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Lichter in unseren Herzen

In dieser Woche wird unser Journal Herzenslichter von Fabienne Berg ausgeliefert. Es enthält 20 Texte zu unterschiedlichsten Themen, denen aber eines gemeinsam ist: Sie sprechen die Energie unseres Herzens  an uns können sie stärken. Und wie stark dieser Effekt eintritt, haben Leserinnen und Leser selbst in der Hand, denn als Journal lädt das Buch zum Selbst-Schreiben ein. Natürlich kann auch gemalt oder collagiert werden. Jedes Thema kann so zum Licht in unserem Herzen werden. Und etwas, das uns stärkt und wieder aufbaut – das können wir alle in dieser von einer Pandemie geprägten Zeit nur zu gut gebrauchen. Deshalb hat Fabienne Berg, extra zum Erscheinen ihres neuen Buches, den nun folgenden Text geschrieben.

 

 

 

 

Was uns wieder aufbaut

Fabienne Berg

Vor kurzem ist meine Großmutter verstorben. In hohem Alter und nach langer schwerer Krankheit. Wann immer ich konnte, habe ich sie in den letzten Jahren besucht und bei Arzt- und Behördengängen unterstützt. Zum Schluss ging es schlicht darum, einfach da zu sein. Heute bin ich dankbar dafür, dass ich ihr dieses Da-Sein zurückgeben konnte und durfte. Denn genau das war sie damals auch für mich gewesen, wenn ich als Kind und Jugendliche nicht mehr wusste, wohin mit mir. Meine Großmutter war nicht die perfekte Oma, aber wenn ich sie brauchte, war sie die meiste Zeit da.

Noch heute sehe ich die Schneeflocken vor meinem inneren Auge, die im Winter sanft die Koniferen in Omas Vorgarten bezuckerten. Am beschlagenen Küchenfenster drückte ich mir als Kind die Nase platt, um die Flocken im Wind tanzen zu sehen. Das Fenster umrahmten blauweiße Gardinen, passend zu den Kacheln auf dem Küchenboden. Wenn ich bei ihr war, buk meine Großmutter meist Eierkuchen, da ich die besonders mochte. Dabei stand ich neben ihr auf einem Hocker, beobachtete fasziniert die in der Pfanne brutzelnden immer größer werdenden goldenen Eierkuchen und reichte meiner Oma zu, was sie mir auftrug. Der süße Duft aus dem Gemisch von Eiern, Mehl, Butter und Milch durchzog angenehm den kleinen Raum. Hier in der Küche war es heimelig warm; draußen war Winter.

In der Stube haben wir die Eierkuchen dann verspeist – meist mit Zucker oder Apfelmus bestrichen, dazu eine Tasse dünnen Milchkaffee. Meine Oma saß wohlig zurückgelehnt in ihrem Sessel. Ich durfte mich nach dem Abräumen auf das Sofa legen. Dann las sie mir stundenlang Geschichten vor.

Meine Kindheit war in meinem Elternhaus von Chaos und Angst geprägt. Doch die Lese-und-Eierkuchen-Momente bei meiner Oma machten all das Schlimme für eine bestimmte Zeit vergessen. Diese besonderen Momente waren mir ein Licht in meinem Herzen. Sie wärmten mich und schenkten mir ein Gefühl von Ruhe, Geborgenheit und Zuversicht. – Die meisten von uns tragen solche Bilder des Lichts und der Hoffnung in ihren Herzen. Die Kraft solch positiver Erinnerungen ist enorm.

Denn selbst wenn das Leben gerade verrückt spielt und wir die Hoffnung zu verlieren scheinen, kann uns ein einziges Herzenslicht dabei helfen, unsere Seele wieder zu erhellen.

