Beiträge

Podcast-Folge 83: Apropos … Mimik, Gestik, Sprache!

Der Ton macht die Musik. Wir teilen uns nicht nur über Sprache mit, sondern auch über die Gestik. Der Trainer für Gewaltfreie Kommunikation (GFK) und Mimikexperte Al Weckert aus Berlin beschäftigt sich mit den Zwischentönen, die wir mit unserer Gestik beim anderen hinterlassen. Wie sagen wir es und was sagen wir wirklich? Diese Folge spürt einer einfühlsamen Kommunikation nach, einem achtsamen Zuhören und Antworten und einer Sprache, die es uns erleichtern kann, unsere und die Bedürfnisse des anderen zu erfüllen.

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Podcast-Folge 73: Apropos … Kindheit mit Gewaltfreier Kommunikation

Keine Schimpfwörter am Esstisch, nie Streit und immer nur ein harmonisches Miteinander? Geht das? Lea Sikor ist mit der der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg groß geworden. Wie, das erzählt sie in dieser neuen Folge von „Apropos Psychologie“.

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Podcast-Folge 69: Apropos … auf Augenhöhe!

„Wie redest du eigentlich mit mir?!“Was als Frage formuliert ist, entpuppt sich schnell als empörte Schuldzuweisung und Vorwurf. Wir fühlen uns angegriffen und nicht wertgeschätzt. Wertschätzung aber ist essenziell für gelingende Beziehungen in allen Bereichen unseres Lebens. Sie kann Kommunikationsbarrieren zwischen verschiedenen Kulturen und Nationalitäten abbauen helfen und ist Grundvoraussetzung für eine demokratische Kultur und Politik.

 

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Julia Böcker über … Emotionsfokussierte Therapie

Unsere Autorin Julia Böcker ist Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis in Wuppertal sowie Ausbilderin für das Institut für Emotionsfokussierte Therapie in München, welches die Weiterentwicklung und Anwendung der EFT im deutschen Sprachraum zum Ziel hat. Für die EFT sind Emotionen zentraler Bezugspunkt für therapeutische Ziele und Interventionen.

Im Video geht Julia Böcker auf diesen Punkt näher ein und beleuchtet, welche Besonderheiten diesen Therapieansatz für sie ausmachen. Im Anschluss stellt sie eine Übung aus der EFT vor, die vor allem dann hilfreich sein kann, wenn wir an einen Punkt kommen, an dem wir unsere Gefühle nicht einordnen bzw. nachvollziehen können.

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Podcast-Folge 18: Apropos … Miteinander reden!

Wann ist ein Gespräch eigentlich gut? Wer beurteilt, ob es schwierig ist oder nicht? Und wie wichtig ist gutes Zuhören, wenn wir miteinander sprechen wollen? Weiterlesen

Was Shakespeare, Sherlock Holmes und ein Paketbote mit Gewaltfreier Kommunikation zu tun haben

Seit Januar 2021 gibt es das Online-Seminar „Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation“, kurz: GFK, mit dessen Hilfe wir lernen können, empathisch, klar und überzeugend zu kommunizieren. Entwickelt hat es der Trainer, Autor und Kommunikationsprofi Al Weckert, der mit seiner Firma Empatrain auf mehr als 1000 Seminare zum Thema zurückblickt. Wir wollten wissen, wie das geht:

„Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation“

Al Weckert im Online-Seminar „Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation“

Bin ich nach zwei Stunden Online-Kurs fit in Sachen GFK?

Weckert: Ob Sie anschließend fit in GFK sind, hängt von Ihrer Übungsbereitschaft ab. Sie erhalten 33 Videos mit über zwei Stunden Anleitung und fast jeder Film enthält eine Übung. Wenn Sie die Übungen im Begleitheft ausfüllen, lernen Sie dabei viel mehr als die Theorie. Sie trainieren eine neue Fähigkeit. Nach dem Kurs können Sie die vier Schritte der GFK anwenden und anderen erklären, wie es funktioniert.

Welche Vorkenntnisse sind nötig?

Weckert: Für das GFK-Online-Training brauchen Sie keine Vorkenntnisse. Sie brauchen einen Drucker, denn ich habe viele Übungsmaterialien in das Begleitheft gepackt, um das Lernen zu erleichtern. Es gibt zum Beispiel Listen mit Gefühlen und Bedürfnissen, einen Tagesplaner mit eingebauten GFK-Übungen und die GFK-Easysteps, die man auf den Boden auslegen kann, um ein Thema (zum Beispiel einen Konflikt oder eine schwierige Gesprächssituation) für sich zu klären. Vorkenntnisse sind also nicht nötig. Sie schaden aber auch nicht, denn ich habe neue und ziemlich unterhaltsame Übungen eingebaut.

Was muss ich persönlich mitbringen, damit das Seminar für mich auch Sinn macht?

Weckert: Sie benötigen eigene Fallbeispiele, um die Aufgaben zu lösen. Damit meine ich eigene Erlebnisse, z. B. wenn Sie sich mit jemanden gestritten haben oder mit einem Gespräch unzufrieden waren. Wie Sie solche Beispiele finden können, erkläre ich Ihnen in den ersten Videos des Online-Trainings. In den Übungen zeige ich, wie Sie diese Konflikte ansprechen oder den Grund für Ihre Unzufriedenheit klarer zu fassen kriegen. Mit eigenen Beispielen können Sie besser miterleben, wie das funktioniert. Außerdem haben Sie dann einen „Sofortgewinn“. Sie können das Thema anderen gegenüber direkt ansprechen.

In der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg kommen ein Wolf und eine Giraffe vor? Warum eigentlich?

Weckert: Eines Tages sagte eine Frau zu Marshall Rosenberg: „Mein Mann spricht mit mir wie ein Wolf“. Rosenberg antwortete mit seinem typischen trockenen Humor: „Dann üben wir heute Wölfe zu zähmen“. Die Frau schenkte Rosenberg am nächsten Tag zum Dank eine Wolfspuppe, die er fortan im Koffer mit sich herum trug. Irgendwann kam eine Giraffe dazu, denn die Giraffe hat von allen Landtieren das größte Herz. Der Wolf steht für eine Sprache der Dominanz, die Giraffe für eine Sprache der Einfühlsamkeit.

Al Weckert als Shakespeare im Online-Seminar „Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation“

Im Online-Seminar zeigen Sie keine Giraffen und Wölfe. Stattdessen treten Sherlock Holmes und Shakespeare auf, deren Hüte Sie sich aufgesetzt haben. Sollte man ab und an einen anderen Hut aufsetzen?

