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Podcast-Folge 33: Apropos … Ärger!

Der Sohn hat sein Zimmer wieder nicht aufgeräumt, die Freundin verschiebt das Treffen zum zigsten Mal oder man selbst will es sich gerade auf der Couch gemütlich machen und stößt die volle Tasse Kaffee um … Irgendetwas gibt es ja immer, was uns nervt, unsere Gewohnheiten stört oder richtig wütend macht!  Wie können wir lernen mit Konflikten oder Anlässen, die uns zum Ärgern bringen, so umzugehen, dass wir gelassener durchs Leben gehen? Weiterlesen

Buch des Monats

Buch des Monats – Dezember 2021: „Das Anti-Ärger-Buch“ von Barbara Gerhards

Der tägliche kleine und große Ärger raubt uns Energie, Zeit und Lebensqualität. Was für viele zum Alltag dazugehört und als „völlig normal“ gilt, kann sich jedoch schnell auf unser Wohlbefinden und unsere mentale Gesundheit auswirken. Coachin, Trainerin und Speakerin Barbara Gerhards zeigt in ihrem „Anti-Ärger-Buch“, dass es auch anders geht. Denn: Sich weniger zu ärgern, kann man lernen!
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Borderline – das Chamäleon unter den psychischen Störungen?!

An einer Borderline-Störung leiden nach offiziellen Angaben etwa ein bis fünf Prozent der Bevölkerung. Das Wissen über das Erkrankungsbild ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Es gilt inzwischen als gesichert, dass ein Zusammenspiel zwischen genetischen Faktoren und (oftmals) frühen traumatischen Erfahrungen für die Entstehung verantwortlich ist.

Viele Betroffene leiden unter den Symptomen, ohne zu wissen, dass sie krank sind. Unser Autor Dr. Michael Armbrust gibt einen Einblick in das (Er-)Leben eines Borderliners und zeigt Hilfsmöglichkeiten auf.


Borderline oder nicht? Das ist hier die Frage …

Von Dr. Michael Armbrust

 

„Du regst dich immer unglaublich auf!“

„Manchmal bist du von einem Moment auf den anderen ungenießbar!“

„Warum bist du eigentlich immer so misstrauisch allen gegenüber?“

„Deine Launen hält niemand aus!“

 

Manche Menschen werden überdurchschnittlich häufig mit solchen Vorwürfen konfrontiert.

 

„Eigentlich habe ich außer meiner Arbeit nichts vom Leben.“

„Ohne meinen Partner käme ich gar nicht klar.“

„Alle Menschen sind immer ganz gemein zu mir.“

„Eigentlich fühle ich mich nirgends zugehörig.“

„Mein Scheißleben sollte einfach irgendwie beendet sein!“

 

Und manchen Menschen schießen solche Gedanken überdurchschnittlich häufig durch den Kopf.

 

Beides – die Reaktionen der Umwelt und auch das eigene Innenleben – könnte ein Hinweis darauf sein, dass diese Menschen krank sind, und zwar oftmals, ohne es zu wissen. Die mögliche Diagnose: Borderline-Syndrom.

Manche nennen die Störung auch das Chamäleon unter den psychischen Störungen, weil sie schwer zu fassen ist – für Betroffene und deren Umwelt ebenso wie für die Fachleute.

Offiziell spricht man von einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, die folgendermaßen definiert wird:

Es bestehen tiefgehende und situationsübergreifende Verhaltensmuster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Gefühlen, außerdem eine deutliche Impulsivität. Fünf der nachfolgenden Symptome müssen vorliegen:

  1. Reales oder befürchtetes Verlassenwerden muss unbedingt vermieden werden.
  2. Zwischenmenschliche Beziehungen werden instabil, aber intensiv geführt. Die Bezugsperson wird wechselnd idealisiert oder abgewertet.
  3. Es besteht eine ausgeprägte Instabilität des Selbstbildes, auch der Selbstwahrnehmung.
  4. In mindestens zwei Lebensbereichen tritt impulsives selbstschädigendes Verhalten auf (Essstörungen, rasantes Fahrverhalten, unvorsichtiges Sexualverhalten etc.)
  5. Suizidversuche oder -drohungen sowie Selbstverletzungsverhalten treten wiederholt auf.
  6. Gefühle und Stimmungen sind instabil und wechseln meist innerhalb von Stunden.
  7. Es besteht ein chronisches Leere-Gefühl.
  8. Unangemessene Wutausbrüche treten auf, und es besteht die generelle Schwierigkeit, Wut zu kontrollieren.
  9. Durch Belastungen werden vorübergehend misstrauische Vorstellungen ausgelöst oder starke dissoziative Symptome. Letzteres meint Erlebnisveränderungen wie ein Neben-sich-Stehen, Änderungen in der Sinneswahrnehmung oder Trancezustände.

All diese Symptome treten auch bei gesunden Menschen gelegentlich auf, sodass einfache Ja-/Nein-Antworten nicht ausreichen, um die Diagnose zu stellen. Auch ist dringend von einer Selbstdiagnose abzuraten. Dazu bedarf es einer wesentlich intensiveren Auseinandersetzung mit der Thematik und der eigenen Biografie, in der Regel im Rahmen einer Diskussion mit einem kompetenten Gesprächspartner. Es muss nämlich nicht nur das Auftreten bestimmter Symptome an sich, sondern auch das Ausmaß des Verhaltens geprüft werden.

Darüber hinaus bleibt zu klären, ob eine andere psychische Störung der Grund für das problematische Verhalten sein kann.

Beruflicher Erfolg als „Symptom“ der Störung?!

