Beiträge

Erleben Sie den Drive …

Drive – mit der Welt im Fluss sein

Von Stefan Hölscher

Wir alle kennen Situationen, in denen wir uns als kraftvoll gestaltend erleben, in denen wir das Gefühl haben, gut im Fluss zu sein, die Dinge zu bewegen, Schwierigkeiten zu meistern und Energie, Lust und Lebendigkeit bei alledem zu spüren. Erfahrungen dieser Art können mit unterschiedlichsten Tätigkeiten im Beruf oder im Privatleben verbunden sein; mit Tätigkeiten, die wir allein tun, oder mit Tätigkeiten, die wir mit anderen zusammen unternehmen. Oft handelt es sich um kreative, sportliche oder spielerische Aktivitäten, doch können es genauso auch Überlegungen, Problemlösungsprozesse, intensive Gespräche oder alltägliche Tätigkeiten und Interaktionen mit anderen sein. Geprägt wird solches Erleben durch eine eigentümliche Gleichzeitigkeit von Gestalten und Laufenlassen, von ernsthaftem Einsatz und spielerischer Leichtigkeit, von Leistungswillen und Lust. Situationen dieser Art sind Momente des Gelingens und des Glücks. Was wir dabei erleben, ist Drive – eine ganz besondere Art mit uns selbst und der Welt im Fluss zu sein.

Ein solches Im-Fluss-Sein lässt sich nicht erzwingen. Wir können allerdings Bedingungen fördern, unter denen es uns eher gelingt, dass es dazu kommt. Die entscheidenden Weichenstellungen dafür liegen in uns selbst. Wir selbst bestimmen mit unserem Denken und Handeln, mit der Art des Umgangs mit dem, was in uns und um uns herum passiert, maßgeblich, wie es uns geht und welche weitere Entwicklung die Dinge für uns nehmen. Die wirksamsten Weichenstellungen, um mehr und mehr in einen guten Fluss zu kommen und Drive im eigenen Leben zu entfalten, lassen sich dabei in vier Leitsätze fassen.

 

Schätze, was da ist

Der erste und wichtigste Leitsatz für Drive ist: Nimm an, was gerade da ist, was auch immer es ist, und geh davon aus, dass du etwas Sinnvolles daraus machen kannst. Dieses Prinzip gilt im Kleinen wie im Großen, im Inneren wie im Äußeren. Es gilt für das, was einen ereilt – sowohl das, worüber man sich spontan freut: positive Überraschungen, unerwartete Gelegenheiten, glückliche Momente; wie auch für das, was man so nicht haben wollte: Störungen, Probleme, Krankheiten, Krisen, Verluste. Es gilt für das, was andere tun und was ihnen eigen ist: ihre Worte, Handlungen, Handlungsmuster und deren Folgen; und es gilt für das, was man selbst tut und was einem selbst eigen ist: eigene Gedanken, Gefühle, Handlungen, Handlungsmuster, Eigenschaften, die eigene Biografie…

Anzunehmen, was ist, und davon auszugehen, dass sich etwas Sinnvolles daraus machen lässt, bedeutet zweierlei: Akzeptanz des Gegebenen und aktive Gestaltungskraft. In genau dieser Kombination liegt der Schlüssel für Drive. Zu nehmen, was ist, meint weder Passivität noch Fatalismus. Die Haltung, dass es ist, wie es ist, und man es sowieso nicht ändern kann, als zentrales Lebensprinzip wäre das Ende von Drive. Andererseits meint eine aktive Gestaltung aber auch nicht Aktionismus und Allmachtsgefühle: Die Überzeugung, dass man die Welt seinen Wünschen gemäß formen kann, wäre ebenso wenig vereinbar mit Drive.

Gemeint ist vielmehr: Ich nehme, was da ist (etwas anderes habe ich ohnehin nicht zur Verfügung), und mache etwas daraus. Und zu beidem sage ich „Ja“: zu dem, was vorhanden ist, und zu der Chance, dass ich das Vorhandene weiter gestalten kann. Diese innere Haltung bringt Drive. Sie bildet den ersten Leitsatz für ein Leben mit Drive; und in gewisser Hinsicht durchzieht sie auch die anderen drei: Wisse, was du brauchst; nutze, was du kannst; sieh, was du tust.

