Buch des Monats

Wenn Perfektionismus krank macht

Margaret Robinson Rutherford, Autorin des Buches „Die versteckte Depression“, im Interview. – Eine Spezialausgabe unseres Formats „Buch des Monats“.

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Wie heilt ein traumatisiertes Gehirn?

Es ist keine Schande, traumatisiert zu sein. Jeder Mensch kann von einer Erfahrung überflutet werden – und jeder Mensch kann lernen, diese Erfahrungen zu bewältigen, um seinen Weg unbelastet fortzusetzen.

Dr. Glenn R. Schiraldi, Experte für Stressbewältigung, Resilienz und Trauma, schult und berät weltweit Kliniker:innen und Laien mit dem Ziel, psychische Gesundheit zu fördern und stressbedingten Erkrankungen vorzubeugen. In seinem Buch Belastende Kindheitserlebnisse hinter sich lassen vermittelt er traumatisierten Menschen sein Wissen. Dabei geht er auch auf neuropsychologische Aspekte ein. Weiterlesen

Lichter in unseren Herzen

In dieser Woche wird unser Journal Herzenslichter von Fabienne Berg ausgeliefert. Es enthält 20 Texte zu unterschiedlichsten Themen, denen aber eines gemeinsam ist: Sie sprechen die Energie unseres Herzens  an uns können sie stärken. Und wie stark dieser Effekt eintritt, haben Leserinnen und Leser selbst in der Hand, denn als Journal lädt das Buch zum Selbst-Schreiben ein. Natürlich kann auch gemalt oder collagiert werden. Jedes Thema kann so zum Licht in unserem Herzen werden. Und etwas, das uns stärkt und wieder aufbaut – das können wir alle in dieser von einer Pandemie geprägten Zeit nur zu gut gebrauchen. Deshalb hat Fabienne Berg, extra zum Erscheinen ihres neuen Buches, den nun folgenden Text geschrieben.

 

 

 

 

Was uns wieder aufbaut

Fabienne Berg

Vor kurzem ist meine Großmutter verstorben. In hohem Alter und nach langer schwerer Krankheit. Wann immer ich konnte, habe ich sie in den letzten Jahren besucht und bei Arzt- und Behördengängen unterstützt. Zum Schluss ging es schlicht darum, einfach da zu sein. Heute bin ich dankbar dafür, dass ich ihr dieses Da-Sein zurückgeben konnte und durfte. Denn genau das war sie damals auch für mich gewesen, wenn ich als Kind und Jugendliche nicht mehr wusste, wohin mit mir. Meine Großmutter war nicht die perfekte Oma, aber wenn ich sie brauchte, war sie die meiste Zeit da.

Noch heute sehe ich die Schneeflocken vor meinem inneren Auge, die im Winter sanft die Koniferen in Omas Vorgarten bezuckerten. Am beschlagenen Küchenfenster drückte ich mir als Kind die Nase platt, um die Flocken im Wind tanzen zu sehen. Das Fenster umrahmten blauweiße Gardinen, passend zu den Kacheln auf dem Küchenboden. Wenn ich bei ihr war, buk meine Großmutter meist Eierkuchen, da ich die besonders mochte. Dabei stand ich neben ihr auf einem Hocker, beobachtete fasziniert die in der Pfanne brutzelnden immer größer werdenden goldenen Eierkuchen und reichte meiner Oma zu, was sie mir auftrug. Der süße Duft aus dem Gemisch von Eiern, Mehl, Butter und Milch durchzog angenehm den kleinen Raum. Hier in der Küche war es heimelig warm; draußen war Winter.

In der Stube haben wir die Eierkuchen dann verspeist – meist mit Zucker oder Apfelmus bestrichen, dazu eine Tasse dünnen Milchkaffee. Meine Oma saß wohlig zurückgelehnt in ihrem Sessel. Ich durfte mich nach dem Abräumen auf das Sofa legen. Dann las sie mir stundenlang Geschichten vor.

Meine Kindheit war in meinem Elternhaus von Chaos und Angst geprägt. Doch die Lese-und-Eierkuchen-Momente bei meiner Oma machten all das Schlimme für eine bestimmte Zeit vergessen. Diese besonderen Momente waren mir ein Licht in meinem Herzen. Sie wärmten mich und schenkten mir ein Gefühl von Ruhe, Geborgenheit und Zuversicht. – Die meisten von uns tragen solche Bilder des Lichts und der Hoffnung in ihren Herzen. Die Kraft solch positiver Erinnerungen ist enorm.

Denn selbst wenn das Leben gerade verrückt spielt und wir die Hoffnung zu verlieren scheinen, kann uns ein einziges Herzenslicht dabei helfen, unsere Seele wieder zu erhellen.

Aus diesem Grund habe ich irgendwann angefangen, bewusst schöne Erinnerungen zu sammeln. Ich schrieb sie auf, klebte Fotos und Bilder dazu und nahm sie wieder hervor, wenn ich es brauchte. Immer dann, wenn ich seelisch fror oder innerlich im Dunkeln stand. Angst und Traurigkeit zu durchleben, ist wichtig. Doch manchmal kann beides übermächtig werden, uns innerlich lähmen und uns so im Außen handlungsunfähig machen. Es kann helfen, dem etwas entgegenzusetzen, um neue Kraft schöpfen zu können für den nächsten sinnvollen Schritt. Schöne, freudvolle Momente – und scheinen sie auch noch so klein und unbedeutend – können uns dabei unterstützen, wieder zu hoffen und weiterzumachen. Es verändert unsere Wahrnehmung, wenn wir uns bewusst immer wieder dem Positiven zuwenden. Nach und nach können wir so unseren inneren Speicher mit der Kraft der Hoffnung, der Ruhe und der Zuversicht auffüllen – wenn es geht, am besten jeden Tag. Dergestalt ausgestattet kann es uns dann das eine oder andere Mal leichter fallen, mit den Wechselfällen des Lebens umzugehen. Und es kann uns schlicht Freude bescheren, an etwas Schönes zu denken, zu lachen, eine wärmende Erinnerung vor dem inneren Auge revue passieren zu lassen und damit in einem automatischen nächsten Schritt, neue schöne Momente herbeizuführen, die wiederum später als weitere positive Erinnerung dienen können. Wenn Sie mögen und es nicht schon längst tun, probieren Sie es aus! Ich bin sicher, es lohnt sich.