Nicht selten sind Menschen mit Borderline beruflich recht erfolgreich. Ihr Weg führt sie aber trotzdem – oder gerade deshalb – immer wieder in Sackgassen. Beispielsweise ist der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik aufgrund einer Erschöpfungsdepression nicht selten. Weil sie sich völlig verausgabt, weil sie selbstschädigend gearbeitet haben. Ihr Motto lautet: maximaler Einsatz! Überstunden und zu wenig oder gar keine Pausen sind selbstverständlich. Und dennoch finden sie keine Befriedigung, da die Arbeitsleistung „nie reicht“, nie gut genug ist. Dies hängt mit der für diese Störung typischen ausgeprägten Selbstwertproblematik zusammen.

Funktionieren als Lebenszweck

Studien haben ergeben, dass es für Menschen mit einer Borderline-Störung – und folglich großen Identitätsfindungsproblemen – symptomatisch ist, sich in einen Funktionszustand (meist im beruflichen Kontext) zu „flüchten“ und so den Problemen in anderen Lebensbezügen zu entgehen. Dieser Funktionszustand kann auch in der Mutterrolle erfolgen oder in anderen Rollenmodellen. Auch eine Karriere als Sportler oder Balletttänzerin passt hier gut ins Bild.

Entscheidend ist, dass die soziale Rolle möglichst vordefiniert ist, dass sie „nur“ perfekt ausgefüllt werden muss, aber keine eigene Gestaltung erfordert. Dazu wäre es nämlich nötig, sich selbst zu kennen und wertzuschätzen, dass man weiß, was man will, und vor allem mit seinen Gefühlen und Impulsen umgehen zu können. Genau das jedoch nicht zu können ist das Grundproblem bei der Borderline-Störung.

Borderline – die verkannte Krankheit?

Etliche Betroffene sind schon im Jugendalter auffällig und beginnen früh mit der richtigen Behandlung. Ein beträchtlicher Anteil lebt jedoch eher unauffällig bis ins junge und mittlere Erwachsenenalter hinein und führt ein nach außen halbwegs „normales“ Leben. Sie sind sich der tiefgehenden Störung nicht bewusst, da sie ein Leben ohne die krankheitsbedingten Probleme gar nicht kennen. „Es war schon immer so“, und gegen auftretende Symptome wurden wirksame Strategien der Ablenkung entwickelt: Ablenkung vom aktuell unangenehmen Erleben, aber auch Ablenkung und Vermeidung von Selbstwahrnehmung, insbesondere von den eigenen Gefühlen.

Psychosomatische Behandlung als Selbstentdeckung

Viele Betroffene dieser Störung werden erst in einer ambulanten Psychotherapie oder sogar während einer stationären psychosomatischen Behandlung mit der möglichen Diagnose Borderline konfrontiert. Der ursprüngliche Grund für die ärztliche Konsultation sind oft Depressionen, meist kombiniert mit Erschöpfungssymptomen infolge des hohen Einsatzes und der immensen Anpassungsleistung. Niemand soll merken, wie schlecht es ihnen geht. Auch sie selbst möchten es weder spüren noch wahrhaben.

Früher oder später reichen aber die seelischen und körperlichen Kräfte nicht mehr aus, um das Versteckspiel fortzuführen. Manche „tapfere“ Betroffene „schaffen“ es bis in ihre 40er-Jahre, bevor sie „aufgeben“ müssen. Die dann geforderte sogenannte Radikale Akzeptanz, dass „es ist, wie es ist“, und es nun nicht weitergeht, ist ein wesentlicher Teil zu Beginn der Therapie.

Nur Depressionen?

Infolge der seelisch wie körperlich sehr unausgeglichenen und phasenweise extremen Lebensweise kommt es neben den Depressionen auch zu anderen Folgeerscheinungen. Häufig entwickeln sich Angststörungen, vor allem soziale Ängste, Essstörungen oder ein Missbrauch von Substanzen, um die Rollenfunktion aufrechtzuerhalten und die störenden Gefühle wegzudrücken.

Ist Borderline eine Krankheit?

Das Borderline-Syndrom gehört zu den Persönlichkeitsstörungen, die vom Kern her besser Persönlichkeitsentwicklungsstörung genannt werden sollten. Der Begriff Störung bezieht sich dabei auf die „Abweichung von der soziokulturellen Norm“: Die Betroffenen zeigen also Verhaltensweisen, die sich deutlich von den gesellschaftlich vorgesehenen und akzeptierten Verhaltensmustern unterscheiden. Das betrifft Abweichungen in der Regulation der Gefühle, der Beziehungen und der Identitätsbildung. Da die Betroffenen selbst darunter leiden, erhält dieses Symptommuster eine Krankheitswertigkeit.

Die Persönlichkeitsentwicklung ist ein kompliziertes Feld und ein eigenständiger Bereich in der wissenschaftlichen Psychologie. Menschen sind unterschiedlich, und ihre jeweilige Entwicklung ist es auch. Kategoriale Denkansätze („Schubladen“) führen hier eher ins Leere.

In der Psychologie gelten dimensionale Ansätze. Diese erfordern viele Diskussionen und Abstimmungen, erlauben aber eine individuelle Erfassung der Persönlichkeitsentwicklung. Erst wenn ein längeres Leiden auftritt, wird eine Störungsqualität gemäß der oben genannten Abweichung diskussionswürdig, denn emotional-instabile Phasen treten temporär auch im Rahmen einer „normalen“ Entwicklung auf, etwa in der Trotzphase und der Pubertät.

Borderline? Das sind doch die, die sich ritzen

So denken sehr viele Menschen, auch solche mit professioneller Ausbildung. Das klischeehafte Bild vom ritzenden Borderliner muss jedoch revidiert werden. Erkenntnisse auf Basis psychiatrischer und psychotherapeutischer Angebote machen deutlich: Gut ein Drittel der Betroffenen haben mit Selbstverletzungsverhalten keine oder nur sehr kurze Erfahrungen. Eine Senkung der inneren Anspannung – das Hauptmotiv für selbstverletzendes Verhalten – wird mit anderen Techniken erreicht. Techniken, die ebenso ungünstig oder schädigend, aber dafür gesellschaftlich akzeptiert und toleriert sind. Exzessives Arbeiten oder hoher Alkoholkonsum gehören dazu.

