Gedenken an Fritz Wandel

Wie wir erst kürzlich erfahren haben, ist im Sommer 2018 unser Autor Fritz Wandel nach längerer Krankheit verstorben.

Ich hatte meinen ersten Kontakt mit Fritz Wandel im Jahr 1993. Ich arbeitete mich gerade in meine Aufgaben bei Junfermann ein, und eine davon war die Betreuung der „Zeitschrift für Transaktionsanalyse“, damals noch mit dem Zusatz: „in Theorie und Praxis“. Der Herausgeber war Fritz Wandel. Mit ihm telefonierte ich fortan regelmäßig über Abgabe- und Drucktermine und nicht immer schafften wir es, die damals optisch noch sehr schlichten Heftchen pünktlich zum Quartalsende herauszubringen. Nicht selten klagte er über Autoren, die Termine nicht einhielten oder Texte, die nicht publikationsreif waren. Und doch haben wir es immer wieder geschafft, lesenswerte Hefte zu produzieren. Bis 2001. Dann übergab Fritz Wandel die Herausgeberschaft an Ulrike Müller und unser regelmäßiger Kontakt schlief für einige Jahre ganz ein.

Es muss so 2009 gewesen sein, als er sich nach längerer Zeit bei mir meldete. Schon früher hatte er immer mal wieder über Schreibvorhaben und Buchideen gesprochen. Und nun war eine konkret geworden, die er gemeinsam mit seiner Frau Ingrid Wandel realisieren wollte. Bis ein Manuskript vorlag, dauerte noch ein wenig, aber im Dezember 2011 erschienen tatsächlich die Alltagsnarzissten. Dem ging eine sehr angenehme Zusammenarbeit voraus. Mir machte es große Freude, das Manuskript zu lektorieren und Fritz Wandel äußerte sich sehr wertschätzend über mein Lektorat. Ich hätte „das Kindlein schön gemacht“; das war sein Bild dafür. Und glücklicherweise fanden auch viele Leserinnen und Leser das „Kindlein“ schön, denn das Buch wurde ein Erfolg.

In unseren Telefonaten erzählte Fritz Wandel auch immer gerne über seinen friesischen Bauernhof, auf dem er seit einigen Jahren mit seiner Frau lebte. Unter anderem züchtete er dort Schweine, von denen auch das eine oder andere Foto seinen Weg in mein Postfach fand. Es gab außerdem Ideen für ein neues Buch, mit dem es aber nicht so recht vorwärts ging. Irgendwann blieben die Telefonate aus, was mir in der Hektik des Alltags erst gar nicht so richtig auffiel. Im Hinterkopf war zwar öfter der Gedanke da: „Du musst mal nachhaken.“ Aber wie so oft … ist es einfach unterblieben, weil es da immer Dringlicheres gab.

Mich hat die Nachricht, dass Fritz Wandel gestorben ist, sehr getroffen. Wenn jemand über einen so langen Zeitraum einfach immer da gewesen ist, dann nimmt es irgendwann für selbstverständlich, dass er auch in Zukunft da sein wird und man zu jedem beliebigen Zeitpunkt den Kontakt wieder aufnehmen kann. Dieser Kontakt ist leider nicht mehr nur unterbrochen, sondern abgebrochen.

 

 

Wie oben bereits erwähnt, übernahm Ulrike Müller 2001 die Herausgeberschaft der Zeitschrift für Transaktionsanalyse. In der Ausgabe 1-2019 wird ein Beitrag von ihr erscheinen, den wir mit freundlicher Genehmigung auch hier veröffentlichen dürfen.

 

Meine sehr persönliche Erinnerung an Fritz Wandel

Von Ulrike Müller

 

Fritz Wandel war von Anfang an dabei, als ich mich dazu entschieden hatte, in Konstanz eine Weiterbildung in Transaktionsanalyse bei Ingrid Wandel anzufangen. Immer war er in existentialistisches Schwarz gekleidet. (Der schwarze Rollkragenpullover war in den 1960er- und auch noch in den 1970er-Jahren für unsere [Nachkriegs-]Generation das Erkennungszeichen des Intellektuellen, der in Debattierklubs und verräucherten Kellern über die Weltläufe debattierte. Man verglich sich auch schon mal mit Sartre und konstatierte sich selbst die entsprechende Gedankentiefe.) So war Fritz‘ Erscheinung zuerst einmal vertraut und in meinen Bezugsrahmen einzuordnen. Fritz hielt sich meistens apart.

