Es braucht mehr als nur Ruhe
Was tun, wenn Kinder und Jugendliche plötzlich kaum noch aus dem Bett kommen, selbst ein Spaziergang zur Herausforderung wird und Ruhe allein nicht hilft? Im Interview erklärt Lea Höfel, woran man ME/CFS erkennt, wie sich die Erkrankung von normaler Erschöpfung unterscheidet und warum gerade junge Betroffene besondere Unterstützung brauchen. Sie gibt Einblicke in die aktuelle Forschung und zeigt, wie ihr Buch Familien dabei hilft, mit der komplexen Erkrankung besser umzugehen.
Lea Höfel über ME / CFS bei Kindern und Jugendlichen
Liebe Frau Höfel, mit welchen Beschwerden kommen die Kinder und Jugendlichen zu Ihnen?
Lea Höfel: Die häufigsten Beschwerden sind starke Erschöpfung, Schmerzen und Kreislaufprobleme. Selbst alltägliche Aktivitäten wie ein Spaziergang sind für die Kinder und Jugendlichen anstrengend. Zusätzlich leiden viele an Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Magen-Darm- Problemen. Die Symptome variieren von Fall zu Fall, doch anhaltende, tiefe Erschöpfung betrifft alle.
Wie unterscheidet sich eine „normale“ und vorübergehende Erschöpfung von einer Myalgischen Enzephalomyelitis (ME) bzw. dem chronischen Fatigue-Syndrom (CFS)?
Lea Höfel: Normale Erschöpfung kennen wir alle: Nach dem Sport, einem anstrengenden Tag oder wenig Schlaf fühlen wir uns müde. Doch bei ME / CFS reicht schon eine kleine Anstrengung aus – egal ob körperlich, mental oder emotional –, um eine extreme und anhaltende Erschöpfung auszulösen. Anders als bei normaler Müdigkeit hilft Ruhe nicht – hier braucht es viel mehr, um sich besser zu fühlen.
Wie erklärt man sich das Chronische Fatigue-Syndrom / die myalgische Enzephalomyelitis?
Lea Höfel: ME / CFS wird als Multisystemerkrankung betrachtet, bei der mehrere Organsysteme betroffen sind. Meistens beginnt die Erkrankung nach einem Infekt wie COVID-19 oder dem Pfeifferschen Drüsenfieber. Das Energiesystem des Körpers gerät aus dem Gleichgewicht, das Immunsystem kann ebenfalls betroffen sein und das Gehirn wird oft nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Die Forschung steckt noch in den Anfängen.
Welche Besonderheiten gilt es bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen mit ME / CFS zu beachten?
Lea Höfel: Bei Kindern und Jugendlichen schwankt die Symptomatik stärker als bei Erwachsenen, was die Therapie anspruchsvoll macht. Kinder haben oft Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen und die langfristigen Folgen ihrer Handlungen zu erkennen. Glücklicherweise sind die Heilungschancen in dieser Altersgruppe aber oft besser.
Inwiefern hilft Ihr Buch den Betroffenen und ihren Angehörigen auf dem Weg zur Gesundung?
Lea Höfel: Das Buch gibt Betroffenen und ihren Familien fundierte Informationen und hilfreiche Strategien an die Hand. Es erklärt auf einfache Weise den aktuellen Stand der Forschung und gibt praxisnahe Tipps, wie man mit Symptomen wie Schmerzen oder Kreislaufproblemen umgehen kann. Besonders wichtig ist das sogenannte Pacing, also ein gutes Energiemanagement. Das Buch bietet für all dies verschiedene Herangehensweisen – Metaphern, Abbildungen, Tagebücher, Spiele bis hin zu Checklisten – und spricht unterschiedliche Lerntypen an. Ziel ist es, den Familien Mut zu machen und sie zu unterstützen, besser mit der Erkrankung umzugehen.
Dr. rer. nat. Lea Höfel leitet die Abteilung Zentrum für Schmerztherapie junger Menschen und die stationäre ME/CFS Therapie an der Kinderklinik Garmisch-Partenkirchen gGmbH.
Zum neuen Buch der Autorin zum Thema: Warum bin ich so erschöpft?
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