Aus diesem Grund habe ich irgendwann angefangen, bewusst schöne Erinnerungen zu sammeln. Ich schrieb sie auf, klebte Fotos und Bilder dazu und nahm sie wieder hervor, wenn ich es brauchte. Immer dann, wenn ich seelisch fror oder innerlich im Dunkeln stand. Angst und Traurigkeit zu durchleben, ist wichtig. Doch manchmal kann beides übermächtig werden, uns innerlich lähmen und uns so im Außen handlungsunfähig machen. Es kann helfen, dem etwas entgegenzusetzen, um neue Kraft schöpfen zu können für den nächsten sinnvollen Schritt. Schöne, freudvolle Momente – und scheinen sie auch noch so klein und unbedeutend – können uns dabei unterstützen, wieder zu hoffen und weiterzumachen. Es verändert unsere Wahrnehmung, wenn wir uns bewusst immer wieder dem Positiven zuwenden. Nach und nach können wir so unseren inneren Speicher mit der Kraft der Hoffnung, der Ruhe und der Zuversicht auffüllen – wenn es geht, am besten jeden Tag. Dergestalt ausgestattet kann es uns dann das eine oder andere Mal leichter fallen, mit den Wechselfällen des Lebens umzugehen. Und es kann uns schlicht Freude bescheren, an etwas Schönes zu denken, zu lachen, eine wärmende Erinnerung vor dem inneren Auge revue passieren zu lassen und damit in einem automatischen nächsten Schritt, neue schöne Momente herbeizuführen, die wiederum später als weitere positive Erinnerung dienen können. Wenn Sie mögen und es nicht schon längst tun, probieren Sie es aus! Ich bin sicher, es lohnt sich.

Ich weiß ja nicht, was Sie vorhaben zu tun, aber ich backe nächsten Sonntag Eierkuchen – im Gedenken an meine Oma, und weil sie einfach immer schmecken.

Weihnachtswünsche

Britta schreibt ihrer Freundin, die zufällig unsere Autorin Fabienne Berg ist. Sie berichtet von Freunden und Verwandten – und von einer ganz besonderen Übereinkunft zum Thema Weihnachtsgeschenke.

 

Weihnachtswünsche

von Fabienne Berg

 

Liebe Fabienne,

momentan liege ich leider mit einer dicken Erkältung flach. Das ist zwar etwas blöd, so mitten im Advent, doch es hat auch sein Gutes! Denn so komme ich endlich mal dazu, in Ruhe zu lesen und ein, zwei längere Mails am Tablet zu schreiben.

Verrückt oder, dass wir dazu im Alltag kaum noch Zeit finden … Aber du kennst das ja: Immer ist irgendwas!

Zum Beispiel Jochens Auszug. Das ist dermaßen nervenaufreibend. Er und Silke sind nur am Streiten. Die Kinder stehen vollkommen neben sich, seitdem die beiden ihnen erzählt haben, dass sie sich scheiden lassen. Ich glaube, der Kleine hat gar nicht richtig verstanden, was sie ihm da gesagt haben. Ich hoffe, sie reißen sich wenigstens über die Feiertage am Riemen! – Obwohl, versprochen haben sie’s. Genau wie wir anderen auch versprochen haben, die Weihnachtswunschliste einzuhalten.

Das hatte ich dir doch erzählt, oder? Wir machen dieses Jahr bezüglich der Geschenke alles anders. Zumindest wir Erwachsenen und die großen Kinder. Wir schenken uns dieses Jahr das, was sich der andere wirklich sehnlichst von einem wünscht, was man aber nicht kaufen kann.

Rike wünscht sich z.B. von Heinz, dass er zumindest einen Abend in der Woche zu Hause ist, bevor die Kinder ins Bett müssen. Er war ganz betroffen, als Rike diesen Wunsch in die Liste eingetragen hat. Ich glaube, ihm war gar nicht klar gewesen, was seine ewige Arbeitssucht für Rike und die Kinder bedeutet.

Wir hatten übrigens anfangs keine richtige Liste. Bis dann Rolf als alter Jurist meinte, dass es besser sei, alles schriftlich zu dokumentieren.

Rike hat Heinz jedenfalls im Gegenzug versprechen müssen, die anderen Tage nicht so ein beleidigtes Gesicht zu ziehen, wenn er später nach Hause kommt, sondern sich stattdessen einen Moment zu ihm zu setzen.

Irgendwie ist es krass, das so zu schreiben, aber du weißt ja eh über alles Bescheid.