Weckert: Schon die Indianer wussten, dass man einen Monat in den Mokassins seines Gegenübers laufen muss, um ihn zu verstehen. Wobei: Die Wörter „sollte“ und „muss“ sind Wolfssprache, denn sie sind an Zwang und Druck geknüpft. Zwang und Druck führen in der Regel zu einer Verschlechterung der zwischenmenschlichen Beziehung. Weil es aber gerade um Verbindung geht, erklärte ich die Geschichte mit den Hüten lieber so: Perspektivwechsel erzeugt Verständnis, Verständnis erzeugt Vertrauen, durch Vertrauen entsteht Veränderungsbereitschaft. Das der Buchstabe V so oft vorkommt ist kein Zufall, sondern Absicht. V wie „voll gut den Hut zu wechseln“.

Wie hätte dieser Online-Kurs dem Mann aus der Geschichte mit dem Hammer von Paul Watzlawick helfen können?

Weckert: Der Mann, der so dringend einen Hammer brauchte, hätte von dem Online-Seminar definitiv profitiert. Er hätte beim Nachbarn geklingelt und eine der vielen Bitten geäußert, die wir im Kurs trainieren. Er hätte mit jeder Antwort gut leben können. Bei einem „ja“ hätte er sich gefreut. Bei einem „nein“ hätte er sich nicht geärgert. Er hätte gewusst, dass der Nachbar einen Grund für sein nein hat. Er hätte sein Ziel auf einem anderen Weg erreicht.
Im Online-Seminar erzähle ich ja die Geschichte von dem Paketboten, der mir Benachrichtigungen in den Briefkasten schmeißt, obwohl ich zuhause bin. Da muss ich – genau wie der Mann in Watzlawicks Geschichte – aufpassen, dass ich mich nicht in irgendeine schräge Wut hineinsteigere. Wenn unsere Gefühle von den Handlungen anderer abhängen, leben wir in einer emotionalen Sklaverei.

Inwiefern sind Mimik und Gestik Teil der GFK?

Weckert: Sind sie das? Ich kenne GFK-Trainer, die das nicht in ihren Ausbildungen behandeln. In meinen Trainings spielen Mimik und Gestik allerdings eine große Rolle. Sie ermöglichen mir eine ganz andere Ebene der Wahrnehmung. Jenseits von Verstand und Sprache sehe ich meinem Gegenüber an, wie er sich fühlt. Charlie Chaplin hat gesagt: „Wir denken zu viel und fühlen zu wenig.“ Mir erleichtert die Wahrnehmung der Körpersprache das Fühlen.

Gibt es Tipps & kleine GFK-Kniffe, die ich jetzt gleich sofort in meinem Alltag mal ausprobieren kann?

Weckert: Genau diese kleinen Tipps und Kniffe erklären die Trainerkolleginnen Ulrike Michalski und Silvia Richter-Kaupp in den beiden Videos zu Selbstempathie und Aktivem Zuhören. Da will ich jetzt nicht spoilern. Sonst verderbe ich ja die Überraschung!

Wie kann ich weiter üben?

Weckert: Im letzten Teil des Online-Kurses leite ich die Teilnehmer*innen in mehreren Videos dazu an, wie sie weiterüben können. Als Teilnehmer*in bekommen SIe zum Beispiel einen Tagesplaner, mit dem Sie täglich eine GFK-Übung durchführen können.
Am nachhaltigsten lernen die meisten Menschen natürlich immer noch beim gemeinsamen Üben mit anderen. Deshalb biete ich in der Akademie im Park (Wiesloch) drei Kurse an, die exakt an diesen Online-Kurs anknüpfen: „Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation“, „Der Tanz auf dem Vulkan“ (Umgang mit starken Gefühlen und Schuldzuweisungen) und „Mimikresonanz“ (Körpersprache-Training). In diesen Kursen wird geübt, vertieft und weiter aufgebaut. Du triffst andere, die auch das Online-Seminar abgeschlossen haben und kannst alle Deine Fragen stellen.
Ergänzend empfehle ich auch das Audiobook zum Online-Training. Damit kannst Du Dir die Schlüsselunterscheidungen der GFK wunderbar einprägen.

Hast Du ein Lebens(abschnitts-)motto?

Weckert: Das habe ich tatsächlich. Es lautet: „In good we trust!“ Das habe ich bei einer Techno-Party in Berlin mitten auf der Tanzfläche auf einem T-Shirt gelesen. Ich habe mir am nächsten Tag von diesem Spruch einen Türvorleger designen lassen. Seitdem betrete ich meine Wohnung ziemlich oft mit einem entspannten Lächeln im Gesicht.

Das Gespräch führte Saskia Thiele, Digitale Produkte, Junfermann Verlag.

 

Al Weckert ist Volkswirt, Mediator, Trainer für Gewaltfreie Kommunikation und Organisationsentwickler. Er ist Experte für das Training von Empathiefähigkeit. Gemeinsam mit Unternehmen und Organisationen entwickelt er Modelle nachhaltiger Konfliktbearbeitung und Trainingskonzepte für mehr Achtsamkeit und gegenseitige Wertschätzung in der alltäglichen Kommunikation am Arbeitsplatz.  https://www.empathie.com/

Sein Online-Seminar „Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation“ erschien Ende 2020 auf www.junfermann-live.de

Nur noch bis (einschließlich) Mai: Seminarbetreuung durch Al Weckert als Kommentator 

 

Wertschätzung Mangelware, Empathie Fehlanzeige?

Über (Selbst‐)Erkenntnis, Effizienz und Einfühlung im Gesundheitswesen

Ein Interview mit Birgit Brand-Hörsting, Inhaberin des Bildungsinstituts für Pflegeberufe und des WdH – Wertschöpfung durch Worte in Karlsruhe und Autorin von Wertschätzende Kommunikation für Pflegefachkräfte und Ärzte

 

Frau Brand-Hörsting, was macht die Kommunikation zwischen Ärzt*in und Patient*in eigentlich so schwer?

Im Gesundheitswesen herrscht in allen Bereichen eine extrem hohe Arbeitsdichte. Einer der entscheidenden Negativfaktoren ist sicherlich der Zeitdruck. Gleichzeitig ist die Kommunikation mit Patienten bisher in der Ausbildung von Ärzt*innen nicht verbindlich, im Studium kommt sie nicht als „Lernfach“ vor. Dabei ist Kommunikation in der Behandlung eines Patienten die Schlüsselqualifikation. Ohne Kommunikation ist weder Diagnostik noch Therapie möglich. Es erschwert die Situation, dass der Arzt die Diagnose oder Therapie zum x-ten Mal erklärt, während sie für den Patienten neu ist. Und weil sie ihn selbst betrifft, ist sie natürlich auch mit starken Gefühlen verbunden. Der Routine des einen stehen Angst oder ein Gefühl von Hilflosigkeit beim anderen gegenüber. Gerade hier wäre ein besonderes Einfühlungsvermögen und eine wertschätzende Kommunikation nötig.

