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Ulrike Hensel und Tom Falkenstein über … Hochsensibilität

Nachdem Ulrike Hensel bereits in der letzten Ausgabe der Beitragsreihe „Autor*innen im Video“ über ihre Arbeit als Coach für Hochsensible gesprochen hat, setzen wir mit dem heutigen Video nochmal einen Schritt früher an und beschäftigen uns mit der Hochsensibilität selbst.

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Ulrike Hensel über … ihre Arbeit als Coach für hochsensible Menschen

Circa 20 Prozent der Menschen gehören zu den hochsensiblen Personen (HSP), die ausgesprochen fein wahrnehmen, gründlich nachdenken und intensiv fühlen. Aufgrund ihrer von der Mehrheit abweichenden empfindsamen und empfindlichen Wesensart stehen sie vor einer Vielzahl von Herausforderungen und suchen entsprechend oft Unterstützung und Orientierung in einem Coaching.

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Hochsensibilität: ein Interview mit Ulrike Hensel zu ihrem Buch „Mit viel Feingefühl“

Man nennt sie „empfindlich“, „dünnhäutig“ oder auch „Mimosen“ und sie sind beileibe keine verschwindend kleine Minderheit: Etwa 15 bis 20 Prozent aller Menschen sind hochsensibel. Ihr Nervensystem ist leichter irritierbar und sie reagieren empfindlicher auf Reize aus der Umwelt. In ihrem Buch „Mit viel Feingefühl“ beschreibt Ulrike Hensel das gar nicht so seltene Phänomen Hochsensibilität. Im folgenden Interview mit der Autorin geht es um Schwierigkeiten, aber auch um positive Aspekte des Hochsensibel-Seins.

 

Woran merkt man, dass man hochsensibel ist? Woran haben Sie es gemerkt?

Ulrike Hensel

Ulrike Hensel: Ein wesentlicher Hinweis ist, dass man alle Sinneseindrücke offenbar intensiver wahrnimmt als die meisten anderen Menschen. Zum Beispiel blenden einen Halogenlichter unangenehm, die andere dekorativ finden; oder es zieht einem vom offenen Fenster her, wenn die anderen sich noch pudelwohl fühlen; die Musik im Restaurant stört einen beim Gespräch, während sie anderen nicht einmal auffällt; der Wollpulli kratzt unerträglich, andere hingegen finden sogar einen Mohair-Schal kuschelig; der Krimi mit Gewaltszenen schlägt einem aufs Gemüt, andere haben einfach Spaß an der spannenden Handlung. Man merkt es auch daran, dass man sich vieles sehr zu Herzen nimmt. Die kleine Meinungsverschiedenheit mit einem Freund geht einem tagelang nach; die gedrückte Stimmung des Partners schwappt sogleich auf einen über; viele Leute kommen einem grob und rücksichtlos vor. Häufig fühlt man sich unverstanden und verkannt.

Woran ich es auch merkte: Man sagte mir so oft, ich sei „überempfindlich“. Von klein auf fühlte ich mich auf unerklärliche Weise anders, war in Gruppen Gleichaltriger irgendwie außenstehend. Immer schon war ich extrem geräuschempfindlich und leicht genervt von allerlei Dinge, die die Menschen hörbar tun. Mir fällt dabei im Moment als eines von unzähligen Beispielen das Kugelschreiberschnipsen ein, das mich bereits zu Schulzeiten enorm störte. Und: Mir war es schon immer leicht zu kalt, zu heiß, zu windig, zu stickig, zu hell, zu laut, zu hektisch, zu fordernd, zu strapaziös. Mein Wohlfühlbereich ist in vieler Hinsicht sehr klein, das fiel den Menschen in meiner Umgebung immer wieder auf.

 

Es scheint einen permanenten Zuwachs an Symptomen, Syndromen, Diagnosen zu geben. Für die einen erscheint es als kluger Schachzug der Pharmaindustrie; für Betroffene scheint es immer sehr erleichternd zu sein, wenn ihr Leiden einen Namen hat. Das beschreiben auch Sie in Ihrem Buch. Wie ist dieser Effekt zu erklären

Ulrike Hensel: In der Tat gibt es psychiatrische Diagnosen zuhauf und den Trend zur Pathologisierung von Zuständen und Erscheinungsbildern, die eigentlich völlig im Rahmen des „Normalen“ liegen. Daher bin ich auch bemüht, die Begriffe „Symptom“, „Diagnose“ und „Betroffene“ im Zusammenhang mit Hochsensibilität zu meiden, weil man diese Wörter üblicherweise mit Anomalien, Krankheiten und psychischen Störungen verbindet. Genau aus dieser Ecke möchte ich den anlagebedingten Wesenszug Hochsensibilität herausholen. Ich hoffe inständig, dass die Pharmaindustrie die Hochsensiblen nicht als Zielgruppe entdeckt und am Ende noch eine „Wunderpille“ gegen „Dünnhäutigkeit“ herausbringt. 15-20 Prozent der Menschen haben nun mal anlagebedingt ein leichter irritierbares Nervensystem. Das belegen auch entsprechende neurologische Studien. Aus dieser Konstitution des Nervensystems ergibt sich ihre feinfühlige Wahrnehmung, ihre höhere Empfindsamkeit und auch ihre erhöhte Reaktivität – eben ihre hohe Empfindlichkeit. Das lässt sich jedoch genauso wenig verändern wie zum Beispiel die Körpergröße.