Gibt es typische Borderliner?

Nein, da es nur ein gemeinsames Merkmal gibt: die emotionale Instabilität. Diese äußert sich in Stimmungsschwankungen, die gar nicht nach außen dringen müssen, und in einer Impulskontrollstörung, die oft durch anderes Verhalten gedeckelt oder versteckt ist. Das nach außen gezeigte Verhalten kann sehr vielfältig oder sogar variabel sein. Manchmal sind die Betroffenen selbst von sich und ihren starken negativen Impulsen überrascht, etwa wenn sie an Gewicht zunehmen, einen Job verlieren oder den Sport reduzieren müssen.

„Borderliner sind ganz schrecklich!“

Diese vor 30 Jahren in der Psychiatrie entstandene und gerne nach wie vor von den Medien verbreitete Vorstellung ist falsch. Vor allem weil es damals, als die Diagnose eingeführt wurde, noch keine effektiven Behandlungsmethoden gab, waren die professionellen Helfer überfordert und reagierten unangemessen. Die genannte Abwertung der Betroffenen begründet sich also weniger am realen Krankheitsbild, sondern reflektiert viel mehr die Hilflosigkeit der Fachleute und die Schwierigkeiten bzw. Missverständnisse, die als Folge der damaligen Rahmenbedingungen der Psychiatrie auftraten.

Gibt es Hilfe und Unterstützung?

Spätestens in den 90er-Jahren wurden die ersten psychotherapeutischen Methoden zur Behandlung dieser Störung entwickelt. Störungsspezifische Medikamente gibt es bis heute nicht. Die heute als bewährt geltenden Therapiemaßnahmen werden seit etwa zehn Jahren in vielen psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken angeboten, in der ambulanten Versorgung leider noch eher spärlich. Einen besonders wichtigen Stellenwert hat die Selbsthilfe, die auch online betrieben werden kann.

Die Prognose der Störung hat sich erheblich verändert: Heutzutage ist ein symptomfreies Leben durchaus realistisch. Der deutliche Rückgang von Fehlverhalten, insbesondere des selbstschädigenden, eine vollschichtige Arbeitsfähigkeit und eine relativ normale Beziehungsfähigkeit sind inzwischen für viele Betroffene gelebter Alltag. Wichtig dafür sind eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung und eine störungsspezifische Behandlung, bevor zu viele sekundäre Folgen aufgetreten sind, wie z.B. das Scheitern von Ausbildungen, kontinuierliche Einnahme von Substanzen oder sich wiederholende depressive Phasen.

Auch eine möglichst breite und vorurteilsfreie Aufklärung in der Bevölkerung ist wichtig, um den Betroffenen Scham und Selbstabwertung zu ersparen und insbesondere das (Über-)Leben in den oben beschriebenen Funktionszuständen zu verhindern.

Was kann man selbst tun?

Wenn Sie diesen Beitrag gelesen haben und einen der eingangs aufgeführten Vorwürfe und Gedanken aus Ihrem eigenen Leben kennen oder in Verbinung mit einem anderen, Ihnen nahestehenden Menschen, könnte es ein Hinweis darauf sein, dass eine emotionale Instabilität vorliegt, die möglicherweise jetzt schon belastend ist oder später ein Leiden mit sich bringen wird.

Für sich selbst sollten Sie möglichst ehrlich überlegen, ob Ihre Gefühlsreaktionen möglicherweise öfter zu stark sind und ungemessenes Verhalten bedingen. Dann könnten Sie die oben genannten Symptome für sich kritisch überprüfen.

Mit einer anderen Person, die Ihnen wichtig ist, sollten Sie das Gespräch über deren Verhalten suchen und Ihre Eindrücke mitteilen, auch andeuten, dass möglicherweise ein tiefergehendes Problem besteht, das professioneller Unterstützung bedarf.

Wenn sich die Vermutung erhärtet, sollten Sie eine ärztliche Untersuchung und ggfs. Behandlung in Betracht ziehen.

Ein abwartendes Verhalten, insbesondere im spätpubertären Alter, ist möglich. Zu lange sollte eine Konsultation mit einem Arzt aber nicht auf sich warten lassen, da es inzwischen als gesichert gilt, dass die Störung sich nicht von alleine bessert, sehr wohl jedoch mithilfe gezielter Behandlung.

 

Armbrust_Foto 22.5.2015  Über den Autor

Dr. med. Michael Armbrust ist Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt. Zusammen mit Anja Link, Mitbegründerin des Borderline-Trialogs und der Borderline-Trialog Kontakt- und Informationsstelle in Nürnberg, hat er 2015 das Buch „Borderline im Trialog: Miteinander reden – voneinander lernen“ bei Junfermann publiziert.

 

 

Great, big, fantastic: Wenn Narzissmus gefährlich wird …

„The Donald“ – Folgen des Narzissmus

Von Dr. Pablo Hagemeyer

Zurzeit versuchen viele Menschen „an der Oberfläche“ abzulesen, was dieses oder jenes Verhalten von „The Donald“ (Tenenbom 2016, Johnston 2016) wohl zu bedeuten habe. Und dabei kann man ein gewisses Anbiedern beobachten, denn Zuschreibungen wie „rasches Arbeitstempo“ (Horst Seehofer, SZ-Artikel vom 29.1.2017) oder „interessantes Experiment“ (Richard D. Precht bei „Jung & Naiv“) sind gefährliche Beschönigungen und verharmlosen das, was aus meiner Sicht als maligner (bösartiger) Narzissmus wissenschaftlich und faktisch definiert ist (nachzulesen bei dem berühmten Psychoanalytiker Otto Kernberg [2016], der 1928 geboren und somit einer der wenigen Überlebenden der Shoa ist). Noch zu vage ist da die Aussage von Journalist Elmar Theveßen (2017): „Psychologen glauben, bei Trump einen bösartigen Narzissmus zu erkennen.“ Psychiater und Psychologen messen und erfassen „Zahlen, Daten, Fakten“ aufgrund wissenschaftlicher Methoden und fundierter persönlicher Erfahrungen im Fachgebiet. Psychologen glauben also nicht, sie haben zuverlässige Werkzeuge zur Erhebung wichtiger Parameter (z. B. Fragebögen zu Psychopathie oder Kriterien nach DSM oder ICD). John Gartner, Psychotherapeut in New York und Baltimore, brach als einer der Ersten das Schweigen und beschrieb POTUS Donald Trump als einen malignen Narzissten. Er gründete eine Facebook-Gruppe sowie eine Petitionsgruppe: „Trump is mentaly ill and must be removed“ (2016).