 

Wie sieht gelungene Kommunikation zwischen Pflegenden, Patienten und Angehörigen aus?

Gelungene Kommunikation findet auf Augenhöhe statt. Sie nimmt die Bedürfnisse der Patienten wahr, respektiert sie und anerkennt vor allem ihre Selbstbestimmtheit. Zuhören, Gefühle wahrnehmen und verbalisieren. Das bedeutet Empathie und ist hochgradig wirksam.

 

„Mit der Kleidung legen viele Patienten

einen Teil ihrer Selbstbestimmung ab.“

 

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie: „Ich bin sehr glücklich, dass die Wertschätzende Kommunikation mich gefunden hat.“ Wann und wie wird man gefunden?

Man kann in jeder Lebensphase „gefunden“ werden. Aber ich kann auch aktiv danach suchen, wenn ich merke, dass mir ein verbindender Kontakt mit den Menschen am Herzen liegt.

 

Der Weg der Wertschätzenden Kommunikation führt über Selbstempathie, aufrichtiges Mitteilen und Fremdempathie. Steht Selbstempathie am Anfang?

Definitiv. Selbstempathie ist die Basis. Ich muss mich fragen: Was löst eine bestimmte Äußerung oder Handlung in mir aus? Welche Gefühle nehme ich in mir wahr und auf welche Bedürfnisse weisen diese hin? Dann bin ich in der Lage, gut hinzuhören und den anderen mit seinen Bedürfnissen wahrzunehmen. Und ich kann mich auch entscheiden, mich dem anderen aufrichtig mitzuteilen. Ich muss mich geklärt haben, um empathisch mit anderen sein zu können.

 

Jahrelang wurde mir beigebracht, die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen und nur an meine Patienten zu denken. Wenn ich mich jetzt in Selbstempathie übe, ist das nicht ganz schön egoistisch?

Grundsätzlich braucht jeder Mensch einen guten Egoismus, nämlich im Sinne von Selbstfürsorge. Das ist nicht egoistisch, sondern klug.  Die Belastungen und daraus resultierende Beanspruchungen im medizinischen oder pflegerischen Berufsalltag sind groß und vielfältig. Wer da keine Selbstfürsorge betreibt, kann nicht für andere sorgen, sondern opfert sich auf. Nicht selten sind Coolout oder Burnout die Folgen. Die empathische Selbstreflexion ist wichtig, weil ich erst nach dem Erkenntnisgewinn ins Handeln kommen kann. Pflegende und Ärzte können sehr genau abwägen, wann es die Situation erfordert, eigene Bedürfnisse zum Wohle des Patienten zurückzustellen. Aber eben nicht permanent.

 

„Wer das Bedürfnis erkannt hat,

kann Strategien entwickeln.“

 

Womit soll ich anfangen, wenn ich mich trotz akuten Zeitmangels in Wertschätzender Kommunikation üben will? 

Im pflegerischen Bereich ist Kommunikation häufig gekoppelt an pflegerische Interventionen. Diese kann ich nutzen, mich dem Patienten wertschätzend zuzuwenden. Wertschätzende Kommunikation ist ja viel mehr als eine Kommunikationstechnik. Sie ist eine Haltung. Wenn ich aus dieser Haltung heraus agiere, kann ich die Bedürfnisse des anderen wahrnehmen. In meinem Buch zeige ich anhand von praxisnahen Übungen, wie wir diese Haltung einüben können für ein empathisches Miteinander in der Pflege, in der Logo- und Ergotherapie und im ärztlichen Kontakt mit den Patient*innen.

 

Stehen die patriarchalen Strukturen z.B. in Krankenhäusern einer Wertschätzenden Kommunikation nicht entgegen? 

Sicherlich wären andere organisatorische Strukturen hilfreich. Der Fusionsdruck ist groß im Klinikbereich, Erfolg wird an wirtschaftlicher Effizienz gemessen. Gleichzeitig „funktioniert“ Wertschätzende Kommunikation aber auch in jedem Kontext. Würde das Konzept und die damit verbundene Haltung stärker gelebt, hätte dies positive Wirkungen auf die Arbeitssituation. Damit einher gingen eine höhere Attraktivität und mehr Zufriedenheit bei allen Beteiligten.

 

Während Kommunikation schon heute fester Bestandteil der Pflegefachkräfteausbildung ist, wird die Arzt-Patienten-Kommunikation erst ab 2020 verbindlicher im Medizinstudium. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?

Bereits jetzt gibt es vereinzelt Skill Labs an Universitäten, wo angehende Mediziner*innen mit Schauspielern schwierige Gesprächssituationen proben. Aus Gesprächen mit Studierenden weiß ich aber, dass dieses Angebot leider nur wenig angenommen wird. Sehr verbreitet scheint die Überzeugung unter jungen Ärzt*innen zu sein: „Das kann ich eh schon.“ Dabei würde ihnen die Wertschätzende Kommunikation auch helfen, mit der eigenen psychischen Belastung besser umgehen zu können. In vielen Kliniken ist heute aber eine vermehrte Akzeptanz zu spüren, sich in puncto Kommunikation bewusst zu verändern.

 

„Die Einstellung, dass ein Patient ein ‚Leidender‘,

‚Sich‐Geduldender‘ ist,

muss aus den Köpfen verschwinden.“

 

Wenn Wertschätzende Kommunikation gelingt, beschleunigt und verbessert sie die Genesung der Patient*innen. Selbst wenn eine vollständige Gesundung ausgeschlossen ist, hilft sie Patient*innen und Angehörigen, die Krankheit anzunehmen und mit der Situation besser umzugehen. Die positiven Auswirkungen gelungener Kommunikation können zum guten Ruf der Klink oder Praxis beitragen.

Vielen Dank für das Interview, Frau Brand-Hörsting!

 

  Über die Autorin:

Birgit Brand-Hörsting ist Inhaberin des Bildungsinstituts für Pflegeberufe und des WdW – Wertschöpfung durch Worte in Karlsruhe. Als GFK-Trainerin, Mediatorin und IHK Business Coach begleitet sie seit mehr als 25 Jahren Menschen in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung.

Jeder Konflikt ist lösbar

Zu Hause werden die Türen geknallt: Ein Streit, der harmlos begonnen hatte, ist eskaliert. Ein klärendes Gespräch? Unmöglich!

