Die Gewissheit, dass das (Buch-)Baby gut zur Welt kommt

Viele Menschen träumen davon, ein Buch zu schreiben – und einen Verlag zu finden, der es auch veröffentlichen will. Unsere Autorin Evi Anderson-Krug ging ebenfalls schon länger schwanger mit der „Idee Buch“. Hier berichtet sie – in Kurzform – welche Etappen sie auf dem Weg zum eigenen Buch zurückgelegt hat und was angehende Autoren berücksichtigen sollten, um einen Fuß in die Verlagstür zu bekommen.

Nicht immer ist der Weg so zielgerade und gesäumt von glücklichen Zufällen, aber eine gute Vorbereitung kann schon im Vorfeld Hindernisse beseitigen und für einen guten ersten Eindruck sorgen.

Das Buch von Evi Anderson-Krug Einfach improvisiert – Improtheater-Tools in NLP-Ausbildungen und im Training ist übrigens ab sofort im Handel erhältlich.

AndersonKrug-EinfachImprovisiert_Cover.indd

Das Exposé – mein Bewerbungsschreiben an den Verlag

Von Evi Anderson-Krug

Vielleicht kennt ihr das auch? Ihr habt eine Idee, einen Wunsch, und dieser Wunsch formiert sich zu einem Ziel. Und auch wenn ihr noch nicht genau wisst, wie ihr dieses Ziel erreichen werdet, seid ihr doch sicher, dass ihr es schafft. Genau diese Gewissheit hatte ich, als sich meine Ideen und Gedanken zu meinem Buchprojekt langsam in meinem Kopf sammelten. Das ist mein Buch-„Baby“ – und ich bringe es irgendwie, irgendwann zur Welt. Die einzelnen Schritte dahin waren mir noch längst nicht klar, doch ich hatte auch keine Eile. Es würde sich schon so entwickeln.

Die nächste Gelegenheit, das Thema voranzubringen, bot sich auf dem jährlichen Landsiedel-Sommerkongress in Schloss Zeilitzheim. In diesem Jahr, es war 2014, genehmigte ich mir nach einigen spannenden Vorträgen eine Pause, ich genoss die Kühle und Ruhe im Innenhof und stöberte durch die neuen Bücher des Junfermann Verlags. Der Verlag präsentierte in diesem Jahr zum ersten Mal einen Büchertisch auf dem Kongress. Ich kam schnell mit den beiden Mitarbeiterinnen, Monika Köster und Simone Scheinert, ins Gespräch und fragte, wie ich vorgehen solle, falls ich mal ein eigenes Buch veröffentlichen möchte. Die beiden waren sehr hilfsbereit. Sie gaben mir den Tipp, vielleicht auch erst mal einen Artikel für die Fachzeitschrift „Kommunikation und Seminar“ zu schreiben. Und erwähnten, dass auch Regine Rachow, die Chefredakteurin der Zeitschrift, anwesend sei und dass sie mich gern mit ihr bekannt machen wollten. Außerdem rieten sie mir, doch auch mal einen von mir verfassten Text einzureichen, damit der Verlag meine Art zu schreiben kennenlernen konnte.

In dem Moment fiel mir ein, dass in diesem Raum auch das Landsiedel-Kongressbuch 2011 lag, in dem ich schon einen Artikel veröffentlicht hatte. Frau Scheinert begann zu lesen und strahlte mich an: „Da will ich ja gar nicht mehr aufhören, das ist ja total klasse geschrieben!“ Was für ein Kompliment aus dem Mund einer Fachfrau! Ich war happy. Kurz danach machten sie mich mit Regine Rachow bekannt. Auch sie zeigte sich begeistert von meinem Text und wir zogen uns zu einem Gespräch in den Barock-Garten zurück. Das war ein Volltreffer. Regine entpuppte sich als amüsante, kluge und warmherzige Gesprächspartnerin, die mit ihrer Fachkenntnis sofort die richtigen Fragen zu meiner Arbeit stellte. Wir vereinbarten, dass ich nicht nur einen Beitrag, sondern fürs gesamte kommende Jahr eine komplette Artikelserie zum Thema „Impro in Seminaren“ schreiben würde. Was für eine tolle Chance! Der erste Schritt in die richtige Richtung.

Natürlich ist es nicht notwendig, erst Zeitschriftenartikel zu schreiben, um ein Buch zu publizieren. Für mich stellte es sich jedoch als wichtiger Meilenstein heraus. So platzierte ich alle zwei Monate einen neuen Artikel in der Zeitschrift, die inzwischen in „Praxis Kommunikation“ umbenannt worden war. Die Zusammenarbeit mit Regine, die meine Texte noch redigierte, war ein großer Gewinn für mich. Ihr Feedback und ihre kleinen Änderungen in meinen Texten waren immer sehr wohlwollend, wertschätzend und – was mich am meisten freute – unglaublich begeistert. Sie schätzte die Zusammenarbeit mit mir ebenso, wie ich ihre Unterstützung schätzte. Ich lernte schnell, welche Formulierungen und Ideen gut ankamen, und welche ich getrost weglassen konnte.

Eines Tages – ich hatte kurz vorher „Buchprojekt/Regine anrufen“ in meinem Terminplaner notiert – ploppte eine Nachricht von Regine in meinen Mail-Account. Sie stellte ihre neue Website für angehende Autoren vor, und sie hatte dort auch einige Fragen formuliert, die sich ein Autor stellen sollte, wenn er ein Buch veröffentlichen will. „Welchen Nutzen wird der Leser/die Leserin aus der Lektüre ziehen? – Wen möchten Sie mit dem Buch ansprechen“. Ebenso Fragen danach, was genau mich als Autorin dafür prädestiniert, dieses Buch zu schreiben. Und wie es sich von anderen Werken unterscheidet, die zum gleichen Thema schon auf dem Markt sind. Eine große Handvoll wohldurchdachter Fragen. Diese Fragen konnte ich aus dem Stegreif beantworten.

Im Prinzip war das schon die gründliche Vorbereitung auf das Buch und seine Vermarktung. Die Voraussetzung für ein Exposé.

Ich rief Regine an, erzählte ihr von meiner Idee und bat sie um ihre Unterstützung. Sie war sehr angetan davon, meinte auch, dass es nach den Fachartikeln auch Zeit für das Buch wurde. Ob ich denn schon eine Idee hätte, bei welchem Verlag ich publizieren wolle, fragte sie mich. Als ich Junfermann als Wunschverlag nannte, war sie begeistert. Ja, das könne sie sich auf jeden Fall vorstellen. Sie hätte zwar keinen Einfluss auf die Auswahl der Buchprojekte dort, könne mich jedoch beim Erstellen des Exposés unterstützen, sofern ich das wollte.

