Kinder brauchen Bindung

Hilfe für Alleinerziehende?

Von Bianca Olesen

In meiner Praxis für Psychotherapie arbeite ich mit Einzelklienten, Gruppen und immer wieder gerne auch mit Familien.

Ein häufiger Anlass, meine Praxis zu besuchen, ist Erschöpfung. Mancher nennt es Burnout, mancher erlebt vorwiegend den depressiven Anteil dieses Zustandes, die Angst oder die körperliche Komponente – oder auch die daraus resultierenden Beziehungsschwierigkeiten. Allen gemein ist aber die zugrunde liegende starke Überforderung und die Idee, mehr leisten zu müssen, sich noch mehr anzustrengen, und die in Folge auftretende tiefe Erschöpfung. Viele kommen also zu mir, um Wege aus der Überforderung zu finden. Eine Gruppe von Menschen, die davon häufig betroffen sind, sind Alleinerziehende.

Neulich habe ich Lisa kennengelernt. Lisa leidet wie viele ihrer Generation unter dem Schicksal, alleinerziehend zu sein. Lisa ist schwer erschöpft davon, sich allein zu fühlen, alles alleine bewältigen zu müssen, und hat deswegen zunehmend auch soziale Probleme: Sie schafft es nicht mehr, die Leistung zu erbringen, die man von ihr erwartet. Das setzt Lisa unter Druck, sie fühlt sich zunehmend minderwertig, zweifelt an sich und fragt sich immer häufiger, was mit ihr nicht stimmt. Dass etwas mit ihr nicht stimmt ist klar, so die anhaltende Resonanz ihres Umfeldes. Lisa fühlt sich falsch, und sie weiß nicht, wie sie es schaffen kann, richtig zu sein. Aus dieser Unsicherheit heraus fällt es ihr immer schwerer, sich sozial einzufügen, sich angemessen zu verhalten im Umgang mit anderen, egal ob groß oder klein. Denn Lisa ist eigentlich ständig traurig und gereizt. Das ganze Dilemma beschäftigt sie Tag und Nacht, sie schläft schlecht, sie träumt schlecht und leidet unter Kopf- und Bauschmerzen. Und auch damit fühlt sie sich: allein.

Ich erlebe Lisa ratlos. Und sie steckt bereits in einem Teufelskreis: Was sich ihr Umfeld von ihr wünscht, ist nicht nur, dass sie mehr leistet, sondern dass sie wieder präsenter ist und zugänglich. „Schwingungsfähig“ würden wir das fachsprachlich nennen, emotional ansprechbar. Gerade das kann Lisa aber nicht erreichen, wenn sie sich anstrengt, um den anderen wieder besser zu gefallen. Und vor lauter Anstrengung erschöpft sie sich immer mehr.

Lisa erlebt also den klassischen Werdegang überforderter Menschen: vegetative Übererregung und Gereiztheit, Unverständnis des Umfeldes und daher fehlende Unterstützung, Hilflosigkeit und schließlich sozialer Rückzug bis zur Isolation.

Ihr Umfeld beschreibt sie als schwierig und widerständig und beginnt, sich von ihr abzuwenden.

Als Alleinerziehende muss Lisa zudem schwierige Fragen des Alltags alleine beantworten und wichtige Entscheidungen alleine treffen. Je weniger nützliche Vorerfahrungen hierfür zur Verfügung stehen und je weniger Ressourcen, desto schwieriger fällt dies und desto überfordernder erlebt sie ihre Situation.

Eine überlebenswichtige Ressource für überforderte Menschen wie Lisa ist die emotionale, wohlwollende Unterstützung durch andere. Ohne Unterstützung ist es nicht unwahrscheinlich, dass Lisa irgendwann den letzten Ausweg wählt.

Was aber meint emotionale Unterstützung? Emotionale Unterstützung bedeutet nicht in erster Linie, etwas für den anderen zu tun, sondern vielmehr, mit ihm zu sein. Eine tragfähige Beziehung anzubieten im folgenden Sinne:

Als soziales Wesen mit dem Grundbedürfnis nach sicherer Bindung beschäftigt sich der Mensch „im Hintergrund“ seines Bewusstseins, seinem „sozialen Unbewussten“, ständig mit der Suche nach der Antwort auf drei überlebenswichtige Fragen:

  1. Bist du präsent?
    (Bist du aufmerksam für mich?)
  2. Bist du empathisch für mich?
    (Fühlst du dich in mich ein? Bekommst du mit, was in mir los ist, was mich beschäftigt?)
  3. Sagst du dazu „Ja“?
    (Nimmst du mich an, liebst du mich, wertschätzt du mich mit dem, in das du dich einfühlst?)