Wenn wir Weiterbildungskandidaten Pause machten, mussten wir zuerst durch das kleine Zimmer, das direkt neben dem Gruppenraum lag, bevor wir in die Küche kamen. Dort saß Fritz in der Regel und spielte auf einem seiner exotischen Saiteninstrumente, von denen einige an der Wand hingen. Immer schaute er ganz verschreckt auf, so als wäre er ganz versunken gewesen und käme von weit her.

Wenn er nicht dort saß, war er auf der Höri, einer Halbinsel am Bodensee, bei seinen Pferden. Manchmal war er überhaupt verreist. Dann sagte Ingrid: „Er ist bei seinen polnischen Verwandten und trinkt sie alle unter den Tisch.“

Das waren eigentlich schon zu viele Facetten für eine Person. Ein stummer, in sein Saitenspiel versunkener Intellektueller; ein Mann, der die Gepflogenheiten eines polnischen Landadeligen hatte. (Bilder, die mich beschäftigten, ohne dass ich je auf die Idee gekommen wäre, nachzufragen: Wo kommst du her, was ist deine Geschichte?)

Ab und an musste er Ingrid vertreten. Dann war er wach, zugewandt, witzig. Oft spielte auch ein feinsinniges Lächeln um seine Lippen (nie spöttisch); es war aber klar, dass er mit dem, was da grade gesprochen wurde, nicht übereinstimmte. Komplizierte Sachverhalte konnte er gut erklären. Er war ja auch promovierter Altphilologe und am Institut für Lehrerfortbildung tätig. Schon damals interessierten mich frühe Störungen, nicht zuletzt, weil mein erster Klient eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hatte. Während eines Weiterbildungswochenendes mit Fritz (das kam hin und wieder vor, wenn Ingrid verhindert war) empfahl er mir „Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus“ (1975) von Otto Kernberg. Das war das erste Buch von Kernberg, in dem er sich mit der Thematik auseinandersetzte und den Begriff Borderline-Störung prägte; noch ganz im Stil einer akademischen Wissenschaftssprache geschrieben und in mikroskopisch kleiner Schrift als Suhrkamp-Taschenbuch veröffentlicht.

Tapfer arbeitete ich mich durch die mir völlig unbekannte Sprache und das fremde Genre. Dass Fritz mir, der Nicht-Klinikerin, der Philologin und Pädagogin, eine solche Lektüre zutraute (als einziger der Gruppe), empfand ich wie einen Ritterschlag, eine ungeheure Anerkennung. In diesem Austausch begegneten wir uns immer wieder. Als ich meinen ersten Artikel für die ZTA schrieb (damals noch die kleinen bonbonfarbenen Hefte; aber eben doch unsere Zeitschrift), nahm Fritz sich einen ganzen Abend Zeit, um mir zu erklären, was ich ändern müsste und worauf es ankam. So erschien mein erster Artikel 1994 in der ZTA, mit Geburtshilfe von Fritz.

Und dann wurde seine Frau krank; und er war gefordert in der Pflege und seelischen Unterstützung von Ingrid. So suchte und fand er in mir eine Nachfolgerin, die in seinem Sinn die Herausgeberschaft der Zeitschrift fortführen würde. Dafür bin ich ihm sehr dankbar! Mit dieser Aufgabe kann ich meine philologischen und wissenschaftlichen Interessen pflegen, die ja auch immer noch zu mir gehören.

Solange Fritz und Ingrid in Konstanz lebten, habe ich sie ab und zu besucht. Aber Freiburg ist doch zu weit weg von Westfriesland für einen Nachmittagsbesuch. So bleibt die Erinnerung an Fritz als meinen Förderer über das übliche Maß hinaus, gerade, weil er mir so viel zugetraut hat und ich diesem gerecht werden wollte.

