?“ – wird ein schlichtes „Ja“ freundlich oder gelangweilt gesprochen? Probieren Sie aus, welcher positive Tonfall bei Ihnen die stärkste Motivationsenergie erzeugt: gelassen, fröhlich, liebevoll oder begeisternd.

Es könnte auch sein, dass einige mit dem Ziel verbundene Worte trotz allen positiven Denkens immer noch ein Unbehagen auslösen: Begriffe wie „Prüfung“, „Zahnbehandlung“, „Steuererklärung“, „Bügeln“ oder „Wirtschaftskrise“. Hier hilft ein ganz einfaches Selbstcoaching namens „Magic Words“ – auch diese Übung gibt es übrigens in der schon zuvor erwähnten wingwave-App. Sie schreiben diese zunächst noch unangenehm wirkenden Wörter in Gedanken in bunten Buchstaben, stellen sich die Begriffe klein geschrieben links unten in der Ecke vor, oder Sie lassen eine innere Micky-Maus-Stimme die Wörter piepsen. Und schon werden daraus erlaubende „Go-Worte“: Sie reagieren jetzt gelassen und kreativ auf diese Schlüsselwörter. Die Macht der motivierenden Gedanken basiert also immer auf einer gelungene Kombination aus zielführenden Worten, belebenden Sinneswahrnehmungen und positiven Emotionen.


  Über die Autorin

Die Diplom-Psychologin Cora Besser-Siegmund (*1957) ist approbierte Psychotherapeutin, NLP-Lehrtrainerin (DVNLP) und -Lehrcoach (ECA). Cora Besser-Siegmund ist außerdem Supervisorin für EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing).

Im Jahr 2001 begründete sie zusammen mit Ihrem Mann Dipl.-Psych. Harry Siegmund die wingwave®-Methode, die mittlerweile international von fast 5000 wingwave®-Coaches angewendet wird. Die Methode wurde bereits beforscht und Ihre Wirksamkeit wissenschaftlich belegt.

Seit über zwanzig Jahren leitet sie das Besser-Siegmund-Institut, das sich im Herzen Hamburgs befindet. Mit Ihrem Mann entwickelte sie eine Reihe von Verfahren für Therapien und Coachings, die sie einem breiten Publikum in einer Reihe von Sachbüchern bekannt gemacht haben. Zahlreiche Manager, Führungskräfte, Sportler, Künstler und Kreative nutzen die seit Jahren erfolgreichen Kurzzeitcoaching-Methoden Magic Words und wingwave®-Coaching.

Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören:

•           Emotions- und Leistungscoaching

•           Standortbestimmung und Karriereplanung

•           Selbstmanagement/ -motivation

•           Präsentationssicherheit

•           Konfliktstabilität

•           Stressmanagement

Im Junfermann Verlag sind von ihr unter anderem die Bücher Magic Words – der minutenschnelle Abbau von Blockaden (2004) und Mentales Selbstcoaching (2006) erschienen. Im Herbst 2015 erscheint der Titel Neurolinguistisches Coaching.

 

Weitere verwendete Literatur

Langer, E. J. (2007 (18)). Mind Set Matters. Psychological Science , 165 – 171.

Wegner, D. (1995). Die Spirale im Kopf: von der Hartnäckigkeit unerwünschter Gedanken – die Psychologie der mentalen Kontrolle. Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe.

Wegner, D. e. (May 1998). The Putt and the Pendulum: Ironic Effects of mental Control of Action. Psychological Science Vol. 9 No 3 , S. 196 – 201.

