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Herausfordernde Situationen im Coaching: Karin Kiesele und Andrea Schlösser im Interview

Ob Profi oder Anfänger – fast jede/r Coach stößt beizeiten in seiner/ihrer Arbeit an Grenzen, ist mitunter verunsichert, überfordert oder gar ratlos. In Seminaren oder Coaching-Büchern geht es jedoch hauptsächlich darum, wie ein/e Coach idealtypisch vorgehen sollte, und nicht so sehr um die Fallstricke, die in der Praxis lauern.

Im Interview mit Carolin Stephan sprechen Karin Kiesele und Andrea Schlösser, die Autorinnen von »Herausfordernde Situationen im Coaching – Toolbox Best Practice«, das im Sommer 2020 erschienen ist, über solche Fallstricke und geben Empfehlungen sowie praktische Tipps, wie mit ihnen umgegangen werden kann. Dabei gehen die Autorinnen auch auf Fragen ein, die zuvor von unserer Instagram-Community gestellt wurden.

 

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Karin Kiesele & Andrea Schlösser. 2020: Herausfordernde Situationen im Coaching. Toolbox Best Practice. Paderborn: Junfermann.

Weitere Infos zum Buch & Bestelloptionen: https://bit.ly/2Ynxv48

Leseprobe: https://bit.ly/3iRYfmG

 

Digitale Coachingausbildung

Tanja Klein

Tanja Klein, © Christine Roch

Online-Coachingsitzungen haben sich in Corona-Zeiten in wenigen Monaten etabliert. Das technische Equipment ist überschaubar, über Online-Konferenztools wie z. B. Zoom oder Skype können sich Coach und Coachee vernetzen und austauschen. Doch wie sieht es mit Ausbildungen aus? Die Elemente einer Coaching-Ausbildung komplett in digitale Welt zu übertragen, scheint für viele Trainerinnen und Trainer eine unlösbare Aufgabe. Ausbildungen werden deshalb nur eingeschränkt angeboten oder durchgeführt. Tanja Klein, Systemischer Coach und Coach-Ausbilderin aus Bonn, berichtet, wie sie ihr Neuro-Coach-Ausbildungskonzept für digitale Anforderungen umgearbeitet hat.

 

Wie kann man ein bestehendes Ausbildungskonzept so umarbeiten, dass es auch online umsetzbar ist?

Ich habe alle bestehenden Inhalte analysiert und überlegt, wie ich diese bestmöglich online umsetzen kann. Schon bei der letzten Neuro-Coach-Ausbildung habe ich von Anfang an nach dem Inverted Classroom-Konzept gearbeitet. Dabei findet die Wissensvermittlung via „Frontalunterricht“ ausschließlich via Online-Lektionen statt und nur das wirklich nötigste wird dann in die Präsenzzeiten gelegt. So habe ich zum Beispiel für alle 42 Themen wie zum Beispiel: „Was ist EMDR?“ oder „Was muss ich beim Vorgespräch beachten?“ unterhaltsame Fachinhalte in einer schriftlichen Lektion beschrieben. Zusätzlich habe ich für jeden Inhalt einen eigenen Lehrfilm von ca. einer Stunde aufgenommen.

 

Übrig blieben deshalb „nur“ noch die Bausteine der Präsenztage:

  • Persönliches Kennenlernen / Vernetzung
  • Demo-Coachings
  • Fragerunden nach den Übungscoachings
  • Übungscoachings der TeilnehmerInnen
  • Schriftliche und praktische Prüfung*

Diese Elemente habe ich dann „online übersetzt“ und für jeden Part ein digitales Pendant gefunden. Das persönliche Kennenlernen kann in einer Video-Konferenz stattfinden*. Mittlerweile gibt es auch hier gute Anbieter, die eine interaktive „Treffen“ ermöglichen. Eine weitere Vernetzung findet in unserer eigenen WhatsApp-Gruppe statt. Die fehlenden 18 Demo-Coachings aus den Präsenztagen drehe ich gerade mit einer Teilnehmerin – und stelle diese dann allen anderen Seminarteilnehmern passend zur jeweiligen Lektion zur Verfügung. Alle Fragen zur Online-Lektion und dem Demo-Coaching werden bei einem innerhalb der Video-Konferenzen gestellt. Diese werden immer mitgeschnitten und allen TeilnehmerInnen im Nachgang zur Verfügung gestellt. So verpassen auch zeitlich verhinderte Teilnehmer nichts.

Das allerwichtigste in einer Coachingausbildung ist m.E. die Möglichkeit, im geschützten Rahmen zu coachen und hilfreiches Feedback zu erhalten. Auch hier habe ich einen guten Weg gefunden: Die Teilnehmer organisieren sich eigenständig ihre Übungscoachings und können dann meine Co-Trainerin oder mich via Video-Konferenz „dazu holen“. So haben wir die Chance alle Übungscoachings zu sehen, was innerhalb der Präsenzphase aufgrund der Gruppengröße nicht immer der Fall sein kann. Alternativ können die angehenden Neuro-Coaches auch ihr Übungs-Coaching aufnehmen und uns im Nachgang für ein qualifiziertes Feedback zur Verfügung stellen. Es ist mir auch sehr wichtig, dass jeder Teilnehmer selbst jedes Coachingformat am eigenen Leib erlebt hat. Diese Coachingerfahrungen werden von den Teilnehmern auf den Übungsblättern dokumentiert und noch offene Fragen dort festgehalten. Die schriftliche Prüfung kann ebenfalls via Online-Prüfungsbogen ausgefüllt werden. Auch hier gibt es gute Online-Tools die eine Wissensabfrage ermöglichen. Und für die praktische Prüfung können wir ebenfalls auf die Online-Aufzeichnungen oder einen Livestream zurückgreifen.

 

Wie stellen Sie als Lehrcoach sicher, dass Ihre Ausbildungsteilnehmer das Gelernte verstehen (z. B. durch Demos) und danach selbst einüben können?

Im Online-Modul gibt es zu jedem Thema Hausaufgaben, die uns die TeilnehmerInnen via Mail zu senden. So sehe ich schnell, wo noch ein Verständnisproblem vorhanden ist oder an welcher Stelle ich vielleicht mit einer Zusatzinformation für mehr Verständnis sorgen kann. Zwischen den Online-Modulen gibt es immer die Fragerunden im Video-Modul. Anhand der Art der Fragenstellung meiner TeilnehmerInnen erhalte ich bereits ein gutes Gefühl, wie sicher diese bereits ein Format oder das vermittelte Wissen dazu anwenden können. Selbstverständlich stelle ich auch hier eigene Frage J. Da Janette und ich auch in den Übungscoachings zugeschalten werden können, sehen wir auch hier, wie sicher bereits der Wissenstransfer funktioniert. Es ist mir sehr wichtig, auch in der Online-Ausbildung die Qualität der Coach-Qualifikation aller TeilnehmerInnen hoch ist! Ich konnte bereits bei der letzten Ausbildung gut sehen, wie gut das Konzept mit der Online-Wissensvermittlung funktioniert hat. Meine jetzigen Teilnehmer sind jetzt schon besser auf einem überraschend hohen Niveau und erfreuen sich guter Coachingerfolge mit fremden Übungsklienten. Im Rahmen unserer Ausbildung vermitteln wir extra fremde Übungsklienten, damit unsere Coaches bestmöglich für die Selbstständigkeit vorbereitet sind, denn innerhalb der Übungsgruppe lässt sich oft zu leicht coachen…

 

Wie begleiten Sie die Übenden mit Feedback und Hilfestellungen?

Meine Co-Trainerin und ich halten regelmäßig Kontakt zu den einzelnen TeilnehmerInnen und beantworten auch zwischen den Video-Modulen Fragen. So manches Mal greifen wir auch in der Rolle des Coaches beherzt ein, wenn bei dem ein oder anderen im Ausbildungsverlauf auch mal Zweifel aufkommen, vielleicht nicht gut genug als Coach geeignet zu sein.

 

Einige Coaches schrecken sicher vor den technischen Anforderungen zurück. Wie schätzen Sie das ein?

Dieser Punkt dürfte für viele Ausbilder die größte Hürde sein. Meiner Meinung nach kommt es auf den eigenen Anspruch an. Ich habe zum Beispiel den Wunsch, dass meine Unterlagen besonders schön anzusehen sind und drucke deshalb alle Schulungshandouts sogar in Farbe aus. Ähnlich ist es auch bei den Filmen: Ich nehme mir extrem viel Zeit, jeden Inhalt grafisch noch zusätzlich einzublenden, gute Schnitte zu machen und ein paar kleine „Spezialeffekte“ einzubauen.

Ehrlich gesagt ist dieser Aufwand aber gar nicht nötig, um Wissen gut zu vermitteln. Ein rudimentäres Wissen für ein Textverarbeitungsprogramm wie Word und vielleicht 1 – 2 Tage Beschäftigung mit Youtube und einem Videoschnittprogramm auf dem Handy oder Computer reichen auch aus! Bei Coach-Ausbildern mit sehr hohen Anspruch – oder ggf. auch entsprechenden Auflagen seitens des Coachingverbandes braucht es andere, leider oft auch finanziell kostenintensivere Lösungen. Am Markt gibt es zum Beispiel eigene Lern-Managementprogramme, bei denen alle Inhalte in einem eigenen System (anstatt in Youtube) hochgeladen werden. Hier kann zum Beispiel auch besser nachvollzogen werden, welcher Teilnehmer welche Inhalte bereits angesehen hat. Für die Implementierung solcher Systeme braucht es in der Regel schon etwas mehr Knowhow oder einen guten Dienstleister.

 

Haben Sie Tipps, welches technische Equipment auf keinen Fall fehlen darf?

Ich persönlich drehe alle Filme mit meinem Handy, da hier die Auflösung um viel Vielfaches höher ist als bei der internen Computerkamera. Besonders wackelfrei werden diese Aufnahmen mit einem guten Stativ. Als unverzichtbar sehe ich hier die Verwendung eines externen Mikrofons an. Wahrscheinlich ist das ein zusätzliches Videoschnittprogramm für einige Coach-Ausbilder nicht ganz so unverzichtbar, wie für mich. Aus eigener, schmerzhafter Erfahrung empfehle ich dringend, einen Rechner mit mehr als 8 GB Arbeitsspeicher hierfür zu verwenden… Mein neuer Mac besetzt aus diesem Grunde 32 MB, um diese hohe Datenmenge besser verarbeiten zu können.

 

Wo finden Coaches Hilfe, wenn sie trotz dieses Artikels noch nicht so ganz weiterkommen?

Bei anderen Coaches, denn oft steckt eine emotionale Blockade dahinter! Auch wir Coach-Ausbilder sind leider nicht frei davon. So manche Kollegin hat sich vor ihrem ersten Onlinekurs sabotierende Glaubenssätze wie „Ich habe keine Ahnung von Technik“ oder „Das können nur andere“ erst mal weg coachen lassen müssen.

Bei technischen Fragen zu Videoschnittprogrammen wie Camtasia kann ich die kostenfreien Online-Tutorials sehr empfehlen. Dort habe ich alle Antworten gefunden, die ich für meine bisher 70 gedrehten Filme benötigte.

Natürlich kann man mir auch gerne mal eine Frage via WhatsApp senden oder mal auf http://akademiefuerneurocoaching.de schauen, wie ich das mache.

 

*Sollte es trotz Corona-Virus möglich sein sich zu treffen, werden wir diesen Part und die schriftliche Prüfung gerne offline durchführen.

 

Das Interview ist in verkürzter Form zuerst in Praxis Kommunikation, Ausgabe 4/2020, erschienen und wurde von Simone Scheinert geführt.

 

 

Nur „Aufschieberitis“ oder prokrastinierst du schon?