Ein Exposé ist ein erster Entwurf für den Verlag. Es ist gleichermaßen eine Werbung für das Projekt, beschreibt kurz und knapp, worum es geht, wer die Zielgruppe ist und welchen Nutzen der potenzielle Leser hat. Jeder Verlag hat da individuelle Vorgaben, und es macht Sinn, sich diese Vorgaben vom Verlag zu holen. So wird meist besonders ein Augenmerk auf die Kernaussagen und die Botschaft des Buches gelegt und natürlich darauf, ob und wie es ins Verlagsprogramm passt. Es fiel mir leicht, die einzelnen Punkte zu bearbeiten. Ich konnte es einfach so „herunterschreiben“, was für mich ein erneuter Beweis dafür war, wie lange ich mich schon gedanklich damit beschäftigt hatte. Eine Frage bereitete mir jedoch Kopfzerbrechen: Wie viele Seiten sollte das Buch ungefähr haben? Der Verlag wollte das konkret wissen. Ich hatte keine Ahnung. Das Buch war ja noch nicht geschrieben. Manche Autoren beschäftigen sich erst dann mit dem Publizieren, wenn das Manuskript schon fertig in der Schublade liegt und die Seitenzahl feststeht.

Also ging ich ganz pragmatisch vor. Ich zog mir einige Bücher aus dem Regal und schätzte anhand der Buchrücken ab, wie dick mein Werk sein sollte. Zwei Zentimeter schienen mir eindeutig zu viel, ein halber Zentimeter zu wenig. Ich entschied mich für irgendwas dazwischen, einen Finger breit. Eine reine Bauchentscheidung. Dann blätterte ich durch, wie viele Seiten dieses Buch hatte – 120. Klang doch gut, schien mir vernünftig, eine gute Größe. Also notierte ich in meinem Exposé unter „voraussichtliche Seitenzahl“: 100 – 120. Ich war zufrieden. Ab an den Verlag mit meinem Vorschlag.

Alle paar Wochen hatte der Verlag eine Teamsitzung, in der auch neu eingereichte Buchvorschläge besprochen und ausgewählt wurden. Mitte September, an einem Freitagnachmittag, erhielt ich die Nachricht, dass sich der Verlag entschieden hatte, mit mir das Buch zu publizieren. Ich machte Freudensprünge! Das war grandios. Ein paar Tage später flatterte dann auch der Vertrag ins Haus, ich hatte ein Jahr Zeit, das Buch zu schreiben. Die Veröffentlichung sollte dann einige Monate später, im Frühjahrsprogramm 2017 sein.

Es konnte losgehen.

 

Anderson-Krug-290x300  Über die Autorin

Evi Anderson-Krug ist Diplom-Sozialpädagogin (FH), Inhaberin von Flipchart on demand, Lehrtrainerin (DVNLP), NLP Master Trainer (IN), Master-Coach (DVNLP), Schauspiel/Improvisation/Masterclass.

Besuchen Sie Junfermann – wir öffnen für einen Tag unsere Türen

verlagebesuchen_DIN-A4_WEBAm 22. April 2017 beteiligen wir uns an der bundesweiten Aktion #verlagebesuchen, die der Börsenverein des deutschen Buchhandels zum diesjährigen Welttag des Buches ausgerufen hat. – Und was bedeutet das: Kommen Sie gerne in der Zeit von 11.00 bis 16.00 Uhr bei uns vorbei. Wir freuen uns auf Ihren Besuch! Vielleicht wollten Sie schon immer mal sehen, wie ein Verlag von innen aussieht und was hinter den Kulissen passiert? Wir geben an diesem Tag Einblicke in Programmgestaltung und Verlagsgeschichte.

Wir öffnen unser Verlagsarchiv und holen dafür Titel hervor, die bis in die 1970er-Jahre zurückreichen, aber auch das eine oder andere noch ältere Schätzchen wird sich finden lassen. Und wie sieht es mit unserem aktuellen Programm aus? Wo liegen unsere Schwerpunkte, welche Titel sind besonders erfolgreich? Außerdem wagen wir einen kleinen Ausblick in die Zukunft. Unser Herbstprogramm 2017 steht fest, die Prospekte gehen im April in Druck, aber noch weiß niemand, welches Novitäten es geben wird – außer Ihnen!

Interessant ist sicher auch die Frage, wie wir Bücher machen. Welche Arbeitsschritte liegen zwischen einer Buchidee und dem fertigen Produkt?

Zwei unserer Autorinnen sind zu Gast bei uns am 22. April: Tanja Klein und Ruth Urban. Sie sind Expertinnen für Positionierungs- und Marketingstrategien für Coachs und haben zwei Bücher dazu geschrieben: „Coach, your Marketing“ und „Erfolg durch Positionierung“. Die beiden werden über ihre Arbeit berichten, demonstrieren sie aber auch konkret mithilfe einer Positionierungsmatrix. Das ist nicht nur für Coachs spannend, sondern für alle, die an ihrer beruflichen Entwicklung interessiert sind.

KleinUrban-CoachYourMarketing_Cover_CoverKleinUrban-Positionierung_VAR1.qxp_Cover-Vorschau

Das Wichtigste noch einmal kurz und knapp:
Samstag, 22. April 2017
11.00 bis 16.00 Uhr
Driburger Straße 24d, 33100 Paderborn

Fragen / Kontakt: Heike Carstensen E-Mail

Yoga – das Wundermittel gegen Stress?

Innehalten und durchatmen: Yoga gegen Stress

Von Maria Wolke

Das Telefon klingelt, die Arbeit ruft, das Baby schreit und das Haus muss auch noch geputzt werden … Ommmmm … Der Stress im Alltag und im Beruf lässt nie lange auf sich warten.

Noch vor zehn Jahren hätte ich in einer solchen Situation die „Fassung verloren“, hätte versucht, um jeden Preis die Ansprüche meiner Umwelt zu erfüllen, und mich dabei früher oder später vor lauter Stress selbst verloren.

Dann begegnete mir der Yoga.

Bild 1

Heute atme ich in „taffen Zeiten“ einige Male tief ein und aus, senke meinen Oberkörper nach vorne (vgl. Bild oben) und schließe für einen kurzen Augenblick meine Augen. Ich „erde“ mich. Mittels einfacher Yoga-Techniken habe ich gelernt, wieder „bei mir“ anzukommen und zu spüren, „wenn das Fass überläuft“.

So, wie es mir noch vor zehn Jahren erging, geht es tagtäglich vielen Menschen. Sie werden Auf Schritt und Tritt mit Überlastung, Unzufriedenheit und Stress konfrontiert. Das Gefühl der Überforderung und der Eindruck, „das alles“ nicht mehr zu schaffen, sind keine seltenen Phänomene mehr. Genau da beginnt der Stress, uns krank zu machen.