Erleben Sie den Drive …

Drive – mit der Welt im Fluss sein

Von Stefan Hölscher

Wir alle kennen Situationen, in denen wir uns als kraftvoll gestaltend erleben, in denen wir das Gefühl haben, gut im Fluss zu sein, die Dinge zu bewegen, Schwierigkeiten zu meistern und Energie, Lust und Lebendigkeit bei alledem zu spüren. Erfahrungen dieser Art können mit unterschiedlichsten Tätigkeiten im Beruf oder im Privatleben verbunden sein; mit Tätigkeiten, die wir allein tun, oder mit Tätigkeiten, die wir mit anderen zusammen unternehmen. Oft handelt es sich um kreative, sportliche oder spielerische Aktivitäten, doch können es genauso auch Überlegungen, Problemlösungsprozesse, intensive Gespräche oder alltägliche Tätigkeiten und Interaktionen mit anderen sein. Geprägt wird solches Erleben durch eine eigentümliche Gleichzeitigkeit von Gestalten und Laufenlassen, von ernsthaftem Einsatz und spielerischer Leichtigkeit, von Leistungswillen und Lust. Situationen dieser Art sind Momente des Gelingens und des Glücks. Was wir dabei erleben, ist Drive – eine ganz besondere Art mit uns selbst und der Welt im Fluss zu sein.

Ein solches Im-Fluss-Sein lässt sich nicht erzwingen. Wir können allerdings Bedingungen fördern, unter denen es uns eher gelingt, dass es dazu kommt. Die entscheidenden Weichenstellungen dafür liegen in uns selbst. Wir selbst bestimmen mit unserem Denken und Handeln, mit der Art des Umgangs mit dem, was in uns und um uns herum passiert, maßgeblich, wie es uns geht und welche weitere Entwicklung die Dinge für uns nehmen. Die wirksamsten Weichenstellungen, um mehr und mehr in einen guten Fluss zu kommen und Drive im eigenen Leben zu entfalten, lassen sich dabei in vier Leitsätze fassen.

 

Schätze, was da ist

Der erste und wichtigste Leitsatz für Drive ist: Nimm an, was gerade da ist, was auch immer es ist, und geh davon aus, dass du etwas Sinnvolles daraus machen kannst. Dieses Prinzip gilt im Kleinen wie im Großen, im Inneren wie im Äußeren. Es gilt für das, was einen ereilt – sowohl das, worüber man sich spontan freut: positive Überraschungen, unerwartete Gelegenheiten, glückliche Momente; wie auch für das, was man so nicht haben wollte: Störungen, Probleme, Krankheiten, Krisen, Verluste. Es gilt für das, was andere tun und was ihnen eigen ist: ihre Worte, Handlungen, Handlungsmuster und deren Folgen; und es gilt für das, was man selbst tut und was einem selbst eigen ist: eigene Gedanken, Gefühle, Handlungen, Handlungsmuster, Eigenschaften, die eigene Biografie…

Anzunehmen, was ist, und davon auszugehen, dass sich etwas Sinnvolles daraus machen lässt, bedeutet zweierlei: Akzeptanz des Gegebenen und aktive Gestaltungskraft. In genau dieser Kombination liegt der Schlüssel für Drive. Zu nehmen, was ist, meint weder Passivität noch Fatalismus. Die Haltung, dass es ist, wie es ist, und man es sowieso nicht ändern kann, als zentrales Lebensprinzip wäre das Ende von Drive. Andererseits meint eine aktive Gestaltung aber auch nicht Aktionismus und Allmachtsgefühle: Die Überzeugung, dass man die Welt seinen Wünschen gemäß formen kann, wäre ebenso wenig vereinbar mit Drive.

Gemeint ist vielmehr: Ich nehme, was da ist (etwas anderes habe ich ohnehin nicht zur Verfügung), und mache etwas daraus. Und zu beidem sage ich „Ja“: zu dem, was vorhanden ist, und zu der Chance, dass ich das Vorhandene weiter gestalten kann. Diese innere Haltung bringt Drive. Sie bildet den ersten Leitsatz für ein Leben mit Drive; und in gewisser Hinsicht durchzieht sie auch die anderen drei: Wisse, was du brauchst; nutze, was du kannst; sieh, was du tust.

