„Wir tragen heute immer noch die Steinzeit-Betriebsversion des Gehirns 1.0 unter der Schädeldecke!“

„Immer mit der Ruhe! Wie Sie Ihr Gehirn zur Gelassenheit erziehen“ von Doris Iding und Nanni Glück ist ein Ratgeber und Rettungsanker in stürmischen Zeiten. Für Menschen, die spüren, dass sie sich in all dem Multitasking und To-do-Listen-Abhaken selbst verlieren; die Entschleunigung suchen und sich nach innerer Ausgeglichenheit sehnen.

Wir sprachen mit den Autorinnen über unsere „gestresste Gesellschaft“, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl – und über das Glück …

   Interview Teil II – mit Autorin Nanni Glück

 

Liebe Frau Glück, „Immer mit der Ruhe! Wie Sie Ihr Gehirn zur Gelassenheit erziehen“ lautet der Titel Ihres aktuellen Buches. Die Formulierung lässt den Eindruck entstehen, dass Stress zuallererst im Kopf entsteht. Denken gestresste Menschen also nur „falsch“?

Nanni Glück: „Falsch“ würde ich jetzt nicht unbedingt sagen, denn das würde ja implizieren, dass etwas Fehlerhaftes und Selbstverschuldetes vorliegt. In der Tat ist es jedoch so, dass gestresste Menschen mit unheilsamen Reaktionsmustern auf die Anforderungen des Alltags reagieren. Dies führt dazu, dass sie bestimmte Situationen im Alltag als für sie bedrohlich klassifizieren. Allerdings können wir Menschen nicht wirklich etwas dafür – Schuld an diesen unheilsamen, leider auch automatisch ablaufenden Reaktionsmustern hat unser immer noch steinzeitliches Gehirn, das einfach nicht zum Glücklich- oder Gelassensein optimiert wurde. Unser Gehirn wurde vielmehr dafür ausgerichtet, unser Überleben in einer sehr gefährlichen Umwelt zu sichern. Und dafür hat sich Mutter Natur einiges einfallen lassen. Doch obwohl sich unsere Umwelt mittlerweile stark verändert hat, tragen wir heute immer noch die Steinzeit-Betriebsversion des Gehirns 1.0 unter der Schädeldecke. Die dazugehörigen „Support-Komponenten“ machen uns heute das Leben jedoch ganz schön schwer, denn unsere automatisch aktivierten Reaktionsmuster passen nicht mehr zu unseren gegenwärtigen Stressoren: Statt Säbelzahntiger bedrohen heutzutage Termin- und Leistungsdruck unseren Seelenfrieden.

 

Einerseits leben wir in einer Leistungsgesellschaft, die einen gewissen Stresspegel mit sich bringt. Andererseits steht uns heutzutage jeglicher Komfort zur Verfügung und die verschiedensten Möglichkeiten zum Entspannen sind greifbar. Warum gelingt es uns trotzdem nicht mehr, zu entspannen?

Nanni Glück: Da haben Sie recht! Das Angebot an Möglichkeiten zum Entspannen scheint täglich zu wachsen. Doch die bloße Infrastruktur reicht leider nicht aus, um wirklich mal abzuschalten und die Akkus aufzuladen. Wer kennt das nicht: Da gönnt man sich ein Wellness-Wochenende, möchte sich wohlig den kundigen Händen des Entspannungsmasseurs anvertrauen, doch die Gedanken an die Arbeit lassen sich einfach nicht abschalten! Wir können nicht entspannen, weil wir schlichtweg verlernt haben, wie das geht. Schauen Sie, wir bewegen uns mit Vollgas durchs Leben. Wir wollen etwas erreichen, in jeder Rolle, die wir spielen, erstklassig performen. Vor allem Frauen sind hier gefährdet: Supermami, erfolgreiche Geschäftsfrau, aufregende Geliebte, verständnisvolle Freundin – ich frage Sie, wie kann man in 24 Stunden das alles unter einen Hut bringen? Um das zu schaffen, powern wir uns durch den Tag. Dabei wird das sympathische Nervensystem aktiviert und wir laufen auf Hochtouren. Der Hormoncocktail, der dabei produziert wird, pusht uns noch mehr. Wir entfernen uns von Stunde zu Stunde mehr von dem natürlichen Gleichgewicht aus Anspannung (Sympathikus) und Entspannung (Parasympathikus). Haben wir zudem noch verspannte Muskeln, so kann sich ein regelrechter Teufelskreis entwickeln: Die angespannten Muskeln signalisieren dem Gehirn Gefahr. Und unser besorgtes Steinzeitgehirn reagiert sofort. Keine Chance mehr, einfach so wirkungsvolle Entspannung zu finden.