Aber was bedeutet eigentlich Narzissmus? Was ist ein narzisstisch „gestörter“ Mensch? Ich möchte versuchen, 100 Jahre Narzissmus-Forschung in ein paar Zeilen zusammenzufassen. Dafür werde ich psychologische Sichtweisen zusammentragen, die Narzissmus beschreiben: Ursachen, Wirkung auf und Folgen für andere Menschen, die mit einem Narzissten zu tun haben, und wie mit einem Menschen mit narzisstischer Störung umzugehen sei. Und warum es schwer für Narzissten ist, die Wahrheit auszusprechen, und sie deshalb in Folge „verbrannte Erde“ zurücklassen. Denn bösartiger Narzissmus hat weitreichendere Auswirkungen als oftmals angenommen: Er zerstört Menschlichkeit, Empathie und soziale Strukturen.

Für den ausgeprägten Narzissten gibt es nur die eine Welt, nämlich die eigene. Es gilt nur seine Wahrnehmung, nur die eine Wahrheit: seine eigene. Narzissten haben kein Mitgefühl, weil sie kein Konzept des Andersdenkenden haben. Narzissten haben kein Selbstmitgefühl. Sie operieren nach einem neu erschaffenen Konzept (Pseudo-Selbst, Größen-Selbst, z. B. nach Kohut), seit Jahrzehnten erfolgreich in ihnen gefestigt. Orientiert an Idealen wie Größe, Perfektion, Erfolg, Liebe, Schönheit oder Glück und Reichtum, die aber in einem unrealistischen Maß eingefordert werden. Die Ausrichtung an diesen übersteigerten Idealen überdeckt die tief im Inneren liegenden Verletzungen und die Trauer, überdeckt das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und die Mangelzustände. Narzissmus ist wie eine seelische Geheimorganisation. Bedroht Kritik ihr Überleben, zeigt sie sich plötzlich – und schonungslos: Gerät eine narzisstische Seele unter großen Druck, reagiert sie mit zerstörerischer Wut.

Woher kommt diese Wut? Dieser tiefe Zorn ist der des Kindes, das der Narzisst einst war. Jeder Mensch durchläuft in seiner psychologischen Entwicklung sensible Phasen (Freud in Fromm 1984, Kohut 1976, Balint 1960). In diesen erkennt das heranwachsende Kind eigene Mängel. Das schmerzt. Es zerstört tief im Innersten ein erträumtes kindliches Paradies. Erschüttert den kindlichen Glauben an die eigene Allmacht und Sicherheitsfantasien. Jungs sind hier leichter verletzbar als Mädchen. Kränkung, Enttäuschung und Entwertung sind die heftigen Gefühle in der Seele des Kindes. Normalerweise gelingt es dem psychisch gesunden Kind, in einer normalen sozialen/familiären Umgebung diese Schwelle zu bewältigen. Wird die Verletzung des Kindes selbst erkannt, verortet es sich in der Normalität: Ich mag mich mit meinen Schwächen und mit meinen Stärken. Dann meistert es diese Selbstwert-Schwelle. Bekräftigt wird diese Botschaft an das Ich durch die positive Verstärkung der Bezugspersonen: Du bist okay! Wird das Kind wegen seiner Schwächen und Defizite nicht mehr geliebt, weniger gemocht, als doof ausgegrenzt oder in seinem Leiden als schwach ignoriert, durch Eltern, Freunde, Geschwister oder andere nahe Bezugspersonen, festigt sich folgende Überlebensstrategie in der jungen Seele: Nur wenn ich ständig nach Höchstleistung und nach großen Idealen strebe, bekomme ich die Anerkennung durch Zuwendung und Liebe von anderen Menschen und habe das Gefühl, wertvoll und geliebt zu sein. Ich werde bekämpfen, was diesen Masterplan bedroht, und ich werde strebsam das verfolgen, was mir Anerkennung verspricht. Denn ich glaube daran, dass es das Ideal gibt, ich will es erreichen und damit meine eigenen Schwächen bedecken und verkleinern. Ich will weder doof noch schwach sein. Nie mehr im Leben will ich entwertet, gedemütigt oder so verletzt werden wie zu jener Zeit, als ich ein kleiner Junge war.

Fortan, nach diesem starken Versprechen dem eigenen Selbst gegenüber, wächst in der Psyche dieses Menschen ein Programm heran, das die eigenen Schwächen verdeckt und ein umso größeres, strahlenderes und erfolgreicheres Selbst wachsen lässt. Dieses zweite Selbst wird eine vom schwachen Selbst neu konstruierte Realität (Kohut 1976, Altmeyer 2000). Dieses zweite größere Selbst, ein künstlich erschafftes Selbst, umgibt wie ein großer Mantel den einsamen, verkümmerten und trauernden, wütenden „Kern“.

