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Podcast-Folge 92: Apropos … Sucht in der Familie

Jedes vierte bis fünfte Kind wird in einer suchtbelasteten Familie groß. Ein Drittel entwickeln psychische oder soziale Störungen in Form von Depressionen, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen. Dunkelziffer nicht mit eingerechnet. Für mehr Unterstützung von suchtbelasteten Familien und ihren Kindern wirbt Angela Schmidt, Referentin an der Fachstelle für Familien, Suchtprävention Berlin. Nicht nur mangelt es an Ressourcen und Geld, sagt sie. Ein Problem ist auch, die Angebote an die richtige Zielgruppe zu bekommen. Ihr Fazit: Es muss noch mehr passieren, auch auf struktureller Ebene.

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Wenn die Lust zur Sucht wird

Verhaltenssucht ist eine mit hohen Kosten verbundene Bewältigungsstrategie

Nicht nur Drogen, sondern auch Verhaltensweisen können süchtig machen. Und diese sogenannten Verhaltenssüchte gehen auf Dauer mit verheerenden gesundheitlichen und sozialen Schäden einher. Mit dem Selbsthilfebuch Ausstieg aus Verhaltenssüchten von Julia Arnhold und Hannah Hoppe können Betroffene auf Grundlage des schematherapeutischen Ansatzes und mithilfe von Reflexions- und Entspannungsübungen lernen, ihre wahren Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen. Sie erarbeiten sich Schritt für Schritt Strategien, mit den Herausforderungen des Lebens konstruktiv umzugehen, anstatt sie durch eine Flucht in die Verhaltenssucht zu kompensieren.

 

 Liebe Frau Arnhold, liebe Frau Hoppe, worum genau geht es in Ihrem Buch?

Julia Arnhold: Das Buch versteht Verhaltenssucht in den meisten Fällen als einen ursprünglich hilfreichen (unbewusst entwickelten) Versuch eines Menschen, unangenehme beziehungsweise schmerzhafte Gefühle zu betäuben oder sich von ihnen abzulenken, also als ehemals sinnvolle, heute aber mit hohen Kosten verbundene Bewältigungsstrategie. Das Ziel muss sein, die Betäubung oder Ablenkung schrittweise zu ersetzen durch bewusstes Hinwenden zu den eigenen Gefühlen, um die darunter liegenden Bedürfnisse angemessen zu befriedigen (was die Sucht niemals können wird). Hierfür bietet das Buch eine empathisch begleitende Anleitung.

Verhaltenssucht kann – schematherapeutisch betrachtet – auch noch einen anderen Hintergrund haben, dem im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet ist: Menschen, die in ihrer frühen Entwicklung keine Gelegenheit hatten zu lernen, wie man Langeweile und Routinen gut aushält und Impulse reguliert, sind ebenfalls gefährdet, in suchtartiges Verhalten zu verfallen. Diesen Menschen erlaubt das Buch einfühlsam die notwendige Selbstreflexion und zeigt Möglichkeiten auf, Impulse zu kontrollieren und sich von unliebsamen Tätigkeiten im Alltag weniger schrecken zu lassen. Auch hier setzen wir auf das Prinzip der empathisch begleitenden Anleitung.

Hannah Hoppe: In erster Linie ist das Buch ein Leitfaden zur Selbsthilfe für Menschen, die sich als süchtig nach Internet, Gaming, Wetten, Sex, Sport, Shopping oder Arbeit einschätzen oder sich fragen, ob ihr Verhalten Suchtcharakter haben könnte. Es geht um Verhaltensweisen aus den genannten Bereichen, die zu viel Zeit in Anspruch nehmen, die von anderen wichtigen Aktivitäten oder sozialen Kontakten abhalten, die zu finanziellen Engpässen, gesundheitlichen oder sozialen Problemen führen oder die von dem unguten Gefühl begleitet sind, dass man es einfach nicht lassen kann.

Das Buch gibt wichtige Hintergrundinformationen und begleitet den Leser dabei, die eigenen Schwierigkeiten zu ergründen, einzuordnen und schließlich ganz aktiv konkrete Veränderungsschritte zu gehen. Die angeleiteten schematherapeutischen Methoden sind nachhaltig wirksam und effektiv. In der psychotherapeutischen Praxis finden sie  großen Anklang bei den Ratsuchenden. Unser Buch ist als Begleitung während einer Therapie geeignet, aber auch zur selbstständigen Anwendung.

Für wen wird dieses Buch interessant sein?

