Mein Abend beim Meister der Mimik – Dirk W. Eilerts Vortrag in der Fachbuchhandlung Lehmanns

Von Fabienne Berg

Montag, 5.Oktober, 19:00 Uhr. Der Abend ist mild. Ich stehe auf dem Bürgersteig und orientiere mich. Unter meinen Füßen vibriert plötzlich der Boden. Spürbar saust die U-Bahn durch die Tunnel unter der City. Dazu das rhythmische Ratatatam der Straßenbahn. Autoreifen quietschen, ein Hupkonzert folgt. Drei Meter weiter diskutiert eine kleine Gruppe Punks über die Flüchtlingspolitik. Mit wehender Krawatte eilt ein Geschäftsmann an ihnen vorbei – in der einen Hand das iPhone, in der anderen ein asiatisches Schnellgericht. Ein ausgespuckter Kaugummi stoppt ihn. Er flucht recht unfein und steht für einen Moment auf einem Bein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sitzen zwei junge Touristinnen auf ihren Rucksäcken und essen Pizza. Ich bin in Berlin. Mein Ziel: die Buchhandlung Lehmanns in der Friedrichstraße. Der Grund: Dirk W. Eilert, bekannter „Gesichterleser“ und Autor des Junfermann Verlags, hält dort seinen Vortrag: „Nie wieder Tomaten auf den Augen – Was Mimik über unsere Gefühle verrät“. Ich bin gespannt, lasse den Friedrichstadtpalast hinter mir und gehe über die Straße. Dort ist die Buchhandlung. Eine Eintrittskarte habe ich schon.

Gegen 19:30 Uhr sind alle Plätze belegt. Das Publikum ist gut durchmischt: Frauen und Männer zwischen 20 und 70 Jahren aus verschiedenen Berufsgruppen: im Verkauf Tätige, Sozialpädagogen, Therapeuten und Trainer. Aber auch viele Menschen, die einfach privat am Thema interessiert sind, um ihre Beziehungen zu verbessern; die Beziehung zur Partnerin oder zum Partner, zu Kollegen, zu ihren Kindern oder schlicht zu ihren Mitmenschen.

Dirk Eilert beginnt seinen Vortrag mit einer Anekdote aus dem Urlaub: Er sitzt im Restaurant und erwartet ein bestimmtes Gericht. Rinderfilet mit frischem Gemüse. Doch statt des Gemüses liegt ein undefinierbares grünes Etwas auf seinem Teller. Angewidert rümpft er die Nase, sagt aber nichts. Glücklicherweise ist das Personal aufmerksam, deutet das Naserümpfen richtig und spricht ihn höflich darauf an. Wenige Augenblicke später wird ihm eine wundervolle Gemüsekomposition serviert.

 

Unsere Mimik ist schneller als unser Verstand, zuverlässsiger als unsere Gesten und das, was wir sagen. Und sie ist international, im Gegensatz zu vielen anderen Elementen der Körpersprache. Anhand interessanter und unterhaltsamer Videoaufzeichnungen führt der Gesichterleser das Publikum durch den Dschungel der Mikroexpressionen. Dabei erklärt Dirk Eilert nicht nur, sondern bindet seine Zuhörer aktiv in den Vortrag mit ein. Das Publikum bekommt für Sekundenbruchteile Gesichtsausdrücke gezeigt und muss spontan entscheiden, welches Gefühl hinter welchem Ausdruck steckt. Ist es Angst, Ärger, Freude oder Ekel? Zeigt eine Person echtes Interesse oder lächelt sie nur aus sozialer Höflichkeit? Deutet der Gesichtsausdruck von Jürgen Klopp darauf hin, dass Dortmund gewonnen hat oder verloren? Ist die junge Frau im Video an einem Flirt mit ihrem Gegenüber interessiert oder geht da gar nichts? Da Publikum sieht, lacht und rätselt – nach ein paar Übungen sogar mit relativ hoher Erfolgsquote. Gesichterlesen scheint kein Hexenwerk zu sein, sondern im Gehirn des Menschen angelegt und zudem recht gut aktivierbar.