Im Laufe der weiteren Entwicklungsjahre findet Wachstum statt. Der Mensch reift, wird im Beruf erfolgreicher, gründet eine fantastische Familie. Der narzisstische Mensch strebt fortan nach Anerkennung und Bestätigung für das größere Selbst, während ihn im Innersten der „alte“ Zweifel antreibt. Obwohl schon alles da ist, was für ein sehr gutes Leben nötig wäre. Denn da ist diese Gier. Und der Stolz. Immer mehr wird dieses Super-Ich zur gelebten Realität, und bald ist das innere kleine Ich vergessen. Unbewusst und unbemerkt festigt sich das Selbst in diesem großen Pseudo-Selbst.

Narzissten umgeben sich gern mit anderen Narzissten, um als Gruppe noch erfolgreicher zu sein. Sie finden sich in Gemeinschaften zusammen, die nach Erfolg und anderen Idealen streben, hungrig nach Anerkennung, durstig nach Bestätigung. Meist in solchen gesellschaftlichen Strukturen, die assoziiert sind mit Erfolg, Reichtum, Anerkennung und Bestätigung. Strukturen wie sie große Firmen bieten. Stark hierarchisierte Strukturen. Auch in der Medizin sind viele Narzissten anzutreffen, in Vorständen von Unternehmen, im Bankenwesen – in all jenen Strukturen also, in denen es um etwas geht, das letztendlich unerreichbar ist: um fragliche Ideale, die gnadenlos und gierig verfolgt werden.

An dieser Stelle lohnt es sich, zu differenzieren. Denn (gesunder) Narzissmus gilt als eine der stärksten Triebfedern, um auch im besten und guten Sinne erfolgreich zu sein (Fiedler 2000). Zum (gesunden) Narzissmus gehört der Ehrgeiz, Talente auszubilden und nach Verbesserung zu streben. Aber was lehren uns die Geschenke der Begabung und der Talente? Im Loslassen und Sichhingeben besteht der einzige Einstieg in wahre Größe. „Heldenhaftes“ Handeln wird erreicht, wenn sich der Mensch für Größeres hingibt, das über ihn hinausreicht (Campbell 1999). Dankbarkeit, Demut und Gnade sind die Tugenden, die zu wahrer Menschlichkeit gehören, ebenso wie Liebe, Mitgefühl und Schutz für die Schwächeren. In der Begegnung (Buber 2005). All diese Eigenschaften sind dem stark narzisstischen Menschen fremd. Denn dieser lebt ausschließlich im Selbstbezug. Aus sich heraus entwirft er einen Maßstab, der für die Welt gelten soll, entwirft er die ganze Welt. Statt sich dem Maßstab des Normalen anzupassen, dreht die narzisstische Person den Spieß um und überhöht sich, stellt sich über die Norm. Was andere als Norm wahrnehmen, existiert für den Narzissten nicht. Die Wahrnehmung der Realität ist durch das Strahlen und Glänzen des eigenen großen Selbst gestört. Das eigene Selbst strahlt wie eine große Sonne, in dessen Umfeld vor lauter Licht kein Schatten ist. Narzissmus ist die Störung, an der andere mehr leiden als der Narzisst selbst. Sie ist synton und daher ist der Narzisst blind für seine Störung.

Beobachtungen aus Großunternehmen zeigen, wie narzisstische Führungspersonen, die zunächst Großes versprechen, nach ihrem Ausscheiden zerstörte unternehmerische Strukturen zurücklassen (Beispiel Winterkorn und der VW-Abgasskandal). „Starke“ Persönlichkeiten wie die narzisstischen werden hofiert und gefördert. Nur selten kommen „Industrie-Patienten“ (Angestellte, auch in Leitungspositionen, die durch zu hohe Leistungserwartungen ihrer Unternehmen psychisch erkranken; Michael Seyfried 2016, persönliche Mitteilung) zu der Einsicht, dass Narzissmus zerstört und eben kein Garant für Wachstum ist. Denn im Umfeld strahlender Selbstbezogenheit gedeihen nur weitere narzisstische Menschen und ebensolche Verhaltensweisen: keine Empathie, keine (Selbst-)Reflexion, keine Fehlerkultur, keine Offenheit für das Anderssein. Alles, was nicht in diese eine Welt der Selbstbezogenheit passt, wird aufgegeben, verlassen und ausradiert. Auf der Strecke bleiben sensible, empathische, leidende Menschen. Menschen mit anderen Neigungen und Stärken werden im Licht der Selbstbezogenheit nicht mehr gesehen.

So weit, so „gut“. Narzissmus ist also ein starkes Überlebensprogramm (Fiedler 2000, Sulz 2003). Und tatsächlich werden selbstbewusste Menschen von anderen Menschen idealisiert. Viele Menschen, die schwach und ratlos sind, stellen den Narzissten auf ein Podest. Bewundern dessen Charakter, dessen Stärke, Robustheit, Größe, Erfolg, Reichtum. Es folgen Anerkennung und Würdigung dieser „Leistungen“. In geschlossenen Systemen, wie es Unternehmen sind, funktioniert das bisweilen.

Auch „The Donald“ wurde erfolgreich, auch er wird von seinen Anhängern bewundert, weil er Menschen einstellte und für sich zu nutzen wusste, die „klüger als er waren“ (Kiyosaki 2011), und so Reichtum anhäufen konnte. Und weil er mit dem Geld seiner Familie „im eigenen Sandkasten“ weiterspielen durfte. Dieses „Sandkastenspiel“ ist typisch für den Narzissten: Wehe, ein anderer Junge will mitspielen! Nur der darf mitspielen, der nach den Regeln des „Sandkastenclubs“ spielt. Spielt jemand gegen diese Regeln, fliegt er raus. Ganz gleich, ob es eine gute Zeit des Miteinanderspielens gab. Nur Mitspieler, die die Art des Narzissten zu spielen anerkennen und toll und super und großartig finden, sind eingeladen mitzuspielen: Eine Einladung zur Unterwerfung vor dem größeren Narzissten, um in seinem Glanz ebenfalls ein wenig zu glänzen und mitzuspielen (Wardetzki 2001).