 

Wisse, was du brauchst – nutze, was du kannst – sieh, was du tust

Indem ich herausfinde, was ich brauche, kümmere ich mich um mein Wohlergehen. Ich nehme meine verschiedenen Bedürfnisse wahr und nehme sie ernst. Ich entwickle Klarheit im Hinblick darauf, was mir in den vier zentralen Bereichen meines Lebens Körper – Arbeit – Beziehungen – Selbstverwirklichung wirklich wichtig ist, und ich kümmere mich konsequent darum. Ich strebe nach kraftvollen Balancen zwischen den verschiedenen Bereichen, und ich nutze Konflikte, Schwierigkeiten oder negative Gefühle als wichtige Hinweisgeber dafür, was in mir vorgeht, was ich brauche und was ich in meinem Leben ändern sollte, damit es mir gut geht.

Indem ich nutze, was ich kann, mache ich vom Reichtum meiner Fähigkeiten Gebrauch. Ich erkenne in allem, was ich tue, immer auch Fähigkeiten von mir und verwende diese Fähigkeiten und insbesondere meine Kernkompetenzen, das heißt den spezifischen Mix meiner zentralen Fähigkeiten, um mein persönliches Potenzial zu entfalten, mir Ziele zu setzen und mich immer weiter zu entwickeln.

Indem ich sehe, was ich tue, betrachte ich mein Verhalten von außen. Ich nutze Reflexionsfragen, prüfe und hinterfrage besonders in schwierigen Situationen, welche Erklärungen und Bewertungen ich dem Geschehen gebe und ob andere Erklärungen und Bewertungen gegebenenfalls hilfreicher für mich wären; ich achte auf unterschiedliche Strebungen in mir – die Mitglieder meines inneren Teams – und nehme kritische Muster, in denen ich verhaftet bin, wahr, um mein Handeln und seine Folgen besser verstehen zu können. Ich nutze meine Reflexion, um in Situationen, die ich als schwierig und festgefahren erlebe, neue Blickwinkel und Handlungsalternativen zu entdecken.

Zwei Beispiele

Vollsperrung auf der Autobahn. Gerade jetzt. Und ich mittendrin. Wer weiß, wie lange. Natürlich könnte ich mich jetzt furchtbar aufregen und dem Stau auf der Straße noch einen Stau in meinen Blutgefäßen hinzufügen. Ich kann mich aber auch entscheiden, mich ganz der Musik hinzugeben, die ich mir gerade ausgesucht habe, vielleicht ein paar Entspannungsübungen zu machen oder einem interessanten Hörbuch zu lauschen…

Karrierebremse. Mein Chef teilt mir mit, dass ich in diesem Jahr noch nicht für die nächste Karrierestufe vorgesehen bin. Gemeinsamer Beschluss des Managements. Ich solle erst noch an einigen Verhaltensweisen von mir arbeiten. Nach meiner Auffassung war die Beförderung mehr als fällig. Natürlich könnte ich mich nun in den Schmollwinkel zurückziehen oder versuchen, möglichst schnell irgendwo anders eine neue Stelle zu bekommen. Ich kann mich aber auch entscheiden, die relevanten Hinweise ernst zu nehmen und die nächsten Monate nutzen, um mit Unterstützung meines Chefs an diesen Punkten systematisch zu arbeiten. Ich tue dies für meine persönliche Entwicklung, natürlich auch, um mich für die nächste Beförderungsrunde erfolgversprechender aufzustellen und, falls es dann immer noch nicht klappen sollte, um meine Chancen für eine gute Stelle andernorts zu erhöhen…

 