Süß waren Micha und der Opa. Opa hat sich gewünscht, dass Micha ihm beibringt, wie man im Internet recherchiert. Opa wird dafür Micha nicht mehr auf seinen Kleidungsstil und seine Freundin ansprechen. Du weißt schon, das ältere Mädchen aus der Grufti-Szene, mit dem Micha seit einem Jahr zusammen und in heißer Liebe entbrannt ist.

Jochen und Silke haben uns allen, wie gesagt, versprochen, ihren Rosenkrieg zumindest über Weihnachten auf Eis zu legen und darüber nachzudenken, wie sie in Zukunft einen friedlicheren Umgang miteinander finden können. Schon wegen der Kinder.

Ich habe Sophie versprochen, auf ihre Kleine aufzupassen, wenn sie zu ihren Weiterbildungswochenenden fährt. Und mir selbst habe ich versprochen, dass ich mir mit diesen Angstgefühlen, unter denen ich seit einiger Zeit leide, helfen lasse. Am 13. Januar habe ich meinen ersten Termin dafür. Nicht schlecht, oder?!

Manchmal gehen ja Wünsche auch in Erfüllung!

Und sollte es doch etwas schleppend voran gehen, wird uns Rolf sicher Feuer unterm Hintern machen. – Es ist ja alles dokumentiert 😉

Und bei euch? Was gibt es Neues?

Und ganz spannend: Was wünschst du dir wirklich zu Weihnachten?

Ich freue mich, von dir zu hören und drücke dich ganz lieb!

Mach’s gut und einen schönen Advent!

Britta

 

Wie sieht es bei Ihnen aus, liebe Leserin, lieber Leser? Haben auch Sie besondere Weihnachtswünsche? – Wenn Sie mögen, erzählen Sie ein wenig darüber!

Wie ein Schmetterling – wild und wunderschön

Von Fabienne Berg

So ein Schmetterling ist schon ein ganz besonderes Flugtier. Es flattert den lieben langen Tag lang über Wiesen und Felder durch die Lüfte und tut, überall, wo es landet, Gutes.

Gewöhnlich sind uns Menschen ja Käfer, Würmer, Spinnen und anderes Krabbelgetier eher unangenehm und lästig. Der Schmetterling jedoch – obschon er zu den Insekten zählt – ist überall gern gesehen und wird zumeist für seine Schönheit und Anmut geliebt und geschätzt. Dieses kleine zarte Wesen scheint uns Menschen auf wundersame Weise becircen und verzaubern zu können,  ist also weit mehr  als nur ein einfaches Insekt. Und mal ehrlich: Wer von uns kann schon mit absoluter Gewissheit abstreiten, dass in so manch filigranem Falter nicht doch auch ein Stück Fabelwesen steckt? Ein bisschen Elfe vielleicht oder gar die Seele einer Fee?

Und hin und wieder zeigt sich sogar das ganz seltene Exemplar des menschgewordenen Schmetterlings. Vielleicht ist Ihnen ja schon einmal ein Mensch begegnet, zu dem Sie am liebsten gesagt hätten: „Du bist wie ein Schmetterling. So frei, so lebendig, so echt. So stark, so verletzlich. So wild und wunderschön. Und tust einfach nur gut.“ Diese Art Schmetterling taucht vornehmlich dann in unserem Leben auf, wenn entweder gerade alles drunter und drüber geht, man so gar nicht gut drauf ist oder man in Eintönigkeit und Lethargie zu versinken droht. Egal was es konkret ist, man rechnet in jedem Fall nicht mit einer wundervoll-wundersamen Begegnung.

Das Leben hat immer Situationen in petto, die einen kurzzeitig oder längerfristig zum Umdenken zwingen: Krankheit, Frau oder Freund weg, Stress bei der Arbeit, Auseinandersetzungen in der Familie. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Und genau dann, im größten Moment des Zweifelns und Verzagens, flattert dieser besondere Mensch in unser Leben. Lässt sich kurz bei uns nieder. Bleibt für einen Feenmoment. Wühlt alles auf wundersam heilende Weise auf und wieder zu. Und flattert wieder von dannen. Man selbst bleibt verwirrt, verzaubert, verzückt und ein Stück weit auch wehmütig zurück und weiß gar nicht so recht, wie einem geschehen ist und was das Ganze eigentlich sollte.