Die Freude, dabei sein zu dürfen, ist zunächst groß und von Erfolg gekrönt (Musk & Vance 2015). Nur, was geschieht, wenn sich zu dieser Überlebensstrategie noch andere Narzissten gesellen, die andere Ideale verfolgen? Etwa Rassismus? Bliebe der Narzissmus in einer leichten bis mittleren Ausprägung, wäre damit gut umzugehen. Doch „übersteuert“ die narzisstische Selbstbezogenheit, wachsen narzisstische Sehnsucht und Streben nach Idealen, wird diese Kraft mehr und mehr zerstörerisch, weil inhuman. Die komplizierte, vielfältige menschliche Natur wird durch die Ausrichtung an einem einzigen idealisierten Maßstab, die dem Narzissten eigen ist, radikal vereinfacht. Die Ausrichtung auf einen einzigen idealisierten Glauben oder auf eine einzige idealisierte Rasse oder Wahrheit zerstört die wundervolle Vielschichtigkeit der menschlichen Natur. Nur liegt dem einseitigen Geist des Narzissten dies besonders. Die Welt im Sandkasten ist einfach. Und die simplifizierte Weltsicht eines Donald Trump offenbart das Defizit, nicht über den Zustand des spielenden Kindes im Sandkasten hinausgekommen zu sein. Statt das Leben als Geschenk zu sehen und es mit Liebe und Güte zu bewältigen, gerät der narzisstisch verwaiste Mensch bereits bei normalen Schwierigkeiten in einen Überlebenskampf.

Weil die Ideale des Narzissten einfach und wenig differenziert sind – great, big, fantastic –, ähneln sie naiven und wahnhaften Denkmustern. Es sind irrationale Annahmen, die durch nichts – nicht durch Fakten, nicht durch Vernunft – korrigiert werden. Brutale Ahnungslosigkeit. Postfaktisch und alternativfaktisch sind die rhetorischen Ausweichmanöver, um die narzisstische selbstbezogene Wahrheit nicht zu gefährden. Narzissmus erzeugt aus sich heraus Feindbilder. Jeder und alles ist Feind, der bzw. das diese eine, auf reine Selbstbezogenheit begründete Wahrheit infrage stellt. Was glauben Sie, warum der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der mächtigste Mann der Welt, über die Zuschauerzahlen bei seiner präsidialen Inauguration diskutiert?

Kritik ist keine Zerstörung, wie der Narzisst meint. Kritik ist einfach nur Feedback. Doch ein Narzisst oder jemand mit narzisstischen Zügen wird sich bis aufs Äußerste verteidigen und rechtfertigen. Nicht einen Mikrometer an erobertem Land wird der Narziss im Diskurs abgeben. Seine Schwäche wird er hinter einem Zorneswall verbergen. Wehe dem, der sich dem Kern des Narzissten nähert! Das ist ein Sakrileg. Das schwache, verletze und hilflose ICH verbirgt sich tief im Inneren und scheut das Licht. Daher wird ein Angriff auf den Narzissmus mit einem heftigen Gegenangriff gekontert. Zerstörerisch. Total und absolut. Wie peinlich wäre es, wenn das kleine Ich wegen einer Banalität enttarnt werden würde?! Wenn dieses kleine Würmchen wieder ans Licht geholt und es erneut ausgelacht werden würde?!

Eine gute Chance, dieses narzisstische Modell aufzugeben, haben jene Narzissten, die sich selbst als solche erkennen. Diejenigen, die reflektieren. Solche, die ihre Lebenskraft für „das Gute“ einsetzen, ohne ständig mit ihrem Umfeld oder mit sich selbst zu hadern. Sie haben noch genügend Selbstliebe für sich und Liebe für die anderen Menschen, um ihr eigenes grenzüberschreitendes und einnehmendes Verhalten zu erkennen und gegenzusteuern. Denn sie können die Zeichen lesen, die ihnen andere Menschen geben. Ein „netter“ Narzisst, den vielleicht jeder etwas in sich hat, bemerkt sein Fehlverhalten, weil er hinhört, hinsieht und wahrnimmt. In solchen Fällen sind andere Menschen, die den „Betroffenen“ (behutsam und nicht verletzend) einen Spiegel vorhalten, wichtig, sie tun dem reflektierten Narzissten einen Gefallen. Dieser bekommt die Chance, sein Verhalten zu verändern, sich zu transformieren und sich für das Leben zu befreien (Campbell 1999). Die Heilung des Narzissten liegt darin begründet, die ständige Bewertung der Welt und der eigenen Person aufzugeben. Narzissmus ist die Selbstwertstörung schlechthin. Der kleine Junge steckt fest, schlafwandlerisch, in dem Bemühen, sich und andere nach einem Wert einzuteilen. Folglich gibt es Wertvolles und Wertloses. So zu denken wirkt nach innen und nach außen. Im Inneren kauert das als wertlos fixierte Ich, verborgen unter dem wertvollen, golden glänzenden Konus des Größenselbst. Außerhalb des Selbst, dort sind die Menschen, die das Selbst bewerten.

Wird das narzisstische Modell nicht aufgebrochen, etwa durch das Aufgeben ständiger Bewertung, setzt sich der Narzissmus wie oben beschrieben fort.

Ob unsere Kultur der Bewertung – wie sie nun mal einer Leistungsgesellschaft innewohnt – die Keimzelle des Narzissmus und die Nahrung des Narzissmus ist? Ich meine: Ja. Schaffen wir das ständige Bewerten ab! Tauschen wir es aus durch Menschlichkeit, durch echte Begegnung und Hilfestellung. Akzeptieren wir, nicht perfekt zu sein und noch nach archaischen Regeln zu funktionieren (Buss 2014). Fügen wir uns ein in den natürlichen Lauf der Dinge. Erforschen wir die menschliche Natur und das Leiden des Menschen. Zollen wir denen Respekt, die sich darum bemühen, das Leiden zu verringern. Und würdigen wir die Menschen unter uns, die am meisten leiden. Statt sie zu „entwerten“.

