Wir sind alle unterwegs …
Mein Weg zu mir selbst führte über die Alpen – und Ihrer?
Von Barbara Messer
„Keiner kommt von einer Reise so zurück, wie er weggefahren ist!“
– Graham Green (1904–1991)
„Es ist leicht, stark zu sein, gut anzukommen, Erfolge und Leistungen zu verbuchen. Positive Markierungen auf dem Lebensweg sind fein anzuschauen, gesetzte Ziele zu erreichen stimuliert positiv und motiviert. Weitaus schwerer ist es, zu scheitern, das Schwache in sich zuzulassen. Dabei erleben wir die Fallhöhe, den Sturz, das Schwinden, die Verzweiflung, Erschöpfung oder ähnliches, die mögliche Einsamkeit als Folge. Scheitern ist nicht wirklich en vogue, die Menschen gehen gerne darüber hinweg. Und ganz ehrlich, im trubeligen Alltag ist es leicht, darüber hinwegzugehen. Einfach Musik anmachen, chatten, shoppen, fernsehen, das nächste Projekt planen.
Lassen wir jedoch die Schwäche zu, ist das oft schmerzhaft, weil ungewohnt, weil auch negativ belegt oder zumindest negativ interpretiert.
Doch im Wahrnehmen der eigenen Fallhöhe, im Erkennen des wahren Ausmaßes der Schwäche können wir zugleich auch erkennen, wie groß der unbekannte Raum zwischen den beiden Aspekten ist, die uns bekannt sind. (Kennen Sie die U-Bahn in New York? Da heißt es „Mind the Gap“. Achten Sie auf den unbekannten Bereich zwischen U-Bahn und Bahnsteig). Wir sehen den Ausgangspunkt, und wir sehen den Endpunkt. Der Raum dazwischen wird durch das bewusste, aufmerksame Scheitern sichtbar. Dies sind in meinen Augen wichtige Parameter für die eigene Größe. Und wenn wir uns – gerade in diesen schwachen (oder auch einsamen und verzweifelten) Momenten – im Spiegel anschauen können, sehen wir uns wirklich. Ohne Maskerade und Kosmetik und wirklich wunderschön.“
Diese Zeilen stammen aus meinem Buch „Mein Weg über die Alpen: Eine Reise zu sich selbst und anderen“ (2016, S. 53 u. 54). Ich schrieb sie, nachdem ich auf der Glungezerhütte mit meiner Kraft am Ende war und den Weg erst einmal nicht fortsetzen konnte. Dies ist eines der Erlebnisse, die mich auf meiner dreiwöchigen Wanderung über die Alpen sehr stark geprägt haben. Fast gleichzeitig berichtete ich in meinem „Alpenblog“ darüber, sodass andere Menschen an meinen Eindrücken und Erkenntnissen teilhaben konnten.
Seit 1999 bin ich als Trainerin, Rednerin, Coach und Autorin selbstständig. In all diesen Jahren ist viel passiert und nach meiner Wahrnehmung dreht sich unsere Welt schneller. Diese neue V.U.C.A.[i]-Welt fordert viel von uns Menschen, Flexibilität und ein gutes Selbstmanagement gleich voran. Nach meinem Verständnis braucht es konkrete Auszeiten, um im wahrsten Sinne die „Birne frei zu bekommen“, um wieder klar und aufgeräumt zu werden. Dies gelingt mir im Alltag mit kleinen Breaks, wie z. B. einer Sporteinheit, einer Meditation oder einem Spaziergang. Auch das kurze In-sich-Gehen oder Nachsinnen bei einer Tasse Tee hat für mich den Wert einer kleinen Auszeit, einer Besinnung auf den Moment und das eigene Ich.
Im Sommer 2016 bin ich „einfach“ losgegangen. Das Ziel: in drei Wochen die Alpen überqueren. Ich wollte diesmal mehr als eine kleine Auszeit. Ich wollte ein längeres Stück Zeit nur für mich, um innerlich aufzuräumen, auf die letzten Monate und Jahre zurückzublicken, die eine ganz besondere Zeit in meinem Leben waren. Deswegen nenne ich es In-Zeit und nicht Aus-Zeit.
Der andere Grund war die Lust auf Abenteuer, auf eine neue Herausforderung, darauf, etwas Neues zu erleben, ohne großartig etwas konsumieren oder eine weite Flugreise buchen zu müssen.
Schon früher habe ich mir solche Erlebnisse und Phasen gesucht. So bin ich mit 29 Jahren für acht Monate mit Fahrrad und Zelt in Neuseeland unterwegs gewesen, später habe ich ein Jahr als Business-Nomadin im Wohnmobil gelebt oder bin mit dem Rad über Alpenpässe geradelt und habe im Freien übernachtet.
Auf solch einer längeren Tour durch die Natur kann man nicht an sich vorbeischauen – man ist sich ja selbst der engste Begleiter, mit dem ganzen Leben und vielen Fragen im Gepäck.
Die Natur ist eine Kraftquelle, die immer wieder zur eigenen Besinnung, Reflektion und Resilienzsteigerung, zur Fokussierung und einer innerlichen und äußerlichen Klarheit einlädt. Die Bergwelt erschloss sich mir bei dieser Wanderung im Jahr 2016 noch einmal neu, denn ich war den Wetterbedingungen ausgeliefert, erfuhr Freud und Leid des Wanderns und konnte damit die Begrenzung meiner Komfortzone ganz erheblich aufbrechen. Jeder Schritt wurde selber gegangen, das drosselt die Geschwindigkeit auf ein teils sehr meditatives Maß.