Aber was ist eigentlich Stress?

Stress ist die Antwort unseres Organismus auf alle aufwühlenden Ereignisse aus der Umwelt. Dabei können sowohl positive Erlebnisse (wie die Begegnung mit der Person des Begehrens) als auch die überraschende Konfrontation mit Gefahr (wie die Begegnung mit einer Schlange) eine psychobiologische Stressreaktion auslösen. Die Symptome gleichen einander: Das Herz beginnt zu pochen, wir schwitzen, sind wie „versteinert“, wie auf der „Lauer“. Diese Symptome haben wir dem Sympathikus zu verdanken, dem Bereich des vegetativen Nervensystems (VNS), der uns gewissermaßen aufstachelt und der vor allem dann aktiv wird, wenn wir aufgeregt sind oder uns in Gefahr befinden. Langfristig überfordert diese starke körperliche Notfallreaktion den Organismus und wirkt destabilisierend. Der langandauernde Überschuss der Stresshormone im Blut stört das subtile Gleichgewicht der körperinternen Vorgänge und beeinflusst die Herzfrequenz, den Blutdruck und alle anderen wichtigen Körperfunktionen ungünstig. Gerät dieses subtile Gleichgewicht immer wieder durcheinander, werden wir krank.

Die Folgen von chronischem Stress

Viele Menschen sind täglich ungesunden Lebens- und Arbeitsverhältnissen ausgesetzt. Sie stehen „unter Strom“, hetzen von Termin zu Termin oder leiden still zu Hause vor sich hin, da sie es nicht schaffen, sich aus einer ungesunden familiären Konstellation zu lösen. Diese alltäglichen, oftmals als „normal“ akzeptierten Belastungen erzeugen Stress im Körper und haben langwierige, teilweise gravierende Folgen. Meist sind es zuerst leichte, fast unmerkliche Anzeichen wie ein veränderter flacher Atem, innere Angespanntheit, Nervosität und stärkeres Schwitzen, die uns aufhorchen lassen sollten. Der Körper schlägt Alarm und möchte uns darauf aufmerksam machen, dass es zu viel ist. Langfristig ignoriert kann die Stressbelastung, durch den Schaden, den sie im Körper und im Gehirn anrichtet, manifeste körperliche und psychische Erkrankungen verursachen:

körperlichen Langzeitfolgen von Stress Psychische Langzeitfolgen von Stress

unterschiedliche Herzkrankheiten

Arthritis

ein beschleunigter Alterungsprozess

Fettleibigkeit

diffuse körperliche Beschwerden wie Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen

ständiges Grübeln

Entscheidungsschwäche

Konzentrationsschwierigkeiten

Gereiztheit und/oder Aggressivität

übermäßige, oft unbegründete Ängste

Depressionen

Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen

ständige Müdigkeit

gestörtes Essverhalten

reduzierte sexuelle Lust

Die Forschung beweist: Yoga „entstresst“ und entschleunigt!

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ sagt das bekannte Sprichwort … Und ja – es ist tatsächlich möglich, sich mittels einfacher körpereinbeziehender Techniken aus dem Stress-Kreislauf zu befreien. So konnten auch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen beweisen: Der Yoga lindert den Stress. Er gibt Kraft und Selbstvertrauen und macht langfristig zufriedener und gesünder.

Yoga ist nicht gleich Entspannung

Bis heute gehen viele Menschen davon aus, dass die positiven Effekte des Yoga vor allem auf seine entspannende Wirkung zurückzuführen sind. Yoga ist allerdings nicht gleich Entspannung. So konnten unter anderem australische Wissenschaftler zeigen, dass einfache Entspannungstechniken bei Stress nicht die gleiche Wirkung haben wie der 5000 Jahre alte Yoga. Das ist auch leicht nachvollziehbar, betrachtet man etwas ausführlicher die uralten philosophischen Grundlagen des antiken Yoga. Die körperliche Yogapraxis – die Yoga Asana – sollen den Praktizierenden körperlich und psychisch auf das lange Verweilen im Meditationssitz (Lotussitz) während der Meditation vorbereiten. Pranayama – die Atemübungen des Yoga – wirken zentrierend und disziplinieren den Körper und den Geist. Die Meditation (das Nach-innen-Wenden der Aufmerksamkeit) ist wohl die ursprünglichste Form des Yoga. Sie führt dazu, dass wir uns kennenlernen, und stärkt über die bewusste Ausrichtung der Aufmerksamkeit die Fähigkeit, die eigenen Emotionen und Handlungen zu kontrollieren. In der Meditation lernen wir, zum Beispiel durch die Beobachtung des eigenen Atems (siehe unten), uns auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren. Wir lernen zu sein, ohne zu tun … – gar nicht so leicht vorstellbar, oder? Sind die meisten von uns doch eher ein gestresstes Rumrennen anstelle von Interozeption (wie es in der Fachsprache heißt) gewöhnt.

Meditation fördert einen konstruktiven Umgang mit Stress

Entgegengesetzt zu dem, was uns im Alltag begegnet (Schnelligkeit, Lautstärke, Druck, Hektik), wirkt die Meditation unter anderem durch die bewusste Konfrontation mit der Stille. Wir setzen uns dabei in Ruhe hin, sorgen dafür, dass uns weder die Kinder noch das Handy stören, und schließen für einen kurzen Augenblick unsere Augen. Ein Gedanke wird dem nächsten folgen. So ist nun mal die Natur des Geistes. Deswegen ist Meditation mit Mentaltraining vergleichbar. Erst bei wiederholter Übung werden wir immer und immer besser. Mit jedem wiederholten Meditationsversuch werden wir immer mehr begreifen, was unter Meditation „gefühlt“ verstanden werden kann.

Atemmeditation

Eine Möglichkeit, die Meditation zu erlernen, bietet das Beobachten des eigenen Atems. Indem wir spüren, wie sich mit jedem Einatmen die Bauchdecke hebt und mit jedem Ausatmen wieder senkt, konzentrieren wir unsere gesamte Aufmerksamkeit weg vom Stress – hin zu uns selbst und unserer Körpermitte. Langfristig eröffnet uns diese Übung einen Weg, über die Steuerung der Aufmerksamkeit einen anderen, neuen Umgang mit dem, was uns begegnet und belastet, zu erlernen. Kombinieren wir diese Atemtechnik mit dem Ujjayi Pranayama (vgl. unten), werden wir relativ schnell merken, wie der „Krieg im Kopf“ einer angenehmen inneren Ruhe weicht. Seit vielen Jahren atme ich in Situationen, die mich emotional berühren Ujjayi. Ganz unbemerkt für mich. Egal wo ich mich auch befinde, habe ich in dieser Atemtechnik ein Instrument gefunden, welches mich zuverlässig und immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringt und beruhigt.