Julia Arnhold: Neben Betroffenen sind auch Angehörige, also Partner, Familienmitglieder und Freunde, angesprochen.

Hannah Hoppe: Darüber hinaus empfehlen wir als Lehrpraxeninhaberinnen und Ausbilderinnen das Buch auch Kolleg*innen in Ausbildung (Psychotherapie) oder Weiterbildung (Schematherapie).

Wie ist das Buch aufgebaut?

Hannah Hoppe: Nach einem einführenden Teil zu Definition und Hintergründen von Verhaltenssüchten sowie den Grundlagen zu Emotionen, Bedürfnissen und dem Modusmodell wird der Leser Schritt für Schritt dabei begleitet, die eigenen Schwierigkeiten (und Ressourcen!) zu ergründen und einzuordnen. Ein eigener Abschnitt widmet sich dem Umgang mit innerer Ambivalenz gegenüber Veränderung, die bei Sucht im Allgemeinen sehr häufig auftritt und sozusagen „dazugehört“.

Julia Arnhold: Das eigentliche Kernstück des Buches ist zum einen die Hinleitung dazu, eigene innere Anteile zu ergründen und ihr Zusammenspiel zu verstehen. Eine besondere Rolle dabei spielen schädliche innere Botschaften, die als eine Voraussetzung für die Überwindung der Verhaltenssucht verändert werden. Zum anderen werden konkrete Schritte zu eben dieser Überwindung dargestellt und angeleitet bzw. begleitet. Die abschließenden Kapitel widmen sich weiterführenden Hilfsmöglichkeiten, Umgang mit Rückfällen und der Rolle von Partnern, Familie und Freunden im Spannungsfeld zwischen Unterstützung und Co-Abhängigkeit.

Was enthält es noch?

Julia Arnhold: Neben einer fundierten Einführung in die Bedeutung menschlicher Emotionen und Grundbedürfnisse sowie in das schematherapeutische Modusmodell enthält das Buch eine Anleitung für den Leser, um sein eigenes Verhalten einzuordnen und in seinen größeren Zusammenhängen zu verstehen. Dies sowohl mit Bezug zur eigenen Biografie (Kindheit und Jugend) als auch zu den aktuellen Lebensumständen.

Hannah Hoppe: Mithilfe von Imaginationsübungen werden diese Zusammenhänge nicht nur kognitiv verstehbar, sondern auch emotional spürbar, was eine unerlässliche Voraussetzung für nachhaltige Veränderung ist. Diese Übungen können angeleitet mit einer dem Buch beigefügten Audio-CD durchgeführt werden.

Sogenannte Stuhldialoge als weitere aktive Übungen helfen dem Leser dabei, diese wichtigen Erkenntnisse zu vertiefen und in aktives Handeln umzusetzen. Darüber hinaus gibt es den Veränderungsprozess unterstützende Übungen, zum Beispiel aus dem Bereich Achtsamkeit.

Worauf ist zu achten?

Julia Arnhold: Wie alle Veränderungen brauchen auch die im Buch beschriebenen Wege den entschiedenen Einsatz von Zeit und Energie und das Commitment, die Wege auch tatsächlich zu gehen. Die von uns aufgezeigten Wege sind nicht einfach, aber sie sind gangbar und sicher.

Manchmal reicht aber auch der volle persönliche Einsatz nicht, weil womöglich zu viele Lebensbereiche bereits beeinträchtigt sind oder neben der Verhaltenssucht noch andere seelische Probleme vorliegen. Dann braucht es einen unmittelbaren Begleiter statt der mittelbaren Begleitung durch uns Autorinnen. Der Ratgeber unterstützt den Leser daher auch dabei festzustellen, ob er weitergehende, über Selbsthilfe hinausgehende Hilfe benötigt und wie er diese findet.

Ihre Botschaft, die Sie den Leser*innen mit auf den Weg geben möchten.

Julia Arnhold: Unsere Botschaft haben wir in einem Zitat von Christian Morgenstern so schön in Worte gefasst gefunden, dass wir diese Zeilen auch dem Buch vorangestellt haben: „Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben. Machen wir uns von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.“

Hannah Hoppe: Veränderung ist möglich! Und sie ist vielversprechend!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Über die Autorinnen

Dr. Julia Arnhold ist Verhaltens- und Schematherapeutin in eigener Praxis in Berlin. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Hannah Hoppe ist Verhaltens- und Schematherapeutin in eigener Praxis in Köln und Leiterin des Schematherapie-Instituts Rhein-Ruhr sowie einer Lehrpraxis für Verhaltenstherapie in Köln.