In ihren Coachings begegnen Annette Bauer immer wieder Menschen, hinter deren Aufschiebeverhalten alte Geschichten steckten. Damit verbunden sind auch Emotionen, die mit etwas zusammenhängen, das sie einmal erlebt haben. Den Betroffenen selbst ist das manchmal gar nicht bewusst, nie wären sie daraufgekommen, das verhasste Aufschiebeverhalten mit dieser alten Geschichte in Verbindung zu bringen. Als Coach, die mit emotionsbezogenen Methoden arbeitet, wundert sich Annette Bauer jedoch weitaus weniger …

Welche Gefühle spielen eine Rolle, wenn Sie aufschieben?

Ertappen auch Sie sich manchmal dabei, dass Sie Dinge lange vor sich herschieben? Oder haben Sie sogar schon negative Konsequenzen erfahren, weil Sie immer wieder – teils sehr wichtige – Erledigungen und Aufgaben verschieben? Wagen Sie einen ersten Blick auf die Hintergründe.

Wenn Sie auf Ihr Aufschiebeverhalten schauen, welche Art von Gefühlen regen sich dann eher bei Ihnen?

Die folgende kleine Tabelle kann ihnen helfen, Ihre eigenen Gefühle leichter in Worte zu fassen. Mehrfachnennungen sind möglich (und auch wahrscheinlich).

 

„Wenn ich jetzt an mein Aufschieben denke, empfinde ich …“

Angst Gelassenheit
Unruhe Innere Ruhe
Wut Angenehmen Nervenkitzel
Lebens- oder Existenzangst Amüsiertheit
Zögerlichkeit Inneres Kribbeln
Zweifel Zufriedenheit
Unzufriedenheit Erleichterung
Verzweiflung Zuversicht
Sorgen Entspannung
Ärger Selbstsicherheit
Selbstzweifel Vorfreude
Erleichterung

 

Finden Sie sich eher in den Gefühlen und Aussagen auf der linken Seite wieder? Diese passen eher zu Aufschieber*innen mit Problempotenzial, zu Menschen, die mit akademischem Aufschieben zu tun haben, oder gar zu pathologischen Aufschiebenden. Negative Emotionen sind eher ein Indikator für Stress, der mit dem Aufschiebeverhalten verbunden ist. Ihr Aufschieben geht nicht spurlos an Ihnen vorüber.

Finden Sie sich eher in den Gefühlen und Aussagen auf der rechten Seite wieder? Dann atmen Sie tief durch. Ihre positiven Gefühle stehen eher für einen entspannten Grundzustand und dafür, dass Sie sich im normalen Spektrum des Aufschiebeverhaltens bewegen.

Auch wenn Sie hier negative Emotionen und Aussagen bei sich entdecken, können Sie etwas tun!

Die gute Nachricht ist: Veränderung kann immer gelingen. Ganz gleich, in welchem Kontext. Wollen Sie mit dem Rauchen aufhören? Das geht, wenn Sie den richtigen Weg für sich finden. Sie möchten Ihr Ernährungsverhalten verändern? Auch das ist möglich, mit guter Beratung und Übung und einem für Sie passenden Zugang, der ohne Dogmen daherkommt. Sie möchten Tanzen lernen? Ein Tanzkurs sollte helfen, und ja, die eine wird zur fröhlich-leichten Tänzerin in allen Lebenslagen, der andere bleibt etwas knöchern bei den Grundschritten, kommt aber für „den normalen Hausgebrauch“ ganz gut zurecht.

Veränderung kann auch in Bezug auf Aufschiebeverhalten gelingen. Wenn Sie den mutigen Blick darauf wagen, wie Ihr persönliches Aufschieben gelagert ist.

Ist es eher einer Arbeitsstörung ähnlich oder sind es die kleinen Dinge des Alltags? Schieben Sie zwar Dinge auf die lange Bank, aber eigentlich spielt es nicht wirklich eine Rolle, weil das Leben damit gut funktioniert? Oder leiden Sie unter aufgeschobenen Dingen, auch wenn sie nicht von Bedeutung sind? Gibt es da vielleicht ganz andere Probleme und Beschwerden, zu denen das Aufschieben noch hinzukommt?

Diesen Blick kann Ihnen niemand abnehmen. Aber: Wenn Sie den Blick wagen, können Sie am richtigen Punkt nach der passenden Unterstützung schauen und in den Veränderungsprozess einsteigen. Und der kann dann auch gelingen.

(Quelle: Auszug aus dem Buch Auf die lange Bank: Wenn Aufschieben zum Problem wird von Annette Bauer, erschienen im September 2019)

 

Über die Autorin

Annette Bauer ist systemischer Coach sowie Strukturaufstellerin und seit fast 20 Jahren in der Begleitung und Beratung von Menschen in der Seelsorge tätig. Sie beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit der Lehre der Achtsamkeit und arbeitet als Coach mit Vielbegabten.

Die Kraft von Imaginationen

Ein Workshop zum Thema: „Standhaft und beweglich wie ein Baum“

Von Antje Abram

Die Vorstellungskraft ist ein überaus wichtiges Hilfsmittel für Menschen, denn sie kreiert innere Bilder des nicht wirklich Realen. Das mag vielleicht erst einmal selbstverständlich klingen, ist es aber nicht! Die allermeisten Lebewesen nehmen mit ihren Sinnesorganen auf, was gerade in der Realität passiert. Der Mensch hingegen kann alles Mögliche imaginieren, von umfassenden Fantasiewelten bis hin zu komplexen Konstruktionen. Im Coaching und in der Therapie werden Imaginationen dazu genutzt, mental zu „trainieren“, sei es, um sich besser zu entspannen, mehr Sicherheit zu entwickeln, den Umgang mit Ängsten oder Trauer zu erlernen oder auch um Selbstheilungskräfte bei Krankheit zu fördern.

Nachfolgend finden Sie einen Bericht zu dem von mir geleiteten Workshop „Standhaft und beweglich wie ein Baum“ mit dem Schwerpunkt Stabilität und Flexibilität. Sie sind herzlich eingeladen, die Imaginationsübung selbst auszuprobieren!

***

Bäume sind für mich sehr faszinierend, denn sie vereinen in hohem Maße Stabilität und Flexibilität. Betrachten Sie doch einmal einen Baum bei starkem Wind, wie er sich wiegt und geschmeidig mit der Kraft des Windes „mitschwingt“, und wie gleichzeitig eine tiefe Verwurzelung mit der Erde existiert, mit einer sicheren Verbundenheit mit dem Boden. Es handelt sich für mich um den Idealzustand des Seins – für Bäume und Menschen!

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Dies hat mich zu dem Workshop „Standhaft und beweglich wie ein Baum“ inspiriert, eine Kombination von Körperübungen und Imaginationen.

Die Basis bildet die Standhaftigkeit, die Erdung, die Verwurzelung. In der Bioenergetik wird es „grounding“ genannt. Die Erde vermittelt Sicherheit, sie trägt uns. So verwende ich einige Zeit mit den Teilnehmern darauf, die eigenen Füße zu spüren: im Stand und in Bewegung. Welche Teile des Fußes sind direkt mit dem Boden verbunden? Welche Region des Fußes trägt das meiste Körpergewicht? Wie verändert sich meine Balance, wenn die Beine durchgedrückt sind oder, zum Vergleich, die Knie leicht gebeugt sind? Wie wirkt sich die gesamte Körperhaltung auf den Stand und die Füße aus?

Nachdem alle Teilnehmer einen guten Kontakt zu ihren Füßen und dem Boden gefunden haben, kann die Imaginationsübung im Stand beginnen:

„Spüre den Kontakt zum Boden mit deinen Füßen.

Deine Füße, die dich gut und kraftvoll tragen.

Stelle dir nun vor, aus deinen Füßen heraus wachsen Wurzeln in den Boden, genau wie ein Baum Wurzeln hat, die ihn fest und sicher in der Erde verankern.

Lasse die Wurzeln immer tiefer in den Boden hineinwachsen. Vielleicht wachsen deine Wurzeln auch mehr in die Breite. Wo die Wurzeln auch immer sein mögen, sie geben dir Stabilität und Sicherheit. Und sie versorgen den Baum mit Nährstoffen.

Fange nun an, dich sehr sanft zu wiegen, wie ein Baum im Wind. Nehme dabei deine Wurzeln wahr, deine Verbundenheit mit dem Boden.

Spüre die Sicherheit, die deine Wurzeln dir geben, und die Kraft, die du als Baum hast.

Wenn du dich gut verwurzelt fühlst, dann lasse deine Bewegungen größer werden. Stelle dir dabei vor, wie mehr Wind aufkommt und an deinen Ästen und Zweigen zieht. Nimm wahr, was du für ein Baum bist: groß oder klein, ein Laubbaum oder ein Nadelbaum, mit Knospen oder Früchten ausgestattet, vielleicht mit Tieren, die auf dir wohnen? Spüre dich als Baum in der Bewegung des Windes. Nimm gerne deine Arme hinzu, die die Äste und Zweige symbolisieren können.

Und vielleicht kommt noch mehr Wind auf, er zerrt regelrecht an dir. Du spürst die Wichtigkeit deiner Wurzeln, deine Standhaftigkeit.

Du spürst ebenso die Flexibilität des Holzes, die Fähigkeit, sich mit dem Wind zu biegen, deine Geschmeidigkeit. Es ist fast wie ein Fließen im Wind, eine Einheit mit den Elementen der Natur.

Und jetzt wird der Wind wieder weniger, deine Bewegungen beruhigen sich.

Wenn du magst, dann tritt innerlich aus dir selbst als Baum hinaus und gehe in deiner Vorstellung einige Schritte zurück. Du schaust dir diesen Baum genau an, so, als würdest du innerlich ein Foto davon machen. Dieses Foto zeigt aber nicht nur, was du sehen kannst, sondern auch, was du hörst. Vielleicht ein leises Knarren des Holzes oder das Rauschen der Blätter im Wind. Und auch Gerüche kommen in diesem Foto vor, dem Foto der Sinne. Wie riecht dieser Baum? Und jetzt nimmst du auch wahr, in welcher Umgebung du stehst, wie sieht es dort aus? Gibt es noch andere Bäume oder Pflanzen? Existieren irgendwelche besonderen Dinge um dich herum?

Und nun gehst du in deiner Vorstellung wieder zu deinem Baum zurück, zu dir zurück, und wirst wieder eins mit ihm. Du fühlst wieder deine verwurzelten Füße, du nimmst wieder wahr, wie es sich anfühlt, ein Baum zu sein.

Und wieder beobachtest du die Ausgewogenheit von Stabilität und Flexibilität in dir.

Mache nun freie Bewegungen als Baum, was immer du möchtest. Spüre tief hinein. Vielleicht möchtest du auch deinen Platz hier im Raum verändern, beispielsweise näher an andere Bäume heran, oder auch weiter weg. Folge ganz deinen Impulsen.

(Einige Minuten Zeit lassen)

Und pendele dich nun wieder in der Mitte ein, lass die Bewegungen ausklingen und spüre nach.

Wenn du gleich die Augen öffnest, werde ich dir Papier und Stifte geben, und du hast Gelegenheit deinen Baum zu malen. Wenn du mit dem Malen nicht so viel anfangen kannst, dann besteht auch die Möglichkeit, den Baum mit Worten zu beschreiben, vielleicht auch mit Geräuschen oder einer Melodie. Finde deine individuelle Ausdrucksmöglichkeit.“

***

Anschließend malen die Teilnehmer in Ruhe Ihre Bäume. Danach besprechen wir die Bilder. Bei allen ist innerlich einiges in Bewegung gekommen!

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Dreißig Imaginationsübungen sowie psychologisches und neurobiologisches Hintergrundwissen finden Sie in meinem Buch Imaginationen (2017).

abram_2_2008  Über die Autorin:

Antje Abram ist Diplom-Sportlehrerin für Behindertensport und Rehabilitation, Gestalttherapeutin und Systemische Familientherapeutin und arbeitet seit 1998 in eigener Praxis.

Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Hochbegabung und Gesundheit

Ein sensibler Geist wohnt in einem sensiblen Körper

Von Andrea Schwiebert

Als Coach und Berufungsberaterin für hochbegabte Erwachsene begegnet mir immer wieder ein Phänomen: Viele meiner Klientinnen und Klienten, die mit Fragen der Berufsorientierung zu mir kommen, berichten nebenbei von gesundheitlichen Beschwerden, die ihre Lebensqualität und Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Typischerweise leiden sie gleich unter mehreren Allergien, oft auch unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten, nicht selten unter Autoimmunerkrankungen – und oftmals unter schulmedizinisch unerklärlichen Symptomen, deren Behandlung trotz frustrierender Ärzteodyssee wirkungslos blieb. Klienten berichten mir etwa: „Ich hatte 20 Jahre lang Migräne und habe starke Medikamente eingenommen, und es hieß, da sei nichts zu machen“, oder: „Meine Blutwerte waren normal, also wurde mir nur immer wieder gesagt, meine Beschwerden seien psychisch.“

Allergien und Autoimmunerkrankungen: Wieso treten sie gehäuft bei Hochbegabten auf?

Außergewöhnlich intelligente Menschen erreichen häufiger ein höheres Bildungsniveau, sind somit aufgeklärter in Sachen Gesundheitsprävention und ernähren sich im Durchschnitt gesünder als die breite Masse der Bevölkerung. Warum also scheinen sie dennoch überproportional anfällig für bestimmte Erkrankungen zu sein, insbesondere für Allergien, Unverträglichkeiten und Autoimmunerkrankungen?

Eine Filterschwäche als Erklärung

Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass eine intellektuelle Hochbegabung in der Regel mit einem verringerten Reizfilter einhergeht, im englischen Sprachraum spricht man auch von Overexcitability. Neben einer geistigen Hochbegabung liegt also zumeist auch eine „Hochbegabung der Sinne“ oder auch Hochsensibilität vor: Die betreffenden Menschen nehmen mehr Sinnesreize wahr als der „Durchschnittsmensch“ und verarbeiten diese intensiver.

Möglicherweise ist dieser verringerte Reizfilter sogar eine der Voraussetzungen für die Entstehung einer intellektuellen Hochbegabung: Säuglinge mit dieser Filterschwäche haben von Beginn ihres Lebens an mehr Eindrücke zu verarbeiten als Kinder mit weniger Reizoffenheit, und bei entsprechender kognitiver Veranlagung lässt die Notwendigkeit, all diese Reize zu verarbeiten, ihr Gehirn schneller und vernetzter reifen, sodass ein stark überdurchschnittliches intellektuelles Potenzial entsteht.

Aus der Hochsensibilität wiederum ergeben sich zwei Umstände, die die Entstehung der o. g. Erkrankungen begünstigen können, denn einige Gegebenheiten in unserer heutigen Gesellschaft machen gerade besonders sensiblen Menschen zu schaffen:

  1. Wer sensibel ist, tappt schnell in die Stressfalle. Leistungs- und Termindruck, hohe Ansprüche und Konkurrenz, Zukunftsangst, Lärm, Hektik, Verkehrsstaus … Unser heutiges Leben setzt einiges an Stressresistenz voraus. Hochsensible Menschen, die Geräusche, Gerüche, visuelle Eindrücke, aber auch Stimmungen mit empfindsamen Antennen aufnehmen und diese intensiv verarbeiten, sich häufig viele Gedanken machen und vieles in Frage stellen, laufen leicht Gefahr, in Dauerstress zu geraten. Dass Dauerstress krank machen kann und einen Einfluss auf die Entstehung von hormonellen Störungen, Depressionen, Allergien und Autoimmunprozessen hat, ist allgemein bekannt. Die Autoimmunerkrankung der Schilddrüse Hashimoto Thyreoiditis etwa, so erklärte mir eine Ärztin, betreffe ihrer langjährigen Erfahrung nach fast immer empfindsame Menschen, die sich um viele Dinge Gedanken und Sorgen machen. Diese Erkrankung wiederum kann Depressionen und Unverträglichkeiten begünstigen und wird oft erst nach Jahren erkannt.
  1. Ein sensibler Geist wohnt in einem sensiblen Körper. Mit der sensiblen Wahrnehmung geht zumeist auch eine körperliche Sensibilität einher. Hochbegabte und hochsensible Menschen scheinen auch körperlich Seismographen der Gesellschaft zu sein: Luftverschmutzung, Elektrosmog, Farb- und Konservierungsstoffe in Nahrungsmitteln, Strahlung, Chemikalien – unsere moderne Welt ist voller Faktoren, die für uns alle ungesund sind. Hochsensible reagieren jedoch offenbar auch auf stoffliche Reize schneller und deutlicher als ihre mit einem stärkeren Reizfilter ausgestatteten Mitmenschen und entwickeln z. B. eine Kontaktallergie, eine Histaminintoleranz oder andere Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Meine 32-jährige Klientin Sandra (Name geändert) war vier Monate lang erschöpft und so schwer krank, dass sie kaum noch aufstehen und nicht mehr arbeiten konnte – bis eine für eine Zweitmeinung hinzugezogene Gynäkologin Sandras Verdacht, dass eine direkt vor dieser Erkrankung eingesetzte Kupferspirale zur Verhütung der Grund für diese Symptomatik sein könnte, ernst nahm und die Spirale entfernte. Sandra erzählte mir: „Ich habe mir die Spirale dann entfernen lassen – und der Effekt war unglaublich: Direkt beim Entfernen merkte ich, dass die Kupferspirale wirklich die Ursache für meine Beschwerden gewesen war. Der Unterschied, in welchem Zustand ich die Praxis betreten hatte und wie ich wieder hinauskam, war riesig. Wenige Tage danach war ich wieder fit.“ Ein eindrückliches Beispiel für einen Leidensweg, dessen Ursache ärztlicherseits zunächst nicht erkannt wurde, weil eine solche körperliche Unverträglichkeitsreaktion so selten ist.

Beide oben genannten Varianten – krankmachender Dauerstress und sensible Reaktionen des Körpers – können natürlich auch parallel auftreten. Nicht immer ist es leicht herauszufinden, ob Beschwerden stressbedingt sind oder ob andersherum eine körperliche Erkrankung so viel Kraft raubt, dass die Stresstoleranz herabgesetzt ist. Was aber nicht bedeutet, dass die Betroffenen sich ihre Symptome „nur einbilden“. Bedauerlicherweise wird ihnen jedoch von ratlosen Ärzten oft genau dies vermittelt: Sie seien eingebildete Kranke und könnten sich bestenfalls psychiatrisch behandeln lassen.

Ein weiterer Faktor: Tendenz zur Androgynität mit Affinität zu Autoimmunerkrankungen

Dabei scheint es sogar noch einen weiteren Faktor zu geben, der die Wahrscheinlichkeit von Allergien und Autoimmunerkrankungen bei Hochbegabten erhöht. Offenbar lassen sich hormonelle Besonderheiten während der fötalen Entwicklung von später hochbegabten Menschen feststellen, die oft auch noch im weiteren Lebensverlauf stabil bleiben: Der Testosteronspiegel ist bei Jungen unterdurchschnittlich hoch (in Bezug auf Normwerte bei Jungen), bei Mädchen überdurchschnittlich (in Bezug auf Normwerte bei Mädchen). Dies trägt zu einer hormonell bedingten Beeinflussung der Chromosomen (den Trägern unserer Erbinformation) und in der Folge zu einer andersartigen Hirnentwicklung bei, die unter anderem häufig mit einer Affinität für Autoimmunerkrankungen und Allergien einhergeht.

(Quellen: https://www.hochbegabtenhilfe.de/neurobiologische-forschung-zur-hochbegabung/ und https://www.hautsache.de/Neurodermitis/Forschung/Allergien-und-Hochbegabung-K-Ein-seltenes-Duo.php)

Was kann Coaching zum Gesundwerden und zur Lebensqualität Betroffener beitragen?

Eine bei Hochbegabten also oft angeborene erhöhte Neigung zu Allergien und Autoimmunerkrankungen muss nicht automatisch bedeuten, dass diese auch „ausbrechen.“ Und selbst wenn derartige Erkrankungen bereits bestehen, sind sie oft positiv beeinflussbar oder sogar heilbar. Da Allergien und Autoimmunerkrankungen sowohl körperliche Ursachen haben als auch durch Stress jeglicher Art (auch unverträgliche Nahrungsmittel oder giftige Dämpfe sind „Stress“ für den Organismus) bzw. psychische Belastungen ausgelöst oder verschlimmert werden können, macht es Sinn, ganzheitlich an die Sache heranzugehen, wenn eine Besserung der Beschwerden erreicht werden soll. Ich biete betroffenen hochbegabten und hochsensiblen Klienten deshalb eine ganzheitliche Gesundheitsberatung an, die ich als Ergänzung zu medizinischer Diagnostik und Behandlung sehe und selbstverständlich nicht als Ersatz dafür. So vergewissere ich mich zunächst, ob die Klienten bereits erfahrene Ärzte oder Heilpraktiker an ihrer Seite haben, und spreche ggfs. Empfehlungen hierzu aus.

Gerade bei Allergien, Autoimmunerkrankungen und unerklärlichen Symptomen kann in vielen Fällen eine qualifizierte Ernährungsberatung helfen. Durch eine Ernährungsumstellung können sich Heuschnupfen, rheumatische Beschwerden, Hauterkrankungen und viele andere Symptome bessern. Hier gibt es, und das möchte ich betonen, jedoch nicht die ideale Ernährungsform für alle – sondern es ist wichtig, eine individuell gesundheitsförderliche Ernährung zu finden.

Darüber hinaus können Betroffene ihr Wohlbefinden oftmals steigern und gesünder werden, indem sie ein positiveres Selbstbild entwickeln, Beziehungen in ihrem beruflichen wie privaten Umfeld klären und lernen, eine achtsame und damit gesundheitsfördernde innere Haltung einzunehmen. Hierbei begleite ich sie gern als Gesundheitsberaterin. In meiner Gesundheitsberatung habe ich wiederholt die Erfahrung gemacht, dass die oben angedeuteten drei Ansatzpunkte wesentlich sind:

1. Selbsterkenntnis und Selbstannahme. Die eigene Hochbegabung und ihre Auswirkungen auf die Biografie und Persönlichkeit, auf den bisherigen Berufsweg, auf zwischenmenschliche Beziehungen überhaupt zu erkennen, ist oft ein wichtiger Schritt zur Aussöhnung mit dem eigenen Weg und zur Selbstannahme. „Ich bin anders als andere – aber ich bin nicht falsch“ ist eine Erkenntnis, die die Basis für ein neues Selbstbewusstsein und damit gesundheitsförderlich sein kann. Ebenso entscheidend ist, dann tatsächlich die Erfahrung machen zu können, von anderen Menschen angenommen zu werden und in einen bereichernden Austausch mit diesen zu treten.

Fragen, an denen Klienten und Klientinnen arbeiten können, sind in diesem Zusammenhang:

  • Welche Besonderheiten in meinem bisherigen Leben lassen sich durch eine Hochbegabung erklären?
  • Wer bin ich und wer will ich sein?
  • Gibt es bisher „Ungelebtes“, das ich mit dem Wissen um meine Begabung nun doch verwirklichen kann und will?
  • Wie finde ich die Erlaubnis und Ermutigung, ich selbst zu sein und so zu leben, wie es mir entspricht?
  • Gibt es Menschen, von denen ich mich „erkannt“ fühle und mit denen ich mehr Zeit als bisher verbringen möchte? Fehlen mir noch „passende“ Menschen? Wo könnte ich diese finden?

 „Nicht mehr darüber nachzudenken, ob ich okay bin, sondern mich selbst anzunehmen, meine Freude und Begeisterung mit anderen zu teilen: Das hat für mich alles geändert. Ich sprudele oft richtig vor Energie und gehe jeden Tag mit Lust und Freude an. Ob es daran liegt, weiß ich nicht, aber jedenfalls sind sowohl mein Heuschnupfen als auch meine Rückenbeschwerden in den letzten Jahren immer besser geworden“, erzählte mir erst neulich eine frühere Klientin.