Ein Ja auf alle drei Fragen bewirkt das Erleben emotionaler Unterstützung und sicherer Bindung. In Beziehung lebend haben wir im besten Falle mindestens einen Menschen, der ein grundsätzliches Ja als Antwort auf die drei Fragen bietet, der also Ja zu uns sagt. Das entlastet und sichert uns und erleichtert uns den Umgang mit den Schwierigkeiten des Alltags.

Lisa fühlt sich nicht auf diese Weise zuverlässig gebunden. Sie findet nirgendwo zuverlässig ein klares Ja auf diese drei existenziellen Fragen. So fällt es ihr zunehmend schwerer, sich sicher und vertrauensvoll auf das Leben einzulassen zu können. Darunter leidet sie.

Folgerichtig müsste ich Lisa also zuerst dabei unterstützen, wieder in Beziehung zu gehen und in ihrem Umfeld Unterstützung zu finden. Eigentlich.

Lisa leidet wie viele ihrer Generation unter dem Schicksal, alleinerziehend zu sein. Obwohl sie inmitten einer Familie lebt.

Lisa ist acht Jahre alt und seit zwei Jahren Schlüsselkind. Wenn sie um 16 Uhr aus der Ganztagsbetreuung nach Hause kommt, wird es noch zwei Stunden dauern, bis ihre Mutter aus dem Büro kommt. Viel später, wenn Lisa sich schlafen legt, wird ihr Vater nach Hause kommen.

An den Wochenenden steht nach den Übungsaufgaben (Mama und Papa wollen schließlich sicherstellen, dass sich Lisas Leistungen weiter verbessern) vom Maislabyrinth bis zum Freizeitpark alles auf dem Programm, was geeignet ist, das schlechte Gewissen der Eltern zu beruhigen. Und Lisa freut sich brav mit ihren müden Augen. Gegessen wird im Restaurant, denn zum Kochen sind auch die Eltern zu erschöpft. Natürlich benimmt sie sich vorbildlich. Lisa macht sich in der Woche alleine etwas zu essen, sie erledigt ihre Hausaufgaben und bleibt mit ihren vielen Fragen allein. Sie bleibt brav in ihrem Bett, wenn ihre Albträume sie aus dem Schlaf gerissen haben. Und sie murrt nicht, sie fällt Mama und Papa nicht zur Last. Schließlich macht sie ihnen doch schon genug Kummer.

Lisa ist alleinerziehend. Sie muss sich selber erziehen und ist damit hoffnungslos überfordert[1].

Und ehrlich: Ich bin ratlos, wie ich ihr helfen kann.

Als Mutter berührt mich Lisas Situation so tief, dass ich die Einsamkeit und Verzweiflung fast nicht ertragen kann, die ich an ihr wahrnehme. Ich möchte die Eltern fragen: „Wieso entscheidet ihr euch für ein Kind und sagt dann nicht in aller Konsequenz Ja zu ihm?“ Als Mutter möchte ich Lisa in den Arm nehmen, sie halten und ihr die große Last der Überforderung für einen Moment von den Schultern nehmen. Ihr eine sichere Beziehung anbieten, in der sie sein darf, wer sie ist: ein bedürftiges Kind. Und ich bleibe ratlos, denn ich weiß, Lisa braucht diese Liebe und Zuwendung zuallererst von ihren Eltern.

Wähle ich die Rolle der Therapeutin, erkenne ich, dass Lisas schwierige Situation ein familiäres Problem ist, das nicht gelöst wird, indem Lisa „behandelt“ wird. Die Medizin für Lisas Schwierigkeiten heißt Elternliebe und beinhaltet die elterliche Präsenz, Empathie und bedingungslose Annahme.

