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„Alles steht Kopf“: ein Gespräch mit Dirk W. Eilert zum neuen Disney-Film

Seit dem 1. Oktober 2015 läuft ein neuer Film aus der Disney-Pixar-Welt in unseren Kinos. Erwartungsgemäß tummeln sich auf der Leinwand einige bunte Figuren, die man einfach gern haben muss. Es gibt aber eine Besonderheit: Die Hauptfiguren sind fünf menschliche Basisemotionen: Freude, Wut, Angst, Ekel und Kummer. Sie leben im Kopf eines elfjährigen Mädchens.

Unser Junfermann-Experte für Fragen rund um das Thema Emotionen ist Dirk W. Eilert. In seinem Buch Mimikresonanz. Gefühle sehen – Menschen verstehen beschreibt er ebenfalls menschliche Basisemotionen und wie wir sie in der Mimik erkennen können.

 

Dirk W. Eilert

Herr Eilert, was mussten Sie tun, damit Disney Ihr Thema aufgreift und in einen Film verpackt ;-)?

[Lacht] Für mich ist dieser Film ein Ausdruck dafür, dass die Zeit reif für das Thema ist. Emotionen kommen immer mehr ins Gespräch. In der psychologischen Forschung des 20. Jahrhunderts waren sie eher ein „Pfui-Thema“, weil Emotionen schwer greifbar waren. Diese Zeit ist allemal vorbei. Wie wir an „Alles steht Kopf“ sehen, beschäftigt sich heute nicht nur die Forschung sondern auch Hollywood mit Konzepten, wie Menschen ihre Emotionen verstehen können und wie sie lernen können, mit ihnen auf eine gesunde Weise umzugehen. Das 21. Jahrhundert ist das Zeitalter der emotionalen Intelligenz.

Sie haben den Film schon gesehen? Lohnt er sich?

Ich habe ihn sogar schon zweimal gesehen und gleich schaue ich ihn mir ein drittes Mal mit meinen Kindern an. Also, er lohnt sich auf alle Fälle. Jeder Film hat ja drei Ebenen: eine Handlungsebene, eine Informationsebene und eine Bedeutungsebene. Was die Handlungsebene betrifft: Der Film ist wirklich lustig, voller Gags. Wobei ich sagen muss: Ich habe mehr auf die Informations- und auf die Bedeutungsebene geachtet. Und hier ist der Film extrem lohnenswert. Die Informationsebene ist gespickt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über Emotionen. Hier vermittelt der Film Wissen, das nicht nur für Coaches und Trainer spannend ist, sondern für jeden, der lernen möchte mit Emotionen gesünder umzugehen.

Es kann ja anstrengend sein, wenn aus einer Idee großes Kino werden soll. Die Geschichte leidet oft, weil ein starres Konzept im Hintergrund steht. In diesem Fall nicht?

Nein, überhaupt nicht. Natürlich werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse vereinfacht; schließlich ist es ein Unterhaltungsfilm. Und trotzdem ist alles extrem gut recherchiert und wurde lange vorbereitet. Pete Docter, der Regisseur, hat fünf Jahre an diesem Film gearbeitet. Und als Vorbild für Riley – das elfjährige Mädchen, das neben den fünf Emotionen die Hauptperson des Films ist – hat er seine eigene Tochter genommen.

Doch ich möchte nochmal auf die Bedeutungsebene kommen, auf die zentrale und sehr wertvolle Botschaft dieses Films. Die lautet nämlich: Jede Emotion hat eine wichtige und positive Funktion für unser Leben. Nur wenn wir all unsere Emotionen wertschätzen und einen Zugang zu ihnen haben, kann ein glückliches Leben gelingen. Darauf gehe ich auch in meinem Videoblog genauer ein.