2. Krankmachende und gesundheitsförderliche Lebensumstände erkennen und neu gestalten. Als Systemische Beraterin interessiert mich der Blick auf krankmachende wie auch gesundheitsförderliche Umstände im Job, in Beziehungen, in der Familiengeschichte. Hochbegabte entsprechen nicht der Norm – und ecken deshalb häufig an mit ungewöhnlichen Ideen, Aktivitäten, Fragestellungen und Lösungsansätzen, was sowohl im Job als auch in zwischenmenschlichen Beziehungen ganz allgemein zu offenen oder verdeckten Konflikten und zu nagenden Selbstzweifeln führen kann. Oft lässt sich sogar ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Beginn dieser Konflikte und dem Auftreten gesundheitlicher Beschwerden beobachten. Manchmal ist auch ein Blick in die eigene Familienbiografie hilfreich, um Übertragungen bestimmter Themen von früheren auf nachfolgende Generationen aufzudecken und um mit diesen alten Themen abzuschließen, sich davon zu befreien und in einigen Fällen auch hierdurch gesundheitliche Verbesserungen zu erreichen. (Die Ärztin Dr. med. Birgit Hickey hat aus dieser Erfahrung heraus Medizin und Systemische Therapie in ihrer Praxis seit vielen Jahren zur „Systemischen Medizin und –Familientherapie“ verknüpft.)

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Fragen, die hier weiter führen können, sind etwa:

  • Gibt es in meinem gegenwärtigen Leben Aufgaben, Beziehungen oder sonstige Umstände (im Job oder privat), die ich als besonders belastend empfinde?
  • Haben diese Schwierigkeiten meinem subjektiven Empfinden nach einen Einfluss auf meine Gesundheit?
  • Möglicherweise ganz konkret: Was ist für mich „zum Kotzen“? Wo ist „dicke Luft und kann ich kaum atmen“? Was bereitet mir „Kopfzerbrechen“?
  • Gibt es unzureichend geklärte Themen in früheren Generationen meiner Familie, die ich möglicherweise „stellvertretend“ zu meinen eigenen Themen gemacht habe und die mich belasten?

Wenn krankmachende Lebensumstände sowie gegenwärtige Konflikte oder schwierige Themen in der Familienbiographie erst einmal als wichtige Faktoren ausfindig gemacht worden sind, lässt sich gut mit systemischen Methoden an Lösungen und Veränderungen arbeiten. Als Beraterin wäge ich hier ab, welche Themen im Coaching angegangen werden können und in welchen Fällen eher der Verweis an eine Therapeutin oder einen Therapeuten angezeigt ist.

3. Zu einer achtsamen inneren Haltung finden. Achtsamkeit, das urteilsfreie Wahrnehmen und Erleben des Augenblicks, das Annehmen des Lebens, so, wie es gerade ist, hilft ungemein dabei, aus lähmenden und krankmachenden Gefühls- und Gedankenstrudeln auszusteigen. Und gerade negatives Gedankenkreisen ist etwas, das viele Hochbegabte nur allzu gut kennen. Darauf angesprochen, höre ich zum Beispiel: „Stimmt, über dieses Problem mache ich mir pausenlos Gedanken, ohne dabei eine Lösung zu finden.“ Kummervolle Gedanken und Gefühle werden im Sinne der Achtsamkeit durchaus wahrgenommen und nicht unterdrückt. Die Kunst ist jedoch, destruktive Gedanken weiterziehen zu lassen, statt sie immer wieder neu „aufzukochen“. Daran lässt sich im Coaching gemeinsam arbeiten.

Interessante Fragen sind hier z. B.:

  • Was trägt dieser Gedanke dazu bei, dass ich ein glückliches und erfülltes Leben führen kann?
  • Wann, wie und wo könnte ich mich gezielt mit dem Problem beschäftigen, um Lösungsmöglichkeiten zu finden?
  • Was könnte ich in der übrigen Zeit tun, statt mich mit dem Problem zu beschäftigen?

Wenn wir achtsam leben, sind wir im Kontakt mit uns selbst und dem eigenen Körper und spüren, was uns guttut und was nicht. Das betrifft z. B. auch die Ernährung: Die anfangs genannte für unheilbar befundene Migränepatientin etwa fand selbst heraus, dass sie bei einer histamin- und kohlenhydratarmen Ernährung beschwerdefrei ist. Ein achtsames Beobachten ihrer Symptome half ihr dabei.

Hier droht allerdings eine Falle: Einerseits ist es für hochsensible Menschen oft unerlässlich, sich selbst zu beobachten und selbst zu gesundheitlichen Fragen zu recherchieren, um individuell hilfreiche Lösungen zu finden, die in der Arztsprechstunde nicht erkannt werden. Andererseits aber besteht die Gefahr, dass Hochbegabte und Hochsensible es mit der Selbstbeobachtung und Gesundheitsrecherche übertreiben – und ihre Gelassenheit und das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte ihres Körpers im Streben nach Optimierung verlieren.

Vor diesem Hintergrund bedeutet Achtsamkeit, zu erkennen, dass wir die Wahl haben, worauf wir unseren Fokus richten: Trotz vorhandener Beschwerden und Sorgen können wir unsere Aufmerksamkeit auch auf das richten lernen, was funktioniert und was uns Kraft gibt, statt uns ständig um die Krankheit zu drehen. So erleben wir wieder mehr Leichtigkeit und Lebensfreude, was sich wiederum positiv auf die Selbstheilungskräfte auswirkt. Und selbst wenn Heilung nicht zu erwarten ist, hilft Achtsamkeit dabei, trotz Krankheit Lebensqualität zu erfahren.

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Um eine achtsame Haltung wirklich zu verinnerlichen, empfiehlt sich die Teilnahme an einem achtwöchigen MBSR-Kurs (MBSR = Mindfulness Based Stress Reduction).

Fazit: Vom neuen Blickwinkel zu konkreten Schritten – so lassen sich Gesundheit und Lebensqualität verbessern

Alle drei zuvor genannten Punkte sind gewissermaßen das Handwerkszeug, das wir nutzen können, um damit Dinge in unserem Selbstkonzept und im eigenen Alltag so zu verändern, dass ein Gesundwerden überhaupt möglich ist:

  • Die Erkenntnis der Hochbegabung macht Mut „so zu sein, wie ich bin“, und befreit dazu, das eigene Licht „unterm Scheffel hervorzuholen“ und mit der Welt zu teilen.
  • Der systemische Ansatz hilft, Beziehungen und Verstrickungen zu klären, an deren Lösung wir dann im Coaching arbeiten können.
  • Die Achtsamkeit lässt uns spüren, was uns nährt und wohltut und was nicht, und zeigt uns Handlungsspielräume auf, sowohl was die Welt unserer Gedanken und Gefühle betrifft, als auch in Beziehungen mit anderen Menschen.

So bedeutet Gesundheitsberatung letztlich, den hochbegabten Klientinnen und Klienten dabei zur Seite zu stehen, im eigenen Leben aufzuräumen: Unpassendes zu reduzieren und Wohltuendes einzubauen bzw. wachsen zu lassen. Das schließt alle Lebensbereiche ein.

 

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© Sabine Braungart

Über die Autorin:

Andrea Schwiebert ist Systemische Beraterin mit eigener Praxis in Münster. Sie arbeitet als Coach für hochbegabte und vielseitig begabte Erwachsene.

Bei Junfermann ist von Andrea Schwiebert Kluge Köpfe, krumme Wege? Wie Hochbegabte den passenden Berufsweg finden (2015) erschienen.

Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Wir sind alle unterwegs …

Mein Weg zu mir selbst führte über die Alpen – und Ihrer?

Von Barbara Messer

„Keiner kommt von einer Reise so zurück, wie er weggefahren ist!“

– Graham Green (1904–1991)

„Es ist leicht, stark zu sein, gut anzukommen, Erfolge und Leistungen zu verbuchen. Positive Markierungen auf dem Lebensweg sind fein anzuschauen, gesetzte Ziele zu erreichen stimuliert positiv und motiviert. Weitaus schwerer ist es, zu scheitern, das Schwache in sich zuzulassen. Dabei erleben wir die Fallhöhe, den Sturz, das Schwinden, die Verzweiflung, Erschöpfung oder ähnliches, die mögliche Einsamkeit als Folge. Scheitern ist nicht wirklich en vogue, die Menschen gehen gerne darüber hinweg. Und ganz ehrlich, im trubeligen Alltag ist es leicht, darüber hinwegzugehen. Einfach Musik anmachen, chatten, shoppen, fernsehen, das nächste Projekt planen.

Lassen wir jedoch die Schwäche zu, ist das oft schmerzhaft, weil ungewohnt, weil auch negativ belegt oder zumindest negativ interpretiert.

Doch im Wahrnehmen der eigenen Fallhöhe, im Erkennen des wahren Ausmaßes der Schwäche können wir zugleich auch erkennen, wie groß der unbekannte Raum zwischen den beiden Aspekten ist, die uns bekannt sind. (Kennen Sie die U-Bahn in New York? Da heißt es „Mind the Gap“. Achten Sie auf den unbekannten Bereich zwischen U-Bahn und Bahnsteig). Wir sehen den Ausgangspunkt, und wir sehen den Endpunkt. Der Raum dazwischen wird durch das bewusste, aufmerksame Scheitern sichtbar. Dies sind in meinen Augen wichtige Parameter für die eigene Größe. Und wenn wir uns – gerade in diesen schwachen (oder auch einsamen und verzweifelten) Momenten – im Spiegel anschauen können, sehen wir uns wirklich. Ohne Maskerade und Kosmetik und wirklich wunderschön.“

Diese Zeilen stammen aus meinem Buch „Mein Weg über die Alpen: Eine Reise zu sich selbst und anderen“ (2016, S. 53 u. 54). Ich schrieb sie, nachdem ich auf der Glungezerhütte mit meiner Kraft am Ende war und den Weg erst einmal nicht fortsetzen konnte. Dies ist eines der Erlebnisse, die mich auf meiner dreiwöchigen Wanderung über die Alpen sehr stark geprägt haben. Fast gleichzeitig berichtete ich in meinem „Alpenblog“ darüber, sodass andere Menschen an meinen Eindrücken und Erkenntnissen teilhaben konnten.

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Seit 1999 bin ich als Trainerin, Rednerin, Coach und Autorin selbstständig. In all diesen Jahren ist viel passiert und nach meiner Wahrnehmung dreht sich unsere Welt schneller. Diese neue V.U.C.A.[i]-Welt fordert viel von uns Menschen, Flexibilität und ein gutes Selbstmanagement gleich voran. Nach meinem Verständnis braucht es konkrete Auszeiten, um im wahrsten Sinne die „Birne frei zu bekommen“, um wieder klar und aufgeräumt zu werden. Dies gelingt mir im Alltag mit kleinen Breaks, wie z. B. einer Sporteinheit, einer Meditation oder einem Spaziergang. Auch das kurze In-sich-Gehen oder Nachsinnen bei einer Tasse Tee hat für mich den Wert einer kleinen Auszeit, einer Besinnung auf den Moment und das eigene Ich.

Im Sommer 2016 bin ich „einfach“ losgegangen. Das Ziel: in drei Wochen die Alpen überqueren. Ich wollte diesmal mehr als eine kleine Auszeit. Ich wollte ein längeres Stück Zeit nur für mich, um innerlich aufzuräumen, auf die letzten Monate und Jahre zurückzublicken, die eine ganz besondere Zeit in meinem Leben waren. Deswegen nenne ich es In-Zeit und nicht Aus-Zeit.

Der andere Grund war die Lust auf Abenteuer, auf eine neue Herausforderung, darauf, etwas Neues zu erleben, ohne großartig etwas konsumieren oder eine weite Flugreise buchen zu müssen.

