Im Herbst 2019 ist das Buch „Selbstbewusst NEIN sagen. Grenzen setzen – Grenzen achten“ von Gisela und Herbert Ruffer, Heilpraktiker für Psychotherapie in Landshut, erschienen, und zwei Monate später das zugehörige Hörbuch. Im März 2021 wurde in Kooperation mit Sinnsucher.de der Online-Kurs dazu – „Nein sagen – Wie Du lernst, selbstbewusst Deine Grenzen zu setzen“ – veröffentlicht. Innerhalb weniger Wochen avancierte er zu einem der beliebtesten Junfermann-Kurse auf der Plattform.
Ich sprach mit Gisela Ruffer darüber, wie wir ohne schlechtes Gewissen Nein zu sagen lernen – für ein harmonisches Miteinander. Denn, wie die Autorin Paul Tillich zitiert: „Der wahre Ort der Begegnung ist die Grenze.“
Gisela Ruffer in ihrem Online-Kurs „Nein sagen“
Was hat Sie darauf gebracht, sich mit dem Thema „Grenzen setzen“ zu befassen?
Gisela Ruffer: Vermutlich einerseits mein Spezialgebiet: eigene Grenzen zu testen und möglichst zu überschreiten. Das heißt, ich bin u. a. schon früh von Zuhause ausgezogen. Ich habe im Studium versucht, möglichst wenig zu schlafen, damit ich Zeit zum Lernen habe. Bücher lese ich möglichst in einem durch, Sport habe ich gerne bis zur Erschöpfung gemacht und wenn ich nur ein Zimmer streichen müsste, renoviere ich gleich das ganze Haus.
Früher hielt ich meine Art für normal und war irritiert, wenn andere das anders machten, und ich musste lernen, mir zum Selbstschutz, immer wieder eigene Grenzen zu setzen, damit ich so alt werden konnte wie ich jetzt bin. 🙂
Andererseits traf ich auf meinem Lebensweg aber auch Menschen, die ich heute als ‚böse‘ bezeichnen würde. Ich weiß wie es ist, wenn andere meine Grenzen überschreiten und mir damit seelisches und körperliches Leid antun. Das heißt, ich habe Erfahrung damit, meine niedergerissenen Grenzen wieder aufzubauen und innerlich heil zu werden.
Die Gesamtsumme meiner Erfahrungen hat wohl dazu geführt, dass ich mich über viele Jahre um junge Menschen in ausweglosen Situationen gekümmert habe und ich durch die Begegnungen in meiner Praxis für HP-Psychotherapie zusätzlich den Ansporn und die Gedanken entwickelt habe, ein Buch bzw. Online-Seminar dazu zu schreiben.
Gibt es Grenzüberschreitungen, die typisch weiblich oder typisch männlich sind? Ist Grenzen zu setzen typisch Mann?
Ich bin nicht so der Fan von solchen Aussagen. Was ich entdeckt habe ist, dass viele Frauen gerne mit anderen auf einer Ebene kommunizieren, um unserem Gegenüber ein gutes Gefühl zu geben. Wir arbeiten in Netzwerken in der horizontalen Ebene. Das heißt, wir reden mit anderen gerne über unsere Emotionen, Probleme und Erlebnisse und haben dabei das Gefühl, zu teilen.
Bei Männern sehe ich das auch … aber anders. Sie holen sich einen Rat, fachsimpeln oder dozieren. Heißt, schon in der Kommunikation finde ich Unterschiede, nennen wir es Abgrenzungen. Beste Freunde ja, aber auch gute Seilschaften nach oben. Also weniger den Blick zur Seite – in die Horizontale (wie die Frau) – als nach oben bzw. unten – in die Vertikale. Diese oft andere Ausrichtung kann den Anschein erwecken, ganz sicher.
Machen Frauen zu viele Worte, wenn sie NEIN meinen?
Ja, auf jeden Fall! Wir Frauen sagen nicht nur NEIN, wir versuchen das dann auch noch in allen Farben und Emotionen, schlüssigen Begründungen und Herleitungen zu erklären.
Das klingt in den Ohren von Männern wie Rechtfertigung. Und wir selbst meinen, dass das klug ist. Für andere wirkt es eher inkompetent. Mein Rat: Wenn wir – als Frauen – von einer Grenze überzeugt sind, dann genügt ein einfaches NEIN.