 

Der Mediziner Prof. Dr. Hans Selye, einer der Pioniere der Stressforschung, hat mal gesagt: „Stress ist Leben“. Wir können ihm nicht entgehen, und nicht jeder Stress macht krank. Wir brauchen sogar positiven Stress. Wann wird Stress gefährlich, und woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass in unserer Gesellschaft gerade die negativen Auswirkungen von Stress so ausufern?

Nanni Glück: Stress ist und war noch nie das Problem! Alle Lebewesen, so auch wir, haben bereits fest installierte Programme, um mit Stress – sprich: mit bedrohlichen Situationen – umzugehen und diese Situationen mehr oder weniger unbeschadet überstehen zu können.

Das Problem ist vielmehr die Dauer der als stressbehaftet empfundenen Situation und die Art unserer Stressoren. Während unsere automatischen Stressreaktionen perfekt dafür ausgelegt sind, akute Gefahren für Leib und Leben abzuhalten, indem sie uns in einen Zustand höchster körperlicher Aktionsbereitschaft versetzen, schaden sie unserer Gesundheit, wenn wir Stress zum Dauerbrenner werden lassen. Was ursprünglich dafür gedacht war, unser Leben zu retten, wird dann potenziell lebensbedrohlich. Nehmen wir als Beispiel das Stresshormon Cortisol, das in den Nebennieren produziert wird. Es unterdrückt unsere Immunreaktion, lässt den Blutdruck ansteigen und hilft, Zucker freizusetzen. Durchaus sinnvoll, wenn es sich um eine akute Bedrohung handelt, denn es macht uns leistungsfähiger und fokussiert unsere körperliche Aktivität auf das für diesen Moment Wesentliche: zu kämpfen oder zu fliehen. Durch körperliche Anstrengung werden die Stresshormone wieder abgebaut und der Körper befindet sich in einem regulierten Zustand.

Unsere modernen Stressoren lassen sich jedoch nicht mit körperlicher Aktivität bewältigen, und die Dauer der als stressbehaftet empfundenen Situation kann sich in manchen Fällen sogar über Monate hinziehen. Dann können Krankheiten wie chronische Entzündungen, Bluthochdruck oder Diabetes entstehen. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf unsere Psyche: Cortisol macht uns ängstlicher und raubt uns nach und nach die Zuversicht. „Oh nein – wie soll ich das denn auch noch schaffen?!“ ist ein typischer Gedanke eines stressgeplagten Gehirns.

 

Inwieweit haben die Medien Einfluss auf das Entstehen von Stress und unser „Stressmanagement“?

Nanni Glück: Unser steinzeitliches Gehirn wurde mit einem hypersensiblen Alarmsystem ausgestattet, das nicht mal den Standby-Modus kennt und schnell auf äußere Reize anspringt. Diesen Zustand bezeichnet man auch als den sogenannten Savannen-Modus: Unsere Vorfahren lebten in savannenähnlichen Landschaften und spazierten immer leicht angespannt-besorgt durch die Welt, um ja nicht aus Sorglosigkeit vom Säbelzahntiger gefressen zu werden oder auf sonst eine Art und Weise ihr Leben zu lassen. Die modernen Medien begünstigen in gewisser Weise diesen in unserem Gehirn installierten Betriebsmodus. Indem wir auf jedes „Pling“ unserer vielzähligen digitalen Kommunikationsmedien sofort reagieren, rutschen wir automatisch immer tiefer in diesen reaktiven Zustand und lassen uns viel leichter unter Stress setzen. Situationen, die wir in entspannter Gemütslage als nicht stressbehaftet einschätzen würden, erscheinen uns auf einmal schwer zu bewältigen und setzen uns unter Druck.

Doch nicht nur die Art und Weise, wie wir mit den modernen Medien umgehen, lassen unser Stressempfinden zunehmen, vor allem auch die Inhalte schüren unbegründete Ängste in uns. Schlagen Sie doch mal die Zeitung auf, machen das Radio oder den Fernseher an oder schauen ins Web: Wie oft verkünden die Medienhäuser gute Nachrichten? Im Verhältnis überwiegen Bad News gegenüber Good News doch enorm. Natürlich weil sich damit Geld verdienen lässt. Das Phänomen der Angstlust beschert den Machern Auflage, Reichweite, Quote und Clicks. Den Konsumenten jedoch auf Dauer eine niedrigere Stresstoleranz und schrumpfende Resilienz!