Schon früher habe ich mir solche Erlebnisse und Phasen gesucht. So bin ich mit 29 Jahren für acht Monate mit Fahrrad und Zelt in Neuseeland unterwegs gewesen, später habe ich ein Jahr als Business-Nomadin im Wohnmobil gelebt oder bin mit dem Rad über Alpenpässe geradelt und habe im Freien übernachtet.

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Auf solch einer längeren Tour durch die Natur kann man nicht an sich vorbeischauen – man ist sich ja selbst der engste Begleiter, mit dem ganzen Leben und vielen Fragen im Gepäck.

Die Natur ist eine Kraftquelle, die immer wieder zur eigenen Besinnung, Reflektion und Resilienzsteigerung, zur Fokussierung und einer innerlichen und äußerlichen Klarheit einlädt. Die Bergwelt erschloss sich mir bei dieser Wanderung im Jahr 2016 noch einmal neu, denn ich war den Wetterbedingungen ausgeliefert, erfuhr Freud und Leid des Wanderns und konnte damit die Begrenzung meiner Komfortzone ganz erheblich aufbrechen. Jeder Schritt wurde selber gegangen, das drosselt die Geschwindigkeit auf ein teils sehr meditatives Maß.

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Ich dachte während meiner Wanderung über vieles nach und konnte – ganz im Gegensatz zum trubeligen Alltag – sehr viel länger bei einer Fragstellung und deren Beantwortung verweilen.

Das waren Fragen wie:

  • Was braucht es, um glaubwürdig zu sein? Was sehen die Menschen in einem: die öffentliche Person, die man nach außen vorgibt zu sein und die man zeigen möchten? Oder sehen sie auch mal hinter die Fassade? Erkennen andere, was uns wirklich beschäftigt?
  • Wie viel Raum nimmt der derzeitige Selbstoptimierungswahn ein? Ist er angesichts einer Welt, in der Menschen vor Krieg und Hunger flüchten, angemessen?
  • Wie gelingt es uns, wichtige persönliche Beziehungen so zu gestalten, dass wir nichts (oder nicht allzu viel) bereuen, wenn dieser persönlich wichtige Mensch von uns geht – vielleicht sogar für immer. (Ich hatte in den letzten Monaten den Tod einiger Menschen zu betrauern gehabt).
  • Wie gestaltet sich die eigene Spiritualität und wie kann ich sie im Alltag leben?
  • Was braucht es, um glücklich zu sein? Wie können wir Glück und persönliche Zufriedenheit leben, wenn selbst innerhalb von Europa Terror und Krieg herrschen, wenn wir mit unserem Konsumwahn auf Kosten anderer leben?
  • Wie kann ich mich in meiner Arbeit als Trainerin, Coach und Rednerin weiterentwickeln? Was ist mein nächster Schritt? Welche Hemmschuhe, blinden Flecken und Stolpersteine habe ich anzugehen, sodass ich für andere ein kleiner Leuchtturm oder auch Mentor sein kann.
  • Welche meiner Alltagsroutinen – auch in meinen Trainings und Reden – sind überflüssig oder sollten überprüft werden? Wozu sind oder waren sie gut? Was genau könnte ich stattdessen machen?
  • Was wäre, wenn …

Nach diesen drei Wochen bin ich noch einmal mehr in meiner persönlichen Resilienz gereift, ich bin unglaublich zufrieden mit mir, dass mir diese Wanderung gelungen ist. Meine Dankbarkeit ist noch einmal mehr gewachsen, denn ich hatte nicht geahnt, wie schön und innerlich bewegend diese Bergwelt ist. Wie imposant mancher Gipfel, wie faszinierend manche Schlucht und wie schön manche Alm oder manches Tal sein kann. Die unmittelbare Natur hat mich in meiner Demut und Bescheidenheit weitergebracht, mein inneres Management ist mir vertrauter und bekannter geworden.

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Ich bin erfüllt, dass es diese Paradiese gibt und wir sie erreichen, wenn wir uns selber dort hinein bewegen. – Ähnlich wie im Training oder Coaching. Auch das lebt davon, wie wir diese Art von gemeinsamer Wanderung gestalten. Und es kann verblüffend sein, welche Ziele dabei erreicht werden können. Was haben wir im Gepäck? Wo wollen wir hin? Wie gehen wir mit den anderen Wanderern um und wie können wir uns in der Enge einer Berghütte bewegen und uns dennoch erholen, um am nächsten Tag wieder fit für die nächsten Höhenmeter zu sein?

Beziehe ich dies auf ein Training oder Coaching, stellen sich mir ganz ähnliche Fragen, denn wir sind ja alle irgendwie unterwegs – mit allem, was uns ausmacht.

Es wird sicher deutlich, dass meine Fragen und Erkenntnisse reichhaltig sind – das liegt nicht nur an mir, die ich mich selber immer wieder gerne neu erfinde, sondern an der Wanderung selbst.

Ich würde Ihnen diese Möglichkeit, neue Horizonte zu entdecken, gerne näherbringen und könnte hier noch einige Seiten weiterschwärmen von meinen Touren. Allemal besser wäre jedoch, Sie erlebten es selbst! Denn letztendlich macht jeder seine eigene Reise und stellt sich andere Fragen, die für sein Leben wichtig sind. Ich kann Sie nur ermutigen: Tun Sie es! Suchen Sie den Kontakt zur Natur, geben Sie sich den natürlichen Bewegungsabläufen hin und seien Sie ganz bei sich.

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PS.: Es müssen nicht gleich die ganzen Alpen sein! Und Sie müssen sich auch nicht ganz alleine auf den Weg machen. Vom 19. bis zum 26. August biete ich eine einwöchige Coaching-Wanderung von Bad Tölz nach Hall in Tirol an. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, schauen Sie doch einmal unter www.messers-alpentour.de.

 

Barbara-Messer-Pressebild1  Über die Autorin

Barbara Messer ist Rednerin, Trainerin, Coach und Schriftstellerin. Sie ist eine Visionärin mit ausgeprägter Intuition, die oft verblüffende Lösungsansätze vermittelt und Vorträge und Trainings revolutionär anders gestaltet. Überflüssiges und Unnötiges lässt sie weg, sodass das Wesentliche sichtbar wird. Sie findet die richtigen Worte, auch Unbequemes zu benennen und Unwahres aufzuzeigen, damit eine besondere Glaubwürdigkeit sichtbar wird. Diese absolute Präsenz im Jetzt und die Wertschätzung des Moments machen es ihr möglich, Potentiale in Menschen und in Prozessen zu sehen, die anderen verborgen sind.

Web: www.barbara-messer.de

E-Mail: info@barbara-messer.de

 

[i] V.U.C.A. steht für Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambivalenz).

Mentale Stolpersteine aufspüren und bearbeiten

Was das Unbewusste über uns verrät …

Von Gabriele Lönne

Ist Ihnen das auch schon passiert? Sie möchten irgendetwas – etwas Unverfängliches – sagen, doch es kommt etwas ganz anderes raus? Der berühmte Freud’sche Versprecher? Dann darf ich Ihnen gratulieren! In solchen Momenten machen Sie nämlich unmittelbar Bekanntschaft mit Ihrem Unterbewusstsein. Und wenn Sie jetzt meinen, dass sich dieses meist im falschen Moment meldet und offenbar auf emotionalen Stress programmiert ist, dann möchte ich Ihnen widersprechen: Ihr Unterbewusstsein passt auf Sie auf! Es meldet sich, wenn in irgendeiner Weise etwas für Sie Wichtiges in Ihrem Alltag erscheint. Freud’sche Versprecher beispielsweise sind nichts anderes als die Meinungsäußerung Ihres tiefsten Inneren. Und diese Versprecher können wir bearbeiten, indem wir nachforschen, was der Anlass und die Ursache dafür waren. Wenn sie bearbeitet sind, wird Ihnen dieser spezielle Versprecher nicht mehr passieren. Sie werden sich in entsprechenden Situationen „normal“ fühlen.

Auch unser eigenes Verhalten kann für uns manchmal befremdlich wirken. Irgendjemand oder irgendetwas zieht, von uns unbeabsichtigt, unsere Aufmerksamkeit auf sich, wir fühlen uns merkwürdig „angezogen“, vielleicht auch ausgeliefert, ohne es erklären zu können. Dann ist wiederum unser Unterbewusstsein im Spiel und führt uns ziemlich in die Irre.

Das folgende Coaching-Protokoll zeigt ein Beispiel für solch ein Verhalten. Die Wurzeln liegen in der Kindheit der Klientin. Einem Außenstehenden erscheint es zunächst absolut unerklärlich und absurd, aber es steckt durchaus eine Logik dahinter, die uns darüber staunen lässt, was das Unterbewusstsein alles mit uns anstellen kann …

***

Die Klientin kommt mir mit ausgebreiteten Armen freudestrahlend entgegen. Wir treffen uns auf der ostfriesischen Insel Norderney in einem Hotel, das direkt am Strand liegt und einen herrlichen Blick auf die stürmische Nordsee freigibt.

Wir ziehen uns in ihr Hotelzimmer zurück und richten uns auf gemütlichen Sesseln ein – wieder mit wunderbarem Blick auf die Nordsee.

Ich lasse der Klientin Zeit, sich zu sammeln. Wir schauen aus dem Fenster und schweigen.

Dann plötzlich beginnt sie zu reden.

Klientin (K): „Frau Lönne, jetzt sitze ich hier mit Ihnen und weiß nicht, wie ich anfangen soll!“

Gabriele Lönne (GL): „Wie wär’s, wenn Sie mir erzählen, wann und wie und in welcher Situation Ihnen der allererste Gedanke gekommen ist, mich anzurufen?“

K: „Das war vor ein paar Wochen. Irgendwann im Hochbetrieb. Ich hab’ mich plötzlich so schwach gefühlt! Als wenn mir alles aus den Händen gleiten würde …“

Die Stimme der Klientin ist leise geworden, fast brüchig.

GL: „Haben Sie noch in Erinnerung, wie die Situation genau war? Spielte sich vorher irgendetwas Besonderes ab? Kamen ganz bestimmte Gäste? Haben Sie Ärger mit dem Personal gehabt? Gab es etwas Außergewöhnliches?“

K (nachdenklich): „Eigentlich nicht. Es war halt Hochbetrieb in der Gaststätte, die ich betreibe. Dann sind alle immer auf 120! Hm.“

GL: „Ist Ihnen irgendetwas passiert? Das Zerbrechen von kostbarem Geschirr, die Reklamation eines Gastes, eine vergessene Tischreservierung?“

K (schüttelt den Kopf): „Nein. Nur, dass wir an dem Abend ein spezielles Menu hatten, von dem die Gäste ganz begeistert waren. (Die Klientin hält inne und überlegt laut:) Ja, da war ein Gast, der sich mit Komplimenten geradezu überschlagen hat. Er hätte nie gedacht, in einem derartigen Wirtshaus so ausgesucht köstlich essen zu können. Ich habe mich darüber ziemlich geärgert! Bei uns kann man immer gut essen! Arroganter Piefke!“

Die Augen der Klientin sprühen Funken. Sie sitzt auf einmal kerzengerade und wirkt angriffslustig.

GL: „Aha, eventuell haben wir gerade schon den ersten mentalen Stolperstein entdeckt. Wir können mit einem Test herausfinden, was Sie gestresst hat, und den Auslöser direkt bearbeiten.“

Es handelt sich hier um den sogenannten Myostatiktest. Er dient dem Auffinden von Stressoren, welche die mentale/emotionale Balance des Coachees stören/irritieren. Beim Myostatiktest bildet der Klient einen festen Muskelring zwischen Daumen und Zeigefinger, den er mit maximaler Kraft hält, während der Coach Behauptungen im Zusammenhang mit dem Coachingthema aufstellt und prüft, ob sich die Finger des Coachees voneinander lösen lassen. Öffnet sich der Ring, handelt es sich um eine Schwächereaktion, die auf Stress hinweist und die dann bearbeitet wird.