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Nicht nur die Freude hat also eine positive Funktion für unser Leben. Es ist sogar so, dass Menschen, die beruflich zum Lächeln gezwungen werden, depressiv werden können. Das hat man in einer Studie z.B. bei Servicekräften herausgefunden. Wenn man den ganzen Tag freundlich sein muss und deshalb ständig ein gezwungenes Lächeln aufsetzt, kann das verheerende Folgen für die emotionale und körperliche Gesundheit haben. Ein freiwilliges Lächeln hingegen wirkt positiv auf unsere Gefühlslage und den Körper. In der Kindererziehung hört man manchmal Sätze wie: „Ein fröhliches Kind ist ein gutes Kind.“ Fröhlichkeit wird erwartet und gewünscht, die anderen Emotionen eher nicht. Die Eltern tun dann alles, nur damit ihr Kind fröhlich ist. Natürlich tun sie das aus einer guten Absicht heraus, aber genau hier liegt das Paradoxon: Nur wenn wir jede Emotion wertschätzen – auch eine vermeintlich „negative“ wie Trauer –, können wir wahrhaft glücklich sein. Dies wird sehr schön in „Alles steht Kopf“ aufgegriffen.

Der Kernkonflikt im Film findet nämlich zwischen Freude und Kummer statt. Freude beansprucht viel Platz für sich, will den Platz von Kummer deutlich begrenzen. Dann stellt Freude aber nach und nach fest, dass Kummer durchaus eine wichtige Funktion und einen Wert hat. Als Riley z.B. in einem Eishockey-Spiel das entscheidende Tor nicht macht, sorgt Kummer dafür, dass sie Zuwendung erfährt und wieder aufgebaut wird.

Auf der Handlungsebene ist der Film übrigens eine lupenreine Heldenreise, die Freude durchlebt. Am Ende – und das finde ich sehr schön – haben dann alle fünf Emotionen ihren Platz am Steuerpult. Sie sind jetzt gleichberechtigt.

Paul Ekman und Dacher Keltner waren als wissenschaftliche Berater beteiligt. Merkt man das?

Das merkt man, denn es finden sich fünf der sieben von Ekman definierten Basisemotionen im Film. Aus Trauer (im Original „Sadness“) hat man in der deutschen Version leider Kummer gemacht. Kummer enthält aber auch Aspekte der Angst – und deshalb bin ich mit dieser Bezeichnung nicht ganz so glücklich. Die Filmfigur „Ekel“ trägt auch Züge der Grundemotion Verachtung, hat also quasi eine Doppelrolle. Einzig Überraschung fehlt auf der Besetzungsliste, was aber verständlich ist. Überraschung ist erstens neutral und tritt zweitens immer nur ganz kurzzeitig auf, als Zwischenstation zu einer anderen Emotion, z.B. Freude oder Angst.

Dann zum Abschluss noch die Frage: Die Emotionen, auch die gemeinhin als unangenehm geltenden, werden zu mehr oder weniger knuddeligen bunten Figuren. Mir hat es die Wut angetan, meine Kollegin mag den Kummer. Meinen Sie, dass der Film dazu beitragen kann, dass Menschen allgemein besser mit ihren „schwierigen“ Gefühlen umgehen können?

Die Personifizierung von Emotionen in Form von Animationsfiguren hilft Menschen eindeutig, ihre Gefühle besser zu verstehen und wertzuschätzen. So werden sie greifbar und man kann anders über sie sprechen. In meinen Vorträgen arbeite ich deshalb jetzt auch viel mit diesen Figuren.

Der Film schreit übrigens geradezu nach einer Fortsetzung. Bislang spielten ja Freude und Kummer die Hauptrollen, doch auch die anderen Emotionen kommen garantiert noch zum Zug. Auf dem Steuerpult taucht am Ende des Films z.B. plötzlich ein neuer Knopf auf, der „Pubertät“ heißt. „Pubertät? Was ist das denn?“, fragt Ekel. Und die anderen Emotionen antworten im Chor: „Keine Ahnung. Der ist nicht wichtig.“

Dann haben wir ja etwas, auf das wir uns freuen können. Das ganze Junfermann-Team wird sich den Film übrigens am Montag anschauen. Und ich bin gespannt, wie Ihre Kinder ihn so fanden. Sie werden bestimmt nicht erster Linie auf die Informations- und Bedeutungsebene schauen, sondern eher auf die Handlungsebene.