Dies würde auch bedeuten, mit einer solchen humanen Einstellung dem Narzissten gegenüberzutreten, das verletzte Kind in ihm zu sehen. Nicht zuletzt der Fall Donald Trump macht deutlich, wie schwer das werden kann. Wie ist also umzugehen mit den Narzissten, die sich nicht erkennen und folglich nicht „zum Sozialen“ ändern? Warten, bis sie im eigenen Spiegelbild ertrinken? Wie der mythologische Narziss, dessen schönes Antlitz sich auf der Wasseroberfläche spiegelte, als er am Ufer des Sees hockte. Und der nicht erkannte, dass dieser hübsche Jüngling im Wasser er selbst war. Und vor lauter Sehnsucht nach diesem Jüngling, vor lauter Liebe für dieses Abbild, in den See glitt und ertrank. Hierauf zu vertrauen, vor allem bei „The Donald“, wäre naiv und unverantwortlich. Was „The Donald“ in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft bereits zerstört hat, ruft weltweit Protest hervor. Die Proteste der Verlierer dieser Wahl sind stark, potenziert durch die sozialen Medien. „The Donald“ ist gewählt und setzt an. Nach seinem Weltbild. Aber durchaus auch nach dem Weltbild von Millionen von Amerikanern, die ihn bewundern, die seinen Narzissmus mittragen. Gegen das Weltbild von Millionen anderer Amerikaner. Narzissmus polarisiert. Die Fantasie eines kleinen wütenden Jungen wird zur Wahrheit von Millionen. Es ist schwer, damit umzugehen.

Aus meiner klinischen Arbeit mit Narzissten weiß ich, dass die sogenannte paradoxe Intervention hilft: Lob den Narzissten! Nur dann ist er besänftigt und seine Wut flaut ab. Erst wenn der Narzisst beruhigt ist, vermag er mit dem Therapeuten zu arbeiten. Nur so bekommt man einen Fuß in seine Tür. Als Psychologe erkenne ich also, wer da zu mir spricht: Es ist der kleine, wütende, verletzte und traurige Junge, der ganz viel Liebe und Anerkennung braucht (Dieckmann 2011). Aber ist das im Falle Trump machbar? Ihn, diesen „Little Donald“, zu trösten und seine Aufmerksamkeit auf Selbstempathie und Selbstliebe umzulenken, ihn dazu zu bringen, das Werten und Bewerten aufzugeben, sich nicht mehr an unreifen Idealen zu orientieren, sondern alles loszulassen, was „great, greater und am greatesten“ ist, wäre eine therapeutische Strategie.

Leider bewirkt die narzisstische Struktur genau das Gegenteil in uns, die sich im Umfeld des Narzissten befinden. Damit kommen wir zum Drama und Schicksal des nichtkorrigierbaren Narzissmus. Er greift um sich, solange der Narzisst denkt, er tue der Welt da draußen etwas Gutes. Und er agiert so lange, bis er genau das zurückgemeldet bekommt. Talkshows und Nachrichtensender aufgepasst! Die Medien werden nicht mehr hinterherkommen, über Donald Trump zu berichten, so viel wird er produzieren. Und der Zweck besteht allein darin, den inneren kleinen Wurm zu trösten. Dem verhunzten Mini-Ich zu sagen: „Schau, fein gemacht!“ Das Mini-Ich ist gierig nach Anerkennung.

Hier wird übrigens auch der wichtige Aspekt der Manipulation überdeutlich. Durch Manipulation erreicht Trump sein mediales und juristisches Überleben: „Die Kombination dieser Strategien – Verzerren von Tatsachen und Ablenken bei Fragen nach der Vergangenheit – sorgt dafür, dass Trumps sorgfältig gepflegtes öffentliches Image keinen Kratzer erleidet“ (Johnston 2016). Seine Aussagen wirken oft zerfahren. Doch damit lenkt er geschickt den Fokus weg vom Vorwurf hin zu einem belanglosen, erfundenen oder vorgeschobenen Ausweichthema. „The Donald“ schaue intensiv Fernsehen, heißt es, und verfolge die Berichterstattung über sich. Gefalle die ihm nicht, dann werde er aktiv, um von unangenehmen und ihn persönlich bedrohenden Tatsachen öffentlich abzulenken: „Trump (…) manipulierte die Berichterstattung, indem er den Medien eine einfache, verwertbare Story lieferte und sich dabei zunutze machte, dass die meisten Journalisten einfach wiederholten, was ihnen gesagt wird, oft ohne irgendwelche Kenntnisse über die Rechtslage oder die Praxis der Behörden zu haben“ (Johnston 2016). Überfluten wird er die Medien mit logorrhoischen Ausscheidungen, analog zu Helmut Dietls Paradenarzisst in der TV-Serie Kir Royal aus dem Jahr 1986.

Umgeben von anderen unreflektierten Narzissten, die sich gegenseitig in größere und höhere Sphären katapultieren, wächst im Zentrum der US-amerikanischen Macht eine multiple-narzisstische Gestalt heran, dessen Ausmaß an Veränderung, das sie mit sich bringen wird, nicht abzusehen ist.

Nach meinen Praxiserfahrungen zu urteilen, ahne ich nichts Gutes. Ob die Katastrophe ein Reflex des Zorns sein wird, ein Impulsausbruch dieser vielen kleinen wütenden Jungs, die jetzt dort regieren, ich weiß es nicht. Ob es ein gnadenloses Durchsetzen der primitiven und ärmlichen Wahlversprechen geben wird, nur um die eigene Existenz zu untermauern? Ich fürchte ja. Auf Kosten menschlicher Moral, Mitgefühl und Empfindsamkeit. Die kommenden Jahre werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ein chaotisches Desaster bringen, und wir werden noch Jahrzehnte daran zu laborieren haben, es wieder zu ordnen. „The Donald“ und sein Größenselbst sind darauf erpicht, interessant zu bleiben (Iglesias 2011). Das ist eine gute Story für ein Drehbuch, nicht für die Realität. Es bleibt mir momentan nur übrig, mit den Worten Bob Dylans zu schließen: „Kommt also, versammelt Euch Leute, wo auch immer ihr Euch rumtreibt, und gebt zu, dass das Wasser um Euch gestiegen ist.“

Times they are a-changin‘ – Zeiten ändern sich.