Ich bin sicher, dass auch für Lisas Eltern Geld und Karriere keine Rechtfertigung dafür darstellen, ihre Tochter emotional zu vernachlässigen. Dass es ihnen also nicht bewusst ist, dass sie Nein zu ihr sagen und sie mit zu wenigen Ressourcen in ihr Leben schicken. Dass Lisa später, wenn sie der Kindheit entwachsen ist und fest im sozialen Gefüge mit all seinen Pflichten und Herausforderungen steckt, diese Basis der Unbeschwertheit und Verantwortungsfreiheit als entlastende Ressource nicht wird aktivieren können, dass Lisa wahrscheinlich nicht einmal eine Idee davon haben wird, wie es ist, ihre Last für einen Moment an eine liebevolle Autorität zu delegieren, um kurz nach Luft zu schnappen. Und dass sie damit die wichtigste Ressource überhaupt entbehrt: die Fähigkeit zur Bindung. Die Fähigkeit, zu fühlen, was zu fühlen ist, sich damit einem anderen Menschen anzuvertrauen, der dies für einen Moment mitzutragen bereit ist, und auf diese Weise nicht allein zu bleiben, sondern Kontakt zu erleben: Mit meiner Not bin ich allein, ja, ich muss sie schlussendlich allein bewältigen, aber ich bin nicht einsam! Und das ist der große Unterschied.

Als Therapeutin würde ich deshalb die Eltern in die Arbeit einbeziehen und die drei dabei unterstützen, ihre Verbundenheit wieder bewusst als überlebenswichtige Ressource zu erleben und als kostbares Gut zu erkennen.

Vielleicht würde ich sagen: „Nutzt die kurze Zeit, bis sie flügge wird. Das sind viel weniger Jahre, als ihr glaubt. Aber diese Jahre sind die einzige Zeit, in denen ihr Lisa das mitgeben könnt, was sie für ein glückliches und gesundes Leben braucht. Denn alle Menschen – aber ganz besonders Kinder brauchen Bindung!

 

[1] Nicht nur die Zahl psychisch „gestörter“, verhaltensauffälliger Kinder steigt in den vergangenen Jahren dramatisch, sondern auch die Zahl der Suizide bei Kindern und Jugendlichen!

Aktuell spricht die Stiftung für die psychische Gesundheit von Kindern von mindestens 20 Prozent psychisch kranker Kinder in Deutschland und erwartet eine Entwicklung auf 50 Prozent bis 2020.

Suizid ist heute die zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen. Und auf jeden Suizid fallen noch 15–20 Suizidversuche.

Quellen:

  • http://www.achtung-kinderseele.org/html/themen/psychische%20stoerungen.html
  • https://www.frnd.de
  • http://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-dem-suizid-beschuetzen-jedes-jahr-nehmen-sich-600-jugendliche-das-leben/8741862.html
  • https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/11/21/dramatisch-in-deutschland-ist-bald-jedes-zweite-kind-seelisch-krank

(Zugriff jeweils am 18.1.2017)

 

Unterstützung finden Betroffene auch hier:

Die Telefonseelsorge 0800 1110111

Das Kinder- und Jugendtelefon 0800 1110333

 

Olesen_Bianca  Über die Autorin

Bianca Olesen ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und Gestalttherapeutin, Trainerin und Coach mit den Schwerpunkten Stress & Entspannung, Persönlichkeitsentwicklung, emotionale Kompetenz und gehirngerechtes Lehren und Lernen.

Ihr Buch Der Mensch hinter der Maske. Vom Umgang mit narzisstischen Klienten in Coaching und Beratung erschien 2015 im Junfermann Verlag.

Fällt es Ihnen schwer zu entspannen? Manchmal steckt mehr dahinter als äußerer Stress …

Wie Ihr Unterbewusstsein Sie vom Entspannen abhält

Von Tanja Klein

Was haben dramatische Kindheitserlebnisse mit der Unfähigkeit zu entspannen zu tun? Welche Rolle spielen das Familienumfeld und die Spiegelneurone beim Thema Entspannung? In weniger als fünf Minuten werden Sie es wissen. Und warum genießen Sie diesen Artikel nicht passenderweise direkt in einer bequemen Sitzhaltung – vielleicht mit einem Getränk Ihrer Wahl neben sich, die Füße entspannt hochgelegt – und freuen sich über die nächsten Minuten voller Ruhe und neuer Impulse. Sie nehmen wahr, wie die Atmung tiefer wird und ihr Herz angenehm langsam schlägt … Wie? Das fällt Ihnen schwer? Dann könnte es vielleicht an einem der drei folgenden Gründe liegen:

1. Sie haben in Ihrer frühesten Kindheit eine furchtbare Erfahrung gemacht, die Ihnen eine entspannte Entspannung (noch) nicht erlaubt. Und mit frühester Kindheit meine ich sehr früh, also die Zeit, als Sie noch im Bauch Ihrer Mutter waren. Und das vielleicht nicht alleine …