Ich weiß ja nicht, was Sie vorhaben zu tun, aber ich backe nächsten Sonntag Eierkuchen – im Gedenken an meine Oma, und weil sie einfach immer schmecken.

Als ob man sein Umfeld zum ersten Mal im Leben betrachten würde…

Innere Ruhe: einfach gehen

 

„Auch in deiner Nähe warten leise Wohlfühlorte, wo Denken leichter, klarer, milder wird.“

(Markus P. Baumeler, Autor)

 

Manchmal suchen wir inmitten der Hektik des Alltags die Stille und wünschen uns ein eher nach innen gewandtes Gehen, das uns beruhigt. Wenn wir uns dann aufmachen zu einem Spaziergang und den Ärger vom Arbeitsplatz oder eine private Enttäuschung mitnehmen, können wir uns trotz des Bemühens nicht so richtig an den prächtigen Farben der Natur erfreuen. Die Blumen am Wegesrand, die es zu entdecken gäbe, nehmen wir in unserer Niedergeschlagenheit gar nicht wahr. Zur Ruhe kommen wir erst recht nicht. Dafür kreisen die Gedanken um die schwierige Kollegin, ungelöste Probleme oder den unaufmerksamen Partner. Vielleicht ärgern wir uns aber auch über die kühle Witterung oder das falsche Schuhwerk. Es braucht Zeit, bis sich solche Gedanken langsam verabschieden.

Es kommt nicht so sehr auf die äußeren Umstände an, sondern vielmehr auf das, was wir innerlich daraus machen. Die äußeren Umstände können wir häufig kaum beeinflussen. Aber in welcher Gestimmtheit und Bewusstheit wir unterwegs sind und wie unsere Beziehung zur Umgebung ist, liegt bei uns selbst. Erst wenn Außenwelt und Innenwelt zusammenkommen und Gleichklang entsteht, erleben wir Sinn und Bedeutung: Wenn wir versuchen, die Natur in ihrer Wesensart, in ihrer Lebendigkeit und in ihrem Rhythmus (Außenwelt) in uns aufzunehmen, um innerlich daran zu reifen, erkennen wir, dass die einzige Konstante die kontinuierliche Veränderung ist. Im Rhythmus der Schritte können wir Außen- und Innenwelt miteinander synchronisieren. Wenn mich während eines Spaziergangs die unerfreulichen Gedanken zu lange begleiten, habe ich für mich zwei Strategien entwickelt: Erstens, und sofern es mein Tagesprogramm erlaubt, verlängere ich den Spaziergang auf mindestens eine Stunde. Zweitens versuche ich, willentlich aus dem Gedankenkarussell auszusteigen. Drei Schritte aus der Zen-Meditation können dabei helfen, einen Spaziergang zu unternehmen und dabei innere Ruhe zu erfahren, unabhängig von äußeren Umständen:

 

 

  1. Wahrnehmen, was ist und wie es ist. Dies gelingt beim Herumspazieren ohne festes Ziel. Es geht darum, einfach nur wahrzunehmen, was man sieht, was auf einen zukommt und was sich zeigt, ohne zu werten. Nichts tritt zwischen den Spaziergänger und die Umgebung. Es gibt keine Voreingenommenheit, keine Absichten, kein zu erreichendes Ziel. Vielmehr sind wir in voller Offenheit unterwegs. Wir sehen, was ist und wie es ist, anstatt nur das zu sehen, was „man gesehen haben muss“ oder was „sehenswürdig“ ist.

 

  1. Annehmen, was ist und wie es ist. Wenn wir versuchen, das, was beim Gehen um uns herum ist, anzunehmen, kann zwischen dem Spaziergänger und seiner Umgebung Harmonie entstehen. Voraussetzung hierfür ist, dass wir ohne bestimmte Erwartungen unterwegs sind. Wem das gelingt, wird sich nicht mehr von Regen oder Herbstnebel die Laune verderben lassen, sondern offen sein für das besondere Farbenspiel. Insbesondere unerwartete Situationen, wie ein Wetterumschwung, ein gesperrter Weg oder eine steile Stelle, können, wenn wir uns auf sie einlassen, zu einem intensiveren Erlebnis oder gar Glücksgefühl führen. Wir werden ein Stück weit unabhängiger von äußeren Umständen. Es bedeutet auch, nicht sofort zu überlegen, wie wir etwas verändern oder lösen könnten, sondern erst einmal die Situation anzunehmen.

 

  1. Schätzen, was ist und wie es ist. Hierbei geht es nicht um „positive thinking“ oder die rosarote Brille. Es geht um die Wertschätzung dessen, was gerade ist und uns umgibt. Wenn wir in den beiden Schritten zuvor echtes Sehen und Annehmen geübt haben, werden wir es auch als das, was es ist, schätzen. Was wir gut kennen, lieben wir. Was wir lieben, macht uns glücklich.

Spazieren eröffnet uns die Möglichkeit, das Gepäck des Alltags wenigstens temporär beiseite zu legen. Das schließt auch die vielen Hightech- und Luxusartikel ein, die uns umgeben. Wir legen ab und reduzieren uns auf das Wesentliche. Wie viel bräuchten wir zum Leben, wenn wir all das, was wir mit uns nehmen könnten, in der Umhängetasche oder im Rucksack auf dem Rücken tragen müssten?

 

Ideen für einen Spaziergang „Innere Ruhe – einfach gehen“

Vielleicht mögen Sie diese drei Impulse mit auf Ihren Weg nehmen:

  • Wahrnehmen, was ist und wie es ist: Nehmen Sie sich Zeit und genießen Sie jeden einzelnen Schritt.
  • Annehmen, was ist und wie es ist: Wir müssen negative Gefühle nicht los werden. Stattdessen sagen wir innerlich ja zu dem, was jetzt gerade ist.
  • Schätzen, was jetzt gerade ist und wie es jetzt gerade ist.

 

Wenn sich das Gedankenkarussell nicht beruhigen will, geben Sie nicht auf. Konzentrieren Sie sich einfach auf Ihren Atem. Gehen Sie Schritt für Schritt für Schritt für Schritt für Schritt …

 

Variante: Sinnlicher achtsamer Spaziergang (circa 30 Minuten)

  • Einige Momente stillstehen und über die Fußsohle Kontakt mit dem Boden aufnehmen.
  • Gewicht ganz leicht nach hinten auf die Fersen verlagern, nach vorne auf die Zehen und schließlich in einem Halbkreis über die Außenkante der Fußsohle von vorn nach hinten und zurück abrollen.
  • Wahrnehmen, wo diese kleine Bewegung sonst noch im Körper zu spüren ist.
  • Einen bewussten ersten Schritt machen.
  • Langsam und bewusst ins Gehen kommen und fühlen, wie sich das Gleichgewicht verlagert.
  • Weitergehen und bei der Wahrnehmung des Bewegungsablaufs bleiben.
  • Im Atemrhythmus gehen und wahrnehmen, wie viele Schritte Sie in einer Ausatmung und in einer Einatmung gehen.
  • Wahrnehmen, wie Sie heute gehen (Tempo, Körperhaltung, Knie, Becken, Wirbelsäule, Schultern, Arme, Hände, Finger, Hals, Kopf, Mund, Stirne, Gesicht).
  • Die Aufmerksamkeit auf den Tastsinn richten: Wie fühlen sich der Untergrund, die Reibung der Kleidung auf der Haut, Luftzug, Temperaturunterschiede etc. an?
  • Die Aufmerksamkeit auf den Geruchssinn richten: Welche unterschiedlichen Gerüche und Düfte umgeben mich?
  • Die Aufmerksamkeit auf den Hörsinn richten: Welche Geräusche und Töne in der Nähe und in der Ferne kann ich wahrnehmen?
  • Die Aufmerksamkeit auf den Sehsinn richten: Welche Farben, Formen und Strukturen hält die Umgebung für mich bereit?
  • Sich auf den gegenwärtigen Moment einlassen, Gedanken wie Wolken ziehen lassen und sich wieder dem gegenwärtigen Moment zuwenden.

 

Ein achtsamer Spaziergang ist, als ob man sein Umfeld zum ersten Mal im Leben betrachten würde. Er bringt uns die Fähigkeit zu stauen zurück, entspannt, reduziert Stress und steigert das Wohlbefinden.

(Auszug aus dem Buch Auf dem Weg: 20 Spaziergänge für das seelische Wohlbefinden von Sabine Claus, erschienen 2019 im Junfermann Verlag)

Wertschätzung Mangelware, Empathie Fehlanzeige?

Über (Selbst‐)Erkenntnis, Effizienz und Einfühlung im Gesundheitswesen

Ein Interview mit Birgit Brand-Hörsting, Inhaberin des Bildungsinstituts für Pflegeberufe und des WdH – Wertschöpfung durch Worte in Karlsruhe und Autorin von Wertschätzende Kommunikation für Pflegefachkräfte und Ärzte

 

Frau Brand-Hörsting, was macht die Kommunikation zwischen Ärzt*in und Patient*in eigentlich so schwer?

Im Gesundheitswesen herrscht in allen Bereichen eine extrem hohe Arbeitsdichte. Einer der entscheidenden Negativfaktoren ist sicherlich der Zeitdruck. Gleichzeitig ist die Kommunikation mit Patienten bisher in der Ausbildung von Ärzt*innen nicht verbindlich, im Studium kommt sie nicht als „Lernfach“ vor. Dabei ist Kommunikation in der Behandlung eines Patienten die Schlüsselqualifikation. Ohne Kommunikation ist weder Diagnostik noch Therapie möglich. Es erschwert die Situation, dass der Arzt die Diagnose oder Therapie zum x-ten Mal erklärt, während sie für den Patienten neu ist. Und weil sie ihn selbst betrifft, ist sie natürlich auch mit starken Gefühlen verbunden. Der Routine des einen stehen Angst oder ein Gefühl von Hilflosigkeit beim anderen gegenüber. Gerade hier wäre ein besonderes Einfühlungsvermögen und eine wertschätzende Kommunikation nötig.

 

Wie sieht gelungene Kommunikation zwischen Pflegenden, Patienten und Angehörigen aus?

Gelungene Kommunikation findet auf Augenhöhe statt. Sie nimmt die Bedürfnisse der Patienten wahr, respektiert sie und anerkennt vor allem ihre Selbstbestimmtheit. Zuhören, Gefühle wahrnehmen und verbalisieren. Das bedeutet Empathie und ist hochgradig wirksam.

 

„Mit der Kleidung legen viele Patienten

einen Teil ihrer Selbstbestimmung ab.“

 

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie: „Ich bin sehr glücklich, dass die Wertschätzende Kommunikation mich gefunden hat.“ Wann und wie wird man gefunden?

Man kann in jeder Lebensphase „gefunden“ werden. Aber ich kann auch aktiv danach suchen, wenn ich merke, dass mir ein verbindender Kontakt mit den Menschen am Herzen liegt.

 

Der Weg der Wertschätzenden Kommunikation führt über Selbstempathie, aufrichtiges Mitteilen und Fremdempathie. Steht Selbstempathie am Anfang?