Das Ujjayi Pranayama

Während wir Ujjayi atmen, verschließen wir aktiv den Kehlkopfbereich und kontrollieren so bewusst den Ein- und Ausatemvorgang. Ein vergleichbares Gefühl im Kehlkopfbereich kann zu Beginn der Praxis mechanisch, durch das Absenken des Kopfes (vgl. Bild 2 und 3) erzeugt werden. Das durch die Kopfsenkung verursache sachte „Rauschgeräusch“ (Haaaaa) ist einzigartig und lässt uns spüren, was unter „Ujjayi-Atmung“ zu verstehen ist. Eine weitere Möglichkeit, Ujjayi zu erlernen, bietet die Vorstellung, einen Spiegel bei geschlossenem Mund anzuhauchen, sodass dieser beschlägt … Haaaaa … Haben Sie es geschafft, das Rauschgeräusch zu erzeugen, verbleiben Sie für ca. 5 Minuten in diesem Pranayama.

Die Wirkung der Ujjayi-Atmung auf den Körper und den Geist ist auch der Wissenschaft nicht neu. Seit vielen Jahren empfehlen immer mehr Yoga-Kenner und -Erforscher die Ujjayi-Atmung zur Linderung von Depressionen und Stresssymptomen.

Bild 2   Bild 3 

(Bild 2 und 3)

Auch Yoga Asana lindern die körperliche Antwort auf Stress

Auch die körperlichen Stellungen des Yoga, die Yoga Asana, beeinflussen die neurophysiologischen Vorgänge im Gehirn und im Körper. Sie wirken genau dort, wo der Stress das innere Gleichgewicht bedroht, und beruhigen die auf Hochtouren laufenden Prozesse des Vegetativen Nervensystem (VNS). In akuten Stressphasen sollten deshalb vor allem die Asana praktiziert werden, die den Sympathikus hemmen und den Gegenspieler, also den Parasympathikus (den Bereich des VNS, der uns beruhigt), aktivieren können. Besonders geeignet dazu sind ausatmungsfördernde Asana wie zum Beispiel:

  1. Paschimottan asana (die sitzende Vorwärtsbeuge)

Bild 4   Bild 5

Paschimopttanasana – Variation 1 + 2

  1. Adho Mukha Svanasana (der herabschauende Hund)

Bild 6   Bild 7

Adho Mukha Svanasana – Variation 1 + 2

  1. Hasta Hada Asana (die Vorwärtsbeuge im Stehen)

Bild 8  Bild 9  Bild 10 

Hasta Pada Asana – Variation 1 – 3

Die genannten Asana entspannen den Körper und den Geist und bringen innerhalb von Minuten den gesamten Organismus zur Ruhe. Die deutlichsten Effekte können vor allem dann erreicht werden, wenn die dargestellten Asana bis zu 2 Minuten gehalten werden.

Während der Yoga-Asana-Praxis ist es wichtig, auf sich selbst und seinen Körper zu achten. Werden die körpereigenen Grenzen nicht respektiert, kann der Yoga schaden. So sollten die dargestellten Asana bei chronischen Beschwerden in der Lendenwirbelsäule und bei starkem Bluthochdruck nur unter der Aufsicht eines erfahrenen Lehrers praktiziert werden.

Yoga – das Wundermittel im Umgang mit Stress?

„Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“

(Georg Christoph Lichtenberg)

Und das bestätigen auch all die großen philosophischen Schriften: Es kann anders und besser werden, wenn wir aktiv handeln! Gerade chronisch gestresste Menschen sollten, wann auch immer sie 60 Sekunden „Luft haben“, die Augen schließen und in Ruhe ein- und ausatmen. Diese einfache Übung macht Praktizierende langfristig stressresilienter (widerstandsfähiger). Ohne den eisernen Willen, sich besser fühlen zu wollen, und ohne die konsequente Bemühung, in die entsprechende Richtung zu handeln (zum Beispiel durch Yoga), wird sich im eigenen Leben nichts verändern. Auf alles andere haben wir keinen Einfluss.

MERKE: Wir können die Umwelt nicht verändern. Aber wir können lernen zu entscheiden, wie und ob wir auf die Ereignisse um uns herum reagieren wollen.

 

Wolke_Maria  Über die Autorin

Dr. Maria Wolke ist Mama, Autorin und Yogatherapeutin. Sie lebt und arbeitet in Deutschland und Spanien und vermittelt international die Wege des Yoga bei psychischen und körperlichen Leiden. In diesem Frühjahr erscheint bei Junfermann ihr Buch: „Yoga für die Seele – Psychische Erkrankungen umfassend behandeln“.

Selbsthypnose als Instrument zur Selbstoptimierung

Selbsthypnose ist nicht nur ein faszinierendes Phänomen, das jeder von uns schon einmal im Alltag erlebt hat. Systematisch und gezielt eingesetzt ist sie vor allem äußerst effektiv. Sie kann zur Stärkung bei ernsthaften Krankheiten ebenso verwendet werden wie im Umgang mit kleineren „Zipperlein“. Leider wissen noch zu wenige Menschen, wie sie diese Methode für sich nutzen können.

In ihrem neuen Buch „Wie eine leichte Brise – Lebenshilfe durch Selbsthypnose“ bietet Sigrun Kurz die ideale Einführung in diese Technik. Wir haben sie zu ihren Erfahrungen mit Hypnose und Selbsthypnose befragt.

Kurz-Brise_Cover.indd

Liebe Frau Kurz, soeben ist Ihr zweites Buch „Wie eine leichte Brise – Lebenshilfe durch Selbsthypnose“ erschienen. Was war bisher das bemerkenswerteste Ereignis oder das verblüffendste Ergebnis, das Sie im Kontext Hypnose/Selbsthypnose erlebt haben?

Da gibt es viele bemerkenswerte Erfahrungen. Besonders beeindruckend ist immer wieder die Minderung von Schmerzerleben oder die Beschleunigung von Wundheilungen. Aber auch, wenn es um die Veränderung von Verhaltensweisen geht, bin ich immer noch und immer wieder begeistert, was mit Hypnose und Selbsthypnose möglich ist. Besonders berührt hat mich erst kürzlich eine deutliche Verbesserung der Haut bei einer jungen Frau mit einem schweren Juckreiz. Sie hatte schon diverse Cremes ausprobiert und nichts hatte ihr geholfen. Bereits nach zwei Hypnosebehandlungen war das Hautbild wie ausgewechselt. Und sie war natürlich sehr glücklich.