Der Gynäkologe Jean-Guy Sartenaer berichtete in einem Interview für das Fachbuch Das Drama im Mutterleib (2013), dass er bei acht bis zehn Prozent aller Schwangerschaften mehrere Embryonen in der Gebärmutter im Ultraschall erkennen kann. Jedoch sehen wir im Straßenbild nur sehr selten Mütter, die angestrengt versuchen, mit ihren Zwillingskinderwagen in den Bus einzusteigen. Die Quote für erfolgreiche Zwillingsschwangerschaften, bei denen beide Kinder lebend geboren werden, liegt bei nur einem Prozent. Das heißt, dass rund jede zehnte Schwangerschaft „zu zweit“ beginnt und mit dem Schicksal „verlorener Zwilling“ endet.

Wie hängt die pränatale Erfahrung mit der Unfähigkeit zu entspannen im Erwachsenenalter zusammen?

Stellen Sie sich kurz vor, Sie wären ein Embryo im Bauch Ihrer Mutter und direkt neben Ihnen wäre noch ihr Geschwisterchen. Je nach Schwangerschaftswoche hören Sie bereits den Herzschlag des anderen und spüren die Bewegungen neben sich. Mit der Zeit wird der Herzschlag „nebenan“ immer langsamer und langsamer, die Atmung immer ruhiger und die Bewegungen immer weniger … Bis es plötzlich neben Ihnen ganz ruhig wird. Da ist nichts – mehr. Absolute Ruhe. Der Mensch, der Ihnen am engsten vertraut war, ist verschwunden. Wohin auch immer.

(Ich erspare Ihnen die Beschreibung der nächsten Monate, die Sie neben dem toten Körper verbringen. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann das erwähnte Buch lesen oder eine Fortbildung in Pränataler Psychologie z. B. bei Gerda Ehrlich besuchen.)

Vor diesem Hintergrund jedenfalls bekommt die Aussage „Ruhe fühlt sich für mich an wie der Tod“ eine ganz neue Bedeutung, und als Coach und/oder Therapeut macht es Sinn, an dieser Stelle hellhörig zu werden. Vielleicht hat der Klient, der diese Aussage getroffen hat, als eine der ersten prägenden Erfahrungen gelernt: Wenn jemand anfängt, richtig ruhig zu werden, ist er bald tot. Würden Sie mit dieser unbewussten, vorgeburtlichen Erfahrung ruhig auf dem Sofa liegen können? Es ist völlig verständlich, dass man lieber nicht zur Ruhe kommen möchte. Jemandem mit dieser Erfahrung Yoga oder Meditation zu empfehlen, könnte kontraindiziert sein. Vorher wäre es wichtig und notwendig, den ursprünglichen Stress aufzulösen.

Viele Menschen können sich nur schwer vorstellen, dass man in vorgeburtlicher Zeit etwas bewusst mitbekommt und zudem noch ins Erwachsenenleben überträgt. Fachbücher zur Pränatalen Psychologie und meine eigenen Coachingerfahrungen bestätigen jedoch genau das.

Natürlich kann man sich nicht daran erinnern, wie das Geschwisterchen ausgesehen hat oder was man angesichts seines Todes empfunden hat. Dennoch ist davon auszugehen, dass das überlebende Kind „etwas“ mitbekommen hat, denn dieses Erlebnis kann beispielsweise durch den veränderten Geschmack des Fruchtwassers „geschmeckt“ werden, und es gibt eine unbewusste Erinnerung an die Gefühle aus dieser Zeit. Die Folgen sind bei manchen Menschen durchaus auch im Erwachsenenalter noch spürbar.

Aber ich möchte Ihnen heute noch zwei weitere Gründe aus meiner Praxis vorstellen, die Entspannung erschweren:

2. Die Unfähigkeit zu entspannen kann mit der Geburtserfahrung zusammenhängen. Bei einer jungen Klientin von mir entpuppte sich unter anderem dieses Phänomen als die Ursache für ihr Problem, in der Schule stillzusitzen. In Gesprächen stellte sich heraus, dass sie eine ganz furchtbare Geburt gehabt hatte und es in den ersten Minuten danach sehr unsicher gewesen war, ob sie überleben würde. Eine Geburt kann viele kritische Momente haben, und sie alle gehen nicht spurlos am Kind und seinen Eltern vorbei.