In diesem Sinne betrachte ich die Herausgeberschaft der ZTA als sein Vermächtnis, dem gerecht zu werden, ich mich jedes Mal aufs Neue bemühe.

Wiedersehen mit Susann Pásztor

Foto: Sven Jungtow

November 2018: Susann Pásztor kommt nach Bielefeld, um aus ihrem Roman Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster zu lesen. Die Hauptfiguren sind eine Sterbende und ihr Sterbebegleiter – auf den ersten Blick also nicht ganz so leichte Kost. Aber eine gelungene Umsetzung in Romanform; dafür spricht nicht zuletzt der Evangelische Buchpreis, den Susann Pásztor für dieses Buch erhalten hat.

Doch nicht allein der Preis und das Thema motivieren mich, die Lesung in der Johannesstift-Kapelle zu besuchen. Für mich als Junfermann-Mitarbeiterin ist Susann Pásztor eine alte Bekannte, die ich im Lauf der Jahre in vielen verschiedenen Rollen erlebt habe.

Ende der 1990er-Jahre trat sie erstmals in Erscheinung als Layouterin eines Buchs: Musik, Magie & Medizin, herausgegeben von Lutz Berger. Als einige Jahre später unsere Zeitschrift Multimind ein Facelifting erhalten sollte, war wieder Susann Pásztor mit ihrem Know-how zur Stelle. Es blieb aber nicht beim Layout, denn sie zeigte sich auch inhaltlich als sehr kompetent und übernahm bald die Chefredaktion. Aus Multimind wurde 2006 Kommunikation und Seminar. Die Chefredakteurin war aber weiterhin Susann Pásztor.

Und sie gehörte bald auch zur Riege unserer Autorinnen und Autoren, denn im Jahr 2004 erschien ihr erstes Junfermann-Buch: Ich höre was, das du nicht sagst, über Gewaltfreie Kommunikation in der Paarbeziehung. Das Buch ist nach wie vor bei uns im Programm und mit fast 40.000 verkauften Exemplaren ein echter Bestseller.

Es folgten ein weiteres Buch – Mach doch, was du willst – und eine weitere Rolle. Nachdem sie als Autorin erfolgreich in die Welt der Gewaltfreien Kommunikation eingestiegen war, übersetzte Susann Pásztor nun auch GFK-Bücher, z.B. Die Sprache des Friedens sprechen von Marshall Rosenberg oder Das Respektvolle Klassenzimmer von Sura Hart und Victoria Kindle Hodson. Als ich einen neuen Übersetzungsauftrag anbieten wollte – es muss so 2008 oder 2009 gewesen sein –, lehnte sie mit großem Bedauern ab. Übersetzen mache ihr so viel Spaß, aber nun sei es endlich Zeit, sich um ihren Roman zu kümmern …

Ich kenne einige Menschen, die einen Roman schreiben wollen. Dass Susann Pásztor nicht zu diesen Menschen gehört, merkte ich spätestens, als im Jahr 2010 eine Ausgabe des Börsenblatts des deutschen Buchhandels auf meinem Schreibtisch landete, auf dem Cover mit einer Werbung für einen bei Kiepenheuer & Witsch neu erschienenen Roman: Ein fabelhafter Lügner – von Susann Pásztor. Es folgte einige Jahre später Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts und schließlich 2017 der Roman, aus dem sie in Bielefeld lesen will.

Ich komme in eine schon gute gefüllte Kapelle und sehe sie sofort. Auch Susann Pásztor erkennt mich auf Anhieb. Wir tauschen vor der Lesung noch schnell ein paar Worte aus. Und dann ist es auch schon Zeit für die einleitenden Worte der Veranstalterin. Ich bin gespannt auf die Lesung, kenne das Buch noch nicht. Sie weiß, worüber sie schreibt, denn sie hat selbst eine Ausbildung als Sterbebegleiterin gemacht und Sterbende begleitet. U.a. deshalb gelingt es ihr wohl, das Thema ernst zu nehmen und trotzdem unverkrampft darüber zu schreiben. Ihr Publikum jedenfalls kann sie begeistern und es folgen im Anschluss an die Lesung viele Fragen.