 

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben – auch angesichts der Fülle bereits vorhandener Literatur?

Nanni Glück: Die Literatur zu diesem Thema, die bislang auf dem Markt zu finden ist, kann sich entweder eines gewissen esoterischen Touches nicht erwähren oder ist sehr wissenschaftlich gehalten. Es war mir eine Herzensangelegenheit, ein Buch zu schreiben, welches wissenschaftlich fundiert und doch mit leichter, unterhaltsamer Sprache einen Überblick über den aktuellen Stand zur Stressbewältigung mit Mediation und Achtsamkeit bietet. Kurzweilig sollte es sein und Spaß machen – ich komme ja aus der Werbung. Gemeinsam mit meiner Studienfreundin Doris, die mit mir damals in Japan war und schon einige Bücher zum Thema Achtsamkeit veröffentlicht hat, ist uns dies – so glaube ich wenigstens – ganz gut gelungen!

Die Idee zum Buch kam natürlich auch durch meine persönliche Geschichte. Zum ersten Mal kam ich mit dem Thema Meditation und Achtsamkeit (im weitesten Sinne) vor gut 25 Jahren in Japan in Kontakt. Neben Psychologie und Volkswirtschaft habe ich in München auch Japanologie studiert. Wir hatten damals eine buddhistisch ausgerichtete Partneruniversität in Tokyo, und meine „Gasteltern“ waren ein buddhistischer Priester und seine Familie. Im Rahmen des Aufenthaltes besuchte ich auch ein Waldkloster, lernte die Mediationstechnik kennen, Ikebana, die Tee-Zeremonie und die Feuer-Zeremonie. Ich war zutiefst begeistert, so, wie man sich mit Anfang 20 eben nun mal begeistern lässt. Als ich vor einigen Jahren privat einer erheblichen Herausforderung gegenüberstand und drohte, mich daran aufzureiben, kamen mir meine Erfahrungen aus Japan wieder in den Sinn. Genauer gesagt, das durchweg heitere Lächeln meiner Gasteltern, egal, was gerade passierte. Ich begann, regelmäßig zu meditieren und mich in Achtsamkeit zu schulen. Was soll ich sagen: Meine Probleme wurden zwar nicht weniger, aber meine Einstellung änderte sich radikal. Ich konnte wieder lösungsorientiert handeln, statt mich selbst zu zerfleischen und – das Allerwichtigste – meine Zuversicht in mich, meine Fähigkeiten und das Leben an sich nahm wieder zu. Beeindruckt von den Erfolgen machte ich mich daran, die aktuellsten wissenschaftlichen Untersuchungen zum Einfluss von Achtsamkeit/Meditation auf die Wirkungsweisen unseres Gehirns zu studieren. Hier konnte man in den letzten Jahren wirklich Bahnbrechendes zutage fördern. Woran viele schon seit über 2000 Jahren glauben, kann nun wissenschaftlich dank modernster bildgebender Verfahren belegt werden. Die Mediations- und Achtsamkeitspraxis kann sich damit aus der häufig belächelten und als unglaubwürdig klassifizierten Esoterikecke befreien, denn der Nutzen auf unsere geistige Gesundheit ist evident.

 

In Ihrem Buch gehen Sie auch stark auf evolutionäre und neurologische Grundlagen von Stress ein. Worin sehen Sie den Nutzen für die Leserinnen und Leser, sich mehr mit den Hintergründen der Stressentstehung auseinanderzusetzen?

Nanni Glück: Sehen wir uns mit den Herausforderungen des Lebens konfrontiert, so spricht man in der Achtsamkeitspraxis von den berühmten zwei Pfeilen: Den ersten Pfeil schießt das Leben auf uns ab, daran können wir nichts ändern. Das passiert einfach – gemäß dem Motto „Shit happens!“. Krankheit, Alter und Tod werden früher oder später jeden Menschen ereilen, ohne dass irgendjemand etwas dafürkann.