 

Wisse, was du brauchst – nutze, was du kannst – sieh, was du tust

Indem ich herausfinde, was ich brauche, kümmere ich mich um mein Wohlergehen. Ich nehme meine verschiedenen Bedürfnisse wahr und nehme sie ernst. Ich entwickle Klarheit im Hinblick darauf, was mir in den vier zentralen Bereichen meines Lebens Körper – Arbeit – Beziehungen – Selbstverwirklichung wirklich wichtig ist, und ich kümmere mich konsequent darum. Ich strebe nach kraftvollen Balancen zwischen den verschiedenen Bereichen, und ich nutze Konflikte, Schwierigkeiten oder negative Gefühle als wichtige Hinweisgeber dafür, was in mir vorgeht, was ich brauche und was ich in meinem Leben ändern sollte, damit es mir gut geht.

Indem ich nutze, was ich kann, mache ich vom Reichtum meiner Fähigkeiten Gebrauch. Ich erkenne in allem, was ich tue, immer auch Fähigkeiten von mir und verwende diese Fähigkeiten und insbesondere meine Kernkompetenzen, das heißt den spezifischen Mix meiner zentralen Fähigkeiten, um mein persönliches Potenzial zu entfalten, mir Ziele zu setzen und mich immer weiter zu entwickeln.

Indem ich sehe, was ich tue, betrachte ich mein Verhalten von außen. Ich nutze Reflexionsfragen, prüfe und hinterfrage besonders in schwierigen Situationen, welche Erklärungen und Bewertungen ich dem Geschehen gebe und ob andere Erklärungen und Bewertungen gegebenenfalls hilfreicher für mich wären; ich achte auf unterschiedliche Strebungen in mir – die Mitglieder meines inneren Teams – und nehme kritische Muster, in denen ich verhaftet bin, wahr, um mein Handeln und seine Folgen besser verstehen zu können. Ich nutze meine Reflexion, um in Situationen, die ich als schwierig und festgefahren erlebe, neue Blickwinkel und Handlungsalternativen zu entdecken.

Zwei Beispiele

Vollsperrung auf der Autobahn. Gerade jetzt. Und ich mittendrin. Wer weiß, wie lange. Natürlich könnte ich mich jetzt furchtbar aufregen und dem Stau auf der Straße noch einen Stau in meinen Blutgefäßen hinzufügen. Ich kann mich aber auch entscheiden, mich ganz der Musik hinzugeben, die ich mir gerade ausgesucht habe, vielleicht ein paar Entspannungsübungen zu machen oder einem interessanten Hörbuch zu lauschen…

Karrierebremse. Mein Chef teilt mir mit, dass ich in diesem Jahr noch nicht für die nächste Karrierestufe vorgesehen bin. Gemeinsamer Beschluss des Managements. Ich solle erst noch an einigen Verhaltensweisen von mir arbeiten. Nach meiner Auffassung war die Beförderung mehr als fällig. Natürlich könnte ich mich nun in den Schmollwinkel zurückziehen oder versuchen, möglichst schnell irgendwo anders eine neue Stelle zu bekommen. Ich kann mich aber auch entscheiden, die relevanten Hinweise ernst zu nehmen und die nächsten Monate nutzen, um mit Unterstützung meines Chefs an diesen Punkten systematisch zu arbeiten. Ich tue dies für meine persönliche Entwicklung, natürlich auch, um mich für die nächste Beförderungsrunde erfolgversprechender aufzustellen und, falls es dann immer noch nicht klappen sollte, um meine Chancen für eine gute Stelle andernorts zu erhöhen…

 

Drive stärkt Drive

Indem ich schätze, was da ist, indem ich weiß, was ich brauche, indem ich nutze, was ich kann, und sehe, was ich tue, entsteht Drive in meinem Leben. Ich sage „Ja“ zu dem, was da ist – in mir und in meinem Umfeld – und mache etwas Eigenes und Gutes daraus. Ich verbinde das, was geschieht, mit dem, worum es mir geht. Ich verfolge einen klaren Kurs und bin zugleich offen für das, was sich ergibt. Ich sorge für mich und mein Wohlergehen und achte auf wechselseitig befriedigende Beziehungen. Ich erlebe mich reich an Fähigkeiten. Ich weiß, dass ich mich auf meine bewusst-willkürlichen ebenso wie auf meine unbewusst-unwillkürlichen Fähigkeiten, auf mein ICH und mein ES verlassen kann, und dass das Zusammenwirken all dieser Fähigkeiten mir für mein Wohlergehen und das Erreichen meiner Ziele unschätzbare Dienste erweist. Ich reflektiere mein Handeln und vermag mich zwischen einem Ganz-im-Geschehen-Sein und einem Es-von-außen-Beobachten hin und her zu bewegen. Ich nutze schwierige Momente, Konflikte und Krisen, um besser zu verstehen, zu lernen und neue Ideen und Balancen zu finden. Ich setze die Möglichkeiten der Reflexion ein, um meine Perspektiven zu erweitern und neue Handlungsimpulse zu finden.