Dieses Buch sei ein echter Überraschungserfolg, hat mir Susann Pásztor verraten. Sie werde ständig für Lesungen angefragt. Aber nun sei es endgültig Zeit, an den Schreibtisch zurückzukehren, denn Roman Nummer 4 müsse fertig werden …

Nachtrag: Ich habe inzwischen Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster gelesen – und ich empfehle es!

Individuelle Hemmnisse überwinden – fit sein für den Arbeitsmarkt

„Umso mehr sich die Werte des Klienten in seinem beruflichen Umfeld wiederspiegeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er zufrieden ist“

Andrea Schlösser und Karin Kiesele wenden sich mit ihrem Buch Job-Coaching. Arbeitssuchende für den Arbeitsmarkt fit machen vor allem an Job-Coaches, die mit den Kunden der Arbeitsagentur und des Jobcenters arbeiten, denn in erster Linie dort wird Job-Coaching als Maßnahme angeboten. Das Angebot soll helfen, Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Aufgrund der Zielgruppe unterscheidet sich die Arbeitsweise eines Job-Coachs mitunter erheblich von der eines Karriere-Coachs, denn die Klienten kommen nicht immer freiwillig …

Wir haben mit den Autorinnen über das Buch, den Arbeitsmarkt und die Praxis des Job-Coachings gesprochen:

 

Liebe Frau Schlösser, liebe Frau Kiesele, Sie haben ein Buch über Job-Coaching geschrieben. Nun werden ja sehr unterschiedliche Beratungsformen und -angebote als „Job-Coaching“ bezeichnet. Was genau versteht man denn nun genau darunter?

Andrea Schlösser: Der Bezeichnung „Job-Coaching“ wird vor allem im geförderten Bereich verwendet. Job-Coaching können Arbeitssuchende vom Jobcenter oder der Arbeitsagentur vom zuständigen Sachbearbeiter bewilligt bekommen. Die Idee dahinter ist, dass Kunden im Einzelcoaching für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden sollen.

Durch die gestiegenen Anforderungen der modernen Arbeitswelt besteht Handlungsbedarf. Personen, die von Arbeitslosigkeit betroffenen sind, sollen möglichst dauerhaft wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Beim Job-Coaching geht es den Auftraggebern Jobcenter und Arbeitsagentur in erster Linie um eine professionelle Aufbereitung der Bewerbungsunterlagen, damit die Bewerber auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben, sich zu positionieren. Doch um sich „fit“ für den Arbeitsmarkt zu fühlen, ist es für die Kunden der Arbeitsagentur oder des Jobcenters oft ein weiter und steiniger Weg.

Karin Kiesele: In Job-Coaching-Prozessen geht es darum, ganz individuell zu gucken, wie die Kunden des Jobcenters und der Arbeitsagentur im Hinblick auf das eigene berufliche Fortkommen unterstützt werden können. Das ist für Job-Coaches eine spannende und herausfordernde Aufgabe, die weit mehr beinhaltet, als Lebensläufe und Anschreiben zu erstellen oder zu optimieren. Menschen lassen sich nicht in Schubladen packen. Das bedeutet, dass die Prozesse des Job-Coachings von Klient zu Klient sehr unterschiedlich sind. Denn von Arbeitslosigkeit betroffen sind Menschen aller Berufe und Schichten mit den unterschiedlichsten Biografien, Qualifikationen und Karriereverläufen. Ob Hilfskraft, Busfahrer, Altenpfleger, Architekt, Philosoph oder Studienabbrecher – im Job-Coaching geht es um die „individuellen Hemmnisse“, die es den Betroffenen schwermachen, sich aus der Arbeitslosigkeit (neu) auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren.

 

Wer arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht ist, kann bei seiner Arbeitsagentur einen Gutschein für ein berufliches Coaching bekommen, den sogenannten Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein, kurz AVGS. Steht der jedem zu?