„Jeder hat seine eigene Welt“

Borderline – wenn nichts mehr zu helfen schein

Von Anja Link

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) gilt gemeinhin als schwer behandelbar; die Situation aller Involvierten – der Betroffenen selbst, ihrer Angehörigen oder der Fachleute – ist alles andere als einfach: Menschen mit einer BPS eilt der Ruf voraus zu manipulieren, ihr Umfeld zu testen und ggf. Freundschaften und Partnerschaften ohne Vorwarnung aufzukündigen. Therapien scheinen ins Leere zu laufen, Ärzte und Therapeuten sind demotiviert, weigern sich oft, „Borderliner“ überhaupt als Patienten anzunehmen. Und Angehörige fühlen sich allein gelassen, müssen hilflos mit ansehen, wie ihnen ihr Kind, ihr Geschwister, ihr Partner mehr und mehr entgleitet.

Höchste Zeit also das öffentliche Bild von Menschen mit BPS zurechtzurücken und sich noch stärker dafür einzusetzen, dass ein tragbares Helfersystem etabliert wird. Die seit 2007 stattfindenden „Trialoge“ leisten hierzu einen wertvollen Beitrag. Im Buch „Borderline im Trialog. Miteinander reden – voneinander lernen“ werden der Grundgedanke und die gewonnenen Einsichten aus den Treffen zusammen mit dem Status Quo zum Störungsbild anschaulich dargestellt.

Was bedeutet Borderline?

Im Kern versteht man unter der BPS eine Störung in der Regulation von Emotionen. Die Betroffenen nehmen ihre Gefühle schneller, intensiver und länger anhaltend wahr als Menschen ohne BPS. Heftige Stimmungsschwankungen und belastende innere Anspannungszustände sind die Folge. Mit oftmals lebensgefährlichen Verhaltensweisen (Suche nach dem Kick) sowie Selbstverletzungen versuchen Menschen mit BPS Abhilfe zu schaffen.

Das Wissen um das Krankheitsbild ist erheblich gewachsen

In der störungsspezifischen Therapie erlernen Borderline-Patienten Alternativen zu ihren dysfunktionalen Strategien. Das therapeutische Angebot hat sich – auch bedingt durch den medizinischen Erkenntniszuwachs – verbessert, und auch im Bereich Selbsthilfe hat sich in den letzten Jahren einiges getan: Der Buchmarkt ist gut bestückt mit Erfahrungsberichten von Betroffenen und Ratgebern für die Angehörigen.

Dennoch bleibt die Lage unbefriedigend. Die Betroffenen drücken häufig ihre Frustration darüber aus, dass sich trotz der Anstrengungen nichts wesentlich verändert hat, die schwer auszuhaltenden Gefühle immer wiederkehren. Das angesammelte und -gelesene Wissen hilft nicht. Resignation, Mutlosigkeit, sozialer Rückzug folgen.

Für die Angehörigen ist das nicht minder frustrierend. Hilflos muss man mit ansehen, wie das eigene Kind an der puren Existenz leidet, wie die schwierigen Verhaltensmuster das Leben, Beziehungen, die Ausbildung ruinieren.

Und selbst die Fachleute stehen im Praxisalltag der komplizierten Dynamik der BPS oft verständnislos gegenüber, trotz Fortbildungen und einem großen Erfahrungsschatz. Es entsteht der Eindruck, der Patient „will“ gar keine Veränderung oder Verbesserung seiner Lage.

Voneinander lernen

Und genau in diesem Spannungsfeld kommt der Trialog zum Einsatz. Der direkte, ehrliche und authentische Austausch zwischen Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten erfolgt mit dem Ziel, neue Erkenntnisse zu generieren und ein tieferes Verständnis auf allen Seiten zu erzeugen. Das gegenseitige Verstehen verhindert Bewertungen, Schuldzuschreibungen und negative Interpretationen. Das Miteinanderreden vermittelt Zuversicht und ist Grundlage für eine Wiederannäherung: Der Mut, den gemeinsamen Alltag auch gemeinsam zu bewältigen, wird gestärkt.

