Beiträge

Podcast-Folge 47: Apropos … Karriere!

Das Konzept vom Beruf fürs Leben ist ein Auslaufmodell. Die Arbeitswelt verändert sich in atemberaubendem Tempo – und mit ihr die Anpassungsforderungen an die Berufstätigen. Umso wichtiger wird es für die Lebenszufriedenheit jedes Einzelnen, die eigenen Kompetenzen zu kennen und gezielt zur beruflichen Weiterentwicklung einzusetzen.

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Podcast-Folge 35: Apropos … Veränderung!

„Es muss sich was ändern!“ – Diese Feststellung kann uns schlagartig klar werden: wir wollen etwas ändern. Beruflich oder privat. Am besten heute. Wohl dem, der sofort weiß, an welchen Schräubchen zu drehen ist. Viel häufiger kommt es vor, dass in uns ein vages, ungutes Gefühl aufkommt: etwas stimmt nicht in unserem Leben, passt nicht mehr, raubt mehr Energie als wir daraus ziehen können. Bloß was? Und wie darangehen?

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Berufliche (Neu-)Orientierung in Krisenzeiten – Teil 5: Kluge berufliche Entscheidungen treffen

Von Andrea Landschof

Alles ist möglich?! Sich zu entscheiden, meint die Fähigkeit eines Menschen, in bestimmten Situationen bewusst zu handeln und zwischen verschiedenen Optionen die Wahl zu haben. Doch wie treffen Menschen stimmige Entscheidungen in einer Zeit, in der Gewissheiten sich verabschieden und wir uns mit einer noch nie dagewesenen Veränderungswelle auseinandersetzen müssen? Die Pandemie fordert dazu heraus, sich permanent auf neue Gegebenheiten einzustellen und neue Entscheidungen zu treffen. Dass viel zitierte agile Mindset ist in Phasen der beruflichen Neuorientierung als Haltung erforderlich. Es braucht ein Handeln von Moment zu Moment.

 

Ich kann mich nicht entscheiden!

In meiner Coachingpraxis zeichnet sich seit einigen Jahren die Entwicklung ab, dass immer mehr junge Menschen Entscheidungsschwierigkeiten haben. Es gibt eine riesige Auswahl an Berufs- und Arbeitskonzepten, von denen unsere Eltern und Großeltern nur träumen konnten. So stehen junge Menschen beispielsweise vor der Berufswahl und der Frage, ob und was sie studieren sollen. Im Wintersemester 2020/2021 gab es an den Hochschulen in Deutschland 20.359 Studiengänge zur Auswahl. Ich durfte vor 40 Jahren zwischen ca. 3000 Studiengängen auswählen. Und schon das hat mich überfordert. Neu sind das Tempo und die Vielfalt, in der Veränderungen stattfinden.

 

Mut zur Begrenzung

Schon vor der Corona-Krise wirkte Altbewährtes schneller als je zuvor antiquiert und überholt. Viele fühlen sich wie Getriebene in einem Hamsterrad. FoMO (Fear of missing out) steht als neues Akronym für die Angst, etwas zu verpassen oder eine falsche Entscheidung zu treffen.

Viele laufen mit, weil der Stillstand auch ängstigend ist. So schilderte es mir zumindest eine Klientin im Coaching. Es fiele ihr schwer, scheinbar simpelste Entscheidungen zu treffen, und stand vor der Frage, wie sich trotz der Vielfalt von Entscheidungsoptionen ihre Entscheidungskraft verbessern lässt. Wenn wir uns für etwas entscheiden, entscheiden wir uns gleichzeitig auch immer gegen etwas. Und wir entsagen uns damit dem allgemein herrschenden „Hype“, dass es immer und in jedem Fall etwas Besseres gibt, für das man sich entscheiden könnte. Wir legen uns fest, gehen eine Verpflichtung ein und tragen die Konsequenzen unseres Handelns. Es ist hilfreich, sich bewusst zu machen, dass es nicht darauf ankommt, das absolut Richtige zu tun oder sich gar für ewig festgelegt zu haben. Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Es kommt darauf an, bei unserer aktuellen Entscheidung Lebendigkeit zu spüren und die für uns in diesem Moment „beste“ Entscheidung zu treffen. Und, sich zu trauen „Nein“ zu sagen.