Definitiv. Selbstempathie ist die Basis. Ich muss mich fragen: Was löst eine bestimmte Äußerung oder Handlung in mir aus? Welche Gefühle nehme ich in mir wahr und auf welche Bedürfnisse weisen diese hin? Dann bin ich in der Lage, gut hinzuhören und den anderen mit seinen Bedürfnissen wahrzunehmen. Und ich kann mich auch entscheiden, mich dem anderen aufrichtig mitzuteilen. Ich muss mich geklärt haben, um empathisch mit anderen sein zu können.

 

Jahrelang wurde mir beigebracht, die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen und nur an meine Patienten zu denken. Wenn ich mich jetzt in Selbstempathie übe, ist das nicht ganz schön egoistisch?

Grundsätzlich braucht jeder Mensch einen guten Egoismus, nämlich im Sinne von Selbstfürsorge. Das ist nicht egoistisch, sondern klug.  Die Belastungen und daraus resultierende Beanspruchungen im medizinischen oder pflegerischen Berufsalltag sind groß und vielfältig. Wer da keine Selbstfürsorge betreibt, kann nicht für andere sorgen, sondern opfert sich auf. Nicht selten sind Coolout oder Burnout die Folgen. Die empathische Selbstreflexion ist wichtig, weil ich erst nach dem Erkenntnisgewinn ins Handeln kommen kann. Pflegende und Ärzte können sehr genau abwägen, wann es die Situation erfordert, eigene Bedürfnisse zum Wohle des Patienten zurückzustellen. Aber eben nicht permanent.

 

„Wer das Bedürfnis erkannt hat,

kann Strategien entwickeln.“

 

Womit soll ich anfangen, wenn ich mich trotz akuten Zeitmangels in Wertschätzender Kommunikation üben will? 

Im pflegerischen Bereich ist Kommunikation häufig gekoppelt an pflegerische Interventionen. Diese kann ich nutzen, mich dem Patienten wertschätzend zuzuwenden. Wertschätzende Kommunikation ist ja viel mehr als eine Kommunikationstechnik. Sie ist eine Haltung. Wenn ich aus dieser Haltung heraus agiere, kann ich die Bedürfnisse des anderen wahrnehmen. In meinem Buch zeige ich anhand von praxisnahen Übungen, wie wir diese Haltung einüben können für ein empathisches Miteinander in der Pflege, in der Logo- und Ergotherapie und im ärztlichen Kontakt mit den Patient*innen.

 

Stehen die patriarchalen Strukturen z.B. in Krankenhäusern einer Wertschätzenden Kommunikation nicht entgegen? 

Sicherlich wären andere organisatorische Strukturen hilfreich. Der Fusionsdruck ist groß im Klinikbereich, Erfolg wird an wirtschaftlicher Effizienz gemessen. Gleichzeitig „funktioniert“ Wertschätzende Kommunikation aber auch in jedem Kontext. Würde das Konzept und die damit verbundene Haltung stärker gelebt, hätte dies positive Wirkungen auf die Arbeitssituation. Damit einher gingen eine höhere Attraktivität und mehr Zufriedenheit bei allen Beteiligten.

 

Während Kommunikation schon heute fester Bestandteil der Pflegefachkräfteausbildung ist, wird die Arzt-Patienten-Kommunikation erst ab 2020 verbindlicher im Medizinstudium. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?

Bereits jetzt gibt es vereinzelt Skill Labs an Universitäten, wo angehende Mediziner*innen mit Schauspielern schwierige Gesprächssituationen proben. Aus Gesprächen mit Studierenden weiß ich aber, dass dieses Angebot leider nur wenig angenommen wird. Sehr verbreitet scheint die Überzeugung unter jungen Ärzt*innen zu sein: „Das kann ich eh schon.“ Dabei würde ihnen die Wertschätzende Kommunikation auch helfen, mit der eigenen psychischen Belastung besser umgehen zu können. In vielen Kliniken ist heute aber eine vermehrte Akzeptanz zu spüren, sich in puncto Kommunikation bewusst zu verändern.

 

„Die Einstellung, dass ein Patient ein ‚Leidender‘,

‚Sich‐Geduldender‘ ist,

muss aus den Köpfen verschwinden.“

 

Wenn Wertschätzende Kommunikation gelingt, beschleunigt und verbessert sie die Genesung der Patient*innen. Selbst wenn eine vollständige Gesundung ausgeschlossen ist, hilft sie Patient*innen und Angehörigen, die Krankheit anzunehmen und mit der Situation besser umzugehen. Die positiven Auswirkungen gelungener Kommunikation können zum guten Ruf der Klink oder Praxis beitragen.

Vielen Dank für das Interview, Frau Brand-Hörsting!

 

  Über die Autorin:

Birgit Brand-Hörsting ist Inhaberin des Bildungsinstituts für Pflegeberufe und des WdW – Wertschöpfung durch Worte in Karlsruhe. Als GFK-Trainerin, Mediatorin und IHK Business Coach begleitet sie seit mehr als 25 Jahren Menschen in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung.

Selbstbewusst Nein sagen

Am 25. Oktober 2019 erscheint bei uns das Buch Selbstbewusst Nein sagen von Gisela und Herbert Ruffer.

Gisela und Herbert Ruffer

Dass andere Menschen unsere Grenzen nicht respektieren – diese Erfahrung machen wir vermutlich alle ab und zu. Und sicher fällt es uns auch nicht immer ganz leicht, anderen Grenzen zu setzen. Warum das so ist und wie man mit solchen Situationen umgehen kann, können Sie recht bald nachlesen. Doch bevor es soweit ist, können Sie hören, wie die Autorin und der Autor ihr Buch vorstellen:

in.sight – ein täglicher Achtsamkeitsbegleiter und Planer

 „Achtsamkeit ist immer auch Selbsterfahrung. Wer sich mehr Zufriedenheit in seinem Leben wünscht und ein freundlicheres Miteinander gestalten möchte, muss bei sich anfangen.“

Katja Bartlakowski

Die Haltung des achtsamen Gewahrseins setzt einen Kontrapunkt zu unserem Stresserleben in einer zunehmend komplexer werdenden Welt, aber auch zur üblichen Art, wie wir Beziehung zu anderen gestalten, meint Katja Bartlakowski. Im Interview stellt sie sich unseren Fragen und erklärt, welches Potenzial in der Ausbildung einer wachen Selbstführung liegt.