 

Gesichterlesen alleine reicht nicht

Nachdem uns vor lauter Bildern schon die Augen flimmern und wir die meisten Gesichtsausdrücke richtig erkannt haben, kommt die ganz wichtige Botschaft: Unsere Mimik zeigt nicht, warum wir ein bestimmtes Gefühl haben. Sie zeigt lediglich, dass wir es haben!

Gesichterlesen ist gut und schön, doch um den nächsten Schritt aufeinander zu zu machen, müssen wir miteinander reden.

So wie auch der Kellner Dirk Eilerts Naserümpfen hinterfragt hat. Erst durch das Gespräch konnte die Irritation über das grüne Ding auf dem Teller aus der Welt geschafft und der Wunsch nach frischem Gemüse erfüllt werden.

Im Kern geht es beim Gesichterlesen darum, dass wir uns mehr miteinander beschäftigen. Dass wir auf uns und aufeinander achten. Diese Form der Aufmerksamkeit zeugt von ehrlichem Interesse füreinander. Dahinter stehen immer die Fragen: Wie geht es dir? Was fühlst du wirklich? Und was brauchst du gerade? Wenn wir den Antworten dieser Fragen näherkommen, können wir besser aufeinander eingehen. Dirk Eilert hatte in einem Interview einmal gesagt, sein Ziel sei es, mehr Empathie in die Welt zu bringen. Auf die Gesichtsausdrücke des anderen zu achten kann für uns – so wie auch die Gewaltfreie Kommunikation – ein hilfreiches praktisches Handwerkszeug dabei sein.

 

„Achten Sie im Alltag etwas mehr auf das Gesicht des anderen“

Am Ende des Vortrages – alle sind Feuer und Flamme – wird noch an ein Gewinnspiel angekündigt. Hauptgewinn: das Online-Kurspaket „Mimikresonanz“ mit Dirk Eilert, außerdem gibt es Bücher zu gewinnen.

Tosender Applaus vom Publikum und ein Hinweis der Buchhändlerin, dass die Ladenkasse noch geöffnet ist. Dirk Eilert verabschiedet sich mit den Worten von Eckart von Hischhausen zum attraktivsten und gesundheitsfördernsten Gesichtsausdruck, den wir haben: dem Lächeln. Von Hirschhhausen sagte dazu: „Wussten Sie eigentlich schon, dass Kinder ca. 400 mal am Tag lächeln? Erwachsene übrigens 15 mal … Und Tote? Nun, die lächeln gar nicht. Darüber lohnt es einmal nachzudenken.“

Überhaupt scheinen Kinder ganz offenbar die allerbesten Gesichterleser zu sein. Die Fähigkeit dazu steckt in unseren Genen. Wir kommen als Mimikexperten zur Welt. Doch durch Erziehung, Spracherwerb und bestimmte äußere und innere Faktoren verlernen wir diese wichtige Kompetenz wieder. Und mit dem Verlust der Gefühlserkennungskompetenz verlieren wir gleichzeitig ein großes Stück an Empathiefähigkeit. Das gilt es zurückzuerobern. Dirk Eilerts Tipp: Achten Sie im Alltag etwas mehr auf das Gesicht des anderen. Es wird die Qualität Ihrer Beziehungen entscheidend verbessern.

Na, wenn das keine Motivation ist!

Ich stöbere noch ein Weilchen in den Regalen – und werde fündig: Lesefutter für meine Rückreise. Übermorgen fahre ich wieder. Und  nehme mir für die Bahnfahrt fest vor, nicht nur das neue Buch, sondern vielleicht sogar in dem einen oder anderen Gesicht zu lesen. So viele Menschen über mehrere Stunden in einem Zug: der perfekte Nährboden für verschiedenste Emotionen, oder? Noch ein letzter Blick durch den Raum, dann trete ich aus der Buchhandlung heraus und wieder hinein in das Getümmel der Großstadt.

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