Leben ist Bewegung. Steht unser Leben zu lange still, wird es schal. Läuft unser Leben zu lange in immer denselben Bahnen – ganz gleich, ob diese eher monoton oder chaotisch sind –  laufen wir Gefahr, den Blick für die kleinen und großen Wunder zu verlieren, die sich jeden Tag links und rechts unserer Routine ereignen und sich uns anbieten. Manchmal braucht es einen kleinen Schubs und, wenn der nicht hilft, sogar einen Wachrüttler, um zu verstehen, dass wir etwas in unserem Leben in Bewegung bringen und mit dem Leben mitschwimmen müssen, um weiter zu wachsen.

Die Berührung mit der Schönheit, der Leichtigkeit und der Tiefe eines „Schmetterlings“ kann einen so sprachlos machen, dass man gar nicht anders kann, als sich wieder mit Haut und Haaren und mit ganzem Herzen auf das Leben einzulassen. Denn ganz gleich in welcher Situation wir uns auch befinden – genau dafür ist unser Leben da. Um uns darauf einzulassen und uns von ihm berühren zu lassen. Das Leben ist jeden Tag von neuem ein Wunder, das uns immer wieder neu geschenkt wird.

Und für alle diejenigen, die jetzt vielleicht sagen wollen ‚Och! So einem menschgewordenen Schmetterling bin ich noch nie begegnet’, möchte ich hinzufügen: So ein besonderer Schmetterling kann auch andere Formen und Gestalten annehmen. Er muss sich uns nicht automatisch als zauberhaftes Feenwesen oder Prinz auf weißem Ross präsentieren. Er kann auch in der Gestalt eines besonderen Erlebnisses oder Ereignisses in unser Leben treten oder als ein Buch (z.B. vom Junfermann Verlag ;-)), als eine Erzählung oder als ein Film, der uns auf wundersame Weise nachdenklich gemacht hat und uns anrührt.

Ich bin ganz sicher: In jedem Tag, mit allem, was er so mit sich bringt und uns darbietet, stecken neben allem Traurigen oder Belastenden – wie in einer Wundertüte – auch lauter bunte schöne Schmetterlingsmomente. Wir müssen uns nur trauen, zuzugreifen. Denn unser Leben ist dafür da, genau so wie der Schmetterling zu sein: wild und wunderschön!

Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Start in den Frühling!

Mensch, fürchte dich nicht!

Von Fabienne Berg

 

Bestimmt kennen auch Sie diese Stelle in der Weihnachtsgeschichte, in der die Hirten nachts auf dem Felde ein sehr machtvolles und unbekanntes Gefühl überkam, worauf sie fast zu Tode erschreckten. Irgendetwas war passiert, das sie nicht so recht einordnen konnten und das jagte ihnen einen riesigen Schrecken ein. Doch glücklicherweise mussten sich die armen Hirten nicht lange ängstigen. Nur Momente später erschien ihnen ein Engel, der versicherte, dass alles in Ordnung sei und sie sich nicht weiter zu fürchten bräuchten.

Die hatten es gut die alten Hirten aus dem Neuen Testament! Da passiert plötzlich etwas vollkommen Unerwartetes, was einen gefühlt kurz vor den Herzstillstand bringt, doch anstatt äußerlich durchzudrehen oder innerlich im Schock zu verharren, wird man aus seiner Angst erlöst, weil spontan jemand ganz Besonderes um die Ecke kommt, ein paar beruhigende Worte spricht und man ihm einfach glaubt.

Heutzutage ist diese Geschichte im Grunde nicht mehr fassbar. Dabei wäre es auch für uns oft gar nicht so dumm, wenn wir nicht so viel Angst hätten. Ich bin zum Beispiel eine pathologische Angsthäsin. Mir macht quasi alles Angst: Höhe, laute Geräusche, enge Räume, Menschenansammlungen, Spinnenweben im Herbst und Ansteckungsgefahr im Winter. Außerdem habe ich Angst davor, zu versagen, verlassen zu werden, alleine zu sterben, im richtigen Moment das Falsche zu sagen und im falschen Moment das Richtige zu tun.