 

Soeben ist in.sight, Ihr Businessplaner und Achtsamkeitsbegleiter erschienen. Nun gibt es ja bereits zahlreiche Selbstcoaching-Kalender. Was hat Sie auf die Idee gebracht, einen weiteren Planer zu entwickeln?

Es gibt tatsächlich einige gute Produkte. Und das Angebot wächst. Ich selbst plane und organisiere meinen beruflichen Alltag seit Jahren konsequent analog und habe daher bereits mit einigen sogenannten Selbstcoaching-Kalendern gearbeitet. Ich bin davon überzeugt, dass diese Produkte grundsätzlich funktionieren. Nur mich sprach keiner so wirklich an. Am Anfang habe ich mich gerne auf die Übungen eingelassen, aber dann wurden sie mehr und mehr zum Job. Es hat sich häufig wie eine Selbstoptimierungs-Aufgabe angefühlt. Ich dachte: „Jetzt musst du auch noch die Monatsreflexionen machen und dir neue Ziele setzen.“ Ich habe da diesen Erledigungsdruck verspürt und dann war mir klar, dass das nicht mein Ansatz ist. Ich wollte einen Planer entwickeln, der dabei unterstützt, Stress im Arbeitsalltag zu minimieren und ihn nicht noch erhöht. So ist die Idee für in.sight entstanden.

Hat der Name in.sight eine Bedeutung? Wofür steht er?  

Der Name bedeutet so viel wie „Innensicht“ oder „Einsicht“. Dem Grunde nach geht es darum, sich und sein inneres Erleben kennenzulernen. Also sozusagen einen Blick nach innen auf sich selbst wagen … Was passiert da in mir? Was nehme ich wahr? Es geht um die Praxis des achtsamen Gewahrseins, eben um wache Selbstführung. Gerade, wenn wir Stress erleben, kann das sehr spannend sein.

Und wie genau funktioniert in.sight?

Wir sind ein Leben lang in der Nutzung von Wissen und Verstand trainiert worden. In unseren Köpfen hat sich ein System zur Bewältigung von Lebensfragen installiert, das sich im Gehirn mehr oder weniger selbst organisiert. Unser präfrontaler Cortex ist hervorragend ausgebildet. Im Nachdenken sind wir spitze. Und genau hier setzen viele Selbstcoaching-Kalender an. Sie bedienen in uns das, was unser Geist gewohnt ist: denken, erforschen, reflektieren, bewerten. Aber genau das ist es auch, was in uns Stresserleben und Unzufriedenheit begünstigen kann. Meistens ist es gar nicht die Situation selbst, die in uns stresst. Es sind unser Umgang mit ihr und die Geschichten, die wir uns in vermeintlich stressigen Situationen erzählen. Unsere Gedanken beherrschen dann das Feld. Sie rotieren unermüdlich und suchen wie ein wild gewordenes Tier den Ausweg. Gefühle der Angst und Verunsicherung entstehen und diese wiederum sorgen dafür, dass unser Denken noch konfuser wird. Die meisten von uns versuchen Probleme intellektuell zu lösen und haben keinen wirklichen Zugang zu Gefühlen und Körperempfindungen. Wir sind regelrecht auf unseren Kopf reduziert, glauben, was wir denken und nehmen den Rest des Körpers kaum wahr.

Die Übermacht unseres Verstandes ist eine unglückliche Angewohnheit. Und dem wollte ich mit in.sight ein wenig entgegenwirken: Lerne behutsam und freundlich dein inneres Erleben kennen, beobachte deine Gedanken, deine Gefühle, deine Körperempfindungen, ignoriere nichts, bewerte nichts. Nimm es an, wie es ist und erlaube es dir, aus dem alltäglichen Stressdrama auszusteigen. Lerne, dich selbst wachsam zu führen, stärke deine Einfühlung. Lass die Stille in dir zu und spüre, wie sich vieles löst und dein Blick auf dich, deine Beziehungen, Werte und Ziele klarer wird. Für mich ist es ein Geschenk, aber auch ein Lernprozess …

Auf welche Weise unterstützt in.sight diesen Lernprozess?

Lernen, Entwicklung, das Meistern von Herausforderungen gelingt nur dann, wenn wir uns – und damit meine ich unser Gehirn – in einem kohärenten, harmonischen Zustand befinden. Unter Stress befindet sich das Gehirnwellenmuster im Chaos. Studien, die bildgebende Verfahren einsetzten, zeigen: In einem solchen Zustand können die vier Hirnlappen nicht mehr synchron arbeiten. Und dann dauert es nicht einmal eine Sekunde, bis eine Irritation, die wir im Außen erleben, emotionale Stressreaktionen in uns auslösen kann. In Sekundenbruchteilen ist unser Gehirn regelrecht vernebelt. Das passiert so schnell und es passiert mehrfach pro Tag. Klar denken ist dann nicht mehr möglich, weil unser präfrontaler Cortex nicht mehr mit Blut und Sauerstoff versorgt wird. Aber in diesem Zustand treffen viele Menschen ihre Entscheidungen, gehen in den Dialog, greifen zum Telefonhörer oder beantworten Mails und wundern sich, dass ihr Leben nicht so läuft, wie sie es sich wünschen. Inkohärenz im Inneren erzeugt Inkohärenz im Außen.