Karin Kiesele: Nein, ob ein Job-Coaching angeraten, empfohlen oder verwehrt wird, liegt im Ermessen des zuständigen Sachbearbeiters. Das ist sehr abhängig von den Personen, die da aufeinandertreffen, und auch von den finanziellen Mitteln, die zu dem Zeitpunkt gerade für Job-Coachings zur Verfügung stehen. Wer, wann, wieso und warum gerade jetzt ein Job-Coaching bekommt oder nicht, ist von außen oft nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung über eine Bewilligung wird nicht nach einem transparenten Kriterienkatalog getroffen, sondern liegt in der Entscheidungskompetenz des zuständigen Ansprechpartners in der Behörde.

 

Job-Coachs müssen mit Frustration und Resignation aufseiten ihrer Klienten rechnen. Viele Menschen, die nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind, wollen zunächst in Ruhe gelassen werden. Nach dem Motto: „Besser den ‚Hartz-IV-Spatz‘ in der Hand als die ‚Einkommens-Taube‘ auf dem Dach. Wie geht der Job-Coach damit um? Wie findet er Zugang zu seinen Klienten?

Karin Kiesele: In vielen Coaching-Prozessen ist der Hartz-IV-Spatz tatsächlich eine halbwegs bequeme und „sichere Bank“. Die Miete wird bezahlt, die Krankenversicherung ist gewährleistet und das Existenzminimum gesichert. Frustration, mangelnder Selbstwert und das Gefühl, schon lange „draußen“ zu sein, nagen am Selbstbewusstsein und an dem Gefühl der eigenen Selbstwirksamkeit. Die Abwertung des scheinbar Unerreichbaren ist eine Möglichkeit für die Klienten, sich ein wenig besser zu fühlen. Äußerungen wie „Ich lass mich nicht mehr ausbeuten von den Haifischen, die da draußen rumschwimmen! Da mach ich nicht mehr mit“ machen deutlich, wie enttäuscht, frustriert und verunsichert viele Langzeitarbeitslose sind. Reagieren Job-Coachs darauf ebenfalls mit Abwertung und machen ihr Gegenüber klein, gerät der Prozess ins Schlingern.

Andrea Schlösser: Akzeptanz und Verständnis für das Verhalten der Klienten sind ein guter Schlüssel für den Job-Coach, um die Klienten für einen Coaching-Prozess zu erwärmen. Herausforderungen machen Angst – deshalb ist es wichtig, dass Job-Coachs vor allem in den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu ihren Klienten investieren. Um sich aus der Komfortzone wagen zu können, brauchen die Klienten ein Bewusstsein dafür, welches Maß an Herausforderungen für sie möglich und umsetzbar ist, ohne in eine Überforderung zu geraten. Der Job-Coach kann hier ein guter Partner sein, mit dem zusammen dieses Maß definiert werden kann. So können Dinge in Bewegung kommen und Veränderung ermöglichen.

 

In Therapie und Coaching spielt ja in der Regel der Beziehungsaufbau zwischen dem Therapeuten/Coach und dem Klienten eine ganz zentrale Rolle. Wie sieht das im Job-Coaching aus?

Andrea Schlösser: Das ist im Job-Coaching ebenso wichtig wie in therapeutischen Prozessen. Ohne eine vertrauensvolle Beziehung entsteht keine tragfähige Arbeitsbasis. Klienten müssen die Sicherheit vermittelt bekommen, sich während des Job-Coachings in einem geschützten Raum zu befinden. Dort ist Platz für Ideen und Vorstellungen, aber auch für mögliche Ängste, Befürchtungen und Unsicherheiten. Ohne Vertrauen in den Job-Coach werden sich die Klienten nicht öffnen können.