Wenn das, was einem bei sich selbst absonderlich vorkommt und einen in Selbstzweifel gestürzt hat, auf einmal einen Namen und Anerkennung bekommt, ist das eine enorme Erleichterung. Das eigene Erleben kann ganz neu eingeordnet und besser angenommen werden, das Selbstwertgefühl kann gesunden.

 

Ist Hochsensibilität eher eine Last oder ein Geschenk? – Mir fällt auf, dass es zu den negativen Begleiterscheinungen einen halbe Seite in Ihrem Buch gibt, zu den positiven fast zwei Seiten …

Ulrike Hensel: Es ist ein klarer Fall von sowohl als auch. Ob man die Hochsensibilität mehr als Belastung oder mehr als Befähigung empfindet, hängt von der Einstellung des Einzelnen, von den persönlichen Lebensumständen und von der jeweiligen Situation ab. Bin ich auf einem Volksfest inmitten von Menschenmassen, umgeben von einer Mixtur aus Lichtreizen, Geräuschen und Gerüchen, dann wird die intensive Wahrnehmung schnell zur Last. Befinde ich mich auf einer frühsommerlichen Wiese, ist sie ein wunderbares Geschenk, weil ich mich an der vielfarbigen Blütenpracht, dem Duft der Blumen, dem Gezwitscher der Vögel, dem leichten Hauch des Windes auf der Haut zutiefst zu erfreuen vermag.

Einige Aspekte, wie die Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen, gehören meines Erachtens eindeutig in die Rubrik „Belastungen und Begrenzungen“. Viele Eigenschaften, die ich unter der Überschrift „Begabungen und Befähigungen“ aufführe, tragen die ganze Bandbreite von „positiv“ bis „negativ“ in sich. Nehmen wir als Beispiel den Blick fürs Detail und die Fähigkeit zu differenzieren. Das ist eine nützliche Gabe, die einen gründlich und sorgsam zu Werke gehen lässt. Sie kann allerdings auch hinderlich sein, sofern man sich unangemessen in Einzelheiten verliert und nicht zum Ende kommt. Vor lauter Streben nach Vollkommenheit rutscht man womöglich in den Perfektionismus.

 

Burnout ist in aller Munde und Hochsensible scheinen hier besonders gefährdet. Trifft das zu?

Ulrike Hensel: Ja, ich denke schon, insbesondere dann, wenn sie sich ihrer Wesensart und ihrer Belastungsgrenzen nicht bewusst sind. Ich möchte betonen: Hochsensible sind durchaus sehr leistungsfähig, brauchen aber – mehr noch als andere – ein wohltuendes Umfeld und immer wieder ausreichend Phasen der Regeneration. Die moderne Zeit mit der Forderung nach ständiger Erreichbarkeit und Verfügbarkeit macht ihnen sicherlich noch mehr zu schaffen als anderen. Ihr ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, ihr hoher Anspruch an sich selbst und das Bestreben, es anderen recht zu machen, lassen sie allzu leicht über ihre Grenzen gehen. Man kann wohl sagen, dass alle Faktoren, die generell zu Burnout führen können, bei Hochsensiblen noch ein Stück schwerer wiegen.

 

Die Gewaltfreie Kommunikation scheint für Sie eine wichtige Rolle zu spielen. Was macht sie so „attraktiv“ für Hochsensible?

Ulrike Hensel: Die Gewaltfreie Kommunikation gibt Denkweisen und Sprachmuster an die Hand, die auf gegenseitiger Einfühlung, Akzeptanz und Wertschätzung beruhen. Für Hochsensible scheint mir die „Sprache des Lebens“, die eine Verbindung von Herz zu Herz ermöglichen will, geradezu wie geschaffen. Dass Empathie in der GFK groß geschrieben wird, entspricht den natürlichen Stärken Hochsensibler. Zu lernen, wie man noch mehr Augenmerk auf die eigenen Bedürfnisse richtet und klare Bitten äußert, ist für Hochsensible überaus nützlich. Schließlich scheint mir die GFK in besonderer Weise geeignet, Brücken zu schlagen zwischen Hochsensiblen und Nicht-Hochsensiblen. Ein Anliegen, das ich auch mit meinem Buch verfolge.

 

In diesem Video können Sie die Autorin selbst über Ihr Buch sprechen hören und sehen.