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Raus aus dem Netz der Angst

Mit wingwave gegen die Spinnenphobie

Ich bin allein zu Hause. Das heißt: nicht ganz allein, denn in unserem Hausflur sitzen zwei ansehnliche Exemplare der Gattung Tegenaria atrica, auch Hauswinkelspinne genannt, an der Wand. Mein Mann ist vor ein paar Minuten zur Arbeit gefahren, unsere Nachbarn sind auch nicht zuhause und ich habe mich im Erdgeschoss verrammelt.

Hingehen und die Achtbeiner nach draußen befördern? Unmöglich. Ein beherzter Schlag mit dem Hauspuschen? Geht auch nicht: Ich müsste viel zu nahe ran, außerdem  könnte ich die Spinne verfehlen. Und überhaupt: Ich möchte keine Tiere töten. Ein fieses Gefühl: Ich empfinde Abscheu, Anspannung und bin ständig auf der Hut. Die Spinne könnte plötzlich weg sein und dann ganz woanders auftauchen – im Schlafzimmer zum Beispiel, oder in der Dusche. Und dann? Würde ich mich ausgeliefert fühlen und vollkommen kopflos reagieren. Wenn sie auf mich zuliefe, mich berührte …

Ja, es geht um eine Spinne. Ja, die tut nix. Sie ist nicht einmal giftig. Wahrscheinlich hat sie mehr Angst vor mir als ich vor ihr. Weiß ich alles. Nur hilft mir das jetzt leider gar nicht weiter. Die Phobie lässt sich eben nicht mit Vernunft beschwichtigen. Ich entscheide mich, meine Mutter anzurufen, sie wohnt nicht weit entfernt und kann mich von den ungeliebten Hausgästen befreien. Und ich entscheide mich, endlich etwas zu unternehmen, denn diese Spinnenphobie wird mir wirklich lästig. Alltägliche Dinge sind davon geprägt: Inzwischen räume ich nur noch unter Anspannung den Gartenschuppen auf, gehe mit ständigem Spinnen-Scan-Blick in den Keller, in die Garage.

Auf dem Junfermann-Kongress Mitte Februar spreche ich Cora Besser-Siegmund an. Wir kennen uns schon länger und ich weiß, dass sie mit wingwave schon viele Menschen von ihren Ängsten befreit hat – von Auftrittsangst, Flugangst zum Beispiel. Vielleicht kann das auch bei Spinnenphobie helfen … „Wollen wir das wegwinken?“ fragt Cora Besser-Siegmund, und ich bin erstaunt: Das geht hier sofort auf dem Kongress? Cool, denke ich, ich habe nichts zu verlieren. Cora prüft zuerst meine Muskelspannung mit dem O-Ring-Test. Ich drücke Daumen und Zeigefinger fest zusammen. Dann konfrontiert sie mich mit bestimmten Aussagen. Lassen sie mich „kalt“, schließt der Ring fest, sie zieht kräftig an meinen Fingern, kann den Ring aber nicht öffnen. Lösen sie Stress in mir aus, kann ich gar nichts dagegen tun, dass meine Muskelspannung nachlässt: Der Ring öffnet sich. Ich bin bereit für meine erste wingwave-Sitzung.

„Dicke, fette, schwarze Spinne …“ probiert Cora einen Trigger. Der Ring schließt fest. „Aha, die Spinne ist es also gar nicht“, sagt Cora. Sie bittet mich, das Gefühl zu beschreiben, das mich beim Anblick einer Spinne durchströmt. Es ist Abscheu, legt sich wie ein Ring um meine Brust, zieht im Magen… Durch gezieltes Fragen und Testen der Muskelspannung kommen wir an ein grundlegendes Gefühl, das mich stets dann befällt, wenn ich mich mit etwas oder jemand Unangenehmem in einem Raum aufhalte und nicht weg kann oder darf. Woher kommt das Gefühl?

Wir gehen weiter zurück in meiner Biographie, auf der Suche nach dem Auslöser: „Es ist ein Ereignis aus der Kindheit.“ – Wenig Muskelspannung, Ring öffnet sich: Treffer. „Im Privatleben?“ – Nein. „In der Schule?“ – Ja. Und dann erinnere ich mich an ein Erlebnis, das ich dreißig Jahre lang erfolgreich verdrängt habe: Ich bin neun Jahre alt und wir übernachten in der Jugendherberge. Es ist für mich ganz ungewohnt und beängstigend, mit so vielen Kindern in einem Raum zu schlafen. Ein paar Mädchen erzählen schmutzige Witze und sprechen über Sex. Das macht mir Angst, so was kenne ich nicht… Ich will nach Hause – und ich kann nicht. Ich kann nicht mitten in der Nacht einfach zurück nach Hause zu meinen Eltern. Also halte ich aus und liege ganz still in meinem Bett.