Eigentlich habe ich fast jeden Tag vor irgendetwas Angst. Trotzdem versuche ich mich nicht zu fürchten.

Angst ist ein sehr machtvolles Gefühl. Es kann uns schützen, aber es kann uns auch klein und in Schach halten. Zu viel Angst verhindert jede Entwicklung und jeden Fortschritt. Das ist gefährlich – individuell, aber auch gesellschaftlich.

Mensch, warum haben wir solche Angst?!

Warum sind wir oft so gehemmt und gefangen? Warum haben wir so eine Angst vor dem Fremden, dem Unvorhersehbaren und vor dem, was uns nah geht? Was für eine Rolle spielt es denn, ob jemand in Damaskus, in Wuppertal oder in Halle an der Saale geboren wurde oder ob sie ihn liebt oder sie? Warum ist es so schwer für uns, nach einem Streit wieder aufeinander zuzugehen und einander zu verzeihen? Warum erscheint es uns einfacher zu spalten, als zu versöhnen? Warum ist zu besitzen so viel interessanter für uns als zu geben? Warum ist „Der ist doof!“ so viel schneller gesagt als „Ich hab dich lieb“? Und warum schweigen oder schlagen wir, obwohl wir miteinander reden müssten?

Der gute Engel aus dem Evangelium würde Hände und Flügel über dem Kopf zusammenschlagen und bei seinem Chef um weiteres Personal bitten, wäre er hier und heute bei uns im Einsatz!

Ich möchte Sie einladen, sich einmal vorzustellen, was passieren würde, wenn sich alle Menschen auf der Welt nur für einen einzigen Tag nicht zu fürchten bräuchten. Was für eine Welt hätten wir wohl, ohne unsere aus der Angst heraus getroffenen Entscheidungen? Und wie sähe unsere eigene „kleine“ ganz persönliche Welt wohl aus, wenn wir uns einen Tag vollkommen frei und mutig fühlen könnten?

Stellen wir uns vor, dass wir fragen: „Wie meinen Sie das?“, wenn jemand in der U-Bahn sagt: „Diese Asylanten sind ja überall.“ Stellen wir uns vor, dass wir die Kollegin, die immer stiller geworden ist, fragen, ob sie mit uns reden möchte, anstatt zu denken, dass uns das nichts angeht. Stellen wir uns vor, dass wir den Bruder, mit dem wir seit fünf Jahren nicht mehr gesprochen haben, anrufen und den ersten Schritt machen, selbst wenn wir wissen, dass wir beide Schuld haben und er den Hörer vielleicht nicht abnehmen wird. Stellen wir uns vor, dass wir nicht wie sonst jeden Tag mit gesenktem Kopf an dem Menschen vorbeilaufen, in den wir schon so lange verliebt sind, sondern stehenbleiben und fragen, ob er oder sie einen Kaffee mit uns trinken mag. Und stellen wir vor, dass – ganz gleich, wie all diese Situationen ausgehen –, ein Engel an unserer Seite ist und uns jeden Tag Mut macht, indem er uns beim Namen nennt und uns zuflüstert: „Umarme das Leben und fürchte dich nicht!“

 

FROHE WEIHNACHTEN!

Was von dir bleibt

von Fabienne Berg

Elsbeth stützte sich mit beiden Händen auf das kleine Waschbecken. Für einen Moment schloss sie die Augen. Dann hob sie den Kopf und blickte in das Gesicht, das ihr im Spiegel entgegensah. Viel konnte sie nicht erkennen. Zum einen waren ihre Augen in der letzten Zeit schlechter geworden, aber vor allem war nicht mehr viel von ihr übrig. Das Alter und die Krankheiten hatten ein großes Stück von ihr eingefordert.

Elsbeth hatte in der letzten Zeit einiges mitmachen müssen, nachdem sie die drei Stufen von der Terrasse, die zu ihrem Garten führte, hinuntergefallen war. Mehrere Krankenhausaufenthalte, operative Entfernung des Schleimbeutels am linken Knie, Infusionen, Transfusionen und dann der schockierende Zufallsbefund: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bestürzung. Und Einweisung in eine geriatrische Reha. Da war Elsbeth genau 93 Jahre, 6 Monate und 14 Tage alt. Ob sie ihren 94. Geburtstag noch erleben würde, darüber waren sich die Ärzte uneins.