Funktioniert übrigens bei Kindern genauso. Ich muss meinem Kleinkind nicht lange erklären, warum ich meine was ich sage.
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Welche Grenzüberschreitungen kommen Ihrer Erfahrung nach am häufigsten vor?
Vermutlich neigen wir alle dazu, am ehesten das Wohlwollen eines anderen auszunutzen und wissen dabei oft nicht, welches Leid wir damit verursachen
Sie unterscheiden 9 Typen von Grenzüberschreiter*innen. Welchem ist am schwersten „Paroli zu bieten“?
Welchem Typen ich am ehesten ausgeliefert bin, hängt natürlich von meiner eigenen Persönlichkeit und dem vorhandenen Grenzverhalten ab … und nicht selten auch von meiner Tagesform.
Aber generell würde ich sagen, dass wir uns auf den ersten Blick mit den lauten und aggressiven Typen am schwersten tun. Doch bei genauerer Betrachtung erleben wir doch vielfach die Grenzüberschreitungen durch die leiseren Töne wie Erwartungen, die an uns herangetragen werden, und die wir dann nicht enttäuschen wollen.
Und wenn ich mich selbst in einer der Typenbeschreibungen wiedererkannt habe?
Wenn ich mich selbst in einem dieser Typen erkannt habe, dann ist diese Selbsterkenntnis immer noch der erste Weg zur Besserung. Auch dazu gebe ich im Buch und im Online-Seminar einige Tipps. Meist hilft schon das Verstehen, wie ich selbst womöglich mit meinem Umfeld interagiere und warum es mitunter zu komplizierten Beziehungen oder gar Beziehungsabbrüchen gekommen ist.
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Kann es eine Hilfe sein, meinen Partner oder eine gute Freundin zu bitten, mir seine/ihre Wahrnehmung von mir mitzuteilen? Oder komme ich dann „in Teufels Küche“?
Zu diesem Thema müsste ich wahrscheinlich etwas weiter ausholen. Aber in der Kürze gesagt: Wir kennen ja alle den Spruch: Wie ist denn der oder die drauf? Hat der keine Freunde? Damit implizieren wir, dass gute Freunde – und das sollte vor allem auch der Partner sein – uns auf unsere blinden Flecken liebevoll aufmerksam machen.
Leider ist auch da die Scheu vor Auseinandersetzungen oft sehr hoch, was dann leider das Ertragen des anderen bewirkt … bis es nicht mehr geht.
Aber generell kann ich nur dazu ermutigen, sich Feedback einzuholen und auch immer damit zu rechnen, dass es ehrlich ist und mich somit vor eine Herausforderung stellt. Denn Wahrheit fängt mit einem großen W(eh) an! 🙂
Sollte ich jemand anderen darauf hinweisen, wenn ich den Eindruck habe, dass er alles mit sich machen lässt? Oder musss das jeder selbst an sich merken?
Wenn ich denke, dass ich jemanden auf etwas hinweisen sollte, dann überlege ich zunächst, ob ich das mir auch wünschen würde. Im nächsten Schritt bedenke ich, ob es dem anderen wirklich hilft und wie ich es formulieren sollte, damit es als Hilfe und nicht als Kritik ankommt. Und schließlich frage ich die Person, ob sie meine Beobachtung überhaupt hören will. Dann kann es zu einem wirklich guten Gespräch werden.
Wir alle schauen ja aus uns heraus und haben die anderen besser im Blick als uns selbst. Daher passiert es auch, dass wir für unser eigenes Verhalten oft blind sind, es nicht selbst merken können und daher froh sein dürfen, wenn uns andere in die Spur helfen.
Was kann ich tun, wenn mir etwas zu weit geht? Haben Sie einen Sofort-Hilfe-Tipp?
Ich muss innere oder äußere Distanz schaffen um Zeit für eine angemessene Grenzziehung zu bekommen. Also nicht gleich „ja“ sagen oder in die Konfrontation gehen. Meist benötigen wir einen Moment um festzustellen, was das in mir gerade bewirkt und was ich eigentlich will.
Und durch die Distanz kann ich mich für eine Strategie entscheiden.
Es gibt zum Beispiel auch Bereiche, in denen ich mich schon im Vorfeld für eine Reaktion von mir entschieden habe. Ich selbst habe im Straßenverkehr und im täglichen Miteinander beim Einkauf oder im Job nicht das Menschenbild von „edel sei der Mensch, hilfreich und gut“. Daher habe ich für mich entdeckt, dass mich nur mein Humor retten kann.