Ohne böse Absicht wurden meiner Klientin von den Eltern immer wieder die Einzelheiten des „Geburtstraumas“ berichtet. Das Mädchen litt an einer starken, vormals unbewussten Angst zu sterben, die eindeutig aus der Zeit der Geburt stammte. Die Unfähigkeit, ruhig zu sitzen, entsprang der guten Absicht, sich selbst zu versichern, noch am Leben zu sein. Ganz nach dem Motto: „So lange ich rumhüpfe, kann ich nicht tot sein“. Angesichts der Vorgeschichte des Mädchens eine verständliche Reaktion.

Der Mensch ist jedoch ein komplexes Wesen und es gibt oft mehr als einen Grund für ein bestimmtes Verhalten. Bei meiner Klientin kam nun noch Grund Nummer 3 hinzu:

3. Spiegelneurotischer Stress des Umfeldes. Der Vater meiner Klientin hatte bei ihrer Geburt natürlich ebenfalls starke Angst, dass sein Mädchen sterben könnte. Der Ursprung dieser Angst konnte mit dem Myostatiktest eindeutig zugeordnet werden. Diese Angst hörte auch nach den gut gemeisterten ersten Lebensmonaten und sogar -jahren nicht auf. Sie wirkte unterbewusst noch immer auf ihn – und leider über die Spiegelneurone auch auf sein Kind.

Wirkungsweise der Spiegelneurone

Jeder Mensch kann sich mit emotionalem Stress von nahestehenden Menschen „anstecken“ lassen. Dies geschieht über eine ganz spezielle Sorte von Nervenzellen: den Spiegelneuronen. Im menschlichen Gehirn bewirken sie, dass beim bloßen Betrachten einer Handlung sich das gleiche Aktivitätsmuster zeigt wie beim aktiven Ausführen dieser Handlung. Aus Sicht der Evolution sind die Spiegelneurone eine tolle Sache, da sie uns oft schützen oder leichter neue Handlungsweisen lernen lassen. Manchmal lernen wir jedoch auch undienliche Muster. So kann es sein, dass meine Klientin als Kind immer wieder über die Spiegelneurone mit der Angst des Vaters in Resonanz ging. Deshalb konnten wir das Thema „Stillsitzen“ nur im Rahmen einer systemischen Arbeit mit beiden Beteiligten auflösen.

Erfahrungsgemäß sind in einer Familie nicht immer alle Mitglieder für solch einen Prozess offen oder erreichbar, manchmal sind wichtige Personen auch bereits verstorben. Entsprechende Muster können jedoch von Generation zu Generation weitervererbt werden: Es gibt viele Erwachsene, die ihre Mutter nie „zur Ruhe gekommen“ erlebt haben. Dann werden Haltungen wie „Was denken die Leute, wenn ich mich am helllichten Tag einfach hinlege?“ von Generation zu Generation weitergegeben und wirken sich so negativ auf den eignen Entspannungswunsch aus. Als guter Coach kann man diese unbewussten Muster aus den Gehirntiefen der Amygdala gut auflösen. Aber vorher muss man diese erst einmal erkennen.

Wege zur Auflösung

Es wäre falsch zu vermuten, dass jeder Mensch, der sich schwertut, einen Gang runterzufahren, ein dramatisches Geburts- oder Vorgeburtsereignis erlebt hat. Wichtig ist mir nur, eine Sensibilität dafür zu schaffen, dass die geschilderten „Dramen“ öfter ursächlich sind, als man gemeinhin denkt. Falls Sie als Coach oder Therapeut auf einen Klienten treffen, der Entspannung als extrem bedrohlich empfindet, dann könnte es also sein, dass einer der genannten Gründe vorliegt.

Jeder Coach und Therapeut hat seine ganz eigenen Methoden, wie er solche Hintergründe bei seinen Klienten herausfindet und sie anschließend bearbeitet. Ich empfehle, als qualifizierter Therapeut bzw. Heilpraktiker für Psychotherapie (HP Psych) zuerst dem Klienten dabei zu helfen, die meist traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten, bevor man versucht, ihm den Weg zur Entspannung näherzubringen. Gute Aussicht auf Erfolg bei der schnellen Auflösung dieser Entspannungshindernisse hat meiner Erfahrung nach die Coachingmethode wingwave. Aber sicherlich kann jeder gut ausgebildete Therapeut oder Coach mit Zusatzqualifikation als HP Psych auch mit seinen Lieblingsmethoden Unterstützung bieten.