Im Buch werden die so herausgefilterten „Erfolgsstrategien“ zusammengefasst: Wie erlebt jede Gruppe ihre jeweilige Situation? Wie viel Hilfe und Unterstützung sollte erfolgen? Wie viel Eigenverantwortung darf und muss den Betroffenen zugetraut werden? Wie können Angehörige ihre eigenen Grenzen aufzeigen? Dürfen Eltern trotz Suizidgefahr des Kindes auch einmal nur an sich denken? So individuell die Beteiligten der Trialog-Veranstaltungen sind, so vielfältig sind auch die zu diskutierenden Fragen – und nicht zuletzt auch die potenziellen Lösungswege.

Für professionell Tätige besonders relevant ist natürlich die Frage nach den Gründen für Stagnation im Therapieprozess. Die konkreten Vorerfahrungen und Erlebnisse der Betroffenen können sehr unterschiedlich sein. Vielleicht hat es für den Patienten bereits Kontakte zum Helfersystem gegeben, die am Ende eher frustrierend als hilfreich waren. Die Erfahrung, nicht verstanden zu werden, vielleicht sogar eine abwertende Rückmeldung von einem Therapeuten zu bekommen, dem man sich anvertraut hat, kann ein triftiger Grund sein, weitere Hilfsangebote zu boykottieren.

Weniger Borderline, mehr Mensch

Nicht zuletzt stellt das Buch auch das öffentliche – eher negative – Bild von „den Borderlinern“ in Frage, indem es die ganz menschliche Komponente präsentiert. Sie ist es, die auch in den Trialogen wieder in den Vordergrund gerückt wird: Wie stark hält ein jeder Mensch an Gewohnheiten fest, die ihm Sicherheit vermitteln? Wie schwerfällig sind wir alle im Verändern von Verhaltensmustern? Wie lange kann es dauern, bis wir unsere Ernährung umgestellt, mit dem Rauchen aufgehört oder mit dem Sporttreiben angefangen haben? Doch von einem psychisch kranken Menschen wird erwartet, dass er alles dransetzt, um seine Situation zu verändern?! Stimmen hier die Relationen? Sind die Erwartungen realistisch?

Wertvolle Take-aways

Das Buch mit seinen trialogisch betrachteten Themen stellt sicherlich eine Momentaufnahme dar, doch die geschilderten Eindrücke aller Beteiligten zeigen eindrucksvoll auf, wie wertvoll eine fortwährende Diskussion ist. Der Trialog als lebendiger Austausch wird stetig weitergeführt und um neue (strukturelle, inhaltliche etc.) Ideen erweitert.

In einem der letzten Trialoge notierten sich die Teilnehmer etwa ihre ganz eigenen „Take-aways“, die Eindrücke, Gedanken und Erkenntnisse, die man für die gemeinsame Begegnung erinnern möchte. Hier folgt ein kleiner Auszug aus den Rückmeldungen:

–         „Jeder hat seine eigene reale Welt“

–         „Der Umgang mit seinen Gefühlen bzw. das generelle Befinden wird im Laufe der Zeit besser werden, wenn man die genannten Skills übt (Hoffnungsgedanke).“

–         „Grenzen setzen – Grenzen akzeptieren“

–         „Statt eines impulsiven ‚Jas‘ lieber ein ‚Vielleicht‘

–         „Was mache ich richtig richtig? Und was mache ich richtig falsch?“

–         „Struktur kann helfen, aber auch ein Hindernis sein“

–         „Katzen können ganz viel helfen! 😉

 

Nicht nur der Austausch im Trialog soll weitergehen, auch der Austausch über das Buch soll bereichern, befruchten, Erkenntnisse liefern. Daher teilen Sie uns Ihre Meinungen mit! Auch bei (fachlichen) Fragen können Sie sich gern melden:

Kontaktdaten der Borderline-Trialog Kontakt- und Informationsstelle

Hessestraße 10

90443 Nürnberg

Tel: 0911/42485540

Fax: 0911/4248558

E-Mail: anja.link@borderlinetrialog.de