20 Jahre Beratung Aktuell – Zeitschrift für Theorie und Praxis der Beratung

von Dr. Rudolf Sanders

Dr. Rudolf Sanders

Als ich in den 1980er-Jahren meine Eheberater-Ausbildung absolvierte, wurden weitestgehend psychoanalytische Ideen auf die Arbeit mit Paaren übertragen. Konkret bedeutete das: Die Partner wurden im Setting voneinander getrennt und mit jedem Einzelnen wurde an einer Verbesserung des Miteinanders gearbeitet. Es gab damals jedoch kaum wissenschaftlich fundierte Antworten auf die Frage, was Paare eigentlich brauchen, damit ihre Beziehung gelingt und, damit verbunden, auch kaum Antworten auf die Frage, was Beziehungen scheitern lässt.


Wie sich für mich das Thema entwickelte

Der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie und Senioren brachte das Defizit 1993 auf den Punkt, indem er feststellte, dass kaum evaluative Forschung über die Wirksamkeit von Beratung für den deutschsprachigen Raum vorhanden sei, und seine Empfehlung lautete: „Angesichts der großen Bedeutung, die dem Beratungswesen familienpolitisch zukommt, empfiehlt der Beirat gründliche Bestandsaufnahmen dieses Arbeitsbereichs, damit Grunddaten und Vergleichsgrößen für den Ausbau des Beratungswesens in öffentlicher und freier Trägerschaft vorliegen.“

Aus meiner Sicht gelten die Aussagen aus dem Jahr 1993 für den Beratungsbereich heute noch immer. So fragte Notker Klann im Jahr 2013 kritisch, ob Paare wirklich das in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung bekommen, was sie suchen. Eine ähnliche Position teilt Katharina Klees, wenn sie Standards für eine gute Paartherapie fordert. Sie hat hierzu eine Google-Recherche durchgeführt, um herauszufinden, wo überhaupt eine gute Paartherapie stattfindet. Sie schaute sich die ersten 100 Google-Treffer zu Praxen an, die Paartherapie anbieten, und kam zu folgendem Ergebnis: In 58 dieser Praxen wurde eine Paartherapie von Personen ohne Fachstudium durchgeführt, bei 91 Praxen war nicht erkennbar, nach welchem Ansatz gearbeitet wird. Bei 76 Praxen gab es keinerlei Angaben zu der Qualifizierung der Therapeuten für die Begleitung von Paaren, ein konkretes Therapie- bzw. Beratungskonzept gab es lediglich bei fünf der von ihr recherchierten Praxen.

Als ich 1990 die Leitung der Katholischen Ehe- und Familienberatungsstelle Hagen & Iserlohn übernahm, stand für mich die Beantwortung der Frage: Was brauchen Paare, damit ihre Beziehung gelingt? ganz weit oben. Hilfreich war hier eine Ausbildung zum Integrativen Paartherapeuten (FPI/EAG). Diese basierte auf einem bio-psycho-sozialen Paradigma, mit welchem Hilarion Petzold (1993) die Arbeit mit Menschen für deren Entwicklung als Leib-Geistwesen in der Verbundenheit einer Gemeinschaft beschrieb. Meine Umsetzung in der Paarberatung fand 1997 Eingang in meine Dissertation. Belohnt wurde die Mühe, eine mögliche Antwort auf die o.g. Frage zu finden, mit einem „summa cum laude“ der Uni Münster.

Doch trotz aller Wirksamkeitsnachweise fand mein Weg in der Paarberatung kein Wohlwollen bei dem verantwortlichen Vorgesetzten in der kirchlichen Behörde. Wie also, und vor allem wo, könnte ich von meinen Forschungsergebnissen erzählen? Wie könnte ich dafür eine Öffentlichkeit schaffen? Das waren Fragen, die mich bewegten. Die Möglichkeit der Veröffentlichung in einer überkonfessionellen und parteipolitisch unabhängigen Zeitschrift fehlte. So war auf einmal die Idee da, selbst so eine Zeitschrift herauszugeben.