Beim Schreiben dieser Zeilen, konnte ich ganz entspannt auf meinem Sofa sitzen und die völlige Ruhe bei der Arbeit genießen. Ich frage mich, ob auch Sie heute schon die Chance hatten, ein paar Minuten zu entspannen. Vielleicht sogar gerade jetzt? Wie erleben Sie Entspannung? Schreiben Sie gerne einen Kommentar oder teilen Sie es mir per Mail mit: mail@kleincoaching.de

Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung und wünsche Ihnen einen entspannten Tag.

image1  Über die Autorin

Tanja Klein arbeitet als systemischer Coach (DCV) in Bonn. Sich selbst klassifiziert die IHK-geprüfte Fachkauffrau Marketing als „Marketing-Rampensau“. Im Junfermann Verlag hat sie zusammen mit Ruth Urban die Bücher Coach, your Marketing und Erfolgreich durch Positionierung veröffentlicht.

Wenn Vorstellungen zur inneren Realität werden

Imaginationen – eine ganz persönliche Kraftquelle

Von Antje Abram

Ein herzliches Willkommen im Jahr 2017! Haben Sie die Feiertage gut verlebt? Konnten Sie genug Momente der Ruhe und Entspannung finden? Oder bestand die „besinnliche Zeit“ doch eher aus einem Abhaken von Pflichtterminen?

Nehmen Sie sich doch jetzt gerade einmal einen kurzen Augenblick Zeit, um nachzuspüren, wie Sie sich fühlen, wie sich Ihr Körper anfühlt. Vielleicht notieren Sie sich sogar ein paar Stichworte dazu auf einem Zettel, denn es soll später um einen Vergleich „vorher – nachher“ gehen.

Eine wichtige Ressource, um die Batterien wieder aufzuladen und mit sich besser in Kontakt zu kommen, eine Ressource, die so alt ist wie die Menschheit selbst, möchte ich Ihnen im Folgenden kurz vorstellen: Es handelt sich um die Kraft der Imagination.

Die anschaulichste Art, Imaginationen kennenzulernen, besteht darin, einfach in sie einzutauchen! Wenn Sie mögen, begeben Sie sich daher mit mir zusammen auf einen inneren Weg zu schönen Orten, zum achtsamen Sein und zu mehr Entspannung.

Machen Sie es sich dazu bequem. Stellen Sie beide Beine auf den Boden, lockern Sie ein wenig Ihren Körper. Lassen Sie die Schultern kreisen und atmen Sie ein paarmal tief durch.

Stellen Sie sich nun vor, Sie sitzen auf einer bequemen Bank, die Sonne scheint angenehm, die Temperatur ist genau richtig. Ihnen direkt gegenüber befindet sich ein sehr schöner bunter Garten. Sie sehen gelbe und violette Blumen, viel Grün und hinter dem Garten ein Haus mit roten Fensterläden.

haus

Sie merken, wie Sie sich beim Anblick all der Pflanzen und all der Farben immer mehr entspannen. Vielleicht haben Sie den angenehmen Duft der Blumen in der Nase, vielleicht hören Sie auch die Vögel zwitschern. Sie spüren, wie Ihr Atem bei all dem ruhiger wird und wie Sie bei jedem Ausatmen noch ein bisschen mehr in Ihre Sitzgelegenheit entspannt hineinsinken. Einfach nur atmen und den Ausblick genießen.

Dann, einem Impuls folgend, stehen Sie ganz in Ruhe auf und beginnen, einen kleinen Pfad entlangzugehen, der direkt an Ihrer Bank anfängt. Sie spüren Ihre Füße in den Schuhen und Sie nehmen wahr, wie die Füße bei jedem Ihrer Schritte sanft abrollen. So gehen Sie achtsam vor sich hin, Schritt für Schritt, ganz entspannt. Dann wenden Sie Ihren Blick beim Gehen zur Seite und sehen – zu Ihrer Überraschung – ein paar Erdmännchen, die Ausschau halten.

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Und während sich Ihr Kopf noch fragt, wo diese Erdmännchen auf einmal herkommen, erfreut sich Ihr Inneres bereits an diesen Tieren, an diesem quirligen und lebendigen Sein, an diesem aufmerksamen Blick. Und vielleicht bringt all dies ein Lächeln auf Ihr Gesicht, dem Sie innerlich nachspüren.