Wiederherstellung der Kohärenz, der inneren Harmonie – darum geht es. Und in einem kohärenten Seinszustand stellen sich Freude, Präsenz, Kreativität und Inspiration fast wie von selbst ein. Es lohnt sich also, wach mit dem Phänomen Stress umzugehen und unserem inneren Erleben ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken. in.sight hilft, die bewusste Aufmerksamkeitslenkung zu trainieren und bedient sich dabei der traditionellen Achtsamkeitspraxis, aber auch einigen anderen Ansätzen wie z.B. Focusing oder HeartMath. Hinspüren lernen und sich selbst in die Ruhe zu führen: das ist die Essenz von in.sight. Und in.sight begleitet dich als Planer und Kalender den ganzen Tag, ist also immer dabei.

Es gibt sicherlich Menschen, die sich noch nicht so intensiv mit Themen wie Achtsamkeit oder wache Selbstführung beschäftigt haben. Sie können daher vielleicht nicht einschätzen, ob in.sight auch bei ihnen funktioniert. Was sagen Sie ihnen?

in.sight ist für jeden gemacht, ganz gleich, ob jung oder alt; für jeden, der den Wunsch in sich trägt, aus seinem Stressmuster auszusteigen und bewusster mit sich, aber auch mit anderen Menschen im Kontakt zu sein. Wachheit oder Achtsamkeit ist grundsätzlich erlernbar, und das dank Neuroplastizität in jedem Lebensalter …, wenn man bereit ist, drei bis fünf Minuten am Tag zu investieren. Denn unser Gehirn lernt bei allem, was es tut. Und das entspannte daran ist: Man kann einfach aufhören und an jedem beliebigen Tag im Jahr wieder anfangen. Jeder kleine Schritt zählt. Was anfänglich nur ein Trampelpfad ist, entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einer neuronalen Autobahn. Und die Wirkung ist verblüffend. Ausprobieren lohnt sich also.

 

 

 

 

Der Kraftraum mit der Doppelnull

Wortmann-LetzteZuflucht_Cover.inddLetzte Zuflucht Firmenklo – unter diesem Titel bot uns Konstanze Wortmann vor einiger Zeit ein neues Manuskript an. „Das ist nicht Ihr Ernst! So einen Titel kann man dem Buch doch nicht geben!“ entfuhr es mir. Was zunächst so kurios daherkam, erwies sich aber bei näherer Betrachtung als ein ganz ernsthaftes Thema. Viele Menschen arbeiten in Großraumbüros, in Industriehallen oder an anderen Orten, an denen es turbulent zugeht und wo auch immer viele andere Menschen sind.

Doch genau in diesem menschlichen Getümmel kann es leicht mal krachen und es kann einem alles zu viel werden. Wo ist dann die nächste Tür, die man hinter sich zuziehen kann, um einmal ganz alleine zu sein und sich wieder „einzukriegen“?

 

Wo ist die nächste Tür, die man hinter sich zuziehen kann?
Vielleicht gibt es eine Kantine? Aber da ist man meistens nicht allein. Vielleicht kann man kurz mal rausgehen, auf den Parkplatz oder eine andere Stelle auf dem Betriebsgelände? Doch die Wahrscheinlichkeit, hier niemanden anzutreffen, ist auch eher gering. Außerdem könnten andere aus dem Fenster schauen und sich fragen: „Was macht der da?“ Oder: „Warum arbeitet sie nicht?“

Es gibt keine Krisenräume. Also wohin dann? Ein Ort hat tatsächlich eine Tür, die man hinter sich abschließen kann: das Firmenklo. Und genau dahin, so Konstanze Wortmann, flüchten sich viele Beschäftigte. In ihrem Buch finden sich zahlreiche Übungen, die helfen, die Balance zurückzugewinnen. Und sie funktionieren teilweise sehr diskret und benötigen nicht viel Raum. Zur Not könnte man sie also auch im „Kraftraum mit der Doppelnull‘“ ausführen – auf der Firmentoilette.

Schreiben Sie uns Ihre Geschichten!
Sie habe von Seminarteilnehmern absolut positive Rückmeldungen erhalten, berichtete mir Konstanze Wortmann. Und ganz spontan hätten Menschen ihre Firmenklo-Geschichten erzählt. Nun ist sicher nicht alles für die Öffentlichkeit bestimmt, was auf einer als Krisenrückzugsort genutzten Toilette passiert. Aber es wird sicher ganz witzige, erzählenswerte und auch Mut machende Geschichten geben. Und wir würden uns freuen, wenn Sie diese mit uns teilen möchten.

Es gibt auch etwas zu gewinnen: Am 16. Juli verlosen wir unter allen, die mitgemacht haben, insgesamt drei Junfermann-Bücher. Den Titel dürfen sich die Gewinnerinnen und Gewinner aussuchen. Vielleicht fällt Ihre Wahl ja auf Letzte Zuflucht Firmenklo?

Gewaltfreie Kommunikation und Macht – ein Interview mit Petra Quast

Rosenberg_Macht_X.inddMacht – lange schon war dieses Thema nicht mehr so aktuell wie heute. Da gibt es einmal diejenigen, die sich ohnmächtig fühlen, resigniert haben und sich zurückziehen, denn gegen die Macht von „denen da“ kommt man einfach nicht an. Oder es gibt diejenigen, die als „Wutbürger“ endlich einmal zeigen wollen, dass sie durchaus über Macht verfügen. Auch erleben wir immer wieder, dass Politiker scheinbar gar nicht die Mächtigen im Land sind, denn überall versuchen Lobbyisten die Interessen von Unternehmen oder anderen einflussreichen Organisationen nach vorne zu bringen.

Wir erleben Macht aber auch in Gestalt von Politkern, die sich dominant zeigen, die Konflikte anheizen und teilweise über Waffenarsenale gebieten. Aus Machtdemonstrationen könnten nur allzu leicht heiße Kriege werden, mit verheerenden Folgen für die ganze Menschheit. Für manche sind diese Politiker der Typ starker Mann, der endlich mit „dem Saustall“ aufräumt und ihnen zu ihrem Recht verhilft, zu mehr Macht und mehr Einfluss. Und dann wieder erleben wir eine schwindende Wahlbeteiligung. „Alle macht geht vom Volke aus“ (Artikel 20 des Grundgesetztes der Bundesrepublik Deutschland). Aber sein Kreuzchen auf dem Zettel zu machen scheint nicht die Form von Macht zu sein, die ganz viele Menschen heute ausüben möchten.