 

Beratung Aktuell – eine Zeitschrift wird aus der Taufe gehoben

Mit dieser Idee trat ich, zunächst noch mit einem Kooperationspartner, an den Junfermann Verlag heran. Das Ziel der geplanten Zeitschrift: die Beratungsarbeit stärker wissenschaftlich fundieren. Als der mögliche Partner dann ausstieg, fragte mich der Verlag, ob ich dieses Projekt nicht alleine realisieren wolle. Nach einem Tag Bedenkzeit und der expliziten Unterstützung einiger Kolleg*innen aus Wissenschaft und Praxis sagte ich Ja zu dieser Herausforderung.

Ich bin dankbar, dass die Verantwortlichen in Paderborn dafür offene Ohren hatten und bis heute mit großem Engagement die Herausgabe von Beratung Aktuell unterstützen. Im Jahr 1999 wurde ein „Probelauf“ mit vier Ausgaben im Internet umgesetzt. Aufgrund des großen Interesses von Kolleg*innen entstand dann im Jahr 2000 die erste Printausgabe. Seit 2009 wird Beratung Aktuell durch die immer größer werdende Bedeutung des Internets ausschließlich als kostenfreie Open-Access-Zeitschrift online zur Verfügung gestellt.

In einem guten, erfrischenden und mich persönlich bereichernden Miteinander hat Notker Klann seit den ersten Überlegungen meine Idee unterstützt und war von 2006 bis 2017 Mitherausgeber der Zeitschrift. Dankbar bin ich, dass sich dieses konstruktive Miteinander seit 2018 mit Christine Kröger fortsetzt.

Über die Rückmeldung von Frank Nestmann, der in den letzten Jahrzehnten die Beratungswissenschaft und -praxis maßgeblich geprägt und profiliert hat, habe ich mich besonders gefreut. Er schreibt: „Dazu, dass Beratung Aktuell nun schon 20 Jahre existiert, möchte ich Ihnen – auch in guter Erinnerung an unsere Anfangsüberlegungen zur Etablierung des ersten und einzigen wirklich auf BERATUNG fokussierten Fachjournals in Deutschland – herzlich gratulieren. Das ist einfach toll und Ihr Riesenverdienst, für das Ihnen die Beratungswissenschaft, -praxis und -politik großen Dank schuldet.“

Seit dem offiziellen Startschuss im Jahr 2000 ist Beratung Aktuell immer viermal im Jahr erschienen. Neben den Beiträgen finden sich in den Buchbesprechungen Hinweise auf aktuelle Veröffentlichungen, die die Arbeit mit den Menschen, die Beratung aufsuchen, unterstützen können. Als Abschluss des Jubiläumsjahr gibt es eine Sonderausgabe mit vier richtungsweisenden Aufsätzen aus der Anfangszeit, die sich in besonderer Weise mit der Identität und dem Profil von Beratung auseinandersetzen. Die ausgewählten Beiträge sind nicht nur aus historischer Perspektive interessant, sondern in ihren Kernaussagen auch heute höchst relevant.

Alle Ausgaben seit 2009 können Sie hier kostenfrei herunterladen. Und auch auf die vorher in den Printausgaben veröffentlichten Beiträge müssen Sie nicht gänzlich verzichten. Immer wieder werden wir einzelne Schätze aus den Jahren 2000 bis 2008 heben und nachveröffentlichen.

Mir als Herausgeber macht es große Freude, die Entwicklungen in der Beratungswissenschaft durch die Herausgabe dieser Zeitung zu begleiten. Besonders durch die zahlreichen Buchbesprechungen bin und bleibe ich immer auf der Höhe der Zeit. Und noch etwas ist mir sehr wichtig: Das ganze Projekt, sowohl in der Herausgabe als auch in der Autorenschaft, ist ehrenamtlich. Das schafft eine große Freiheit, auch kritische Beiträge veröffentlichen zu können.

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