Im Meeting wird es plötzlich lauter. Ein Wort gibt das andere, bis ein Kollege wortlos aufsteht und geht.

Über den Gartenzaun hinweg diskutieren zwei Nachbarn miteinander. Beide halten ihre Emotionen zurück, doch in ihnen brodelt es.

Konflikte sind in unserem Leben unvermeidbar. Überall und jederzeit können sie auftreten. Die meisten von uns scheuen sie und drücken sich vor einer Austragung. Was dabei zu wenig im Fokus steht: die Chancen, die sich uns bieten.

Dr. Karim Fathi ist zertifizierter Konfliktberater und an der Akademie für Empathie in Berlin tätig. In seinem neuen Buch Das Empathietraining vermittelt er Konzepte aus den Bereichen Coaching und Beratung. Er richtet sich damit an alle Menschen, die ihre Empathiefähigkeit verbessern möchten, um sich fit für Krisen und Konflikte zu machen.

 

Herr Fathi, Sie haben ein beeindruckendes Profil: Unter anderem sind Sie Friedens- und Konfliktforscher. Wie sieht als solcher Ihr Arbeitsalltag aus? Und wie kamen Sie zu dieser Profession?

Während meines Studiums der Friedens- und Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg war es stets mein Traum, an der Lösung der großen internationalen Konflikte in der Welt mitzuwirken. Ich begann nach dem Studium eine einjährige Ausbildung zum Konfliktberater bei Johan Galtung, einem der Gründerväter der Friedensforschung, der schon damals Erfahrung als Mediator in über 120 internationalen Konflikten hatte. Meine ersten Schritte tat ich danach ab 2009 als Mitarbeiter an zwei Instituten, die zu internationalen Konflikten forschen und beraten: Berghof Conflict Research in Berlin und International Institute for Conflict in Wien (Letzteres existiert heute nicht mehr und ist in das in Jerusalem ansässige Herbert C. Kelman Institute übergegangen). Ich war total fasziniert zu beobachten, dass auch in den komplexesten und gewalttätigsten Konflikten alle Parteien im Grunde „gute“, legitime Motive hatten. Ob südamerikanische Rebellengruppen, westafrikanische Warlords, islamische Extremisten aus dem Nahen Osten oder die Armeen der jeweiligen Regierungen, mit denen sie Krieg führten – trotz ihrer destruktiven Energie und gegensätzlichen Zielsetzungen offenbarten alle Vertreter/-innen im Grunde nahezu identische Bedürfnisse. Sie alle redeten davon, dass sie zwar Krieg führten, aber eigentlich Frieden, Sicherheit für ihre Angehörigen, Ausgleich für erlittene Ungerechtigkeiten, Respekt etc. wollten. Da erkannte ich: Jeder Konflikt ist im Grunde lösbar und zwar so, dass alle Seiten zufriedengestellt sind. Aber ich war auch ernüchtert festzustellen, dass man in der Praxis als Konfliktberater großer internationaler Konflikte wenig Einflussmöglichkeiten hat. So laufen die Konflikte in Nahost seit Ewigkeiten und ohne entscheidenden Durchbruch weiter, trotz über 30.000 Hilfsorganisationen alleine in Israel-Palästina. Und wenn Konflikte doch gelöst werden – dann so, dass sich die Konfliktarbeiter/-innen fragen mussten, ob ihre jahrelange Arbeit irgendeinen Sinn hatte. Das konnte ich in Bezug auf den Bürgerkrieg in Sri Lanka miterleben. Der Konflikt fand zwischen den für die Unabhängigkeit kämpfenden Tamil Tigers und der singhalesischen Regierung statt. Er dauerte seit 1983 an und wurde 2009 jäh mit einem Vernichtungsschlag der Regierungstruppen beendet. Zehntausende Menschen, vor allem Zivilisten, fanden den Tod. Meine Kolleg/-innen, die jahrelang vor Ort tätig waren und auf eine konstruktive Lösung hingearbeitet und zwischen den Parteien vermittelt hatten, waren völlig desillusioniert.

Ich war total fasziniert zu beobachten, dass auch in den komplexesten und gewalttätigsten Konflikten alle Parteien im Grunde „gute“, legitime Motive hatten.

Diese und andere Erfahrungen führten dazu, dass ich mich intensiv mit der Frage auseinandersetzte, was ganzheitliche Konfliktlösung in Theorie und Praxis ausmacht. Es ist ja nicht so, dass wir heute wenig Wissen und Konfliktlösungsmethoden zur Verfügung haben – im Gegenteil. Aber es gibt dazu kaum Orientierung und bislang hatten sich noch wenige Akademiker/-innen und Praktiker/-innen die Frage gestellt, wie sich dieses Wissen integrieren lässt. Diesen Überlegungen ging ich im Rahmen meiner Doktorarbeit nach, die ich 2011 abschloss. Zugleich begann ich mich als freiberuflicher Berater mehr dafür zu interessieren, wie sich alltägliche, „kleine“ Konflikte, also Konflikte mit den eigenen Kindern, dem Lebenspartner, dem Nachbarn oder Arbeitskollegen besser lösen lassen. Anders als die großen internationalen Konflikte ist wirklich jeder Mensch in seinem Leben davon betroffen. Ich erkannte auch, dass sich die Arbeit als Berater und Coach von beruflichen und privaten Alltagskonflikten als vergleichsweise sinnstiftender erwies: Ich konnte die Prozesse direkt beeinflussen und nach nur wenigen Sitzungen eine für alle Parteien befriedigende Entscheidung herbeiführen. Im vorliegenden Buch ist im Detail einer meiner ersten Fälle beschrieben. Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Heute ist mein Arbeitsalltag vor allem damit gefüllt, dass ich als freiberuflicher Berater, Trainer, Dozent und Coach Privatpersonen, Fach- und Führungskräfte, Teams und Organisationen darin unterstütze, ihre kommunikativen Kompetenzen der Konflikt- und Krisenbewältigung zu entwickeln. Daneben forsche und publiziere ich zu der Frage, wie kollektive Systeme, sei es Teams, Organisationen oder Gesellschaften, über die Stellschraube „Kommunikation“ ihre Krisenfähigkeit steigern können. Dazu erscheinen noch in diesem Jahr zwei weitere Bücher von mir.

 

Was denken Sie: Haben sich zwischenmenschliche Konflikte (im Großen wie im Kleinen) in den letzten Jahren in ihrer Intensität/Häufigkeit etc. verändert?