In unserem Beispiel liefert der Test ein spannendes Ergebnis. Der Trigger für den Stress am Tag des Hochbetriebs kam aus der Vergangenheit, als meine Klientin noch ein kleines Mädchen war. Es war die Mutter, die bei jeder Idee, jedem Vorhaben, jedem Plan der Kleinen immer wieder sagte: „Das klappt bestimmt nicht!“ Und wenn es dann doch erfolgreich war, kommentierte sie: „Das hätte ich bei dir aber nie gedacht!“

Wir bearbeiten die Emotionen Angst, Wut, Empörung, Trauer, Ausgeliefertsein.

Doch plötzlich wirkt die Klientin wie versteinert und gleichzeitig aufgewühlt. Sie beginnt zu weinen. Ich lasse ihr Zeit, bis sie sich langsam wieder beruhigt hat. Doch sie wirkt abwesend, irgendwie erschüttert.

GL: „Können Sie beschreiben, was Sie gerade so berührt hat?“

Die Klientin schüttelt den Kopf.

GL: „Wissen Sie was? Das können wir herausfinden! Darf ich Sie wieder testen?“

Die Klientin nickt.

Der Test bringt ein überraschendes Ergebnis. Der Stress kommt aus dem ersten Drittel der Schwangerschaft der Mutter mit der Klientin. Die Mutter hatte alles versucht, das Baby abzutreiben. Später redete sie ständig davon, dass sie auf keinen Fall ein Kind haben wollte.

Wir bearbeiten Überforderung, Schuld, Desinteresse, Nichtfühlen, emotionale Kälte und innere Leere.

Die Klientin ist erschöpft und wir beschließen, erst einmal eine Pause einzulegen und uns kurz von der Nordseeluft erfrischen zu lassen. Nach unserer Rückkehr setzen wir uns wieder zusammen. Ich frage die Klientin, ob ihr noch etwas in den Sinn gekommen sei, was wichtig zu bearbeiten wäre.

K: „Naja, da gibt es noch etwas, das mir immer unangenehmer wird, aber irgendwie kann ich es nicht stoppen …!

Es ist seltsam, aber ich habe eine Angestellte, Rosie, die mir immer mehr zusetzt, immer unheimlicher wird.“

GL: „Wodurch?“

K: „Naja, wenn im Betrieb wenig los ist, kommt sie zu mir, fängt an, irgendwelche unwichtigen Geschichten zu erzählen, und stellt mir dann auf einmal persönliche Fragen, die mein Privatleben betreffen. Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren. Obwohl ich es nicht möchte, beantworte ich alles ganz ausführlich, gegen meinen entschiedenen Willen. Hinterher bin ich jedes Mal entsetzt, was ich ihr alles erzählt habe, und frage mich, wieso überhaupt!“

Die Klientin wirkt erregt, die Augen funkeln, ihr Gesicht ist rosa angelaufen.

GL: „Was ist Rosie für eine Angestellte? Was arbeitet sie in Ihrem Betrieb? Wie würden Sie sie beschreiben?“

K: „Also, sie ist die Empfangsdame unseres Hotels. Sie weiß eh schon mehr als erlaubt. Und sie ist die Klatschtante bei uns, bringt ständig Gerüchte in Umlauf und bringt die Leute mit ihren Geschichten ganz durcheinander! Als Mensch ist sie eher der mütterliche Typ, üppige Figur, warmherzig, freundlich, bei den Gästen sehr beliebt, so eine Art ‚Mutter der Kompanie‘. Ach, ich versteh’ einfach nicht, warum ich ihre Fragen überhaupt beantworte. Ich fühle mich dann immer wie gelähmt, ausgeliefert, ganz schwach … Himmel, ICH bin doch die Chefin! Das geht doch nicht!“

GL: „Okay dann stellen wir jetzt mal mit unserem Test fest, wo ‚der Hase im Pfeffer liegt‘!“

Wir testen „Rosie ärgert ständig“. Der Test hält! Das heißt, sie ärgert NICHT.

K (schockiert): „Ja, aber …!“

GL (legt der Klientin beruhigend die Hand auf den Arm): „Es gibt etwas, das Sie noch nicht kennen. Nicht nur ungünstige Gefühle wie Angst, Trauer, Hilflosigkeit usw. können uns aus der Bahn werfen. Gute Gefühle oder große Sehnsucht nach ihnen können uns ebenso verunsichern und quälen! Wenn es für Sie in Ordnung ist, können wir mit dem Test an der Hand die Emotionen ermitteln, die Rosie in Ihnen im Übermaß hervorruft, und sie bearbeiten. Wir können die guten – ungut wirkenden – Gefühle derart herunterfahren, dass sie Sie nicht mehr über die Maßen hinaus beeindrucken. Dann können Sie wahrscheinlich neutral und emotional unbefangen mit Ihrer Angestellten umgehen und sie in ihre Grenzen verweisen.“

Ich nehme die Hand der Klientin und teste „Rosie tut richtig gut!“. Der Test hält!

Wir neutralisieren die übermäßig guten Gefühle, sodass die Empfindungen gegenüber der Angestellten auf ein normales Maß zurückgeführt werden. Die starke Anziehungskraft  der Angestellten, hervorgerufen durch die Sehnsucht der Klientin nach einer liebevollen Mutter, wird aufgehoben und weicht einem neutralen Empfinden. Der unerklärliche Mitteilungsdrang ist bearbeitet. Die Klientin kann jetzt ein unbefangenes Verhältnis zu ihrer Angestellten aufbauen. Ihr Unterbewusstsein hat die gefühlskalte Mutter der Vergangenheit endlich verarbeitet.

***

Sie sind jetzt wahrscheinlich irritiert oder überrascht, vielleicht sogar schockiert? Es kommt häufiger vor, als wir meinen, dass unsere Wünsche, Träume, Verletzungen, dass Erlebnisse aus Kindheitstagen tief in uns vergraben sind – mental noch nicht verarbeitet und immer noch „aktiv“. Und es reicht nur ein kleiner Anlass, eine Begegnung oder ein Erlebnis, um daran zu rühren. So wie die Angestellte Rosie mit ihrer warmherzigen, mütterlichen Persönlichkeit die Sehnsucht aus der Kindheit ihrer Chefin wiederbelebt hat, der wiederum kein „vernünftiges“ Mittel zur Verfügung stand, um sich dagegen wehren zu können. Unterbewusstsein gegen Verstand! Das Unterbewusstsein produziert psychosomatische Symptome, gegen die der Verstand nichts auszurichten weiß.

Wenn Sie Situationen erleben, in denen Sie das Gefühl haben, etwas gegen Ihren Willen tun zu „müssen“, ohne selbst „vernünftige“ Gegenwehr leisten zu können, kann ich Ihnen nur empfehlen, mit einem guten Therapeuten oder Coach darüber zu reden. Das Phänomen lässt sich aufklären und bearbeiten. Werden Sie nicht zum Opfer Ihres Unterbewusstseins! Bleiben Sie der Chef!

 

Lönne  Über die Autorin

Gabriele Lönne, Heilpraktikerin (Psych), arbeitet als Business Coach (EANLP), Lehrtrainerin wingwave® und Unternehmensberaterin für den Mittelstand. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

Kinder brauchen Bindung

Hilfe für Alleinerziehende?

Von Bianca Olesen

In meiner Praxis für Psychotherapie arbeite ich mit Einzelklienten, Gruppen und immer wieder gerne auch mit Familien.

Ein häufiger Anlass, meine Praxis zu besuchen, ist Erschöpfung. Mancher nennt es Burnout, mancher erlebt vorwiegend den depressiven Anteil dieses Zustandes, die Angst oder die körperliche Komponente – oder auch die daraus resultierenden Beziehungsschwierigkeiten. Allen gemein ist aber die zugrunde liegende starke Überforderung und die Idee, mehr leisten zu müssen, sich noch mehr anzustrengen, und die in Folge auftretende tiefe Erschöpfung. Viele kommen also zu mir, um Wege aus der Überforderung zu finden. Eine Gruppe von Menschen, die davon häufig betroffen sind, sind Alleinerziehende.

Neulich habe ich Lisa kennengelernt. Lisa leidet wie viele ihrer Generation unter dem Schicksal, alleinerziehend zu sein. Lisa ist schwer erschöpft davon, sich allein zu fühlen, alles alleine bewältigen zu müssen, und hat deswegen zunehmend auch soziale Probleme: Sie schafft es nicht mehr, die Leistung zu erbringen, die man von ihr erwartet. Das setzt Lisa unter Druck, sie fühlt sich zunehmend minderwertig, zweifelt an sich und fragt sich immer häufiger, was mit ihr nicht stimmt. Dass etwas mit ihr nicht stimmt ist klar, so die anhaltende Resonanz ihres Umfeldes. Lisa fühlt sich falsch, und sie weiß nicht, wie sie es schaffen kann, richtig zu sein. Aus dieser Unsicherheit heraus fällt es ihr immer schwerer, sich sozial einzufügen, sich angemessen zu verhalten im Umgang mit anderen, egal ob groß oder klein. Denn Lisa ist eigentlich ständig traurig und gereizt. Das ganze Dilemma beschäftigt sie Tag und Nacht, sie schläft schlecht, sie träumt schlecht und leidet unter Kopf- und Bauschmerzen. Und auch damit fühlt sie sich: allein.

Ich erlebe Lisa ratlos. Und sie steckt bereits in einem Teufelskreis: Was sich ihr Umfeld von ihr wünscht, ist nicht nur, dass sie mehr leistet, sondern dass sie wieder präsenter ist und zugänglich. „Schwingungsfähig“ würden wir das fachsprachlich nennen, emotional ansprechbar. Gerade das kann Lisa aber nicht erreichen, wenn sie sich anstrengt, um den anderen wieder besser zu gefallen. Und vor lauter Anstrengung erschöpft sie sich immer mehr.

Lisa erlebt also den klassischen Werdegang überforderter Menschen: vegetative Übererregung und Gereiztheit, Unverständnis des Umfeldes und daher fehlende Unterstützung, Hilflosigkeit und schließlich sozialer Rückzug bis zur Isolation.

Ihr Umfeld beschreibt sie als schwierig und widerständig und beginnt, sich von ihr abzuwenden.

Als Alleinerziehende muss Lisa zudem schwierige Fragen des Alltags alleine beantworten und wichtige Entscheidungen alleine treffen. Je weniger nützliche Vorerfahrungen hierfür zur Verfügung stehen und je weniger Ressourcen, desto schwieriger fällt dies und desto überfordernder erlebt sie ihre Situation.

Eine überlebenswichtige Ressource für überforderte Menschen wie Lisa ist die emotionale, wohlwollende Unterstützung durch andere. Ohne Unterstützung ist es nicht unwahrscheinlich, dass Lisa irgendwann den letzten Ausweg wählt.

Was aber meint emotionale Unterstützung? Emotionale Unterstützung bedeutet nicht in erster Linie, etwas für den anderen zu tun, sondern vielmehr, mit ihm zu sein. Eine tragfähige Beziehung anzubieten im folgenden Sinne:

Als soziales Wesen mit dem Grundbedürfnis nach sicherer Bindung beschäftigt sich der Mensch „im Hintergrund“ seines Bewusstseins, seinem „sozialen Unbewussten“, ständig mit der Suche nach der Antwort auf drei überlebenswichtige Fragen:

  1. Bist du präsent?
    (Bist du aufmerksam für mich?)
  2. Bist du empathisch für mich?
    (Fühlst du dich in mich ein? Bekommst du mit, was in mir los ist, was mich beschäftigt?)
  3. Sagst du dazu „Ja“?
    (Nimmst du mich an, liebst du mich, wertschätzt du mich mit dem, in das du dich einfühlst?)