Den zweiten Pfeil schießen wir jedoch selbst auf uns, und zwar mit unseren mehr oder minder automatischen negativen Mustern, wie wir auf den Schmerz, den der erste Pfeil verursacht, reagieren. Diese unheilsamen Reaktionen vergrößern den Schmerz und lassen aus ihm erst echtes Leid entstehen. Ich gehe jetzt sogar so weit und füge noch einen dritten Pfeil hinzu, und den schießen ebenfalls wir auf uns ab. Das ist unsere Reaktion auf unsere unheilsame Schmerzreaktion. Wenn ich in einer schmerzhaften Situation ganz trotzig mit „nicht wahrhaben wollen“ reagiere, weiß ich ja, dass meine Reaktion nichts an der Sache ändert, und rege mich (Pfeil 3) womöglich noch über mich selbst und mein unheilsames Verhalten auf. Sind wir uns jedoch unserer evolutionär bedingten neurologischen Grundlagen bewusst, dann wissen wir, dass unsere negative automatische Reaktion auf Schmerz ganz normal ist und wir selbst erst mal gar nicht anders können. Wir sind in diesem Fall, überspitzt formuliert, Sklave unserer steinzeitlichen Hirnversion 1.0. Auf der anderen Seite ist es aber auch unwahrscheinlich ermutigend zu erfahren, dass wir eben nicht auf immer und ewig dieser Sklave sein müssen. Wir haben alle Fähigkeiten und Anlagen in uns, gelassener auf Stress zu reagieren. Um zu wissen, wie ich am besten mit meinem Geist bzw. meiner Aufmerksamkeit arbeiten kann, um genau diese Gelassenheit zu erlernen, ist es meiner Ansicht nach unabdingbar zu verstehen, warum und wie es zu solchen unheilsamen Reaktionsmustern kommt, die die Ursache für Stress sind.

 

Sie haben Positive Psychologie (PP) an der Universität Zürich studiert. Finden sich Ansätze der PP in diesem Buch, und inwieweit kann die PP bei einem gesunden Umgang mit Stress hilfreich sein?

Nanni Glück: Die Positive Psychologie wird ja gemeinhin als die „Wissenschaft vom gelungenen Leben“ definiert. Damit grenzt sich diese junge Disziplin ganz klar von der landläufigen Psychologie ab, die sich fast ausschließlich der pathologischen Seite zuwendet. Statt die Defekte zu thematisieren, wendet sich die Positive Psychologie den menschlichen Charakterstärken zu. Dieser ressourcenorientierte Ansatz findet sich auch in unserem Buch. Wir zeigen auf, wie wichtig es ist, Stärken wie Dankbarkeit, Mitgefühl, Freude und Präsenz zu kultivieren und sie sich zur Gewohnheit werden zu lassen. Eine der Grundfesten in der Positiven Psychologie ist die Annahme, dass Glück erlernbar sei – dies geht absolut konform mit meinem Motto: „Für ein glückliches Leben ist es nie zu spät!“ Wir können uns, einem Architekten gleich, aufschwingen und unser Gehirn auf Glück und Gelassenheit programmieren. Wir müssen es nur tun und konsequent daran arbeiten.

Wenn wir uns bewusst für „das Gute“ entscheiden, dann kann unsere Reise in Richtung Zufriedenheit und Glück beginnen. Wir haben immer die Wahl, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten: Wollen wir uns über unsere Schwächen ärgern oder uns über unsere Stärken freuen? Wollen wir bemängeln, was uns alles noch fehlt, oder mit dem zufrieden sein, was schon da ist? Hier spielt natürlich wieder unser Steinzeithirn 1.0 eine wichtige Rolle, denn dies ist mit den Support-Komponenten Negativitätstendenz und Mangelblick ausgestattet. Nur wenn wir uns bewusst entscheiden, uns dem Positiven zuzuwenden, kann ein glückliches Leben entstehen. Hier hilft die Positive Psychologie weiter, indem sie Wege aufzeigt, wie dies gelingen kann. So können wir unserem Gehirn quasi ein manuelles Update verpassen.

 

Was tun Sie selbst, um in akuten Stresszeiten zur Ruhe zu kommen? Haben Sie einen Erste-Hilfe-Plan?

Nanni Glück: Allerdings, den habe ich! Eine sehr effektive und hilfreiche Ressource zur Stressbewältigung ist Humor. Er hilft, uns und das Leben nicht immer so ernst zu nehmen, und eröffnet uns dadurch einen wichtigen Perspektivwechsel. Des Weiteren führt uns der Humor auf direktem Weg zu unserer mächtigsten Ressource – unserer Lebenskraft! Das Schöne ist: Humor ist lernbar. Je häufiger wir uns darin üben, desto wahrscheinlich wird er uns zu einer Gewohnheit (wie übrigens alle Ressourcen).