Was macht die Selbsthypnose Ihrer Ansicht nach zu einem so wirkungsvollen Instrument im Alltag?

Wir alle begleiten den ganzen Tag über unser eigenes Handeln im Rahmen der sogenannten Selbstkommunikation fortwährend mit Vorstellungen und internen Kommentaren wie etwa „Das schaffst du!“, „Das krieg ich gebacken!“ oder „Na, das wird doch wieder nichts“. Damit geben wir uns immerzu grundlegende und richtungweisende Selbstsuggestionen, und die wirken natürlich. Es ist also naheliegend, hier gezielt und geplant Einfluss zu nehmen. Und genau da setzt die Selbsthypnose an. Wir lernen damit, auf unsere Suggestionen zu achten und vor allem sie systematisch und in positiver bzw. gewünschter Richtung zu verwenden. Selbsthypnose ist sozusagen ein Instrument zur Selbstoptimierung. Und damit ist es eine hervorragende Möglichkeit, das persönliche Wohlbefinden zu vergrößern. Warum sollten wir darauf verzichten?

Braucht es bestimmte Voraussetzungen oder persönliche „Talente“, damit die Selbsthypnose gelingt?

Im Prinzip kann jeder Mensch Hypnose anwenden bzw. Selbsthypnose praktizieren. Wir tun das sogar alle gelegentlich unbemerkt und nebenbei, beispielsweise wenn wir beim Blättern im Reisekatalog ins Träumen geraten – dann sind wir in einer angenehmen kleinen Wohlfühl-Trance. Manchen Menschen fällt das besonders leicht, das sind die Fantasievollen. Voraussetzung für das Hineinbegeben in eine gezielte Hypnose ist natürlich der persönliche Wunsch und Wille, genau dies zu tun. Wenn ich das nicht will, wird es auch nicht geschehen.

Was erwartet die Leser Ihres Buches? Und welche Erwartungen, die in Bezug auf die Selbsthypnose an Sie herangetragen werden, können nicht erfüllt werden?

In meinem neuen Buch gebe ich zuerst eine kurze allgemeine Einführung in die Methode. Aber der Schwerpunkt sind die praktischen Anleitungen. Ich zeige sieben verschiedene Wege, um in Trance hineinzugelangen. Und dann folgen Hypnoseanleitungen für alle möglichen Anlässe. Dieses Buch zielt nicht auf die Hilfe bei Erkrankungen, sondern es handelt sich um Hilfestellungen für ganz gewöhnliche Gelegenheiten und alltägliche Alltagssituationen, angefangen mit Trance zum Wohlfühlen und Entspannen, über Ermutigung, Trost, Stärkung der Kreativität bis hin zu bevorstehenden Zahnarztbesuchen, Muskelverspannungen oder als Einschlafhilfe. Auf einer beiliegenden CD gibt es einige gesprochene Beispiele, um noch besser in die Methode hineinzufinden.

Mit diesem Buch hat man eine gute Grundlage, um Selbsthypnose zu erlernen bzw. praktizieren zu können. Manches gelingt dabei ganz leicht, manches muss man vielleicht ein bisschen üben. Denn auch bei der Selbsthypnose ist es so: Übung macht den Meister. Und natürlich ist Selbsthypnose kein Zaubermittel. Das Loch im Zahn werde ich –leider – weiterhin beim Zahnarzt versorgen lassen müssen, und das Lernen für eine Prüfung wird mir auch nicht erspart. Aber die Hypnose kann mir helfen, dass all das leichter gelingt und erfolgreich zum Einsatz kommt.

Gibt es ein allgemeines Rezept, wie lange oder wie oft man Selbsthypnose anwenden sollte, um den größtmöglichen Nutzen zu erzielen?

Nein, da gibt es keine allgemeingültigen Rezepte. Jeder Mensch ist anders und jede Lebenssituation hat ebenfalls ihre Besonderheiten. Manchmal braucht man die Selbsthypnose immer wieder, beispielsweise zum Einschlafen, und manchmal werden nur wenige oder nur eine einzige Anwendung gebraucht, vielleicht bei einer Verletzung, um die Heilung zu unterstützen. Und natürlich können Hypnose und Trance immer wieder benutzt werden, um sich zu entspannen und sich wohlzufühlen.

Welche Problembereiche sind besonders geeignet, um sich mit der Methode Selbsthypnose Erleichterung zu verschaffen? Welche gar nicht?

Besonders geeignet sind Anlässe, bei denen es um die inneren Vorstellungen oder auch die Funktionen unseres Körpers geht, also um sich zu beruhigen und zu stärken, wenn wir angespannt oder ängstlich sind. Das wirkt sich oft auch auf die körperliche Ebene aus. So kann die Selbsthypnose zum Beispiel auch mithelfen, den Blutdruck zu senken.

Natürlich hat auch die Hypnose ihre Grenzen. Bei akuten Erkrankungen brauchen wir selbstverständlich unbedingt ärztliche Hilfe. Und auch Schmerzen verlangen durchaus nach einer medizinischen Abklärung. Da wäre es verkehrt, auf Trance zu setzen, allenfalls zur Überbrückung bis zur Untersuchung.

Selbstverständlich kann Hypnose auch nicht das Üben oder Trainieren ersetzen. Sie kann uns aber dabei helfen, dass das Konzentrieren und Lernen leichter geht, und dass wir in einer Leistungssituation all unsere Kräfte und Ressourcen bestmöglich zum Einsatz bringen.

Die (Selbst-)Hypnose-Texte aus Ihren Büchern und viele von denen, die Sie in Ihrer Praxis einsetzen, stammen aus der eigenen Feder. Was inspiriert Sie beim Verfassen neuer Anleitungen?

Ja, da brauche ich schon meine Phantasie. Oft schöpfe ich aus Erlebnissen, die ich selbst gemacht habe, und übersetze diese dann für die Erfordernisse meines Gegenübers. Inspirationen finde ich auch in Geschichten und Märchen. Und manchmal bringen auch Patienten selbst wertvolle Anregungen aus ihrer eigenen Lebenserfahrung bereits mit.

Selbsthypnose wird von vielen Menschen noch immer sehr kritisch betrachtet, obwohl die wohltuende, durchaus auch heilsame Wirkung inzwischen bewiesen ist. Vermutlich tragen „schwarze Schafe“, die beispielsweise Show-Hypnose als die klassische Hypnose „verkaufen“, zu den Zweifeln bei. Woran erkennt ein Laie denn seriöse Angebote?