Elsbeth hangelte sich die drei Schritte vom Waschbecken zum Bett. Geschafft! Endlich wieder sitzen. Die Vorhänge vor dem Fenster des kleinen Krankenhauszimmers waren orangegelb gemustert. Ein leichter Frühsommerwind wiegte draußen sanft die Bäume, während die Abendsonne ein paar vorwitzige Lichtfiguren an die kahle Wand kleckste. Auf dem Tisch lagen Elsbeths Entlassungspapiere. Ihre Verwandten hatten bereits alles geregelt. Morgen sollte sie einen neuen Lebensabschnitt beginnen. So nannte es ihre Tochter. Elsbeth sollte in ein Pflegeheim. 2400 Euro kostete das im Monat und es hatte einen guten Ruf. Vier Mahlzeiten am Tag wurden geboten sowie ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm für all diejenigen, die dem Programm noch folgen konnten.

 

Elsbeth war hellwach im Kopf. Ihr Verstand das einzige an ihr, was noch funktionierte. Bis vor kurzem hatte sie noch einigermaßen eigenständig ihr kleines Reihenhaus am Stadtrand bewohnt. Drei Räume, zwei Badezimmer, ein Stück Garten und die Terrasse mit den Stufen. Über 65 Jahre hatte sie dort gelebt. Davon die meiste Zeit zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Die war mittlerweile selbst das zweite Mal verheiratet und Elsbeths Mann schon viele Jahre tot.

Und nun sollte sie umziehen von einem Haus mit Garten in ein einziges kleines Zimmer.

Was nimmt man da mit?

Elsbeths Tochter hatte bereits angekündigt, dass alles, was sie nicht mitnähme, leider weggegeben würde. Alles zu behalten, wäre zu umständlich.

Elsbeth seufzte auf der Bettkante. Zu umständlich! An jedem Stück im Haus hafteten Erinnerungen. Und die sollten einfach so weg? Entsorgt? Genau wie ich, dachte Elsbeth. Ich bin ihnen auch zu umständlich. Sie wusste, dass dieser Gedanke ein wenig ungerecht war, doch ein Körnchen Wahrheit befand sich schon darin. Na, wie auch immer. Sie sah zum Fenster hinaus. Was nehme ich nur mit? Was bleibt von mir?

Es klopfte an der Tür. Ihre Enkeltochter kam mit ihren drei Kindern. Mit einem Mal füllte sich das Zimmer mit Leben. Oma! Umarmungen. Lachen. Blumen. Ein Blech mit Kuchen. Die Mittlere hielt ein Buch in ihren Händen. Es war ein Kinderbuch und gehörte Elsbeth. Sie hatte es selbst als kleines Mädchen geschenkt bekommen und später auch ihrer Tochter und ihrer Enkeltochter daraus vorgelesen. Ganz eindeutig hatte die Kleine das Buch aus Elsbeths Haus. Begannen die Verwandten bereits, das Haus auszuräumen? Offenbar.

Noch bis vor einen Moment hätte Elsbeth das furchtbar aufgeregt. Doch plötzlich fand sie es schön, dass ihre Urenkelin ihr altes Kinderbuch so neugierig inspizierte.

In diesem Moment wusste Elsbeth, was von ihr bleiben würde: ein Erinnerungspuzzle aus einer Million Teilchen. Die Momente mit ihrer Familie, die Reisen an die Ostsee mit ihrem Mann, ihre Stimme, die ihren Kindern vorlas, die Erwartung in den Gesichtern der Kleinen, wenn sie die alte Spieluhr vor der weihnachtlichen Bescherung aufzog, die Dankbarkeit in den Augen der jüdischen Frau, die sie 1944 bei sich auf dem Dachboden versteckt hatte, ihre Anteilnahme, wenn wieder eine Freundin gestorben war, der süße Duft ihres Marmorkuchens und ihre stummen Gebete, in denen sie den Herrgott angefleht hatte, ihnen den Vater aus der Gefangenschaft zurückzuschicken. Es würde so unendlich viel von ihr bleiben. Dessen war sich Elsbeth mit einem Male ganz sicher.