Sehe ich mich einer herausfordernden Situation gegenüber, bei der ich Stress in mir verspüre, so versuche ich als erstes, mich über den Atem in den gegenwärtigen Moment zurückzuholen (meist galoppiert man in Gedanken ja schon davon). Dann nehme ich mir vor, etwas Kurioses, Absurdes oder Komisches an der Situation zu entdecken. Wenn mir das nicht gelingt, steh ich auf und geh vor den Spiegel. Da ich auch Lachyoga-Trainerin bin, beginne ich, mit mir selbst zu lachen. Das klappt eigentlich immer. Nachdem ich dann ausgiebig gelacht habe, ist die stressbehaftete Situation zwar immer noch da, sie wirkt aber bei Weitem nicht mehr so bedrohlich. Da herzliches Lachen unseren Verstand kurz abschaltet, ähnlich wie ein Reset beim Computer, kann ich mich mit frischem Geist und einer gehörigen Portion Kreativität der Situation stellen. Lachen hilft – probieren Sie es aus!

 

Erlauben Sie mir noch eine persönliche Frage: Heißen Sie wirklich Glück mit Nachnamen? (Oder ist das ein Künstlername?) Inwieweit hat Sie der Name geprägt?

Nanni Glück (lacht): Sie sind nicht die Erste, die mich das fragt. Das ist tatsächlich mein echter Name. Mein Exmann hat sogar bei unserer Hochzeit meinen Nachnamen angenommen und ihn nach der Scheidung behalten. Wir haben uns im Guten getrennt und immer noch ein freundschaftliches Verhältnis. Ich kann sagen, dass auch ihm der Name im wahrsten Sinne des Wortes Glück gebracht hat! Wie mir! So ein Name verpflichtet: Man kann nicht miesepetrig, unzufrieden und schlecht gelaunt sein, wenn man Glück heißt. Aber Scherz beiseite, ich denke schon, dass mich der Name geprägt hat. Es ist immer ein positiver Einstieg, wenn man neue Menschen kennenlernt und sich mit diesem Namen vorstellt. Irgendwie begegnen mir die Menschen dadurch offener, neugieriger und vielleicht auch einen Schuss freundlicher. Das habe ich schon mein Leben lang gespürt und bin dafür sehr dankbar. Und ja, irgendwie fühle ich mich meinem Namen doch verpflichtet, selbst glücklich zu sein und andere darin zu unterstützen, ihren Weg ins Glück zu finden!

 

Haben Sie vielen Dank für das nette Gespräch, Frau Glück!

 Über die Autorin

Nanni Glück hat Markt- und Werbepsychologie studiert und ist Inhaberin der Werbeagentur „ars agendi“ in Stuttgart. In den 20 Jahren Berufserfahrung hat sie die Auswirkungen der modernen Kommunikationsmedien (nicht nur) auf die Arbeitswelt hautnah begleitet. Und als passionierte Golfspielerin und Hundebesitzerin weiß sie um die Wirkung von Achtsamkeit.

Ihr Buch Immer mit der Ruhe! Wie Sie Ihr Gehirn zur Gelassenheit erziehen, welches sie zusammen mit Doris Iding verfasst hat, erschien im Mai 2018 im Junfermann Verlag.

Weitere Informationen zur Autorin und ihrem Angebot erhalten Sie unter https://www.arsagendi.de/ueber-uns/inhaberin oder https://www.glueckslachen.de/

 

 

„Es braucht häufig mehr als drei tiefe OMs oder ein paar positive Gedanken, um glücklich zu werden!“

„Immer mit der Ruhe! Wie Sie Ihr Gehirn zur Gelassenheit erziehen“ von Doris Iding und Nanni Glück ist ein Ratgeber und Rettungsanker in stürmischen Zeiten. Für Menschen, die spüren, dass sie sich in all dem Multitasking und To-do-Listen-Abhaken selbst verlieren; die Entschleunigung suchen und sich nach innerer Ausgeglichenheit sehnen.

Wir sprachen mit den Autorinnen über unsere „gestresste Gesellschaft“, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl – und über das Glück …

   Interview Teil I – mit Autorin Doris Iding

Liebe Frau Iding, Sie bieten regelmäßig Yoga- und Achtsamkeitsretreats an. Die Teilnehmenden möchten lernen, wieder zur Ruhe zu kommen, und wünschen sich, Hektik und Stress einmal ganz hinter sich zu lassen. Welchen Eindruck haben Sie: Wie gestresst ist unsere Gesellschaft?