Zuerst kann man sich am Grundberuf eines Anbieters orientieren. Hypnose für heilkundliche Zwecke dürfen nur Ärzte, Psychotherapeuten und Heilpraktiker anbieten. Dann ist als zweites die Frage erlaubt, wo die Hypnose gelernt wurde. Skeptisch sollte man vor allem immer dann werden, wenn man sich zu etwas gedrängt fühlt und wenn allzu großartige Versprechungen gemacht werden. Hypnose zu Zwecken der Unterhaltung oder als Show ist in vielen Ländern bereits verboten, bei uns in Deutschland leider noch nicht.

Wann raten Sie zu professioneller Unterstützung? Wann wäre Selbsthilfe durch Selbsthypnose also überfordernd für den Einzelnen oder sogar gefährlich?

Das merkt man meistens selbst ganz schnell. Wenn die Thematik und die Probleme sehr umfassend sind, kann ich mich alleine nicht genug auf die Methodik der Hypnose konzentrieren. Dann brauche ich professionelle Hilfe. Das gilt auch bei besonderen psychiatrischen Erkrankungen.

Gibt es eine kleine Übung/eine Suggestion, die Sie hier kurz vorstellen könnten, um sie den Interviewlesern mit auf den Weg zu geben?

So eine kleine Übung erlaubt allenfalls ein Hineinschnuppern. Das ist aber nur ein erster Schritt zum Nutzen der Vorstellungskraft. Denn um Selbsthypnose wirklich kennenzulernen, wird schon etwas ausführlichere Anleitung benötigt – sonst hätte ich ja auch das Buch nicht zu schreiben brauchen. Aber eine kleine Vorstufe dazu, um positive Suggestionen zu stärken, kann ich anbieten:

„Wenn Sie sich stärken möchten, legen Sie sich auf Ihr Sofa und schließen Sie die Augen. Atmen Sie einige Male gut durch, langsam und ruhig. Entspannen Sie sich ein bisschen. Und dann suchen Sie sich in Ihrer Vorstellungskraft einen Ort aus Ihrem Leben, an dem Sie sich richtig gut gefühlt haben. Das dauert vielleicht einen Augenblick, bis Sie den gefunden haben und sich dort hineinvertiefen können. Nehmen Sie sich etwas Zeit, um sich zu erinnern: Wie sieht es dort aus? Was kann man da hören? Was können Sie spüren? Wie riecht es? Welcher Geschmack gehört dazu? Und dann konzentrieren Sie sich auf den Satz: „Mir geht es gut, ja, mir geht es gut.“ Dabei verweilen Sie ein bisschen. Und dann beenden Sie die kleine Übung, indem Sie sich recken und strecken und die Augen öffnen und sich wieder dem Alltag zuwenden.“

Vielen Dank für das Interview, Frau Kurz.

 

Kurz_Sigrun  Über die Autorin

Dr. Sigrun Kurz ist Psychologische Psychotherapeutin und arbeitet in eigener Praxis in Bremen. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die psychotherapeutische Behandlung von Menschen mit schweren körperlichen oder chronischen Erkrankungen, psychosomatischen Störungen und Unfallfolgen.

Öffentliches Zuhören: verstehen statt urteilen

„Wir hören zu!“

Von Marion Miketta

Der Schock saß tief, als ich kurz nach dem Brexit-Votum mit Kollegen in England sprach. Nie hätten sie erwartet, dass die Mehrheit der Briten tatsächlich für den Austritt aus der EU stimmen würde. Sie waren erschüttert über das Ergebnis, sehr verunsichert angesichts der neuen Lage und besorgt darüber, was dies wohl für die Zukunft bedeuten würde.

Kurze Zeit später folgte das nächste ungute Erwachen: Der Ausgang der Präsidentenwahl in den USA. Wieso kam auch dieses Votum so unerwartet? Eine Erklärung war, dass viele Menschen sich zwar offensichtlich abgehängt und nicht wahrgenommen fühlten, sich jedoch nicht getraut hatten, ihre Sichtweisen in Meinungsumfragen kundzutun. So ließ erst die Auszählung der Wahlzettel das eigentliche Ausmaß dieses weit verbreiteten Unmutes sichtbar werden.

In England wurde als Reaktion auf das Brexit-Votum ein sogenanntes Listening-Café gegründet, das Raum geben soll, eigene Perspektiven auszudrücken. Die Idee hinter dem Café ist, das starke Gefühl der Desillusionierung, das viele Menschen nun begleitet, aufzufangen und einen sicheren Rahmen für den gemeinsamen Austausch zu schaffen.

Inspiriert von diesem Projekt, entschieden eine Kollegin und ich uns dazu, in Berlin ein ähnliches Experiment zu wagen. Denn natürlich treibt auch uns in Deutschland die Frage um, wie wir auf die zunehmende gesellschaftliche Spaltung reagieren und welchen Beitrag wir leisten können, um eine stärkere Verbundenheit zu fördern. Statt uns in Facebook-Echokammern in einer virtuellen Realität zu bewegen, wollten wir die Kunst des Zuhörens auf die Straße bringen und jedem vorurteilsfrei ein offenes Ohr schenken. Wir wollten öffentlich aussprechen: „Wir hören zu!“ Ein Versuch erschien uns lohnenswert.

Bevor wir uns mit unseren Schildern in kleinen Gruppen auf verschiedenen Plätzen in Berlin verteilten, bereiteten wir uns gemeinsam vor. Praktische Übungen schulten uns im wertungsfreien Zuhören. Wie fühlt es sich an zuzuhören, ohne unmittelbar etwas erwidern, sondern stattdessen die Gedanken der anderen beflügeln zu wollen?

Auf einige wenige Leitlinien hatten wir uns verständigt. Als Grundlage diente uns dabei der Leitfaden der „urbanconfessionals“. Wir klärten zunächst unser gemeinsames Anliegen, um es auf Rückfrage auch klar kommunizieren zu können: Wir möchten uns als Zuhörende anbieten und unser Ohr den Menschen schenken, die gehört werden möchten. Nur durch Blicke und unsere Schilder möchten wir Menschen einladen, auf uns zuzukommen, sie werden nicht von uns angesprochen. In jedem Fall werden wir sie nicht unterbrechen und an keiner Stelle unsere eigenen Sichtweisen aufdrängen.

Wir besprachen, wie wir damit umgehen würden, wenn wir Dinge zu hören bekommen sollten, mit denen wir absolut nicht übereinstimmten. Wir wollten versuchen, eher die Person hinter dieser Meinung zu sehen, als zu sehr auf die Aussage selbst zu fokussieren. Und wir nahmen uns vor, nachzufragen, wie das Gegenüber zu dieser Ansicht gekommen war. „Versuchen, einander zu verstehen, statt zu urteilen“, das war unser Anliegen.