Ein Ja auf alle drei Fragen bewirkt das Erleben emotionaler Unterstützung und sicherer Bindung. In Beziehung lebend haben wir im besten Falle mindestens einen Menschen, der ein grundsätzliches Ja als Antwort auf die drei Fragen bietet, der also Ja zu uns sagt. Das entlastet und sichert uns und erleichtert uns den Umgang mit den Schwierigkeiten des Alltags.

Lisa fühlt sich nicht auf diese Weise zuverlässig gebunden. Sie findet nirgendwo zuverlässig ein klares Ja auf diese drei existenziellen Fragen. So fällt es ihr zunehmend schwerer, sich sicher und vertrauensvoll auf das Leben einzulassen zu können. Darunter leidet sie.

Folgerichtig müsste ich Lisa also zuerst dabei unterstützen, wieder in Beziehung zu gehen und in ihrem Umfeld Unterstützung zu finden. Eigentlich.

Lisa leidet wie viele ihrer Generation unter dem Schicksal, alleinerziehend zu sein. Obwohl sie inmitten einer Familie lebt.

Lisa ist acht Jahre alt und seit zwei Jahren Schlüsselkind. Wenn sie um 16 Uhr aus der Ganztagsbetreuung nach Hause kommt, wird es noch zwei Stunden dauern, bis ihre Mutter aus dem Büro kommt. Viel später, wenn Lisa sich schlafen legt, wird ihr Vater nach Hause kommen.

An den Wochenenden steht nach den Übungsaufgaben (Mama und Papa wollen schließlich sicherstellen, dass sich Lisas Leistungen weiter verbessern) vom Maislabyrinth bis zum Freizeitpark alles auf dem Programm, was geeignet ist, das schlechte Gewissen der Eltern zu beruhigen. Und Lisa freut sich brav mit ihren müden Augen. Gegessen wird im Restaurant, denn zum Kochen sind auch die Eltern zu erschöpft. Natürlich benimmt sie sich vorbildlich. Lisa macht sich in der Woche alleine etwas zu essen, sie erledigt ihre Hausaufgaben und bleibt mit ihren vielen Fragen allein. Sie bleibt brav in ihrem Bett, wenn ihre Albträume sie aus dem Schlaf gerissen haben. Und sie murrt nicht, sie fällt Mama und Papa nicht zur Last. Schließlich macht sie ihnen doch schon genug Kummer.

Lisa ist alleinerziehend. Sie muss sich selber erziehen und ist damit hoffnungslos überfordert[1].

Und ehrlich: Ich bin ratlos, wie ich ihr helfen kann.

Als Mutter berührt mich Lisas Situation so tief, dass ich die Einsamkeit und Verzweiflung fast nicht ertragen kann, die ich an ihr wahrnehme. Ich möchte die Eltern fragen: „Wieso entscheidet ihr euch für ein Kind und sagt dann nicht in aller Konsequenz Ja zu ihm?“ Als Mutter möchte ich Lisa in den Arm nehmen, sie halten und ihr die große Last der Überforderung für einen Moment von den Schultern nehmen. Ihr eine sichere Beziehung anbieten, in der sie sein darf, wer sie ist: ein bedürftiges Kind. Und ich bleibe ratlos, denn ich weiß, Lisa braucht diese Liebe und Zuwendung zuallererst von ihren Eltern.

Wähle ich die Rolle der Therapeutin, erkenne ich, dass Lisas schwierige Situation ein familiäres Problem ist, das nicht gelöst wird, indem Lisa „behandelt“ wird. Die Medizin für Lisas Schwierigkeiten heißt Elternliebe und beinhaltet die elterliche Präsenz, Empathie und bedingungslose Annahme.

Ich bin sicher, dass auch für Lisas Eltern Geld und Karriere keine Rechtfertigung dafür darstellen, ihre Tochter emotional zu vernachlässigen. Dass es ihnen also nicht bewusst ist, dass sie Nein zu ihr sagen und sie mit zu wenigen Ressourcen in ihr Leben schicken. Dass Lisa später, wenn sie der Kindheit entwachsen ist und fest im sozialen Gefüge mit all seinen Pflichten und Herausforderungen steckt, diese Basis der Unbeschwertheit und Verantwortungsfreiheit als entlastende Ressource nicht wird aktivieren können, dass Lisa wahrscheinlich nicht einmal eine Idee davon haben wird, wie es ist, ihre Last für einen Moment an eine liebevolle Autorität zu delegieren, um kurz nach Luft zu schnappen. Und dass sie damit die wichtigste Ressource überhaupt entbehrt: die Fähigkeit zur Bindung. Die Fähigkeit, zu fühlen, was zu fühlen ist, sich damit einem anderen Menschen anzuvertrauen, der dies für einen Moment mitzutragen bereit ist, und auf diese Weise nicht allein zu bleiben, sondern Kontakt zu erleben: Mit meiner Not bin ich allein, ja, ich muss sie schlussendlich allein bewältigen, aber ich bin nicht einsam! Und das ist der große Unterschied.

Als Therapeutin würde ich deshalb die Eltern in die Arbeit einbeziehen und die drei dabei unterstützen, ihre Verbundenheit wieder bewusst als überlebenswichtige Ressource zu erleben und als kostbares Gut zu erkennen.

Vielleicht würde ich sagen: „Nutzt die kurze Zeit, bis sie flügge wird. Das sind viel weniger Jahre, als ihr glaubt. Aber diese Jahre sind die einzige Zeit, in denen ihr Lisa das mitgeben könnt, was sie für ein glückliches und gesundes Leben braucht. Denn alle Menschen – aber ganz besonders Kinder brauchen Bindung!

 

[1] Nicht nur die Zahl psychisch „gestörter“, verhaltensauffälliger Kinder steigt in den vergangenen Jahren dramatisch, sondern auch die Zahl der Suizide bei Kindern und Jugendlichen!

Aktuell spricht die Stiftung für die psychische Gesundheit von Kindern von mindestens 20 Prozent psychisch kranker Kinder in Deutschland und erwartet eine Entwicklung auf 50 Prozent bis 2020.

Suizid ist heute die zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen. Und auf jeden Suizid fallen noch 15–20 Suizidversuche.

Quellen:

  • http://www.achtung-kinderseele.org/html/themen/psychische%20stoerungen.html
  • https://www.frnd.de
  • http://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-dem-suizid-beschuetzen-jedes-jahr-nehmen-sich-600-jugendliche-das-leben/8741862.html
  • https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/11/21/dramatisch-in-deutschland-ist-bald-jedes-zweite-kind-seelisch-krank

(Zugriff jeweils am 18.1.2017)

 

Unterstützung finden Betroffene auch hier:

Die Telefonseelsorge 0800 1110111

Das Kinder- und Jugendtelefon 0800 1110333

 

Olesen_Bianca  Über die Autorin

Bianca Olesen ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und Gestalttherapeutin, Trainerin und Coach mit den Schwerpunkten Stress & Entspannung, Persönlichkeitsentwicklung, emotionale Kompetenz und gehirngerechtes Lehren und Lernen.

Ihr Buch Der Mensch hinter der Maske. Vom Umgang mit narzisstischen Klienten in Coaching und Beratung erschien 2015 im Junfermann Verlag.

Fällt es Ihnen schwer zu entspannen? Manchmal steckt mehr dahinter als äußerer Stress …

Wie Ihr Unterbewusstsein Sie vom Entspannen abhält

Von Tanja Klein

Was haben dramatische Kindheitserlebnisse mit der Unfähigkeit zu entspannen zu tun? Welche Rolle spielen das Familienumfeld und die Spiegelneurone beim Thema Entspannung? In weniger als fünf Minuten werden Sie es wissen. Und warum genießen Sie diesen Artikel nicht passenderweise direkt in einer bequemen Sitzhaltung – vielleicht mit einem Getränk Ihrer Wahl neben sich, die Füße entspannt hochgelegt – und freuen sich über die nächsten Minuten voller Ruhe und neuer Impulse. Sie nehmen wahr, wie die Atmung tiefer wird und ihr Herz angenehm langsam schlägt … Wie? Das fällt Ihnen schwer? Dann könnte es vielleicht an einem der drei folgenden Gründe liegen:

1. Sie haben in Ihrer frühesten Kindheit eine furchtbare Erfahrung gemacht, die Ihnen eine entspannte Entspannung (noch) nicht erlaubt. Und mit frühester Kindheit meine ich sehr früh, also die Zeit, als Sie noch im Bauch Ihrer Mutter waren. Und das vielleicht nicht alleine …

Der Gynäkologe Jean-Guy Sartenaer berichtete in einem Interview für das Fachbuch Das Drama im Mutterleib (2013), dass er bei acht bis zehn Prozent aller Schwangerschaften mehrere Embryonen in der Gebärmutter im Ultraschall erkennen kann. Jedoch sehen wir im Straßenbild nur sehr selten Mütter, die angestrengt versuchen, mit ihren Zwillingskinderwagen in den Bus einzusteigen. Die Quote für erfolgreiche Zwillingsschwangerschaften, bei denen beide Kinder lebend geboren werden, liegt bei nur einem Prozent. Das heißt, dass rund jede zehnte Schwangerschaft „zu zweit“ beginnt und mit dem Schicksal „verlorener Zwilling“ endet.

Wie hängt die pränatale Erfahrung mit der Unfähigkeit zu entspannen im Erwachsenenalter zusammen?

Stellen Sie sich kurz vor, Sie wären ein Embryo im Bauch Ihrer Mutter und direkt neben Ihnen wäre noch ihr Geschwisterchen. Je nach Schwangerschaftswoche hören Sie bereits den Herzschlag des anderen und spüren die Bewegungen neben sich. Mit der Zeit wird der Herzschlag „nebenan“ immer langsamer und langsamer, die Atmung immer ruhiger und die Bewegungen immer weniger … Bis es plötzlich neben Ihnen ganz ruhig wird. Da ist nichts – mehr. Absolute Ruhe. Der Mensch, der Ihnen am engsten vertraut war, ist verschwunden. Wohin auch immer.

(Ich erspare Ihnen die Beschreibung der nächsten Monate, die Sie neben dem toten Körper verbringen. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann das erwähnte Buch lesen oder eine Fortbildung in Pränataler Psychologie z. B. bei Gerda Ehrlich besuchen.)

Vor diesem Hintergrund jedenfalls bekommt die Aussage „Ruhe fühlt sich für mich an wie der Tod“ eine ganz neue Bedeutung, und als Coach und/oder Therapeut macht es Sinn, an dieser Stelle hellhörig zu werden. Vielleicht hat der Klient, der diese Aussage getroffen hat, als eine der ersten prägenden Erfahrungen gelernt: Wenn jemand anfängt, richtig ruhig zu werden, ist er bald tot. Würden Sie mit dieser unbewussten, vorgeburtlichen Erfahrung ruhig auf dem Sofa liegen können? Es ist völlig verständlich, dass man lieber nicht zur Ruhe kommen möchte. Jemandem mit dieser Erfahrung Yoga oder Meditation zu empfehlen, könnte kontraindiziert sein. Vorher wäre es wichtig und notwendig, den ursprünglichen Stress aufzulösen.

Viele Menschen können sich nur schwer vorstellen, dass man in vorgeburtlicher Zeit etwas bewusst mitbekommt und zudem noch ins Erwachsenenleben überträgt. Fachbücher zur Pränatalen Psychologie und meine eigenen Coachingerfahrungen bestätigen jedoch genau das.

Natürlich kann man sich nicht daran erinnern, wie das Geschwisterchen ausgesehen hat oder was man angesichts seines Todes empfunden hat. Dennoch ist davon auszugehen, dass das überlebende Kind „etwas“ mitbekommen hat, denn dieses Erlebnis kann beispielsweise durch den veränderten Geschmack des Fruchtwassers „geschmeckt“ werden, und es gibt eine unbewusste Erinnerung an die Gefühle aus dieser Zeit. Die Folgen sind bei manchen Menschen durchaus auch im Erwachsenenalter noch spürbar.