Drängelt sich also jemand an der Kasse vor, klaut mir den Parkplatz oder ist am Telefon mies gelaunt, dann lache ich und nehme es auf keinen Fall persönlich. Denn manche Menschen sind einfach so.
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Der Online-Kurs bei Sinnsucher.de basiert auf Ihrem Buch „Selbstbewusst NEIN sagen“. Gab es beim Dreh etwas, zu dem Sie selbst Nein gesagt haben?
🙂 Ja, das gab es tatsächlich. Als ich das Studio betrat, führte man mich zu dem etablierten Rednerpult. Das hilft den meisten Menschen, um die Kameraeinstellung nicht zu verlassen und ihr Skript griffbereit zu haben. Für mich ist das allerdings absolut untauglich. Was ich nicht im Kopf habe, finde ich im richtigen Moment dann auch nicht auf dem Skript und zum Sprechen muss ich frei stehen können. Kurzum: das Ding musste weg. Und danach konnte es losgehen.
An dieser Stelle vielleicht ein großes Kompliment an den Regisseur, Herrn Dominik Rößler, der mich mit seiner unnachahmlichen Persönlichkeit und seinem absoluten Know-How durch diese Aufnahmezeit begleitet hat.
Was war bei der Umsetzung des Buchs in Videoclips die größte Herausforderung für Sie?
Mich überhaupt erst mal vor die Kamera zu trauen. Das war für mich eine Mutprobe und Grenzerfahrung bzw. Grenzerweiterung.
Dann die richtige Auswahl der Themen zu treffen. Und schließlich die Frage: Wie verpacke ich es in nicht nur nachvollziehbare Gedankengänge, sondern kann es auch noch anschaulich darstellen.
Ich hoffe, es ist so einigermaßen gelungen.
Anm. der Redaktion: Hier können Sie nachlesen, was Kurs-Teilnehmer sagen auf Sinnsucher.de
Wenn es zum Online-Kurs Outtakes gäbe von dem, was schief gegangen ist: In welcher Szene würde wir Sie am meisten lachen sehen?
Letzter Tag … es sollten nur noch die Aufnahmen für die Werbung gemacht werden … Kurze Takes mit feststehenden Aussagen. Eigentlich vollkommen undramatisch.
Doch dann begann für mich der absolute Albtraum: Ich war einfach nicht in der Lage, mir die einfachsten Sachen zu merken. Ich glaube, der Regisseur dachte anfangs, dass ich Scherze mache, lachte noch mit mir und meinte noch albern: „Nicht denken, einfach nur reden!“
Als dann mein Lachen aber immer verzweifelter wurde, stellten wir fest: Nahrung könnte helfen! Und so war es dann auch. Natürlich verursachte das eine enorme Zeitverzögerung. Schließlich kam die Anweisung: „Wir haben noch 13 Minuten. Jetzt bitte noch schnell das YouTube-Video ‚3 Tipps für leichtes NEIN Sagen‘. Sie haben 10 Minuten.“ Dafür gab es kein Konzept und nur diese Gelegenheit. Also legte ich los.
Danach war ich so durch den Wind, dass ich noch schnell alle meine Unterlagen und Klamotten zusammensuchte, mich mit zwei Koffern und Handgepäck durchs Haus zum Aufzug kämpfte, den falschen Knopf drückte, um dann irrtümlich im untersten Bereich der Tiefgarage zu landen. Durch die Sicherheitsmaßnahmen konnte ich nicht wieder zurück und zuckelte somit mit all meinen Habseligkeiten durchs Parkhaus ganz nach oben zu meinem Auto. Während ich da so lief, stellte ich mir amüsiert vor, wie der Parkhauswächter vor seinem Bildschirm sitzt und diese arme Irre, mit wirrem Blick und viel zu viel Klamotten durchs Parkhaus laufen sieht …
Das Interview führte Saskia Thiele, ließ sie mehrfach innerlich „JA!“ sagen – und oft schmunzeln.
Gisela Ruffer
Gisela Ruffer ist Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis für Psycho-und Paartherapie in Landshut. Ihre Spezialgebiete sind lösungsfokussierte Gesprächsführung und Beziehungscoaching. Siehe auch: https://praxis-ruffer.de/