 

Hagemeyer_Pablo  Über den Autor

Dr. Pablo Hagemeyer ist Psychiater und Psychotherapeut in eigener Praxis in Weilheim. Er hat die Texte zur Hörfreund-CD-Reihe entworfen, die verschiedene hypnotherapeutische Fantasiereisen zur Entspannung umfasst, gelesen von Schauspieler Hans Sigl.

Im April erscheint sein Buch Fantasiereisen: Aufbau, Dramaturgie und effektiver Einsatz in der Psychotherapie im Junfermann Verlag.

 

 

Literatur

Altmeyer, Martin (2000): „Narzißmus, Intersubjektivität und Anerkennung“. Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 54/2000 (Heft 2).

Balint, Michael (1960): „Primary narcissism and primary love“. The Psychoanalysic Quarterly, Band 29, S. 6–43 (Dt. [1969]: „Primärer Narzissmus und primäre Liebe“, Jahrbuch der Psychoanalyse, Band 1, S. 3–34).

Buber, Martin (2005): Ich und Du. Gütersloher Verlagshaus.

Buss, David (2014): Evolutionary Psychology: The New Science of the Mind. Routledge.

Campbell, Joseph (1999): Der Heros in tausend Gestalten. Insel.

Coelho, Paulo (2008): Der Alchimist. Diogenes

Dieckmann, Eva (2011): Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung mit Schematherapie behandeln. Klett-Cotta.

Fiedler, Peter (2000): Integrative Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen. Hogrefe.

Fromm, Erich (1984): Sigmund Freuds Psychoanalyse. Größe und Grenzen (3. Auflage). Dtv, S. 48–58.

Gartner, John (2005): The Hypomanic Edge: The Link between (a Little) Craziness and (a Lot of) Success in America and In Search of Bill Clinton: A Psychological Biography. Simon & Schuster.

Iglesias, Karl (2011): Writing for Emotional Impact: Advanced Dramatic Techniques to Attract, Engage, and Fascinate the Reader from Beginning to End. Wing Span.

Johnston, David Cay (2016): Die Akte Trump. Ecowin.

Kernberg, Otto (2016): Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus. Kohlhammer.

Kiyosaki, Robert T. (2011): Rich Dad, Poor Dad. Finanzbuchverlag.

Kohut, Heinz (1976): Narzissmus. Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen. Suhrkamp.

Kohut, Heinz (1979): Die Heilung des Selbst. Suhrkamp.

Musk, Elon & Vance, Ashley (2015): Elon Musk – Wie Elon Musk die Welt verändert: Die Biographie. Finanzbuchverlag.

Perls, Frederick S., Goodman, Paul & Hefferline, Ralph F. (1979): Gestalttherapie: Grundlagen. Dtv.

Sulz, Serge (2003): Als Sisyphus seinen Stein losließ. CIP Medien.

Tenenbom, Tuvia (2016): Allein unter Amerikanern. Suhrkamp.

Wardetzki, Bärbel (2001): Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung. Kösel.

Zopf, Siegfried (1985): Narzissmus, Trieb und die Produktion von Subjektivität. Stationen auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Springer.

 

Onlinequellen

Cohen, Eliot A.: „Trump wird an Amerika scheitern“. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.01.2017, einzusehen unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/zeitenwende-im-weissen-haus-trump-wird-an-amerika-scheitern-14795524.html?GEPC=s5

Dietl, Helmut (1986): Kir Royal. Aus dem Leben eines Klatschreporters (Film). Drehbuch: Helmut Dietl und Patrick Süßkind; Regie: Helmut Dietl. Szene mit Mario Adorf: „Ich scheiß dich sowas von zu mit meinem Geld!“, einzusehen unter: https://www.youtube.com/watch?v=LdQyQLs2THM

Hank, Rainer & Meck, Georg: „Entehrt. VW-Abgasskandal“. Frankfurter Allgemeine vom 27.9.2015, einzusehen unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vw-abgasskandal/vw-abgasskandal-entehrt-13825462.html

Teutsch, Katharina: „Streichle dich selbst! Ist Narzissmus eine Störung“. Frankfurter Allgemeine vom 14.7.2012, einzusehen unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ist-narzissmus-eine-stoerung-streichle-dich-selbst-11820624.html

Der stellvertretende Chefredakteur des ZDF Elmar Theveßen kommentiert die aktuelle Politik von US-Präsident Trump (30.01.2017), einzusehen unter: https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/kommentar-thevessen-100.html

Die von John Gartner mitbegründete Petitionsgruppe mit dem Titel: „A society dedicated to the proposition that Donald Trump is too seriously mentally ill to competently discharge his duties as president and must be removed according to the 25th Amendment“ kann eingesehen werden unter https://www.change.org/p/trump-is-mentally-ill-and-must-be-removed?recruiter=21702147&utm_source=share_petition&utm_medium=facebook&utm_campaign=share_for_starters_page&utm_term=des-xs-no_src-no_msg

Interview mit Richard David Precht bei „Jung & naiv“ mit Tilo Jung, einzusehen unter: https://www.youtube.com/watch?v=yHLK8sXITiM

SZ-Artikel: „Seehofer schwärmt von Trumps Arbeitstempo“, einzusehen unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/csu-seehofer-schwaermt-von-trumps-arbeitstempo-1.3354784