Ich glaube, zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben Menschen Konflikte, und zwar auf allen Eskalationsstufen. In ihrer Häufigkeit haben sie sich sicherlich nicht geändert, denn wann immer Menschen zusammentreffen, treffen auch unterschiedliche Meinungen und Interessen aufeinander, und so entstehen Konflikte. Historisch gesehen, hat die Intensität vielleicht eher abgenommen, wie es z.B. der berühmte Evolutionsexperte und Psychologe Steven Pinker in seinen Büchern beschreibt. Er verdeutlicht meines Erachtens recht plausibel, dass seit der Aufklärung Gewaltherrschaft, Sklaverei, Folter, Tötung aus Aberglauben oder bei Duellen geächtet sind und dass wir – trotz aktueller globaler Konflikte – immer noch in der friedlichsten aller Welten leben. Auch wenn einige Beobachter/-innen in den letzten Jahren von einer Abnahme der Empathie, vermehrtem Ellenbogendenken und einer allgemeinen Verrohung im zwischenmenschlichen Umgang sprechen, glaube ich, dass wir historisch gesehen, in der heutigen Informationsgesellschaft vergleichsweise zivilisierter mit Konflikten umgehen als im Mittelalter.

Trotz aktueller globaler Konflikte leben wir immer noch in der friedlichsten aller Welten.

 

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Sind Menschen prinzipiell friedliebend oder ist ihr Konfliktpotenzial schon besorgniserregend?

Konfliktpotenzial hat es immer gegeben und gleichzeitig auch das Bedürfnis nach Frieden. Wir tragen beides in uns. Wann immer sich Menschen begegnen, gibt es Konfliktpotenzial. Psychologische Experimente, wie z.B. das Stanford Prison Experiment oder das Milgram Experiment, und zuvor schon Hannah Arendts Untersuchungen zur „Banalität des Bösen“ weisen darauf hin, dass wir alle sogar recht grausame Seiten in uns tragen, die in bestimmten Situationen – wenn wir nicht achtsam sind und z.B. Gruppendynamiken nachgeben – zum Tragen kommen können. Es lässt sich also nicht vermeiden, dass wir Konflikte haben und mitunter eine „dunkle Seite“ in uns schlummert. Wollen wir ein friedliches Leben führen, stellt sich vielmehr die Frage, wie wir damit umgehen. Selbst wenn wir zu keiner Lösung kommen, können wir mit Achtsamkeit, Empathie und Gelassenheit konstruktiv mit Konflikten umgehen lernen. Wie wir das kultivieren können, erfahren Sie in meinem Buch.

 

Woran scheitert Ihrer Ansicht nach der Versuch, einen Konflikt mit einem für alle Beteiligten zufriedenstellenden Kompromiss zu klären?

Grundsätzlich lässt sich jeder Konflikt (und ich behaupte: wirklich jeder Konflikt!) auf mindestens fünf Arten lösen. Erstens einseitig zu Gunsten der einen Partei (100/0-Lösung), zweitens durch Nachgeben zugunsten der anderen Partei (0/100-Lösung), drittens durch Vermeiden bzw. Rückzug (0/0), viertens durch den Kompromiss (50/50) oder fünftens durch kreative Zusammenarbeit (100/100). Die Kompromisslösung ist gar nicht so schwer zu finden und steht häufig am Ende einer Verhandlung oder Mediation, denn sie beinhaltet im Wesentlichen nur, dass beide Parteien Zugeständnisse machen und sich „in der Mitte treffen“. Kreative Zusammenarbeit ist die verhältnismäßig konstruktivste Lösung für alle Beteiligten, aber auch deutlich schwieriger zu erreichen: Sie setzt voraus, dass sich alle Beteiligten wirklich verstehen wollen, dass sie Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen und dass sie bereit sind, die Situation aus neuen Perspektiven zu betrachten, um zu entsprechend neuen Lösungen zu kommen. Dies erfordert Empathie, Kreativität und Zeit – Ressourcen, die uns in Konflikten oft fehlen. Wir sind zu gestresst und zu sehr auf unseren empfundenen Verletzungen fixiert. Das ist auch der Fokus des Buches: Wie können wir in stressigen Konflikten Ressourcen aufbauen, um für alle bestmöglich mit der Situation umzugehen?

 

Wenn Konfliktparteien in einer absoluten Sackgasse stecken – es gibt kein Vor und kein Zurück mehr –, was hilft, um neue Bewegung zu bewirken?

Solche Situationen sind meiner Erfahrung nach schmerzhaft, aber auch sehr chancenreich. Wir können nicht mehr zurück und so weitermachen wie bisher. Wir sind nahezu gezwungen, irgendwas anders zu machen. Aber dieses Neue ist (noch) nicht da und wir wissen vielleicht (noch) nicht, wie es aussehen soll. Ich glaube, in solchen Situationen (typischerweise sprechen wir hier von „Krisen“) können wir an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Was wir am ehesten beeinflussen können, sind wir selbst, und damit meine ich unser Denken und Handeln. Manchmal kann es Sinn machen, eine Pause einzulegen, sich aus der Situation zurückzuziehen, bis sich die Gemüter abgekühlt haben. Nach einer Pause kann die Situation in neuem Licht erscheinen. Es gibt eine Fülle von Techniken, wie Sie aus Ihren Denkfallen heraustreten, sich auf das Hier und Jetzt einlassen und zu neuen Perspektiven kommen können und wie Sie sich von stressigen Emotionen befreien können – im Buch werden Sie sorgsam daran herangeführt.

Pragmatismus heißt, alles, was uns hilft, zu nutzen, um die aktuelle Situation ein bisschen angenehmer zu gestalten.

Was sich im zwischenmenschlichen Kontext auch mal empfiehlt, ist reiner Pragmatismus. Wenn wir nicht wissen, was die finale Lösung sein könnte, können wir vielleicht zu schrittweisen, temporären Übergangslösung kommen. Wenn wir uns nicht über den Inhalt der Lösung einigen können, können wir uns vielleicht zumindest über den Prozess einigen, also, wie wir zu einer Entscheidung kommen. Pragmatismus heißt, alles, was uns hilft, zu nutzen, um die aktuelle Situation ein bisschen angenehmer zu gestalten – und sei der Schritt noch so klein. In einem Beziehungskonflikt zwischen Liebenden kann es auch sinnvoll sein, das festgefahrene Konfliktthema kurz zur Seite zu stellen und sich anderweitig anzunähern. Später kann das Paar von einer anderen Ausgangslage heraus gemeinsam auf das Problem schauen. Ich glaube, in jeder noch so festgefahrenen Situation können wir etwas tun. Meist müssen wir die Dinge etwas anders machen oder anders denken als bisher. Ich glaube, es gibt für alles Auswege, wir sind uns ihnen nur nicht immer bewusst.