Doris Iding: Ich habe das Gefühl, dass die Menschen immer rast- und ruheloser werden. Stress gehört zum Lebensgefühl dazu. Sie fühlen sich von den steigenden Anforderungen im Privat- und Arbeitsleben häufig überfordert und sind dabei, auszubrennen, oder haben häufig auch schon ein Burn-out hinter sich.

 

In Ihrem aktuellen Buch „Immer mit der Ruhe!“ nennen Sie Achtsamkeit als den ersten Schlüssel zur Gelassenheit. Was genau verstehen Sie unter Achtsamkeit, und wie kann sie helfen, im Alltag besser mit Stress und Druck umzugehen?

Doris Iding: Achtsamkeit ist im herkömmlichen Sinne (basierend auf Buddha) eine Meditationspraxis, die uns darin unterstützt, unseren Geist zu erforschen und uns nicht mehr von den darin entstehenden Gedanken beherrschen zu lassen. So richtig salonfähig wurde Achtsamkeit aber erst durch Dr. Jon Kabat-Zinn, der die Achtsamkeit durch MBSR in Stresskliniken brachte und in den letzten zehn Jahren auch in die Gesellschaft. Durch die Achtsamkeit im Kontext von MBSR lernt man, die Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen kennenzulernen und sich nicht mehr mit ihnen zu identifizieren.

Achtsamkeit ist aber auch gleichzeitig eine Lebensweise. Sie soll uns darin unterstützen, dass wir erkennen, dass es keine äußeren Stressoren gibt, sondern dass wir es selbst sind, die uns den Stress machen.

Achtsamkeit ist auch ein Mittel, das uns darin unterstützt, den Autopiloten auszustellen, um das Leben wieder mit all unseren Sinnen zu erleben und zu genießen. Und zwar von Moment zu Moment.

 

Seit Ihrem 15. Lebensjahr beschäftigen Sie sich schon mit Meditation und Yoga und seit vielen Jahren leiten Sie entsprechende Seminare im Bereich Achtsamkeit und Entspannungstechniken. Wie viel Übung braucht jemand, der bisher noch keine Berührung damit hatte, um diese Techniken für sich nutzbar zu machen?

Doris Iding: Das ist schwer zu sagen, weil jeder Mensch ganz einzigartig ist und ich hier keine falschen Erwartungen wecken möchte. Es gibt Menschen, die lernen die Meditation kennen und genießen es bereits von Anfang an, 30 Minuten zu meditieren. Andere Menschen sind schon mit drei Minuten überfordert. Ich versuche, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind, und ihnen auch die Zeit und den Raum zu geben, den sie brauchen. Durch die permanente Nutzung von Handys sind die meisten Nervensysteme allerdings heute immer weniger in der Lage, lange in der Stille zu verweilen. Gleichzeitig aber wächst das Bedürfnis nach Stille immer mehr.

Jeder, der anfängt zu praktizieren, sollte sich zuerst einmal überlegen, wie viel er realistisch in seinen Alltag integrieren kann, ohne sich noch zusätzlichen Stress zu machen.

 

Interessant ist, dass Sie Selbstmitgefühl als eine weitere Komponente zur Stressreduktion thematisieren. Was genau meinen Sie damit?

Doris Iding: Es ist mittlerweile erwiesen, dass es keine äußeren Stressoren gibt, sondern dass wir selbst es sind, die sich den Stress machen. Für den inneren Stress ist in erster Linie der „innere Antreiber“ verantwortlich, der auch gerne als „innerer Kritiker“ bezeichnet wird. Dieser Anteil ist nie zufrieden. Ich arbeite in meinen Kursen mit so vielen wundervollen Menschen zusammen und 99,9 Prozent haben einen solchen inneren Kritiker, der ihnen das Leben zur Hölle machen. Entwickeln wir aber Selbstmitgefühl mit uns und schließen wir Freundschaft mit diesem inneren Kritiker, dann wird das Leben leichter. Selbstmitgefühl bedeutet, dass wir mit einem offenen Herzen auf uns selbst schauen und das wertschätzen, was wir alles leisten. Und das ist bei uns allen mehr als genug. Es bedeutet, dass wir mehr auf die eigenen Bedürfnisse eingehen und uns selbst mit genauso viel Liebe und Geduld begegnen wie den Menschen, die wir lieben – oder aber mit denen wir arbeiten.