 

Beim Lesen Ihres Buches hatte ich oft den Eindruck, dass Job-Coaching wesentlich mehr ist als das Vermitteln von Bewerbungs-Know-how oder eine allgemeine Kompetenzanalyse. Es geht um Glaubenssätze, ja sogar um Biografie-Arbeit. Job-Coaching scheint also ziemlich tief zu gehen …

Karin Kiesele: Ja, manchmal sind es sehr bewegende und intensive Prozesse – in jedem Fall sind Job-Coachings sehr vielschichtig und komplex. Sie verlangen vom durchführenden Job-Coach mittunter eine große Flexibilität und viel Feingefühl im Prozess. Oft touchieren die Themen der Klienten therapeutische Grenzbereiche. „Wie weit kann ich eigentlich gehen?“ oder „Ist hier die Grenze von Coaching erreicht und braucht es eine andere Form der Unterstützung?“ sind Fragen, die sich in Job-Coaching-Prozessen durchaus stellen. Hier sollte der Job-Coach sehr sensibel sein und klare Grenzen ziehen.

 

Frau Kiesele, in Ihrer Arbeit unterstützen Sie seit vielen Jahren auch als Business- und Karriere-Coach Menschen, die sich beruflich verändern, umorientieren oder weiter entwickeln möchten. Woran scheitert die Bewerbung Ihrer Meinung nach am häufigsten? Welche Fehler sollten Arbeitssuchende tunlichst vermeiden?

Karin Kiesele: In jedem Fall ist es sinnvoll, jede Bewerbung individuell auf die jeweilige Organisation oder das Unternehmen zuzuschneiden. Eine schablonenhafte Bewerbung, „eine für alle“, bringt in der Regel nicht den gewünschten Erfolg. Der Vergleich mit der Suche nach „Mrs. oder Mr. Right“ auf den Partnerschaftsportalen im Internet macht das anschaulich. Eine Nachricht wie „Liebe/r …, ich habe dein Profil gesehen. Wollen wir uns treffen?“ bleibt wahrscheinlich unbeantwortet. Wer fühlt sich schon angesprochen, wenn er sofort erkennt, dass er gar nicht „persönlich“ gemeint ist?

Im Bewerbungsprozess erfolgreich zu sein ist keine Hexerei, sondern oft das Ergebnis eigener Reflexions- und Erkenntnisprozesse. Nach einer persönlichen Justierungsphase eine motivierte, engagierte und passgenaue Bewerbung zu schreiben, gelingt meinen Klienten dann fast immer mühelos.

Um diesen Weg zu ebnen, biete ich meine professionelle Unterstützung an. Wir arbeiten im Coaching-Prozess daran, das eigene berufliche Profil und die eigene persönliche Zielsetzung klar herauszuarbeiten. In der Zusammenarbeit mit meinen Klienten gucken wir gemeinsam darauf, was bisher im Arbeitsleben geschehen ist und wie „wertvoll“ die gemachten Erfahrungen im Hinblick auf den Wunsch nach beruflicher Veränderung sind.

Ganz nach dem Motto: „Wenn ich weiß, was ich nicht (mehr) will, dann ist das schon eine wichtige und richtungsweisende Erkenntnis“. Wir entwickeln stimmige Antworten auf die Fragen „Was genau soll anders werden?“ und „Wie soll meine berufliche Zukunft aussehen?“. Sind die beruflichen Möglichkeiten, der Qualifizierungsbedarf, eventuelle Stolpersteine und die persönlichen Ziele klar umrissen, fällt es deutlich leichter, geeignete Stellen und Branchen für sich zu finden. Wer seinen eigenen Kompass aktiviert, kann im Bewerbungsprozess stimmig und klar auftreten – sowohl im schriftlichen Erstkontakt als auch im anschließenden Bewerbungsgespräch.

 

Sie schlagen unter anderem vor, mit Werten im Job-Coaching zu arbeiten …?

Andrea Schlösser: Werte sind ein zentrales Thema im Job-Coaching. Unsere Werte sind unsere inneren Steuerungsgrößen. Sie motivieren uns, etwas zu tun oder zu lassen. Was dem Klienten wirklich wichtig ist, wird im Job-Coaching-Prozess herausgearbeitet. Umso mehr sich später die Werte des Klienten in seinem beruflichen Umfeld wiederspiegeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er zufrieden ist.

Karin Kiesele: Gerade im Anschreiben bewährt es sich, einen „wertebasierten Einstieg“ zu wählen. Mit der eigenen Wertewelt zu beginnen ist ein sehr individueller und ungewöhnlicher Einstieg und „sticht“ aus der Masse an Bewerbungen heraus.