 

In Ihrem neuen Buch Das Empathietraining vermitteln Sie konkrete Ansätze und Methoden, um gestärkt aus Beziehungskonflikten hervorzugehen. Wie kamen Sie auf das Thema Empathie und warum sehen Sie darin eine Art Universalkompetenz?

Ausgangspunkt dieses Buches war ein hocheskalierter Konflikt in einer Unternehmerehe, den ich mit meinem Freund und Kollegen, Herbert Haberl, begleiten durfte. Wir hatten glücklicherweise viel Zeit und Ressourcen, um – im Einverständnis mit unseren beiden Klient/-innen – mit verschiedenen Methoden zu experimentieren, also nicht nur dem klassischen Konfliktmanagement, sondern Methoden aus Resilienzförderung/Stressmanagement, systemischem Coaching, Neurolinguistischer Programmierung (NLP), sogar spirituellen Weisheitstraditionen. Am Ende kamen wir nicht nur zu einer Versöhnung, sondern auch zu einer integrierten Kombination unterschiedlicher Traditionen zur Förderung von Krisen- und Konfliktlösungskompetenzen. Die aus diesen Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse führten zur Entwicklung eines ganzheitlichen Empathietrainings und zur Gründung der Akademie für Empathie, einer Sinn- und Arbeitsgemeinschaft mit unterschiedlichen Expert/-innen aus Theorie und Praxis rund um das Thema Empathie. „Empathie“ begreifen wir hier nicht nur als „Einfühlung“ (emotionale Empathie) oder ein „Sich-Hineindenken“ (kognitive Empathie), sondern auch als „Selbstempathie“ (eigene Gefühle und Gedanken wahrnehmen können). In unserer Forschung und Praxis kamen wir zum Ergebnis, dass wir alle eine natürliche, authentische Verbindung zu allen Menschen, im weitesten Sinne zu allem Leben besitzen. Diese Verbindung ist uns nicht immer bewusst, sie ist aber immer da. Wir werden uns ihr vor allem dann gewahr, wenn wir in unserer Mitte sind und uns gelassen und zentriert fühlen. Dies lässt sich unserer Erfahrung nach systematisch fördern. Diese Art von Empathie, die sich ganz natürlich aus unserer Zentrierung ergibt, umschreiben wir arbeitshypothetisch mit „Empathie 3.0“. Sie ist eine Universalkompetenz, weil sie uns ermöglicht, mit vielfältigen unterschiedlichen Problemsituationen souverän umzugehen, ohne dass wir zwingend weiterführende konkretere Kompetenzen erlernen müssen. Kultiviere ich Empathie 3.0 in mir, kann ich souveräner mit Arbeitsstress, Konflikten aller Art, sogar tiefen Lebenskrisen umgehen. Sie hilft Führungskräfte dabei, funktionaler mit ihren Mitarbeitern umzugehen und kann ganze Teams dabei unterstützen, kollektiv intelligenter und damit leistungsfähiger zu werden.

 

Wie kann Ihr Buch Leser darin unterstützen, empathischer und im positiven Sinne „konfliktfähiger“ zu werden?

Im Zentrum dieses Buches steht das Empathietraining, mit dem Sie Ihre natürliche Empathie und Gelassenheit kultivieren und im Alltag mehr Raum geben können. Das Buch enthält mehrere, aufeinander aufbauende Übungen, die im Durchschnitt etwa fünf bis zehn Minuten Praxis pro Tag erfordern. Veranschaulicht werden die Übungen und darin enthaltenen Methoden anhand von vielfältigen Beispielen aus meiner Beratungspraxis. Über einem Zeitraum von ungefähr zwei Monaten praktiziert, führt das Trainingsprogramm zu einer Steigerung Ihrer Empathie, Stress- und Konfliktfähigkeit. Ähnlich wie auch beim Sport/Fitness braucht es aber gewisse Kontinuität über einen längeren Zeitraum.

 

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Stress der Empathiekiller Nummer 1 sei. Das ist fatal, denn wir leben gewissermaßen in einer „gestressten Gesellschaft“. Welche Auswirkungen hat unser Lebenstempo auf das Miteinander?

Stress hat es schon immer gegeben und führt uns evolutionär gesehen zu Höchstleistungen an. Doch wenn wir gestresst sind, neigen wir dazu, selbstbezogen zu sein und wir haben wenig Ressourcen, uns empathisch auf andere einzulassen. Die Psychologin Sara Konrath beschrieb in ihrer vielzitierten Studie das „Empathieparadoxon“, wonach die Menschen infolge der Globalisierung zwar mehr miteinander verbunden seien, aber zugleich zwischenmenschliche Empathie abnehmen würde. Das Problem unserer Zeit ist der empfundene Dauerstress infolge von Informationsüberflutung, Leistungs-, Konsum- und vor allem Zeitdruck. Viele Menschen haben verlernt abzuschalten und sind in einem permanenten Erregungszustand, der ihr Alltagshandeln und -denken negativ beeinflusst. Indem wir also lernen, funktionaler mit den Anforderungen der Informationsgesellschaft umzugehen und uns nicht dauerhaft stressen zu lassen, werden wir gelassener und empathischer. Es ist interessant zu beobachten, dass sich gerade in der schnelllebigen Zeit von heute deutliche Gegentrends nach Entschleunigung und Gelassenheitsförderung abzeichnen. Yoga, Meditation, Wellness etc. sind heute keine exotischen Begriffe mehr, sondern verbreitete Antworten auf den empfundenen Dauerstress unserer Zeit. Vor diesem Hintergrund leistet mein Buch auch einen Beitrag, gelassener, empathischer und konfliktfähiger in unserer gestressten Gesellschaft zu sein.

 

Was tun Sie persönlich gegen Stress?

Ich wende viele der im Buch beschriebenen Methoden selber an. In stressigen Situationen kommuniziere ich gerne lösungsorientiert (Konfliktkommunikation), darüber hinaus setze ich mich mit meiner Wahrnehmung des stressigen Ereignisses auseinander (mentale Techniken) und lasse negative Gefühle los (emotionale Techniken). Manchmal reicht es schon, ein paarmal tief durchzuatmen. Auch sehe ich zu, dass ich stets ausreichend Zeitfenster habe, mich zu regenerieren. Darüber hinaus praktiziere ich täglich mindestens eine Stunde Achtsamkeitsmeditation, was mir besonders gut hilft, klar zu sehen und die vielen kleinen und großen Dinge, die stressig erscheinen, in einen angemessenen Kontext zu setzen. Hier wird mir bewusst, dass es sich bei den meisten Dingen gar nicht lohnt, sich über sie aufzuregen.