Das sind die Dinge, die mir zum Thema Macht spontan durch den Kopf gehen, eine Auflistung, die sich endlos fortsetzen ließe. Es gibt zahllose Vorstellungen darüber, was Macht eigentlich ist – und würde man zehn Menschen fragen, bekäme man wohl zehn verschiedene Antworten. Auch Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, hat sich mit dem Thema Macht beschäftigt. Und wie passend: Vor mir liegt sein Buch „Gewaltfreie Kommunikation und Macht“. In der italienischen Originalausgabe kam es bereits 2004 auf den Markt. Es ist also nicht wirklich ein ganz neues Buch, aber eines, das wohl immer aktuell sein wird und momentan gerade sehr stark den Nerv der Zeit trifft.

Das Buch würde es in deutscher Übersetzung nicht geben, hätte sich nicht Petra Quast dafür engagiert. Sie lebt seit vielen Jahren in Italien und ist dort eine von drei zertifizierten Trainer/inne/n für Gewaltfreie Kommunikation. Sie hat uns nicht nur auf das Buch aufmerksam gemacht, sondern es auch aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt. Mit ihr möchte ich mich darüber unterhalten, was für sie das Besondere an diesem Buch ist und was sie selbst zum Thema Macht zu sagen hat. Sie erwähnte einmal, die inzwischen verstorbene GFK-Trainerin Vilma Costetti habe sie einst auf ein Buch von Carl Rogers aufmerksam gemacht, dessen Titel ins Deutsche übersetzt „Persönliche Macht“ lauten würde. Die erste Ebene der Macht, so Petra Quast, sei die persönliche Macht; das habe sie besonders aus diesem Buch gelernt.

 

HC: Sie arbeiten als GFK-Trainerin in Italien und deshalb auch schon lange mit der italienischen Ausgabe von „Gewaltfreie Kommunikation und Macht“. Was schätzen Sie besonders an diesem Buch?

PQ: Zusammen mit dem Basisbuch begleitet es mich, seit ich die GFK kenne und hat mir besonders dabei geholfen, einige Schlüsselkonzepte der Gewaltfreien Kommunikation besser zu durchdringen, wie zum Beispiel das Thema Feindbilder oder bedingungslose Liebe. Außerdem gefällt mir die sehr direkte und lebendige Form. Jedes Mal, wenn ich einen Blick hinein werfe, inspiriert mich was ich lese stets aufs Neue, auch noch nach zwölf Jahren GFK. Ich mag das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen, vom Persönlichen bis zum Politischen, die in den Kapiteln angesprochen werden.

HC: Immer mal wieder machen Sie die Erfahrung mit Kollegen oder Teilnehmern in Seminaren, dass es da noch ein Rosenberg-Buch gibt, das diese nicht kennen. Mögen Sie dazu etwas erzählen?

PQ: Ich beschäftige mich seit 2005 mit der GFK und habe sie in Italien kennengelernt. Erst 2013 habe ich zum ersten Mal an einem Seminar in einem anderen Land teilgenommen und zwar in Deutschland. Und erst da habe ich gemerkt: es gibt italienisches Material, das nicht in deutscher Übersetzung verfügbar ist. Das fand ich wirklich sehr schade. Mehrere Teilnehmer haben mich nach der englischen oder wenigstens spanischen Ausgabe gefragt, aber auch die gab und gibt es nicht.

HC: Vor gut einem Jahr hatten wir den ersten Kontakt. Was genau hat Sie bewogen, gerade dann das Projekt anzugehen? Das Buch gibt es ja schon länger … Lag es vielleicht daran, dass das Thema Macht gerade so aktuell ist wie schon länger nicht mehr?

PQ: Nein, nicht direkt. Den Plan hatte ich schon spätestens seit 2013, nach der Teilnahme an dem Seminar in Deutschland. Aber dann kamen viele andere Dinge dazwischen und vor einem Jahr war für mich eben genau der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich hatte Lust und Energie und den Mut, den ersten Schritt zu machen. Ich komme aus einem ziemlich politischen Elternhaus und glaube, das Thema Macht ist immer und überall aktuell.

HC: Wenn man das Wort Macht hört, denkt man – gerade heutzutage – immer an Politik. Aber die GFK verengt den Blick anscheinend nicht auf das eine Thema …

PQ: Das war auch für mich ein Lernprozess und am Anfang überraschend, denn auch für mich war Macht ein vor allem politisches Thema. Mir meiner persönlichen Macht bewusst zu werden, dabei haben mir die GFK, dieses Buch und natürlich der Austausch mit Vilma Costetti sehr geholfen. Ich würde daher heute sagen: Macht spielt in jedem Bereich eine wichtige Rolle. Egal ob in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Politik, die Frage ist für mich immer: Wie können wir aufeinander Einfluss nehmen und uns gleichzeitig gegenseitig respektieren?

HC: Im Buch gibt es überraschenderweise auch ein Kapitel über Gesundheit. Was hat denn Macht mit Gesundheit zu tun?

PQ: Mehr als man glaubt. Wir haben in jedem Augenblick die Macht und die Möglichkeit, etwas für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit zu tun; es reicht beispielsweise schon, dass wir uns selbst und anderen auf eine bestimmte Weise zuhören. Gehört zu werden tut einfach gut, nicht nur auf der emotionalen und psychischen Ebene, auch auf der körperlichen.

HC: Wie ich schon sagte, ist politische Macht gerade jetzt ein sehr aktuelles Thema. Überall tauchen Politiker auf, die sich sehr machthungrig zeigen und sich dominant geben. Hat die GFK z.B. eine Antwort auf / eine Haltung zu Donald Trump oder Kim Jong Un?