Das ist der Punkt, an dem Cora ihr Wink-Set beginnt – ich folge ihrer Hand mit meinen Augen, während sie noch einmal mein unangenehmes Gefühl zusammenfasst. Danach fühle ich mich seltsam leicht, und mir wird sehr warm. In mir ist Chaos: ich fühle mich berührt, habe Mitleid mit meinem neunjährigen Ich und bin trotzdem irgendwie euphorisch. Ob es das nun war? Wenn ich mir vorstelle, dass ich in den Keller gehe und mir dort eine Spinne begegnet, kribbelt es immer noch in der Magengegend. Ein Rest von Skepsis bleibt…

Am Samstag  treffe ich mich noch einmal mit Cora Besser-Siegmund. Sie prüft, ob der aktuelle emotionale Status noch stabil ist. Es sieht gut aus, trotzdem bekomme ich noch eine Ressource mit auf den Weg. Ich soll an mich an eine Situation erinnern, in der ich stark war, die ich besonders ruhig und souverän gemeistert habe. Das kann ich – und Cora verankert die Ressource „Ruhe“. Immer, wenn ich eine bestimmte Handbewegung mache, soll sich nun meine Aufregung legen und das Gefühl der Ruhe einkehren. Cora verspricht keine Wunder. Ich würde nicht gleich morgen Deutschlands größter Spinnenfan werden. Das möchte ich auch nicht. Was ich erreichen will ist, mit der Situation „Spinne und ich allein zu Haus“ klarzukommen, mir selbst zu helfen und nicht mehr in sinnlose Panik zu verfallen.

Sonntagabend – ich bin müde vom Kongresswochenende und voller neuer Eindrücke. Ganz in Gedanken räume ich noch ein paar Teller in den Küchenschrank. Und links daneben, an der Wand … !!  Die Spinne ist nah an mir dran, ungefähr 15 Zentimeter, und sie bewegt sich bedächtig. Ich bleibe ruhig stehen, und überlege, wie ich jetzt handeln soll. Ich will es schaffen, ich will diese Spinne einfangen! Erst mal warten, bis das Tier auf dem Fußboden ist, dann ein Glas drüber stülpen. Nee, Glas bringt mich zu dicht ran, besser ein Küchensieb, mit Stiel. Ich beobachte die Spinne. Endlich ist sie auf dem Boden angekommen. Ich kann das Sieb über das Tier legen und es durch die Maschen beobachten. Ich bin angespannt, muss durchatmen, meine Ressource abrufen … Aber ich bin NICHT panisch. Ich bin nicht aufgelöst zu meinem Mann gerannt, und ich habe dabei nicht alle Türen zwischen mir und der Spinne fest verriegelt.

Ich schiebe eine dünne Pappe unter das Sieb, die Spinne bewegt sich – das ist unangenehm, aber ich kann es aushalten und Sieb, Pappe und Achtbeiner mit einem beherzten Wurf zur Terrassentür hinausbefördern.

Mein erster eigener Fang 🙂

 

Danach fließen die Tränen. Erleichterung darüber, dass eine über 30 Jahre alte Phobie überwunden ist. Es erscheint mir wie ein kleines Wunder. Mir wird klar, dass meine Schwellenangst vor einer Konfrontationstherapie als der landläufig üblichen Vorgehensweise gegen Phobien größer war als der Leidensdruck. Ich fühle Stolz. Ich habe es geschafft. So fühlt sich ein Durchbruch an! Meine Familie freut sich mit mir.

Natürlich können auch bei wingwave verstörende Dinge aus den Tiefen der Seele ans Tageslicht kommen, die therapeutischer Aufarbeitung bedürfen. Mein Auslöser war vergleichsweise harmlos. Auch die Wochen danach zeigen: Der neue Zustand hält sich, er verbessert sich sogar noch mit jeder neuen Spinne, die ich einfange. Das Gefühl von Abscheu hat sich neutralisiert, Gelassenheit stellt sich ein, ich schaue nicht mehr angespannt in alle Zimmerecken. Ja, fast freue ich mich schon, wenn wieder ein hübsches Exemplar an der Wand auftaucht und ich meine neue Kompetenz als Spinnenfängerin unter Beweis stellen kann…

Bücher zum Thema wingwave gibt’s hier: http://www.junfermann.de/suchergebniss.php?ojid=118ffd3c1c2539f3e11b4a2da4c60d12&keywords=wingwave&x=0&y=0