Aber ich möchte Ihnen heute noch zwei weitere Gründe aus meiner Praxis vorstellen, die Entspannung erschweren:

2. Die Unfähigkeit zu entspannen kann mit der Geburtserfahrung zusammenhängen. Bei einer jungen Klientin von mir entpuppte sich unter anderem dieses Phänomen als die Ursache für ihr Problem, in der Schule stillzusitzen. In Gesprächen stellte sich heraus, dass sie eine ganz furchtbare Geburt gehabt hatte und es in den ersten Minuten danach sehr unsicher gewesen war, ob sie überleben würde. Eine Geburt kann viele kritische Momente haben, und sie alle gehen nicht spurlos am Kind und seinen Eltern vorbei.

Ohne böse Absicht wurden meiner Klientin von den Eltern immer wieder die Einzelheiten des „Geburtstraumas“ berichtet. Das Mädchen litt an einer starken, vormals unbewussten Angst zu sterben, die eindeutig aus der Zeit der Geburt stammte. Die Unfähigkeit, ruhig zu sitzen, entsprang der guten Absicht, sich selbst zu versichern, noch am Leben zu sein. Ganz nach dem Motto: „So lange ich rumhüpfe, kann ich nicht tot sein“. Angesichts der Vorgeschichte des Mädchens eine verständliche Reaktion.

Der Mensch ist jedoch ein komplexes Wesen und es gibt oft mehr als einen Grund für ein bestimmtes Verhalten. Bei meiner Klientin kam nun noch Grund Nummer 3 hinzu:

3. Spiegelneurotischer Stress des Umfeldes. Der Vater meiner Klientin hatte bei ihrer Geburt natürlich ebenfalls starke Angst, dass sein Mädchen sterben könnte. Der Ursprung dieser Angst konnte mit dem Myostatiktest eindeutig zugeordnet werden. Diese Angst hörte auch nach den gut gemeisterten ersten Lebensmonaten und sogar -jahren nicht auf. Sie wirkte unterbewusst noch immer auf ihn – und leider über die Spiegelneurone auch auf sein Kind.

Wirkungsweise der Spiegelneurone

Jeder Mensch kann sich mit emotionalem Stress von nahestehenden Menschen „anstecken“ lassen. Dies geschieht über eine ganz spezielle Sorte von Nervenzellen: den Spiegelneuronen. Im menschlichen Gehirn bewirken sie, dass beim bloßen Betrachten einer Handlung sich das gleiche Aktivitätsmuster zeigt wie beim aktiven Ausführen dieser Handlung. Aus Sicht der Evolution sind die Spiegelneurone eine tolle Sache, da sie uns oft schützen oder leichter neue Handlungsweisen lernen lassen. Manchmal lernen wir jedoch auch undienliche Muster. So kann es sein, dass meine Klientin als Kind immer wieder über die Spiegelneurone mit der Angst des Vaters in Resonanz ging. Deshalb konnten wir das Thema „Stillsitzen“ nur im Rahmen einer systemischen Arbeit mit beiden Beteiligten auflösen.

Erfahrungsgemäß sind in einer Familie nicht immer alle Mitglieder für solch einen Prozess offen oder erreichbar, manchmal sind wichtige Personen auch bereits verstorben. Entsprechende Muster können jedoch von Generation zu Generation weitervererbt werden: Es gibt viele Erwachsene, die ihre Mutter nie „zur Ruhe gekommen“ erlebt haben. Dann werden Haltungen wie „Was denken die Leute, wenn ich mich am helllichten Tag einfach hinlege?“ von Generation zu Generation weitergegeben und wirken sich so negativ auf den eignen Entspannungswunsch aus. Als guter Coach kann man diese unbewussten Muster aus den Gehirntiefen der Amygdala gut auflösen. Aber vorher muss man diese erst einmal erkennen.

Wege zur Auflösung

Es wäre falsch zu vermuten, dass jeder Mensch, der sich schwertut, einen Gang runterzufahren, ein dramatisches Geburts- oder Vorgeburtsereignis erlebt hat. Wichtig ist mir nur, eine Sensibilität dafür zu schaffen, dass die geschilderten „Dramen“ öfter ursächlich sind, als man gemeinhin denkt. Falls Sie als Coach oder Therapeut auf einen Klienten treffen, der Entspannung als extrem bedrohlich empfindet, dann könnte es also sein, dass einer der genannten Gründe vorliegt.

Jeder Coach und Therapeut hat seine ganz eigenen Methoden, wie er solche Hintergründe bei seinen Klienten herausfindet und sie anschließend bearbeitet. Ich empfehle, als qualifizierter Therapeut bzw. Heilpraktiker für Psychotherapie (HP Psych) zuerst dem Klienten dabei zu helfen, die meist traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten, bevor man versucht, ihm den Weg zur Entspannung näherzubringen. Gute Aussicht auf Erfolg bei der schnellen Auflösung dieser Entspannungshindernisse hat meiner Erfahrung nach die Coachingmethode wingwave. Aber sicherlich kann jeder gut ausgebildete Therapeut oder Coach mit Zusatzqualifikation als HP Psych auch mit seinen Lieblingsmethoden Unterstützung bieten.

Beim Schreiben dieser Zeilen, konnte ich ganz entspannt auf meinem Sofa sitzen und die völlige Ruhe bei der Arbeit genießen. Ich frage mich, ob auch Sie heute schon die Chance hatten, ein paar Minuten zu entspannen. Vielleicht sogar gerade jetzt? Wie erleben Sie Entspannung? Schreiben Sie gerne einen Kommentar oder teilen Sie es mir per Mail mit: mail@kleincoaching.de

Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung und wünsche Ihnen einen entspannten Tag.

image1  Über die Autorin

Tanja Klein arbeitet als systemischer Coach (DCV) in Bonn. Sich selbst klassifiziert die IHK-geprüfte Fachkauffrau Marketing als „Marketing-Rampensau“. Im Junfermann Verlag hat sie zusammen mit Ruth Urban die Bücher Coach, your Marketing und Erfolgreich durch Positionierung veröffentlicht.

An der Grenze der Belastbarkeit

Hilfe zur Selbsthilfe – auch für Flüchtlingshelfer

Von Ludger Brenner

Es war eine spontane Idee, die Daniel Paasch Anfang des Jahres ereilte. Inspiriert von der nahezu grenzenlosen Hilfsbereitschaft, die Menschen in ganz Deutschland zeigten, um den Flüchtlingen ein herzliches Willkommen zu bereiten, wollten er und sein Team den Helfern selbst zu mehr Rückenwind verhelfen. Aus eigener Erfahrung wusste der Lehrtrainer, dass bewegte und bewegende menschliche Schicksale Spuren bei denjenigen hinterlassen können, die sich für andere einsetzen. Somit entwickelte er das kostenfreie Kurzzeitseminar zum Integrationscoach, was vor allem eines leisten sollte: Hilfe zur Selbsthilfe.

Schon 2014 besuchte der Gründer der Akademie für Potenzialentfaltung in Münster die türkisch-syrische Grenze auf Einladung einer Hilfsorganisation. Paasch schulte dort Betreuer, die sich um 25000 jugendliche Flüchtlinge kümmern mussten. „Sie können sich denken, dass die Erlebnisse der jungen Menschen, die ihre Heimat und sogar ihre Familien verlassen mussten, sehr bewegend sind. Wenn auf einmal so viel Leid auf dich hereinbricht, hinterlässt das Spuren. Nicht jedem Helfer gelingt es, dann nach Hause zu gehen und das Erlebte einfach auszublenden. Auch brauchte es Methoden für die Flüchtlinge selbst, die in relativ kurzer Zeit eine spürbare Veränderung zum Positiven bringen sollten. Und da verfügen wir als Kinder- und Jugendcoaches über ein reichhaltiges Portfolio, das sowohl dafür geeignet ist, seinen eigenen State of Mind zu verbessern als auch anderen Menschen wirkungsvolle Unterstützung zu bieten“, berichtet Daniel Paasch.

Es lag also nahe, für diejenigen, die nun in Deutschland eine vergleichbare Situation erleben, ein Angebot zu schaffen. Auch wenn die Emigranten bei uns in Sicherheit sind, können kleinste Auslöser dafür sorgen, dass sich die Erlebnisse aus der Heimat plötzlich einen Weg nach außen bahnen. Die damit verbundenen Emotionen drängen ans Licht. So kann es beispielsweise sein, dass ein Flüchtling, überwältigt von seinen Gefühlen, sein Zimmer zerlegt, und die Außenstehenden haben keine Erklärung, wie es dazu kommen konnte.

Paasch_6764a  „Alles, was wir erfahren oder erleben, unterliegt einer emotionalen Bewertung durch unser Gehirn“, erklärt der Lehrtrainer. „So wie die eigentliche Informationsaufnahme über unsere Sinneskanäle verläuft, so wird auch die Erinnerung mit sinnesspezifischen Parametern verknüpft. Wir haben es also mit Erinnerungsfragmenten zu tun, die sich zum Beispiel aus auditiven, visuellen oder olfaktorischen (= der Geruchssinn) Einzelteilen zusammensetzen. Treffen wir während des Alltags auf einen Reiz, der einen oder mehrere dieser Erinnerungsfragmente anspricht, kann es sein, dass auch das zugehörige Gefühl abgerufen wird. Meine Großmutter fühlte sich beispielsweise bei dem Anblick von den sich bewegenden Flutlichtern, die man heute häufig, um Aufmerksamkeit zu wecken, vor Diskotheken oder Sportarenen aufstellt, an die Flagabwehr des letzten Krieges erinnert. Aus diesem Grund ist sie nie gerne in die Stadt gefahren“, veranschaulicht er.

Wir alle haben wahrscheinlich schon mal die Erfahrung gemacht, dass sich Emotionen auf unterschiedlichste Art und Weise äußern können. Daher ist es zunächst auch für Außenstehende nachvollziehbar, wenn zum Beispiel das Geräusch des Kickerspiels in der Flüchtlingsunterkunft an das Gewehrfeuer erinnern kann, dem ein Neuankömmling vielleicht nur um Haaresbreite entronnen ist. Da sich Erinnerungen aber auf eine sehr gefühlsbetonte oder affektive Weise entladen können – wie der Effekt des harmlosen Kickerspiels zeigt –, stehen Helfer dem zunächst meist machtlos gegenüber: Sie haben ja keine Ahnung von dem, was sich gerade im Kopf des Anderen abspielt, und können es auch nicht wirklich nachvollziehen.

Viele Helfer nehmen das Erlebte mit nach Hause und sehen sich dann oft selbst der Herausforderung gegenüber, ihre Eindrücke verarbeiten zu müssen. Das ist nicht immer leicht. Auch die kulturellen Unterschiede machen es nicht einfacher. All das ist kräftezehrend und bringt Menschen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.

Seit dem Start des dreitägigen Kurzzeitseminars im Februar 2016 haben über 700 Teilnehmer das Angebot genutzt. Die Zahl spricht für sich und zeigt, dass Daniel Paasch damit einem wichtigen Bedürfnis nachgekommen ist.

Damit noch mehr Menschen hiervon profitieren können, werden auch weiterhin Seminare zum IPE-Integrationscoach angeboten. So kann man sich gegenwärtig noch Plätze in den Städten Köln, Hannover, Hamburg, Stuttgart, Nürnberg und München sichern. Dabei stehen die Türen jedem offen, der mit Flüchtlingen arbeitet oder sich hauptberuflich mit dem Thema Integration beschäftigt.

Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung findet man auf der dafür eigens erstellten Webseite www.integrationscoach.org. Fragen zur Ausbildung werden gerne direkt durch das Büro in Münster beantwortet (Tel.: 0251 39729756).

 

Brenner Ludger Brenner ist Leiter des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit, Presse und Kommunikation am Institut für Potenzialentfaltung. Er arbeitet eng zusammen mit Daniel Paasch, dem Gründer des Instituts und Autor des Buches Potenziale enfalten – Begabungen fördern (2016).