Auch andere Eventualitäten kamen zur Sprache: Wie möchten wir darauf reagieren, wenn wir um Geld gebeten werden oder wenn wir von dem Platz vertrieben werden, auf dem wir stehen? Für Notfälle hatten wir sogar die Nummer des Berliner Krisendienstes parat. Derart gewappnet, gespannt und vorfreudig mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch machten wir uns auf.

So standen wir an einem sonnigen und kalten Wintertag auf dem Alexanderplatz. Wir hatten Pappschilder in der Hand, die zum Gespräch einladen sollten. Auf den Schildern stand: „Was bewegt Sie? Ich höre zu.“

IMG_0634

Wir waren eine Gruppe von insgesamt 13 Personen. Ein paar davon waren Coaches, Therapeuten oder brachten Erfahrungen im Bereich der Mediation mit. Im Grunde aber waren derlei Kenntnisse nur bedingt nötig. Ausschlaggebend war eher die Lust und die Bereitschaft, zuzuhören. Wirklich zuzuhören – empathisch und aufgeschlossen.

Kaum angekommen am Brunnen vor dem Kaufhof, rief uns eine Frau mit Blick auf unser Schild zu: „Is dit geil! Wenn ich damit anfange, dann höre ich gar nicht mehr auf!“ Allein die Vorstellung, dass ihr zugehört werden würde, bereitete ihr schon gute Laune. Beschwingt und erheitert ging sie ihres Weges. Andere blieben stehen und erzählten uns von gestiegenen Mietpreisen, ihrer Obdachlosigkeit, Diskriminierungserfahrungen als Roma oder auch von der Sorge vor Überfremdung. Ein Paar las die Frage: „Was bewegt sie?“, und wir konnten die beiden im Weitergehen hören, wie sie sich – angeregt durch das Schild – gegenseitig die Frage stellten: Was bewegt dich denn eigentlich gerade? Viele Menschen gingen an uns vorüber und lächelten oder fotografierten uns. Uns wurde allerorts Freundlichkeit entgegengebracht. Trotz der gelegentlichen Verwunderung, dem Staunen der Menschen, standen Wohlwollen und Neugier im Vordergrund. Der Wunsch, sich auszutauschen, sich zu begegnen und in Kontakt zu treten, war deutlich spürbar.

Bei fast allen: Der BVG-Sicherheitsbeamte, der uns später nach der Genehmigung für unser Pappschild fragte, als wir uns der Kälte wegen in die Bahnhofsvorhalle verzogen hatten, war überzeugt, dass wir mit Sicherheit nicht hören wollten, was ihn gerade so beschäftigte. Eigentlich schade. Wir hätten ein offenes Ohr gehabt.

Nach einigen Stunden trafen wir uns wieder und teilten die Erfahrungen miteinander, die wir in den verschiedenen Stadtteilen gesammelt hatten.

Das Ergebnis dieses Experimentes war verblüffend und sehr ermutigend für uns: Nicht erst durch die Gespräche selbst, schon alleine durch die einladende Präsenz und unserer Botschaft „Wir hören zu!“ veränderte sich die Atmosphäre auf dem jeweiligen Platz. Bisher hatte ich den Alexanderplatz eher nur immer schnell überquert, um von der S-Bahn zur Tram zu gelangen. Ich hatte ihn nicht als einen Ort wahrgenommen, an dem ich mich gerne aufhalten wollte. Jetzt hatte ich mich mit meinem Angebot dort „etabliert“ und alle Passanten – seien es Obdachlose, Kinder, Touristen, junge Leute mit Primark-Tüten bepackt oder arabisch sprechende Brunnenakrobaten – mit dem gleichen offenen Blick und Herzen angesehen. Allein das Sich-Hinstellen – ohne Handy in der Hand und mit der Bereitschaft und der expliziten Einladung zur Begegnung – führte schon zu einer Verbindung. Uns kam es so vor, als würden wir mit unserer Haltung den Raum gestalten und viel mehr als üblich an unserer Umwelt partizipieren. Als würden wir ein Gegengewicht bilden zu all dem „Senden“ von Werbebotschaften und Kaufangeboten: Wir standen für das „Empfangen“.

Eine Frau, die sich mit ihrem Pappschild auf einen Platz begeben hatte, der für eher raue Umgangsformen und Aggression steht, brachte es später so auf den Punkt: „Komisch, an diesem Tag sind alle Idioten zu Hause geblieben.“ Es wurde deutlich, wie sehr die Wahrnehmung des Umfeldes von der eigenen Einstellung und Bereitschaft, sich auf andere Perspektiven einzulassen, abhing. Diejenigen, denen man vorher vielleicht einfach aus dem Weg gegangen wäre, waren nicht mehr sichtbar, sondern einfach nur noch Menschen mit ihren Sorgen, mit Ängsten und dem Bedürfnis, sich mitzuteilen.

Unser „Pilotprojekt“ wird nun in Folge gehen. Wir werden uns weiterhin regelmäßig treffen, um öffentlich zuzuhören. Und: Jeder ist eingeladen mitzumachen – bei uns oder in selbst organisierten Gruppen. Die aktuellen Termine und weitere Informationen dazu erhalten Sie hier.

Wir freuen uns über eine rege Teilnahme!

***

Wie wichtig sind Ihnen Menschen, die wirklich zuhören können? Haben Sie selbst schon einmal (positive, überraschende, erfreuliche …) Erfahrungen gemacht, indem Sie sich vorurteilsfrei einem Gegenüber geöffnet und empathisch zugehört haben? Oder konnten Sie vielleicht selbst schon einmal an ähnlichen Listening-Initiativen teilnehmen? Ihre Kommentare sind willkommen!

 

Miketta_Marion  Über die Autorin

Marion Miketta lebt in Berlin und arbeitet als Thinking Environment-Coach, -Facilitator und -Ausbilderin (www.timetothink.com).

Die Qualität des achtsamen Zuhörens hat sie durch den vietnamesischen Zen-Meister Thich Nhat Hanh erfahren.

Weitere Informationen zur Autorin erhalten Sie hier.

Für Nina

von Fabienne Berg

Demnächst erscheint Fabienne Bergs neues Buch Nahrung für Körper und Seele. Magersucht überwinden bei Junfermann. Die Autorin hat hierfür einige von Magersucht betroffene Menschen Berg-Nahrung_FINAL.inddbefragt und ihre Geschichten in ihr Buch aufgenommen. Dazu gehörte auch Nina, mit der es nach Abschluss der Arbeiten an dem Buch zu einer berührenden Begegnung kam.