Sie gehen weiter den Pfad entlang und Ihnen wird klar: In der Fantasie geht einfach alles!

Und weil dem so ist, befinden Sie sich – jetzt, nur einen Atemzug später – am Meer! Sie spüren den Wind und die Sonne, Sie riechen die leicht salzige Luft und hören die kräftigen Töne der Möwen. Die Wellen branden an den schönen Strand und Sie beginnen, ganz in Ruhe, an diesem Strand entlangzugehen. Vielleicht mögen Sie auch Ihre Schuhe ausziehen, um den warmen Sand an den Füßen zu spüren, vielleicht mögen Sie auch durch das Wasser waten. Und dann erblicken Sie eine Herde Robben, die friedlich dösend nahe am Wasser liegen.

robben

Sie halten respektvoll Abstand und beobachten die Robben. Es durchströmt Sie eine große Ruhe und Entspannung, als würde sich der Müßiggang der Tiere direkt auf Sie übertragen. Dann gehen Sie in einem weiten Bogen um die Robben herum und nehmen wieder das Meer wahr. Sie lassen das ewige Spiel der Wellen auf sich wirken, das Heranrollen an den Strand, das kurze Verweilen, und das Zurückfließen in das große Ganze. Genau so können Sie auch mit Gedanken umgehen, die jetzt gerade unwichtig sind: Die Gedanken kommen, sie gehen aber auch wieder – und Sie entspannen sich immer mehr, nehmen Ihren Körper wahr, lassen die Muskulatur locker. Sie finden einen schönen Platz am Strand, friedlich und bequem. Die Sonne fängt an unterzugehen und Sie genießen diese Abendstimmung mit all Ihren Sinnen, ganz entspannt und in Ruhe atmend.

meer

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn Sie innerlich mit auf diese Reise gegangen sind – wie geht es Ihnen jetzt gerade? Hat sich Ihr Zustand von vorhin geändert? Welche Stichworte hatten Sie sich notiert – und welche würden Sie jetzt aufschreiben, um Ihr momentanes Empfinden zu beschreiben?

Was Sie soeben miterlebt haben, weicht von einer klassischen Imaginationsübung etwas ab, denn Sie haben den Text gelesen und nicht mit geschlossenen Augen angehört. Außerdem hatten Sie Gelegenheit, die beigefügten Fotos zu betrachten – Bilder, die Sie sonst individuell in Ihrer Fantasie kreiert hätten, vermutlich in anderer Art und Weise. Und dennoch: Je tiefer Sie eintauchen in Ihre Fantasiewelt, je mehr Sie Ihre Sinne dabei aktivieren, desto „realer“ wird Ihre eigene Imagination für Sie und Ihr Gehirn. Sich genau vorzustellen, was man sieht, hört, fühlt, riecht und schmeckt, macht eine Imagination sehr lebendig und real. Neurobiologische Untersuchungen zeigen, dass es für das Gehirn nur minimale Unterschiede gibt zwischen „real erlebt“ und „intensiv vorgestellt“. Dies eröffnet eine Vielzahl an Möglichkeiten, zum Beispiel für das mentale Training: sei es, um die eigenen Leistungen zu verbessern, beispielsweise im Beruf oder im Sport, sei es, um mit Ängsten, Trauer und Konflikten besser umzugehen, sei es, um mehr Entspannung zu erleben und besser schlafen zu können oder auch zur intensiven Unterstützung von Heilungsprozessen.

In meinem Buch Imaginationen, das in diesem Frühjahr erscheinen wird, lade ich Fachleute und andere Interessierte ein, alle Facetten und Möglichkeiten von Imaginationsübungen kennenzulernen und die wohltuende Wirkung anhand praktischer Übungen selbst zu erfahren.

Viel Freude bei den unendlichen Möglichkeiten Ihres Gehirns!

abram_1_2008  Über die Autorin
Antje Abram
ist Gestalttherapeutin, Dipl. Sportwissenschaftlerin und Heilpraktikerin Psychotherapie. Sie arbeitet seit 1998 in eigener Praxis in Köln. Im Junfermann Verlag erschienen sind bisher von ihr die Bücher Glück sucht Empfänger, Gestalttherapie und zusammen mit Daniela Hirze Fühlen erwünscht. Im Frühjahr dieses Jahres wird zudem der Titel Imaginationen im Handel erhältlich sein.