Erfahrungsgemäß ist aber das Selbstmitgefühl das, was uns allen am schwersten fällt. Ich bin in meinem Leben schon so vielen spirituellen Lehrern, Meistern und Therapeuten begegnet. Sie alle hatten ein offenes Herz für ihre Patienten und Klienten. Aber sich selbst gegenüber waren die meisten sehr fordernd und sehr anspruchsvoll.

Prof. Dr. Luise Reddemann hat einmal gesagt, dass der innere Kritiker unkündbar ist und dass wir gut daran tun, uns mit ihm anzufreunden. Diese Aussage kann ich auch nur unterstreichen.

 

Das Besondere am Buch ist auch sein ganzheitlicher Ansatz. Es wird auf neurologische Grundlagen ebenso eingegangen wie auf spirituelle Wege. Für wie wichtig erachten Sie Spiritualität für ein gesundes Leben? Und wie kann sie helfen, besser mit den Höhen und Tiefen des Lebens zurechtzukommen?

Doris Iding: Spiritualität ist für mich die Basis eines gesunden Lebens. Nur dann, wenn wir uns mit unserem innersten Wesen verbinden, können wir ein vollkommen selbstbestimmtes Leben führen. Der Benediktinermönch Willigis Jäger hat einmal gesagt, dass es darum gehe, ganz Mensch zu werden. Dieser Aussage kann ich ebenfalls zustimmen. Spiritualität bedeutet für mich übrigens u. a., dass wir uns der Verbundenheit mit allem und der Vergänglichkeit von allem bewusstwerden. Wenn wir dies tun, dann müssen wir nicht mehr so gegen das Leben selbst ankämpfen. Dann wird vieles leichter. Spiritualität bedeutet für mich aber auch, dass wir uns mit etwas verbinden, das größer ist als wir selbst. Das heißt, dass wir uns nicht immer für den Mittelpunkt der Welt halten, sondern ein Teil davon sind. Das kann manchmal sehr erleichternd sein. Und gleichzeitig bedeutet es auch, dass wir uns mit dem Göttlichen (als dem, was Größer ist als wir selbst) verbinden UND gleichzeitig unsere Kontonummer nicht vergessen. Der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh sagt dazu: Es geht (bei der Spiritualität) nicht darum, auf dem Wasser zu wandeln, sondern darum, Schritt für Schritt auf der Erde zu gehen. Diese Aussage unterstreiche ich gerne.

 

Angenommen, die Mitarbeiterin eines großen Unternehmens, deren Wochen voll durchgetaktet sind, oder eine dreifache Mutter, die „das erfolgreiche Familienunternehmen“ führt, bittet Sie um Tipps zur Stressreduktion. Was antworten Sie denen?

Doris Iding: Innehalten. Bewusst einatmen. Bewusst ausatmen. Und dann eins nach dem anderen erledigen. Es ist eben diese so einfache (!!) Kombination aus innehalten UND atmen, die uns maßgeblich dabei helfen kann, raus aus dem Kopf – dem Gedankenkarussell – und rein in den Körper zu kommen.

 

Sie litten selbst einmal an einer Angststörung. Was glauben Sie: Wie sehr haben Stress und (Leistungs-)Druck in Ihrem Leben dabei eine Rolle gespielt?

Doris Iding: Die Ursache für die Angsterkrankung lag in einer generalisierten Angsterkrankung, die wiederum ihre Wurzeln in meiner Kindheit hatte. Ich habe meine Angsterkrankung – und einen Umgang damit – in meinem Buch Die Angst, der Buddha und ich beschrieben. Darin habe ich postuliert, dass man meditieren kann UND psychisch erkranken kann, dass man Yoga machen kann UND unter Ängsten leiden kann. Noch heute bekomme ich Leserbriefe als Reaktion auf dieses Buch und viele Menschen sind froh, dass ich mit diesem Buch ein Tabu in der spirituellen Szene gebrochen habe. Leider wird hier nämlich der Irrglaube verbreitet, dass man sich glücklich denken und dehnen kann. Das ist allerdings nicht der Fall. Wir sind so multidimensional und komplex, dass es häufig mehr braucht als drei tiefe OMs oder nur ein paar positive Gedanken, um glücklich zu werden.

 

Finden Leser*innen in Ihrem Buch auch konkrete Präventionsmaßnahmen, um sich vor der Entstehung von Ängsten und Depressionen zu schützen? Inwiefern?