Aaah, es ist März! Die kalte und dunkle Jahreszeit ist endlich vorüber. Die Tage werden länger und es wird vorsichtig wärmer. Die Menschen halten sich zunehmend im Freien auf und sehnen sich danach, bald wieder schöne dünne Kleidung tragen zu können: luftige T-Shirts, die kurze Hose, das bunte Kleid – und mit Perspektive auf den Sommer den schicken Bikini vom letzen Jahr. Doch Moment! Ob der nach den üppigen Weihnachtsfeiertagen und nach diesem langen Winter überhaupt noch passt? Falls nicht, hilft da nur Folgendes: sich entspannen, sich darüber freuen, dass man es sich im Winter hat gut gehen lassen – und im Sommer bei Bedarf einen neuen kaufen! Vielleicht fragen Sie sich jetzt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe, Ihnen das zu empfehlen, raten doch sämtliche Frauenzeitschriften im Moment ganz anderes. Die Überschriften sind eindeutig: „20 Pfund weniger bis Ostern“, „Blitz-Diät“, „Ananas-Diät“, „Schlank mit Trennkost“ und und und … Zwar sind wir gerade in der Fastenzeit, aber diese Überschriften haben meiner Ansicht nach wenig mit religiösem Fasten oder Heilfasten zu tun.

Die große Mehrheit der Frauen in Deutschland und zunehmend auch der jungen Mädchen kennt sich mit Diäten aus; das ist keine ganz neue Erkenntnis. Doch wozu dient ihnen dieses Wissen eigentlich? Natürlich, um abzunehmen, ist doch klar! Wirklich? Die meisten dieser diätfreudigen Frauen und Mädchen haben keinerlei gewichtsbedingte Krankheiten, die aus medizinischer Sicht eine Diät erforderlich machen würden. Warum also dann überhaupt abnehmen? Glauben sie etwa, sie seien nicht schön, so wie sie sind? Geht es um den Sieg über die Figur und den blöden Bikini vom letzten Jahr? Oder doch um etwas ganz anderes? Eine Diät bindet – vom Geld ganz zu schweigen – viel Zeit und Energie. Für die eigentlichen Themen im Leben bliebe dann nicht mehr viel und so könnte man sich mit einer Diät wunderbar davon ablenken kann …

Unter gewissen Umständen kann eine Diät sogar gefährlich werden. Bei nicht wenigen an Magersucht erkrankten Frauen und Mädchen standen nämlich solche Abnehmbemühungen am Beginn ihrer Krankheit. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Begebenheit mit Ihnen teilen, die mich sehr berührt und bewegt hat.

Vor ein paar Wochen bekam ich folgende SMS: „Hallo liebe Fabienne, wie geht es dir? Ich bin demnächst bei dir in der Nähe. Hast du vielleicht Zeit und Lust auf ein Treffen? LG Nina“

Nina. Ich hatte lange nichts mehr von ihr gehört. Kennengelernt hatten wir uns im Herbst 2014. Sie war zu der Zeit stationär in Behandlung, denn Nina war akut an Magersucht erkrankt. Die Krankheit hatte kaum etwas von ihr übrig gelassen. Sie war noch ein Schatten ihrer selbst, ein Häufchen Elend, nur Haut und Knochen. Verzweifelt, mutlos, traurig. Wir haben viel miteinander gesprochen. Über ihr Leben, ihre Eltern, den tragischen Tod ihrer Mutter, ihren hartherzigen Vater, dem sie nie irgendetwas hatte recht machen können und über ihren Beruf, der sie unglücklich gemacht und emotional ausgehöhlt hatte.

Ich schrieb ihr zurück: „Liebe Nina, schön von dir zu hören! Klar, können wir uns treffen. Wann und wo würde es dir denn passen? LG Fabienne“

Als Nina einige Tage später in das Café trat, in dem wir uns verabredet hatten, hätte ich sie fast nicht wiedererkannt, so unbeschreiblich war ihre Veränderung. Aus dem kaum 40 kg ‚schweren’ Häufchen Elend war wieder eine wunderschöne Frau mit ganz normaler Figur geworden. Das Haar voll und lockig, mit glänzenden grünen Augen und einer warmen und festen Umarmung. Im ersten Moment war ich so sprachlos, dass wir beide lachen mussten.

Und wieder gab es sehr viel zu erzählen. Ninas Vater, ihr Gewicht und der Job bei der Bank waren allerdings kein Thema mehr. Stattdessen berichtete Nina freudestrahlend, dass sie eine private Umschulung zur Fotografin gemacht habe und demnächst eine Fotoreise nach Kanada machen würde. Die einzigartigen Momente des Lebens zu erkennen und festzuhalten, mache ihr unglaubliche Freude. Zwar verdiene sie nicht annähernd so viel wie damals bei der Bank, aber es funktioniere und sie sei damit tausendmal glücklicher.

Nach ihrer stationären Therapie war Nina noch eine ganze Zeit ambulant in Behandlung gewesen. In dieser Zeit war ihr sehr viel klar geworden.

„Ich verstand, wie ich jahrelang an mir selbst vorbei gelebt habe. Und auch wie hart ich zu mir selbst gewesen bin. Ich habe alles entbehrt, wonach ich mich im Grunde mein ganzes Leben sehnte: Liebe, Zuwendung, Freude, sich angenommen fühlen. Und dann hörte ich auch noch auf zu essen. Ich gab mir nichts mehr. Ich war mir nichts wert. Doch damit ist nun zum Glück Schluss! Ich habe wieder angefangen zu essen und die Dinge zu tun, die mich mit Freude und Wärme erfüllen. Und das fühlt sich so unglaublich richtig und gut an. Es ist, als hätte ich endlich angefangen zu leben.“

Das von ihr zu hören, und vor allem Nina so gesund und fröhlich zu erleben, hat mich tief berührt und riesig für sie gefreut. Als ‚Wiedersehensgeschenk’ hatte sie mir ein Fotobuch mitgebracht mit einer Auswahl ihrer Lieblingsaufnahmen.

„Und wann erscheint dein neues Buch?“, fragte mich Nina.

Eine berechtigte Frage. Immerhin hatte ich Nina für das Buch interviewen dürfen.

„Jetzt bald im Frühling. Passend zu unserem Wiedersehen. Denn den Frühling hast du ja mitgebracht“, war meine Antwort.

Sich selbst mit dem zu nähren, was uns als Mensch langfristig gesund und glücklich macht, scheint mir wichtiger zu sein, als die Frage, ob die Kleidung vom letzten Sommer noch passt. Und was die eigene Attraktivität anbelangt, um die sich anscheinend so viele Frauen sorgen, so darf ich Ihnen verraten: Nicht die Bikinigröße ist ausschlaggebend. Ich weiß nicht, ob es ihr selbst wirklich aufgefallen war, mir aber schon: Als Nina mit ihrer neuen lebensbejahenden Ausstrahlung das Café betrat, drehte nicht nur ich mich um.