Was von uns bleibt, das können wir nicht einpacken. All das, wofür wir gelebt und uns eingesetzt haben. Unsere Werte, Gedanken, Taten und Werke. Unsere Liebe, unser Glaube und unsere Hoffnungen und Entscheidungen. All das lebt von uns weiter.

Zärtlich strich Elsbeth ihrer Urenkelin über den Kopf – und war plötzlich bereit für diesen neuen Lebensabschnitt. Was sie ins Heim mitnahm, passte in einen einzigen Koffer.

Was von ihr blieb, ist ein ganzes Leben.

Für Nina

von Fabienne Berg

Demnächst erscheint Fabienne Bergs neues Buch Nahrung für Körper und Seele. Magersucht überwinden bei Junfermann. Die Autorin hat hierfür einige von Magersucht betroffene Menschen Berg-Nahrung_FINAL.inddbefragt und ihre Geschichten in ihr Buch aufgenommen. Dazu gehörte auch Nina, mit der es nach Abschluss der Arbeiten an dem Buch zu einer berührenden Begegnung kam.

Aaah, es ist März! Die kalte und dunkle Jahreszeit ist endlich vorüber. Die Tage werden länger und es wird vorsichtig wärmer. Die Menschen halten sich zunehmend im Freien auf und sehnen sich danach, bald wieder schöne dünne Kleidung tragen zu können: luftige T-Shirts, die kurze Hose, das bunte Kleid – und mit Perspektive auf den Sommer den schicken Bikini vom letzen Jahr. Doch Moment! Ob der nach den üppigen Weihnachtsfeiertagen und nach diesem langen Winter überhaupt noch passt? Falls nicht, hilft da nur Folgendes: sich entspannen, sich darüber freuen, dass man es sich im Winter hat gut gehen lassen – und im Sommer bei Bedarf einen neuen kaufen! Vielleicht fragen Sie sich jetzt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe, Ihnen das zu empfehlen, raten doch sämtliche Frauenzeitschriften im Moment ganz anderes. Die Überschriften sind eindeutig: „20 Pfund weniger bis Ostern“, „Blitz-Diät“, „Ananas-Diät“, „Schlank mit Trennkost“ und und und … Zwar sind wir gerade in der Fastenzeit, aber diese Überschriften haben meiner Ansicht nach wenig mit religiösem Fasten oder Heilfasten zu tun.

Die große Mehrheit der Frauen in Deutschland und zunehmend auch der jungen Mädchen kennt sich mit Diäten aus; das ist keine ganz neue Erkenntnis. Doch wozu dient ihnen dieses Wissen eigentlich? Natürlich, um abzunehmen, ist doch klar! Wirklich? Die meisten dieser diätfreudigen Frauen und Mädchen haben keinerlei gewichtsbedingte Krankheiten, die aus medizinischer Sicht eine Diät erforderlich machen würden. Warum also dann überhaupt abnehmen? Glauben sie etwa, sie seien nicht schön, so wie sie sind? Geht es um den Sieg über die Figur und den blöden Bikini vom letzten Jahr? Oder doch um etwas ganz anderes? Eine Diät bindet – vom Geld ganz zu schweigen – viel Zeit und Energie. Für die eigentlichen Themen im Leben bliebe dann nicht mehr viel und so könnte man sich mit einer Diät wunderbar davon ablenken kann …

Unter gewissen Umständen kann eine Diät sogar gefährlich werden. Bei nicht wenigen an Magersucht erkrankten Frauen und Mädchen standen nämlich solche Abnehmbemühungen am Beginn ihrer Krankheit. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Begebenheit mit Ihnen teilen, die mich sehr berührt und bewegt hat.