 

Hand aufs Herz: Was bringt Sie selbst so richtig „auf die Palme“? Wo lassen Sie nicht/ungern mit sich verhandeln?

Mich bringt auf die Palme, wenn ich mich mit für mich nicht nachvollziehbaren, kleinteiligen, bürokratischen Prozessen auseinandersetzen muss. Ich habe ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Effizienz und Freiheit und wenn ich in solchen Situationen nicht geistesgegenwärtig bin, habe ich den anhaltenden Gedanken, dass ich dazu gezwungen werde, meine „Lebenszeit zu verschwenden“. Da empfinde ich relativ viel Stress, wahrscheinlich sogar mehr als die meisten Menschen. Ein befreundeter Therapeut hat mal mittels Herzratenvariabilitätsmessung (HRV) meine Lebensfeuerwerte gemessen, als ich meine Steuererklärung gemacht habe: Meine Werte waren völlig im Keller! Als ich Stunden später Gelegenheit hatte, kreativ zu arbeiten und an meinem Buch schrieb, waren meine Werte wieder auf höchstem Niveau.

 

Ihr Kredo?

Frieden in der Welt beginnt mit Frieden in dir.

 

Weitere Informationen zum Autor erhalten Sie hier.

 

 

 

 

 

Karim Fathi: Das Empathietraining. Konflikte lösen für ein besseres Miteinander.

Das Buch ist ab sofort im Handel erhältlich.

 

 

Öffentliches Zuhören: verstehen statt urteilen

„Wir hören zu!“

Von Marion Miketta

Der Schock saß tief, als ich kurz nach dem Brexit-Votum mit Kollegen in England sprach. Nie hätten sie erwartet, dass die Mehrheit der Briten tatsächlich für den Austritt aus der EU stimmen würde. Sie waren erschüttert über das Ergebnis, sehr verunsichert angesichts der neuen Lage und besorgt darüber, was dies wohl für die Zukunft bedeuten würde.

Kurze Zeit später folgte das nächste ungute Erwachen: Der Ausgang der Präsidentenwahl in den USA. Wieso kam auch dieses Votum so unerwartet? Eine Erklärung war, dass viele Menschen sich zwar offensichtlich abgehängt und nicht wahrgenommen fühlten, sich jedoch nicht getraut hatten, ihre Sichtweisen in Meinungsumfragen kundzutun. So ließ erst die Auszählung der Wahlzettel das eigentliche Ausmaß dieses weit verbreiteten Unmutes sichtbar werden.

In England wurde als Reaktion auf das Brexit-Votum ein sogenanntes Listening-Café gegründet, das Raum geben soll, eigene Perspektiven auszudrücken. Die Idee hinter dem Café ist, das starke Gefühl der Desillusionierung, das viele Menschen nun begleitet, aufzufangen und einen sicheren Rahmen für den gemeinsamen Austausch zu schaffen.

Inspiriert von diesem Projekt, entschieden eine Kollegin und ich uns dazu, in Berlin ein ähnliches Experiment zu wagen. Denn natürlich treibt auch uns in Deutschland die Frage um, wie wir auf die zunehmende gesellschaftliche Spaltung reagieren und welchen Beitrag wir leisten können, um eine stärkere Verbundenheit zu fördern. Statt uns in Facebook-Echokammern in einer virtuellen Realität zu bewegen, wollten wir die Kunst des Zuhörens auf die Straße bringen und jedem vorurteilsfrei ein offenes Ohr schenken. Wir wollten öffentlich aussprechen: „Wir hören zu!“ Ein Versuch erschien uns lohnenswert.

Bevor wir uns mit unseren Schildern in kleinen Gruppen auf verschiedenen Plätzen in Berlin verteilten, bereiteten wir uns gemeinsam vor. Praktische Übungen schulten uns im wertungsfreien Zuhören. Wie fühlt es sich an zuzuhören, ohne unmittelbar etwas erwidern, sondern stattdessen die Gedanken der anderen beflügeln zu wollen?

Auf einige wenige Leitlinien hatten wir uns verständigt. Als Grundlage diente uns dabei der Leitfaden der „urbanconfessionals“. Wir klärten zunächst unser gemeinsames Anliegen, um es auf Rückfrage auch klar kommunizieren zu können: Wir möchten uns als Zuhörende anbieten und unser Ohr den Menschen schenken, die gehört werden möchten. Nur durch Blicke und unsere Schilder möchten wir Menschen einladen, auf uns zuzukommen, sie werden nicht von uns angesprochen. In jedem Fall werden wir sie nicht unterbrechen und an keiner Stelle unsere eigenen Sichtweisen aufdrängen.

Wir besprachen, wie wir damit umgehen würden, wenn wir Dinge zu hören bekommen sollten, mit denen wir absolut nicht übereinstimmten. Wir wollten versuchen, eher die Person hinter dieser Meinung zu sehen, als zu sehr auf die Aussage selbst zu fokussieren. Und wir nahmen uns vor, nachzufragen, wie das Gegenüber zu dieser Ansicht gekommen war. „Versuchen, einander zu verstehen, statt zu urteilen“, das war unser Anliegen.

Auch andere Eventualitäten kamen zur Sprache: Wie möchten wir darauf reagieren, wenn wir um Geld gebeten werden oder wenn wir von dem Platz vertrieben werden, auf dem wir stehen? Für Notfälle hatten wir sogar die Nummer des Berliner Krisendienstes parat. Derart gewappnet, gespannt und vorfreudig mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch machten wir uns auf.

So standen wir an einem sonnigen und kalten Wintertag auf dem Alexanderplatz. Wir hatten Pappschilder in der Hand, die zum Gespräch einladen sollten. Auf den Schildern stand: „Was bewegt Sie? Ich höre zu.“

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Wir waren eine Gruppe von insgesamt 13 Personen. Ein paar davon waren Coaches, Therapeuten oder brachten Erfahrungen im Bereich der Mediation mit. Im Grunde aber waren derlei Kenntnisse nur bedingt nötig. Ausschlaggebend war eher die Lust und die Bereitschaft, zuzuhören. Wirklich zuzuhören – empathisch und aufgeschlossen.