Drive stärkt Drive

Indem ich schätze, was da ist, indem ich weiß, was ich brauche, indem ich nutze, was ich kann, und sehe, was ich tue, entsteht Drive in meinem Leben. Ich sage „Ja“ zu dem, was da ist – in mir und in meinem Umfeld – und mache etwas Eigenes und Gutes daraus. Ich verbinde das, was geschieht, mit dem, worum es mir geht. Ich verfolge einen klaren Kurs und bin zugleich offen für das, was sich ergibt. Ich sorge für mich und mein Wohlergehen und achte auf wechselseitig befriedigende Beziehungen. Ich erlebe mich reich an Fähigkeiten. Ich weiß, dass ich mich auf meine bewusst-willkürlichen ebenso wie auf meine unbewusst-unwillkürlichen Fähigkeiten, auf mein ICH und mein ES verlassen kann, und dass das Zusammenwirken all dieser Fähigkeiten mir für mein Wohlergehen und das Erreichen meiner Ziele unschätzbare Dienste erweist. Ich reflektiere mein Handeln und vermag mich zwischen einem Ganz-im-Geschehen-Sein und einem Es-von-außen-Beobachten hin und her zu bewegen. Ich nutze schwierige Momente, Konflikte und Krisen, um besser zu verstehen, zu lernen und neue Ideen und Balancen zu finden. Ich setze die Möglichkeiten der Reflexion ein, um meine Perspektiven zu erweitern und neue Handlungsimpulse zu finden.

So ist mein Leben mehr und mehr durchdrungen von Drive. Ich erlebe Rhythmus, Bewegung und Fluss. Ich bin ein Teil davon. Das Geschehen prägt mich und ich präge es. Ich bin mit meinem Denken, Fühlen und Handeln ganz in dem, was geschieht, und zugleich schaue ich auf das Geschehen. Ich erlebe das Ganze und ich erlebe mich. Ich fühle Einheit und Unterschied. Ich spüre das Leben und ich spüre den Drive. Das Wunderbare dabei ist: Die Erfahrung von Drive hilft, Drive erneut zu erleben, denn das Erfahren von Drive stärkt die Zuversicht, dass Drive entstehen kann; und diese Zuversicht ist die beste Weichenstellung dafür, dass Drive immer wieder neu zustande kommt.

 

Geprägt von Kontrasten

Natürlich wird mein Leben niemals ausschließlich von Drive durchzogen sein. Als Mensch bin ich ein fehlbares und sterbliches Wesen, und zu meinem Leben gehören immer auch Schwäche, Verlust, Krankheit, Schmerz, Unglück, Abbau und Tod. All das wird immer wieder – zumindest vorübergehend – dazu führen, dass etwas anderes die Oberhand gewinnt.

Drive wird geprägt von Kontrasten – auch von dem Kontrast zwischen den Zuständen in meinem Leben, in denen Drive vorkommt, und denjenigen, in denen anderes dominiert. Ein realistisches Vorhaben kann daher nicht heißen: „Ich werde Drive immer und überall erleben“, denn das wird nie in Erfüllung gehen. Möglich ist aber, dass mein Leben immer häufiger, intensiver und nachhaltiger von Drive geprägt wird; dass Drive für mich immer leichter und natürlicher wird. Dies ist ein realistisches und ein sehr lohnendes Vorhaben zugleich.

Helfen werden mir dabei die vielen guten Momente und günstigen Bedingungen, die es zu entdecken gibt. Helfen werden mir dabei aber auch die schwierigen Momente und Bedingungen, die kleinen und die großen Krisen in meinem Leben. Je besser es mir nämlich gelingt, auch in solchen Situationen anzunehmen, was ist, und etwas Sinnvolles daraus zu machen, umso mehr werde ich mein Vertrauen darauf, dass Drive entsteht, und meine Fähigkeit, Drive aufrechtzuerhalten, stärken, und umso eher wird Drive wieder entstehen.

Die Erfahrung von Drive stärkt das Entstehen von Drive. Je häufiger und intensiver ich in guten wie in schwierigen Situationen nutze, was da ist, umso natürlicher wird ein Leben mit Drive für mich werden. Ich bin mit mir und der Welt im Fluss und schöpfe daraus Kreativität, Kraft, Leistung und Lust.