Ich dachte während meiner Wanderung über vieles nach und konnte – ganz im Gegensatz zum trubeligen Alltag – sehr viel länger bei einer Fragstellung und deren Beantwortung verweilen.
Das waren Fragen wie:
- Was braucht es, um glaubwürdig zu sein? Was sehen die Menschen in einem: die öffentliche Person, die man nach außen vorgibt zu sein und die man zeigen möchten? Oder sehen sie auch mal hinter die Fassade? Erkennen andere, was uns wirklich beschäftigt?
- Wie viel Raum nimmt der derzeitige Selbstoptimierungswahn ein? Ist er angesichts einer Welt, in der Menschen vor Krieg und Hunger flüchten, angemessen?
- Wie gelingt es uns, wichtige persönliche Beziehungen so zu gestalten, dass wir nichts (oder nicht allzu viel) bereuen, wenn dieser persönlich wichtige Mensch von uns geht – vielleicht sogar für immer. (Ich hatte in den letzten Monaten den Tod einiger Menschen zu betrauern gehabt).
- Wie gestaltet sich die eigene Spiritualität und wie kann ich sie im Alltag leben?
- Was braucht es, um glücklich zu sein? Wie können wir Glück und persönliche Zufriedenheit leben, wenn selbst innerhalb von Europa Terror und Krieg herrschen, wenn wir mit unserem Konsumwahn auf Kosten anderer leben?
- Wie kann ich mich in meiner Arbeit als Trainerin, Coach und Rednerin weiterentwickeln? Was ist mein nächster Schritt? Welche Hemmschuhe, blinden Flecken und Stolpersteine habe ich anzugehen, sodass ich für andere ein kleiner Leuchtturm oder auch Mentor sein kann.
- Welche meiner Alltagsroutinen – auch in meinen Trainings und Reden – sind überflüssig oder sollten überprüft werden? Wozu sind oder waren sie gut? Was genau könnte ich stattdessen machen?
- Was wäre, wenn …
- …
Nach diesen drei Wochen bin ich noch einmal mehr in meiner persönlichen Resilienz gereift, ich bin unglaublich zufrieden mit mir, dass mir diese Wanderung gelungen ist. Meine Dankbarkeit ist noch einmal mehr gewachsen, denn ich hatte nicht geahnt, wie schön und innerlich bewegend diese Bergwelt ist. Wie imposant mancher Gipfel, wie faszinierend manche Schlucht und wie schön manche Alm oder manches Tal sein kann. Die unmittelbare Natur hat mich in meiner Demut und Bescheidenheit weitergebracht, mein inneres Management ist mir vertrauter und bekannter geworden.
Ich bin erfüllt, dass es diese Paradiese gibt und wir sie erreichen, wenn wir uns selber dort hinein bewegen. – Ähnlich wie im Training oder Coaching. Auch das lebt davon, wie wir diese Art von gemeinsamer Wanderung gestalten. Und es kann verblüffend sein, welche Ziele dabei erreicht werden können. Was haben wir im Gepäck? Wo wollen wir hin? Wie gehen wir mit den anderen Wanderern um und wie können wir uns in der Enge einer Berghütte bewegen und uns dennoch erholen, um am nächsten Tag wieder fit für die nächsten Höhenmeter zu sein?
Beziehe ich dies auf ein Training oder Coaching, stellen sich mir ganz ähnliche Fragen, denn wir sind ja alle irgendwie unterwegs – mit allem, was uns ausmacht.
Es wird sicher deutlich, dass meine Fragen und Erkenntnisse reichhaltig sind – das liegt nicht nur an mir, die ich mich selber immer wieder gerne neu erfinde, sondern an der Wanderung selbst.
Ich würde Ihnen diese Möglichkeit, neue Horizonte zu entdecken, gerne näherbringen und könnte hier noch einige Seiten weiterschwärmen von meinen Touren. Allemal besser wäre jedoch, Sie erlebten es selbst! Denn letztendlich macht jeder seine eigene Reise und stellt sich andere Fragen, die für sein Leben wichtig sind. Ich kann Sie nur ermutigen: Tun Sie es! Suchen Sie den Kontakt zur Natur, geben Sie sich den natürlichen Bewegungsabläufen hin und seien Sie ganz bei sich.
PS.: Es müssen nicht gleich die ganzen Alpen sein! Und Sie müssen sich auch nicht ganz alleine auf den Weg machen. Vom 19. bis zum 26. August biete ich eine einwöchige Coaching-Wanderung von Bad Tölz nach Hall in Tirol an. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, schauen Sie doch einmal unter www.messers-alpentour.de.
Barbara Messer ist Rednerin, Trainerin, Coach und Schriftstellerin. Sie ist eine Visionärin mit ausgeprägter Intuition, die oft verblüffende Lösungsansätze vermittelt und Vorträge und Trainings revolutionär anders gestaltet. Überflüssiges und Unnötiges lässt sie weg, sodass das Wesentliche sichtbar wird. Sie findet die richtigen Worte, auch Unbequemes zu benennen und Unwahres aufzuzeigen, damit eine besondere Glaubwürdigkeit sichtbar wird. Diese absolute Präsenz im Jetzt und die Wertschätzung des Moments machen es ihr möglich, Potentiale in Menschen und in Prozessen zu sehen, die anderen verborgen sind.
E-Mail: info@barbara-messer.de
[i] V.U.C.A. steht für Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambivalenz).