Weihnachten 2020
Irgendwie ist alles wie immer. Ich habe meinen letzten Arbeitstag vor dem Weihnachtsurlaub, nehme mir endlich mal Zeit, alle Kruschtelecken im Büro gnadenlos auszumisten. Ich frage mich – wie jedes Jahr: Wieso ist dieser Kram überhaupt noch da? Und schwups, schon ist er weg, in der großen Kiste verschwunden, die ich irgendwann gut gefüllt zu den Mülltonnen bringe.
Und dann … ist doch nicht alles so wie immer. Im Papiercontainer herrscht gähnende Leere. Wie oft habe ich mich schon abgemüht, wenigstens einen Teil meiner Papierberge noch in irgendwelchen Lücken unterzubringen. Und in diesem Jahr sorgt meine große Kiste mal gerade für ein bisschen Bodensatz.
Dass ich heute alleine im Verlag bin, ist nicht so ungewöhnlich. Ich nehme mir gerne, wenn alle Kolleginnen und Kollegen schon im Urlaub sind, einen Tag, um in aller Ruhe das Arbeitsjahr für mich abzuschließen. Der Start ins nächste Jahr soll möglichst frisch und unbelastet sein. Und das im Tagesgeschäft mal eben mit zu erledigen, das funktioniert bei mir meistens nicht.
Alles normal also? Nein, nicht ganz. Schon in den vorhergehenden Tagen war kaum noch jemand hier. Mehr oder weniger alle waren im Homeoffice und es fehlte der üblich Weihnachtstrubel. Spätestens zum 1. Advent holen normalerweise alle irgendwelche Lichterketten, Figuren und anderen Dekokram raus. In diesem Jahr sah es bei einer Kollegin etwas weihnachtlich aus, bei uns anderen: Fehlanzeige. Es gab auch viel weniger Schokolade, weniger weihnachtliches Gebäck (was auch sein Gutes hat), und es gab keine Weihnachtsfeier.
Halt, stimmt nicht so ganz. Letzten Donnerstag hatten wir unsere letzte Teambesprechung vor Weihnachten – als Videokonferenz natürlich. Bevor es richtig losging, hieß es: Es wird noch jemand dazu geschaltet. – Aber wer? Plötzlich kam eine Frau ins Bild, die uns mit einem Gedicht begrüßte und uns dann einlud, mit zu den Tieren zu kommen. Dann zeigte sich im Bild eine gut mit Heu gefüllte Raufe, um die diverse Alpakas, Esel und Ziegen versammelt waren. Die Tiere gehörten zum Streichelzoo des Gertrudenhofs in der Nähe von Hürth. Sie wurden uns vorgestellt und wir erfuhren, dass auch sie unter den aktuellen Kontaktbeschränkungen leiden würden. – Keine echten Besucher auf dem Gertrudenhof, aber einige virtuelle, die von Belustigt-Sein über Erstaunen, Verwunderung, Freude und Berührtsein ein großes emotionales Spektrum darboten.
Der ganze Zauber dauerte gerade zehn Minuten, aber das reichte, um die Teambesprechung positiv anzureichern. Per Video ein paar Tieren beim Fressen zuzuschauen – das ersetzt keine echte Weihnachtsfeier. Und doch wäre es schade gewesen, wenn wir diese zehn Minuten nicht gehabt hätten.
Dieses Weihnachten und dieser Jahreswechsel werden für die meisten von uns etwas anders sein als in den vorhergehenden Jahren. Wir werden nicht alle besuchen können, die wir gerne sehe würden. Wir werden nicht groß verreisen können. Wir müssen uns umstellen und schauen, was denn so möglich ist. Und das, was möglich ist, das sollten wir nutzen.
Ich wünsche allen, die mir bis zum Ende gefolgt sind, dass sie ihren Zehn-Minuten-Zauber finden mögen. Zu Weihnachten, und überhaupt.