 

  Über den Autor

Stefan Hölscher, studierter Philosoph, Literaturwissenschaftler und Psychologe (Dr. phil., Dipl.-Psych., M. A.), hat eine berufliche Doppelexistenz: Er arbeitet als Managementberater, Trainer, Coach und ist Geschäftsführender Gesellschafter der Metrion Management Consulting, Frankfurt a. M. Gleichzeitig ist er als Autor, Lyriker und Sprecher tätig. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher und Beiträge. Zusammen mit Michael Schneider, dem Solobassisten des Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg, macht Stefan Hölscher sprach-musikalische Lyrik-Kontra Bass Performances.

 

Publikationen (Auswahl):

  • Hölscher, S. (2015): Die neue Mitarbeiterführung. Führen als Coach. Beck Kompakt. C.H. Beck, München
  • Büngen, A. & Hölscher, S. [Hg.] (2015): Queerlyrik. Siegertexte und Platzierte des 1. Queerlyrik-Wettbewerbs. Geest Verlag, Vechta-Langförden
  • Hölscher, S. (2014): Schrille Gefilde. Gedichte. Geest Verlag, Vechta-Langförden
  • Hölscher, S. & Armbrüster, C. [Hg.] (2013): Gesundheit braucht Führung. Südwestbuch Verlag, Stuttgart.
  • Hölscher, S. (2011): Leben mit Drive. Die Entfaltung von Kreativität, Kraft, Leistung und Lust. Junfermann Verlag, Paderborn.

Zahlreiche weitere Bücher und active books bei Junfermann und Veröffentlichungen in Zeitschriften.

Schamanisches Retreat in Amerika oder „hüllenlos durch die Nacht“? – Auftrittsangst kann man auch einfacher überwinden…

Die fünf ungewöhnlichsten Techniken, wie Sie Ihre Auftrittsangst besiegen, und warum Sie sie auf keinen Fall ausprobieren sollten

Von Thomas Coucoulis

Wahrscheinlich gibt es kaum einen unter uns, der nicht schon mal öffentlich vor einem mehr oder weniger großen Publikum aufgetreten ist. Und wahrscheinlich gibt es auch kaum einen, dem in so einer Situation nicht schon mal „die Muffe ging“. Lampenfieber nennt man das unter Künstlern – wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, kann sich das Fieber verschlimmern und bis zu einer ausgewachsenen Auftrittsangst steigern. Doch wo kommt es her, dieses Biest? Warum haben selbst erfahrene Speaker, Trainer, Schauspieler, Musiker und sonstige Rampensäue zum Teil auch nach Jahrzehnten noch schweißnasse Hände, Schnappatmung und ein flaues, krampfendes Gefühl im Magen? Na, sind Sie schon in der Problemtrance?

Die Ur-Ursache ist schon ein Weilchen her, damals lebten wir noch in kleinen Gruppen in dorfartigen Gemeinschaften von in der Regel weniger als 100 Individuen. Unter den damaligen Lebensumständen war es überlebenswichtig, die Zugehörigkeit zur Gruppe nicht zu gefährden, denn das hätte den Ausschluss aus der Gruppe und damit den sicheren Tod bedeutet. Wer damals also dazugehören und sich reproduzieren wollte, trug nicht nur Bart, was momentan auch wieder zutrifft, sondern auch sein Herz nicht zu sehr auf der Zunge.

Heute können wir unser Mammut- respektive Kobe-Fleisch online bestellen, ebenso wie die Felle, die wir auf der Haut tragen. Letztere aus Gründen der Political Correctness natürlich nur aus Kunstpelz (Erdöl), was, wenn man es genau betrachtet, die eigentlich wahre Dekadenz ist. Doch das nur am Rande, uns geht es ja hier ums Auffallen, obwohl man das mit Pelz in der Regel auch tut. Die Verfügbarkeit lebenswichtiger Ressourcen ist also nicht der Grund, warum wir trotzdem erwiesenermaßen mehrmals am Tag lügen, was natürlich auch das Herunterschlucken der eigentlichen Antwort auf die unfreundliche Art des neudeutschen Zugbegleiters impliziert.