PQ: Diese Frage führt mich zum Thema Feindbilder. Wenn ich denke, jemand sei machthungrig oder gäbe sich dominant, spreche ich von mir und nicht vom anderen. Mir sind dann wahrscheinlich gerade Teilnahme und Respekt wichtig. Spüren Sie den Unterschied? Auf diese Weise bin ich in Kontakt mit meiner persönlichen Macht und kann von dort aus auf den anderen zugehen. Wenn ich allerdings Urteile über ihn oder sie im Kopf habe, selbst wenn ich sie nicht ausspreche, verliere ich an Macht und es kommt höchstwahrscheinlich zu einem Streit oder Schlagabtausch oder ich resigniere innerlich, weil ich glaube eh nichts tun zu können. Was aktuell in der Weltpolitik geschieht, ist meiner Meinung nach das Ergebnis eines seit Jahrtausenden währenden Abgeschnitten-Seins von den eigenen Bedürfnissen und einem Denken in Kategorien von richtig oder falsch, gut oder böse, schwarz oder weiß – und zwar auf allen Ebenen. Wir können oft nicht anders, weil wir es so gelernt haben. Die GFK hat mir und vielen anderen Menschen geholfen, sich der eigenen Wahlmöglichkeiten bewusst zu werden und von dort aus zu handeln. Und das ist auch in der Politik möglich.

HC: Zum Abschluss vielleicht noch etwas zur Historie dieses Buches bzw. zur GFK in Italien …

PQ: Das Buch ist nach einem Seminar mit Marshall Rosenberg entstanden, das 2002/2003 in Italien stattgefunden hat. Es gab einen Tonmitschnitt, aus dem Vilma Costetti eine Buchform schuf. Eine erste Ausgabe wurde 2004 veröffentlicht und dann 2010 überarbeitet. Vilma Costetti hat Marshall Rosenberg bei all seinen italienischen Seminaren und Konferenzen begleitet und bis zu ihrem Tod im Jahre 2013 selbst Seminare und Workshops in ganz Italien abgehalten, auch zum Thema Macht. Und sie hat mit ihrer Verlagsarbeit einen wertvollen und zeitlosen Beitrag für die Verbreitung der GFK geleistet, der auch mich in meiner heutigen Arbeit als eine von drei CNVC zertifizierten GFK-Trainern in Italien und Teil eines wachsenden Netzwerks weiterhin sehr unterstützt.

Stille-Post-Transaktionen: Buchpräsentation auf der World Conference for Transactional Analysis

JechtKauka-Spielerisch_FINAL.inddVom 27. bis zum 29. Juli 2017 kamen in der TU Berlin 900 Transaktionsanalytiker*innen aus aller Welt zusammen. In Vorträgen und Workshops wurde das sehr aktuelle Tagungsthema „Boundaries – a place … to meet … to develop … to define identity” behandelt.

Rechtzeitig zu diesem Kongress war unser Buch „Spielerisch arbeiten“ von Gudrun Jecht und Elke Kauka fertig geworden, und so lag es nahe, diesen Band den zahlreich in Berlin versammelten Fachkolleg*innen vorzustellen.

Am Freitag, dem 28.7. – nach einem langen Kongresstag und vor einem weiter entfernt stattfindenden Festabend – fand sich eine erfreulich große Gruppe in dem uns zugewiesenen Hörsaal ein. Die an dem Buch Beteiligten mussten sofort erste Exemplare signieren und sich zu Gruppenfotos zusammenfinden. Neben Elke Kauka und Gudrun Jecht waren von den deutschen Autorinnen noch Eva Bräuning und Ulrike Thiersch-Jung anwesend, von der italienischen Autorenschaft war Stefano Morena gekommen – und er hatte eine ganze italienische TA-Delegation

Von links nach rechts: Stefano Morena, Elke Kauka, Eva Bräuning, Gudrun Jecht, Ulrike Thiersch-Jung

Von links nach rechts: Stefano Morena, Elke Kauka, Eva Bräuning, Gudrun Jecht, Ulrike Thiersch-Jung

mitgebracht.

Und dann begann die eigentliche Buchpräsentation, in der erstmals öffentlich in TA-Kreisen die neu entdeckte Stille-Post-Transaktion demonstriert wurde. Und das ging so:

Elke Kauka berichtete humorvoll, wie die Idee zu dem Buch entstanden war und wie dieses Buch-Baby auf die Welt gebracht wurde. Nach wenigen Sätzen hielt sie inne, der Blick ging zu Gudrun Jecht und diese übersetzte das vorher Gesagte ins Englische. Neben Gudrun Jecht stand der Dolmetscher der italienischen Delegation, der aus dem Englischen ins Italienische übersetzte.

Elke Kauka berichtete über ihr Zusammentreffen mit italienischen Kolleginnen und Kollegen und wie daraus die Idee dieser länderübergreifenden Kooperation entstanden sei. – Pause – Pause – Pause – und ein Blick zu Gudrun Jecht, die anscheinend ganz vertieft in das Berichtete ihren Übersetzungseinsatz verpasst hatte. Doch es gelang ihr, den Faden

Die Stille-Post-Transaktion: Vom Deutschen ins Englische ins Italienische (von rechts nach links)

Die Stille-Post-Transaktion: vom Deutschen ins Englische ins Italienische (von rechts nach links)

aufzunehmen und ihrem italienischen Nebenmann eine englische Vorlage zu liefern.

So verging die Zeit wie im Flug und am Ende wurden noch mehr Bücher signiert und weitere Fotos gemacht. Unbeantwortet blieb allerdings die Frage, ob am (italienischen) Ende tatsächlich das rauskam, was am (deutschen) Anfang in die Transaktionskette hineingegeben worden war. Die Stille-Post-Transaktion könnte also für den einen oder die andere zu einem interessanten Forschungsgebiet werden …