 

Frau Schlösser, Sie bieten Einzelcoachings an für Menschen, die mit ihrer momentanen Situation unzufrieden sind und den Wunsch nach Veränderung haben, die Neues für sich entdecken wollen. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum immer mehr Menschen das Gefühl haben, beruflich in einer Sackgasse zu stecken? Liegt es eher an den (gesellschaftlichen/beruflichen) Rahmenbedingungen oder sind unsere Ansprüche vielleicht gewachsen?

Andrea Schlösser: Ich glaube, dass sich das „Sackgassengefühl“ aus mehreren Aspekten ergeben kann. Zwei sehe ich hier momentan im Vordergrund. Zum einen haben sich die Anforderungen des Arbeitsmarktes verändert. Einige Arbeitnehmer haben das Gefühl nicht mithalten zu können (VUKA-Welt/Digitalisierung), andere dahingegen das Gefühl, nicht mithalten zu wollen. Manche fühlen sich dann überfordert, anderen fehlt das Wissen über Möglichkeiten, sich auf dem Markt anders (besser) zu positionieren oder das Bewusstsein über die eigenen beruflichen Qualitäten, die einen beruflichen Wechsel unterstützen würden.

Zum anderen beobachte ich bei meinen Klienten immer mehr, dass der Wunsch nach mehr Freizeit bzw. Familienzeit in den Mittelpunkt rückt. Nicht alle sind jedoch in der Lage, die meist damit einhergehende finanzielle Einbuße hinzunehmen. Sich zu verändert scheint dann zunächst unvereinbar mit den finanziellen Anforderungen. Dann gilt es im Coaching dieses zu bearbeiten und einen praktikablen und zufriedenstellenden Weg zu finden.

 

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Job-Coachs oftmals Quereinsteiger sind. Welche Voraussetzungen sollten sie trotz ihrer unterschiedlichen beruflichen Hintergründe prinzipiell mitbringen?

Karin Kiesele: Job-Coachs sollten unserer Ansicht nach vor allem Lust auf Menschen und deren Lebensgeschichten haben. Sie sollten empathisch sein und das Vermögen besitzen, nicht gleich alles zu bewerten und zu verurteilen, was nicht ins eigene Raster passt. Darüber hinaus halten wir eine Reflexionsfähigkeit sowie die Bereitschaft, sich fort- und weiterzuentwickeln, für wichtig. Wer bereits in Führungspositionen oder im Personalmanagement tätig war, hat den Vorteil, dass der Perspektivwechsel im Hinblick auf „Was ist dem Unternehmen/der Organisation wichtig?“ besser gelingt. Aber auch Schauspieler, Geisteswissenschaftler, Handwerker oder Arbeitsvermittler können in Job-Coachings wichtige und wertvolle Impulse geben.

 

Sie bieten zu Ihrem Buch auch das dreitätige Seminar „Job-Coaching kompakt“ an. Für wen ist dieses Seminar interessant und geeignet?

Karin Kiesele: Das Seminar unterstützt sowohl bereits praktizierende Job-Coaches als auch Branchen-Quereinsteiger, die ihr fachspezifisches Wissen im Bereich Job-Coaching erweitern und vertiefen möchten. Im Seminar behandeln wir unter anderem Themen wie den Umgang mit Hemmnissen und Widerständen, wir vermitteln hilfreiche Methoden und geben praxisnahe und leicht umsetzbare Tipps zur Erstellung von Bewerbungsschreiben. Die Teilnehmer haben auch Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und arbeiten an erlebten und fiktiven Fallbeispielen. Unser Handbuch „Job-Coaching“ ist im Preis des Seminars inbegriffen.

 

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

 

Über die Autorinnen

Andrea Schlösser ist Handelsfachwirtin, Supervisorin DGSv, Coach QRC, zertifizierte Trainerin und Mediatorin BM®. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Karin Kiesele ist Kommunikationswissenschaftlerin (B.A.), Hotelkauffrau , Coach QRC, Intervisorin QRC und zertifizierte Trainerin. Weitere Informationen erhalten Sie hier.