Wenn nicht der Arterhaltung wegen, warum dann? Die Zeiten, als man dafür verhaftet wurde, wenn man seine Meinung sagte, sind ja hierzulande glücklicherweise vorbei. Dennoch wurden unsere Eltern und Großeltern von solchen Umständen geprägt, diejenigen von uns, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, ja zum Teil noch selbst. Unser Schulsystem trägt auch nicht gerade dazu bei, dass wir uns die Offenheit und Ehrlichkeit unserer Kindheit bis ins Erwachsenenalter bewahren. Und die herrschende Klasse war auch noch nie so wirklich daran interessiert, dass wir kundtun, was uns nicht passt, also gibt es ein rund um die Uhr rundfunkendes Brot-und-Spiele-Programm als Opium für das Volk. Die, die dort auftreten, dürfen wir bewundern, aber bei der Bewunderung anderer soll es auch bleiben, wir selbst haben im Mittelpunkt nichts verloren. Kommt der Begriff Unterhaltung also von Untenhaltung?

So viel mal zu den Ursachen und den daraus resultierenden Glaubenssätzen. „Sprich nicht so laut, das macht man nicht!“ – „Sei immer schön brav und tu, was der Lehrer dir sagt!“ – „Zieh dich ordentlich an, so kannst du doch nicht auf die Straße gehen, was sollen denn die Leute denken!“ Und jetzt seien wir mal ehrlich, wer von uns kennt nicht mindestens einen dieser Sätze? Abgesehen von der Frage, ob die aus dieser (V)Erziehung resultierenden Glaubenssätze für uns heute noch Gültigkeit besitzen (Kleiner Tipp: Nein), steht ja auch im Raum, was wir ohne selbige wären. Auf jeden Fall entspannter, wenn es darum geht, öffentlich vor Publikum aufzutreten. Auf jeden Fall ehrlicher, wenn uns etwas nicht passt. Auf jeden Fall authentischer, wenn wir uns selbst darstellen.

Wie man Glaubenssätze verändert, haben die meisten unter uns ja gelernt, aber reicht das? Als Rampenpfau und jemand der sich die letzten knapp 20 Jahre damit beschäftigt hat, wie man so richtig schön auffällt, sage ich: Nö. Wenn wir das jetzt schon gemeinsam angehen, dann machen wir es richtig. Wenn Sie das auch wollen, lesen Sie jetzt weiter. Aber Achtung, die folgenden Techniken könnten dazu führen, dass Sie in Zukunft auffallen. Ja, auch unangenehm. Dafür ist Ihnen danach garantiert nichts mehr peinlich. Also überlegen Sie es sich gut.

1. Seien Sie einen Tag lang ehrlich. Wenn Sie einen Kollegen treffen, antworten Sie mit der Wahrheit auf sein „Na, wie geht’s?“. – „Du, nicht so toll, ich habe gestern Abend so einen Salat gegessen, und der hat sich irgendwie nicht mit dem Bier vertragen, dann hatte ich die halbe Nacht Blähungen und um drei auch noch Durchfall.“ Oder ihr Chef: „Machen Sie mir das doch bitte noch bis morgen fertig.“ – „Wissen Sie eigentlich, wie lange das dauert? Ich hab‘ auch noch andere Sachen zu tun, und um Punkt sechs mach‘ ich Feierabend, weil wir heute Champions League gucken und dazu einen saufen.“ Mit Ihrem Partner im Restaurant: „Und, wie war dein Tag?“ – „Wie immer, im Meeting habe ich dem jungen Kollegen die ganze Zeit auf den Arsch geglotzt. Der ist echt knackig, nicht so schlaff wie deiner …“ Ich denke Sie haben das Prinzip verstanden.