Vor ein paar Wochen bekam ich folgende SMS: „Hallo liebe Fabienne, wie geht es dir? Ich bin demnächst bei dir in der Nähe. Hast du vielleicht Zeit und Lust auf ein Treffen? LG Nina“

Nina. Ich hatte lange nichts mehr von ihr gehört. Kennengelernt hatten wir uns im Herbst 2014. Sie war zu der Zeit stationär in Behandlung, denn Nina war akut an Magersucht erkrankt. Die Krankheit hatte kaum etwas von ihr übrig gelassen. Sie war noch ein Schatten ihrer selbst, ein Häufchen Elend, nur Haut und Knochen. Verzweifelt, mutlos, traurig. Wir haben viel miteinander gesprochen. Über ihr Leben, ihre Eltern, den tragischen Tod ihrer Mutter, ihren hartherzigen Vater, dem sie nie irgendetwas hatte recht machen können und über ihren Beruf, der sie unglücklich gemacht und emotional ausgehöhlt hatte.

Ich schrieb ihr zurück: „Liebe Nina, schön von dir zu hören! Klar, können wir uns treffen. Wann und wo würde es dir denn passen? LG Fabienne“

Als Nina einige Tage später in das Café trat, in dem wir uns verabredet hatten, hätte ich sie fast nicht wiedererkannt, so unbeschreiblich war ihre Veränderung. Aus dem kaum 40 kg ‚schweren’ Häufchen Elend war wieder eine wunderschöne Frau mit ganz normaler Figur geworden. Das Haar voll und lockig, mit glänzenden grünen Augen und einer warmen und festen Umarmung. Im ersten Moment war ich so sprachlos, dass wir beide lachen mussten.

Und wieder gab es sehr viel zu erzählen. Ninas Vater, ihr Gewicht und der Job bei der Bank waren allerdings kein Thema mehr. Stattdessen berichtete Nina freudestrahlend, dass sie eine private Umschulung zur Fotografin gemacht habe und demnächst eine Fotoreise nach Kanada machen würde. Die einzigartigen Momente des Lebens zu erkennen und festzuhalten, mache ihr unglaubliche Freude. Zwar verdiene sie nicht annähernd so viel wie damals bei der Bank, aber es funktioniere und sie sei damit tausendmal glücklicher.

Nach ihrer stationären Therapie war Nina noch eine ganze Zeit ambulant in Behandlung gewesen. In dieser Zeit war ihr sehr viel klar geworden.

„Ich verstand, wie ich jahrelang an mir selbst vorbei gelebt habe. Und auch wie hart ich zu mir selbst gewesen bin. Ich habe alles entbehrt, wonach ich mich im Grunde mein ganzes Leben sehnte: Liebe, Zuwendung, Freude, sich angenommen fühlen. Und dann hörte ich auch noch auf zu essen. Ich gab mir nichts mehr. Ich war mir nichts wert. Doch damit ist nun zum Glück Schluss! Ich habe wieder angefangen zu essen und die Dinge zu tun, die mich mit Freude und Wärme erfüllen. Und das fühlt sich so unglaublich richtig und gut an. Es ist, als hätte ich endlich angefangen zu leben.“

Das von ihr zu hören, und vor allem Nina so gesund und fröhlich zu erleben, hat mich tief berührt und riesig für sie gefreut. Als ‚Wiedersehensgeschenk’ hatte sie mir ein Fotobuch mitgebracht mit einer Auswahl ihrer Lieblingsaufnahmen.

„Und wann erscheint dein neues Buch?“, fragte mich Nina.

Eine berechtigte Frage. Immerhin hatte ich Nina für das Buch interviewen dürfen.

„Jetzt bald im Frühling. Passend zu unserem Wiedersehen. Denn den Frühling hast du ja mitgebracht“, war meine Antwort.

Sich selbst mit dem zu nähren, was uns als Mensch langfristig gesund und glücklich macht, scheint mir wichtiger zu sein, als die Frage, ob die Kleidung vom letzten Sommer noch passt. Und was die eigene Attraktivität anbelangt, um die sich anscheinend so viele Frauen sorgen, so darf ich Ihnen verraten: Nicht die Bikinigröße ist ausschlaggebend. Ich weiß nicht, ob es ihr selbst wirklich aufgefallen war, mir aber schon: Als Nina mit ihrer neuen lebensbejahenden Ausstrahlung das Café betrat, drehte nicht nur ich mich um.