Doris Iding: Leider ist es häufig so, dass wir erst wach werden, wenn wir bereits unter Ängsten leiden oder Depressionen uns das Leben schwermachen. In dem Buch gibt es aber viele Übungen, die einen Menschen darin unterstützen, besser mit Ängsten und mit Depressionen umzugehen. Es sind wundervolle und sehr wirksame Übungen. Sie haben allerdings nur einen Haken: Man muss sie regelmäßig machen. Der Neuropsychologe Rick Hanson sagt: Wir können unser Gehirn und unseren Geist ändern. Aber nur wir selbst können dies tun. Dieser Aussage stimme ich zu. Wir können noch so viele Seminare besuchen und noch so viele kluge Bücher lesen. Wenn wir nicht wirklich regelmäßig üben, wird sich langfristig nicht viel ändern. Nehmen wir uns hingegen täglich die Zeit für eine Meditation, dann können wir inneren Frieden erlangen.

 

Welche Botschaft möchten Sie Menschen, die an einer Angststörung erkrankt sind, mit auf den Weg geben? Gibt es etwas, das Hoffnung macht, wenn man den Mut verloren hat?

Doris Iding: Wenn wir unseren Ängsten ins Gesicht schauen, ihnen einen Namen geben und sie liebevoll und mitfühlend in den Arm nehmen, dann können wir sie überwinden. Das weiß ich. Alles, was es braucht, ist etwas Geduld. Der Buddha hat gesagt: ‚Egal, wie schwer das gestern war, wir können heute neu anfangen.‘ Und eine weitere Aussage von ihm lauter: ‚JEDER Mensch kann inneren Frieden erfahren.‘ Für mich wurde besonders die zweite Aussage von Buddha zu einem Mantra, das ich mir während meiner eigenen Angsterkrankung täglich gesagt habe. Ich habe mir gesagt: Wenn Buddha also tatsächlich meint, dass JEDER es kann, dann kann ich es auch! Das war gut. Auch diese Aussagen kann ich unterstreichen und bestätigen. Aber auch hier gilt: Wir können unsere Ängste überwinden. Aber nur wir selbst können es!

 

Was tun Sie selbst, um in akuten Stresszeiten zur Ruhe zu kommen? Haben Sie einen Erste-Hilfe-Plan?

Doris Iding: Ich habe keinen ersten Hilfe-Plan, sondern einen Erste-Hilfe-Koffer. Je nach Gelegenheit nehme ich mir das passende Werkzeug. Meine Lieblingsmethode: Da ich für mein Leben gerne esse, praktiziere ich in solchen Momenten die Essmeditation. Ich verwöhne mich mit einem guten Essen und nutze es, um wirklich mit allen Sinnen bei der Sache zu sein. Ansonsten hilft es mir immer und überall, mich über die Atmung wieder zu erden. Ich atme ganz bewusst in die Füße langsam aus. Und wenn es ganz arg ist, dann lege ich noch eine Hand auf das Dekolleté und eine Hand auf den Bauchraum. Indem ich langsam ausatme, wird der Parasympathikus aktiviert, und wenn ich mich selbst berühre, wird Oxytocin ausgeschüttet. Das ist ein Hormon, dass uns Vertrauen vermittelt. Und dann gibt es natürlich noch viele andere kleine Übungen in dem Buch.

 

Haben Sie vielen Dank für das nette Gespräch, Frau Iding!

 

Über die Autorin

Doris Iding ist Meditations-, MBRS-, Achtsamkeits- und Yogalehrerin. Sie arbeitet als Seminarleiterin und gibt Achtsamkeitsseminare in Firmen und mit Privatpersonen. Sie ist auch Buchautorin sowie Redakteurin der Zeitschrift Yoga aktuell. Darüber hinaus bildet sie seit vielen Jahren angehende Yogalehrer im Bereich Achtsamkeit und Yoga-Philosophie aus. 18 ihrer Bücher wurden in andere Sprachen übersetzt.

Ihr Buch „Immer mit der Ruhe! Wie Sie Ihr Gehirn zur Gelassenheit erziehen“, das sie mit Mitautorin Nanni Glück zusammen verfasst hat, erschien im Mai 2018 im Junfermann Verlag.

Weitere Informationen über die Autorin und ihre Angebote finden Sie unter www.glueckundachtsamkeit.de/ und www.vomglueckderkleinendinge.blogspot.de/