2. Schonungslose Ehrlichkeit macht sich auch immer besonders gut im Kreis der lieben Verwandten. Auf der nächsten Familienfeier betrinken Sie sich – und zwar richtig. Nach dem etwa fünften Bier oder vierten Glas Wein erklären Sie sich offiziell zur Partykönigin. Und die Königin will Gesang, also stimmt sie ein Liedchen an und animiert die anderen zum Mitmachen. Die Polonäse darf natürlich auch nicht fehlen. Zwischendurch trinken Sie mit Ihrem Schwager Brüderschaft und das ungefähr fünfmal in Folge. Danach tanzen Sie auf dem Tisch zu Bonnie Tyler und performen dabei ordentlich mit. (Ihr Schwager unterstützt Sie freundlicherweise dabei). Am Ende des Abends lassen Sie sich von Ihrem Mann nach Hause fahren und übergeben sich unterwegs so ungefähr zwei bis dreimal. Das gleiche Prinzip funktioniert übrigens auch auf Betriebsfeiern. Alles klar?

3. Machen Sie ein schamanisches Retreat in Südamerika. Zwei Wochen abseits der Zivilisation in der wilden Schönheit der Natur tun nach dem ganzen Alkohol (s. o.) auch mal ganz gut. Das Highlight dieser Reise ist das Reinigungsritual mit Ayahuasca. Das ist ein Pflanzensud, der zum Großteil aus der ausgekochten Ayahuasca-Liane besteht und psychotrope Wirkstoffe enthält. Das Ritual führt in der Regel zu heftigen Halluzinationen in Kombination mit starken körperlichen Schmerzen und Erbrechen. Üblicherweise wird es abends eingenommen, die Wirkung dauert dann die ganze Nacht an. Es wird von Menschen berichtet, die mit schweren Autoimmunkrankheiten an diesem Ritual teilgenommen haben und anschließend ihre Krankheiten besiegen konnten, weil durch die Schmerzen und die Übelkeit der Lebenswille wieder so stark wurde, dass die körpereigenen Selbstheilungskräfte einen Turboboost verpasst bekamen und den Rest erledigten. Wenn Sie das durchgestanden haben, wird Ihnen so einiges egal sein, unter anderem auch, irgendwo aufzufallen. Viel Spaß!

4. Nach so einer anstrengenden Reise haben Sie sich etwas Erholung verdient. Gehen Sie in die Sauna und suchen Sie sich dort Menschen, die Ihnen gefallen. Sprechen Sie sie an, und versuchen Sie, ein Date mit jemandem auszumachen. Ob Sie hingehen, können Sie ja später immer noch entscheiden. Wichtigster Punkt: Tun Sie es nackt! Hüllenlos durch die Nacht ist das Motto, und genau so stellen Sie sich vor diese Person und haben somit schon mal nicht den üblichen Schutzschild aus Jeans und Tweed, hinter dem Sie sich sonst immer verstecken. Kein graues Pinstripe-Business-Mimikri, kein hipper Freizeitlook aus London (online bestellt), nur Sie selbst. Eine ehrlichere Anmache kann es nicht geben.

5. Als krönenden Abschluss ihrer Befreiung von den hinderlichen Glaubenssätzen und Konventionen gehen Sie feiern. Jede Stadt bietet ja so eine Party-Location, wo man nicht nur schick und zickig rumsteht, sondern auch so richtig abtanzen kann. Da gehen Sie hin – und Sie werden feiern, und zwar härter, wilder und lauter als jeder andere in diesem Laden. Eine Freundin von mir nennt das „den Club abbrennen“. Das bedeutet, dass man so ausgelassen feiert, dass man am Ende entweder auf Händen getragen oder von selbigen rausgeworfen wird. Das Ergebnis, Partykönig oder Hausverbot, ist in diesem Fall völlig egal, Hauptsache es war enthemmt. Wie besagte Freundin ebenfalls zu sagen pflegt: „Es eskaliert eh.“