So ist mein Leben mehr und mehr durchdrungen von Drive. Ich erlebe Rhythmus, Bewegung und Fluss. Ich bin ein Teil davon. Das Geschehen prägt mich und ich präge es. Ich bin mit meinem Denken, Fühlen und Handeln ganz in dem, was geschieht, und zugleich schaue ich auf das Geschehen. Ich erlebe das Ganze und ich erlebe mich. Ich fühle Einheit und Unterschied. Ich spüre das Leben und ich spüre den Drive. Das Wunderbare dabei ist: Die Erfahrung von Drive hilft, Drive erneut zu erleben, denn das Erfahren von Drive stärkt die Zuversicht, dass Drive entstehen kann; und diese Zuversicht ist die beste Weichenstellung dafür, dass Drive immer wieder neu zustande kommt.

 

Geprägt von Kontrasten

Natürlich wird mein Leben niemals ausschließlich von Drive durchzogen sein. Als Mensch bin ich ein fehlbares und sterbliches Wesen, und zu meinem Leben gehören immer auch Schwäche, Verlust, Krankheit, Schmerz, Unglück, Abbau und Tod. All das wird immer wieder – zumindest vorübergehend – dazu führen, dass etwas anderes die Oberhand gewinnt.

Drive wird geprägt von Kontrasten – auch von dem Kontrast zwischen den Zuständen in meinem Leben, in denen Drive vorkommt, und denjenigen, in denen anderes dominiert. Ein realistisches Vorhaben kann daher nicht heißen: „Ich werde Drive immer und überall erleben“, denn das wird nie in Erfüllung gehen. Möglich ist aber, dass mein Leben immer häufiger, intensiver und nachhaltiger von Drive geprägt wird; dass Drive für mich immer leichter und natürlicher wird. Dies ist ein realistisches und ein sehr lohnendes Vorhaben zugleich.

Helfen werden mir dabei die vielen guten Momente und günstigen Bedingungen, die es zu entdecken gibt. Helfen werden mir dabei aber auch die schwierigen Momente und Bedingungen, die kleinen und die großen Krisen in meinem Leben. Je besser es mir nämlich gelingt, auch in solchen Situationen anzunehmen, was ist, und etwas Sinnvolles daraus zu machen, umso mehr werde ich mein Vertrauen darauf, dass Drive entsteht, und meine Fähigkeit, Drive aufrechtzuerhalten, stärken, und umso eher wird Drive wieder entstehen.

Die Erfahrung von Drive stärkt das Entstehen von Drive. Je häufiger und intensiver ich in guten wie in schwierigen Situationen nutze, was da ist, umso natürlicher wird ein Leben mit Drive für mich werden. Ich bin mit mir und der Welt im Fluss und schöpfe daraus Kreativität, Kraft, Leistung und Lust.


 

  Über den Autor

Stefan Hölscher, studierter Philosoph, Literaturwissenschaftler und Psychologe (Dr. phil., Dipl.-Psych., M. A.), hat eine berufliche Doppelexistenz: Er arbeitet als Managementberater, Trainer, Coach und ist Geschäftsführender Gesellschafter der Metrion Management Consulting, Frankfurt a. M. Gleichzeitig ist er als Autor, Lyriker und Sprecher tätig. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher und Beiträge. Zusammen mit Michael Schneider, dem Solobassisten des Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg, macht Stefan Hölscher sprach-musikalische Lyrik-Kontra Bass Performances.

 

Publikationen (Auswahl):

  • Hölscher, S. (2015): Die neue Mitarbeiterführung. Führen als Coach. Beck Kompakt. C.H. Beck, München
  • Büngen, A. & Hölscher, S. [Hg.] (2015): Queerlyrik. Siegertexte und Platzierte des 1. Queerlyrik-Wettbewerbs. Geest Verlag, Vechta-Langförden
  • Hölscher, S. (2014): Schrille Gefilde. Gedichte. Geest Verlag, Vechta-Langförden
  • Hölscher, S. & Armbrüster, C. [Hg.] (2013): Gesundheit braucht Führung. Südwestbuch Verlag, Stuttgart.
  • Hölscher, S. (2011): Leben mit Drive. Die Entfaltung von Kreativität, Kraft, Leistung und Lust. Junfermann Verlag, Paderborn.

Zahlreiche weitere Bücher und active books bei Junfermann und Veröffentlichungen in Zeitschriften.