Kaum angekommen am Brunnen vor dem Kaufhof, rief uns eine Frau mit Blick auf unser Schild zu: „Is dit geil! Wenn ich damit anfange, dann höre ich gar nicht mehr auf!“ Allein die Vorstellung, dass ihr zugehört werden würde, bereitete ihr schon gute Laune. Beschwingt und erheitert ging sie ihres Weges. Andere blieben stehen und erzählten uns von gestiegenen Mietpreisen, ihrer Obdachlosigkeit, Diskriminierungserfahrungen als Roma oder auch von der Sorge vor Überfremdung. Ein Paar las die Frage: „Was bewegt sie?“, und wir konnten die beiden im Weitergehen hören, wie sie sich – angeregt durch das Schild – gegenseitig die Frage stellten: Was bewegt dich denn eigentlich gerade? Viele Menschen gingen an uns vorüber und lächelten oder fotografierten uns. Uns wurde allerorts Freundlichkeit entgegengebracht. Trotz der gelegentlichen Verwunderung, dem Staunen der Menschen, standen Wohlwollen und Neugier im Vordergrund. Der Wunsch, sich auszutauschen, sich zu begegnen und in Kontakt zu treten, war deutlich spürbar.

Bei fast allen: Der BVG-Sicherheitsbeamte, der uns später nach der Genehmigung für unser Pappschild fragte, als wir uns der Kälte wegen in die Bahnhofsvorhalle verzogen hatten, war überzeugt, dass wir mit Sicherheit nicht hören wollten, was ihn gerade so beschäftigte. Eigentlich schade. Wir hätten ein offenes Ohr gehabt.

Nach einigen Stunden trafen wir uns wieder und teilten die Erfahrungen miteinander, die wir in den verschiedenen Stadtteilen gesammelt hatten.

Das Ergebnis dieses Experimentes war verblüffend und sehr ermutigend für uns: Nicht erst durch die Gespräche selbst, schon alleine durch die einladende Präsenz und unserer Botschaft „Wir hören zu!“ veränderte sich die Atmosphäre auf dem jeweiligen Platz. Bisher hatte ich den Alexanderplatz eher nur immer schnell überquert, um von der S-Bahn zur Tram zu gelangen. Ich hatte ihn nicht als einen Ort wahrgenommen, an dem ich mich gerne aufhalten wollte. Jetzt hatte ich mich mit meinem Angebot dort „etabliert“ und alle Passanten – seien es Obdachlose, Kinder, Touristen, junge Leute mit Primark-Tüten bepackt oder arabisch sprechende Brunnenakrobaten – mit dem gleichen offenen Blick und Herzen angesehen. Allein das Sich-Hinstellen – ohne Handy in der Hand und mit der Bereitschaft und der expliziten Einladung zur Begegnung – führte schon zu einer Verbindung. Uns kam es so vor, als würden wir mit unserer Haltung den Raum gestalten und viel mehr als üblich an unserer Umwelt partizipieren. Als würden wir ein Gegengewicht bilden zu all dem „Senden“ von Werbebotschaften und Kaufangeboten: Wir standen für das „Empfangen“.

Eine Frau, die sich mit ihrem Pappschild auf einen Platz begeben hatte, der für eher raue Umgangsformen und Aggression steht, brachte es später so auf den Punkt: „Komisch, an diesem Tag sind alle Idioten zu Hause geblieben.“ Es wurde deutlich, wie sehr die Wahrnehmung des Umfeldes von der eigenen Einstellung und Bereitschaft, sich auf andere Perspektiven einzulassen, abhing. Diejenigen, denen man vorher vielleicht einfach aus dem Weg gegangen wäre, waren nicht mehr sichtbar, sondern einfach nur noch Menschen mit ihren Sorgen, mit Ängsten und dem Bedürfnis, sich mitzuteilen.

Unser „Pilotprojekt“ wird nun in Folge gehen. Wir werden uns weiterhin regelmäßig treffen, um öffentlich zuzuhören. Und: Jeder ist eingeladen mitzumachen – bei uns oder in selbst organisierten Gruppen. Die aktuellen Termine und weitere Informationen dazu erhalten Sie hier.

Wir freuen uns über eine rege Teilnahme!

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Wie wichtig sind Ihnen Menschen, die wirklich zuhören können? Haben Sie selbst schon einmal (positive, überraschende, erfreuliche …) Erfahrungen gemacht, indem Sie sich vorurteilsfrei einem Gegenüber geöffnet und empathisch zugehört haben? Oder konnten Sie vielleicht selbst schon einmal an ähnlichen Listening-Initiativen teilnehmen? Ihre Kommentare sind willkommen!

 

Miketta_Marion  Über die Autorin

Marion Miketta lebt in Berlin und arbeitet als Thinking Environment-Coach, -Facilitator und -Ausbilderin (www.timetothink.com).

Die Qualität des achtsamen Zuhörens hat sie durch den vietnamesischen Zen-Meister Thich Nhat Hanh erfahren.

Weitere Informationen zur Autorin erhalten Sie hier.

Empathie und Business – geht das?

Es ist ein nicht ganz alltägliches Glück, wenn man als Verlag die Gelegenheit hat, eine neue Übersetzung in Gegenwart der Autorin präsentieren zu dürfen. Dies wurde uns gestern in Frankfurt zuteil, wo Marie Miyashiro auf Einladung des Gewaltfreie Kommunikation-Trainers Jürgen Engel ihren Ansatz zur Integration von Empathie in die Arbeitswelt in mehreren Workshops präsentiert. Rechtzeitig zu diesem Ereignis ist die deutsche Übersetzung von Maries Buch „The Empathy Factor“ fertig geworden – das war natürlich nicht nur Glück, sondern auch ein Stück Arbeit! Insbesondere Jürgen Engel selbst, der die fachliche Betreuung der Übersetzung übernommen hat, hat wesentlichen Anteil daran, dass wir das neue Buch gestern am Ende des ersten Workshop-Tags der Autorin überreichen konnten. Und so sonnten sich glücklich: Marie Miyashiro, Jürgen Engel & das Buch!

Die Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation auf Prozesse und Konflikte im Berufsleben ist, auch im Junfermann-Programm, nichts Neues. Die Bücher von Beate Brüggemeier, Gabriele Lindemann & Vera Heim sowie Ike Lasater zum Thema sind einschlägig. Die Besonderheit des neuen Buchs von Marie Miyashiro besteht darin, dass sie einen wesentlichen Teil ihrer Aufmerksamkeit der Frage widmet, was empathisches Kommunizieren denn mit der jeweiligen Organisation anstellt, welche Auswirkungen sie insgesamt auf ein Unternehmen hat und wie sich diese Effekte positiv beeinflussen lassen – so positiv, dass sich empathisches Kommunizieren im Business letztlich als echter Wettbewerbsvorteil erweist, der sich ökonomisch auszahlt. Empathie und Business gehen mithin sehr wohl zusammen!