Wenn Sie jetzt denken „Woher weiß er, was ich in der letzten Zeit gemacht habe?“, dann erzähle ich Ihnen mit diesem Artikel natürlich nichts Neues. Sie haben mit großer Wahrscheinlichkeit auch keine Schwierigkeiten, entspannt öffentlich aufzutreten. Wenn Sie hingegen sagen: „Das ist doch komplett irre!“, danke ich Ihnen für das Kompliment. Und wenn Sie jetzt noch wissen wollen, warum Sie diese Techniken auf keinen Fall ausprobieren sollten – wegen der Folgen:

1. Verlust des Arbeitsplatzes

2. Enterbung und/oder Scheidung

3. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und überaus unangenehme Nebenwirkungen

4. Hausverbot und Anzeige wegen sexueller Belästigung

5. Blaue Flecken

Und wenn Sie sich jetzt noch fragen, ob ich das alles ernst meine, dann versichere ich Ihnen: Ja, natürlich! Machen Sie das auf jeden Fall genau so, und denken Sie auf keinen Fall darüber nach, was Sie stattdessen für sich tun könnten, um aus dem Gefängnis Ihrer eigenen Glaubenssätze auszubrechen. Also, verstehen Sie diesen Artikel auf gar keinen Fall als Satire und diesen Satz bloß nicht ironisch.

Aber jetzt mal im Ernst, glauben Sie wirklich, dass das nötig ist? Klar, Sie können die Rosskur der Desensibilisierung ruhig machen, funktionieren wird Sie. Vielleicht reicht es aber auch, erst mal die Füße ins Wasser zu stecken und nicht gleich mit dem Kopf voraus reinzuspringen. Insbesondere wenn Sie den Grund noch nicht sehen können. Wie wäre es zum Beispiel damit, einfach mal Ihrem Gefühl zu folgen? Wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegt, warum es statt auf die Goldwaage nicht einfach mal auf die Zunge legen und kommunizieren? Kann man ja auch ganz gewaltfrei, wertschätzend und nach NLP-Kriterien machen.

Ganz konkret könnte das bedeuten, dass Sie in einer Auftrittssituation ehrlich zu Ihrem Publikum sind. Wenn Sie nervös sind, versuchen Sie nicht, es zu überspielen, indem Sie das Publikum mundtot dominieren. Sagen Sie es ruhig, ihr Publikum merkt es so oder so, wenn auch nicht unbedingt bewusst. Sie werden damit ehrlicher und authentischer rüberkommen und gleichzeitig auch diesen inneren Druck Ihrer Nervosität ablassen. Und wenn Sie diesen Druck nicht mehr zu kontrollieren brauchen, können Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das lenken, was in diesem Moment wirklich wichtig ist: Das, was Sie sagen möchten, und diejenigen, denen Sie es sagen möchten.

Und noch was: Begeben Sie sich ruhig auf eine gemeinsame, kooperative Basis mit Ihrem Publikum – auf Augenhöhe. Schulz von Thun würde es die Wahrheit der Situation nennen. Und kommen Sie mir nicht mit irgendwelchem rhetorisch-technischen Schnick-Schnack, das zu verstehen und umzusetzen bedeutet viel mehr, als nur ein paar kommunikationspsychologische Tricks anzuwenden. Es bedeutet Wertschätzung. Sie sitzen in diesem Moment alle im selben Boot und wollen alle das Beste aus der Situation rausholen. Die Zuhörer sind Ihr Publikum, und für dieses machen Sie Ihre Show, nicht zur (Selbst-) Befriedigung Ihres Egos. Also, nächstes Mal, wenn Ihnen jemand zuhört, seien Sie dankbar und machen Sie was draus! Alles Gute dabei!

 

  Über den Autor

Thomas Coucoulis betreibt als Rampenpfau das Institut für Selbstdarstellung in Hamburg, sein Spezialgebiet ist das Überwinden von Ängsten und Blockaden bei öffentlichem Auftreten und die Entwicklung authentischer Auftritts-Persönlichkeiten. Mehr Infos und einen Blog zum Thema finden Sie hier.

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