 

Herz über Kopf?

Es geht darum, stimmige Entscheidungen zu treffen, die nicht nur auf Oberflächenreizen basieren, für die man beispielsweise Beifall bekommt oder die uns finanziell entlohnen.

Auf unser Bauchgefühl allein ist kein Verlass; es kann uns sogar in die Irre führen. Beziehen wir uns nur auf unsere sogenannte Intuition, folgen wir damit unseren „alten“ Erfahrungswerten und den damit verbundenen Geschichten und Gefühlen. Zum Beispiel vermeiden wir heute vielleicht auf bestimmte Menschen im Job, die wir eigentlich mögen, aktiv zuzugehen, weil wir als Kind immer wieder von wichtigen Bezugspersonen abgewiesen worden sind. Wir treffen also in aktuellen Situationen Entscheidungen, die stark von unseren abgespeicherten, auch negativen Erfahrungen beeinflusst sind. Zurückliegende und gespeicherte Erfahrungen liegen zum Teil im Unbewussten und steuern aus dem Untergrund unsere Entscheidungen. Dort liegt oftmals der Kern eigener Entscheidungsschwierigkeiten. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Bauchgefühle bei Entscheidungen mit klaren Überlegungen abzustimmen.

 

Wegweiser bei Entscheidungsprozessen            

In Entscheidungssituationen kommt es darauf an, sich zunächst alle relevanten und rationalen Informationen zu verschaffen (Arbeitsbedingungen, Verträge, Verdienst, Sicherheit, Risiko, etc.), mit den eigenen gewünschten Arbeitsbedingungen abzugleichen und einen Realitätscheck vornehmen.

Welche Kriterien sind mir wichtig? Und mit welcher Priorisierung sind diese jeweils versehen?

Im zweiten Schritt hilft es einen Schritt zur Seite zu treten und einen distanzierten Blick von außen auf die Entscheidungsoptionen zu werfen. Gut geeignet hierfür ist die Tetralemma-Methode (nach Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd)  oder die Methoden aus dem Züricher Ressourcenmodell (ZRM). Beide beziehen das klare Denken als auch das Körpergefühl, die somatischen Marker, in Entscheidungsprozesse mit ein.

Die eigenen Werte sind weitere Wegweiser bei Entscheidungsprozessen. Durch die Bestimmung unserer Werte, erfahren wir auch etwas über ihre persönlichen Stärken und Neigungen. So können wir eine Art Leitfaden für zukünftige Entscheidungen erstellen.

 

Anregung zur Selbstreflexion

Fragen, die Dich in Entscheidungsprozessen unterstützen:

  • Welche richtig gute Entscheidung hast Du in Deinem Leben bisher getroffen? Wie ist Dir das gelungen?
  • Wie bist Du zu deinem jetzigen Beruf/Job gekommen? Was wirst Du nicht und was auf jeden Fall wiederholen?
  • Wo muss jemand hingehen, um Dich wirklich glücklich zu sehen?
  • Welche Werte sind Dir wichtig und leiten Dich?

Kluge und stimmige Entscheidungen zu treffen, die Dich auf deinem beruflichen Lebensweg weiterbringen, kannst Du üben. Verbinde Herz und Kopf in Deinen Abstimmungsprozessen. Reflektiere Dich, Deine Werte und Ziele, dann fällt es Dir leichter, zu wissen, was richtige Entscheidungen für Dich sind. Gestalte Dein Leben nach Deinen Vorstellungen, auch wenn Du in Krisenzeiten die Folgen nicht im Blick haben kannst.

 

Mehr zum Thema „Persönliche Werte beachten“ in: Landschof, Andrea. (2018). Das bin ich!? Verborgene Talente entdecken und Veränderungen gestalten. Paderborn: Junfermann; S. 47.


Andrea Landschof, Lehrende Transaktionsanalytikerin, Autorin, Dipl.- Pädagogin, Coach für berufliche (Neu-) Orientierung, Inhaberin vom Beraterwerk Hamburg begleitet seit mehr als 25 Jahren Menschen und Organisationen sicher durch Zeiten von Umbruch und Veränderung.

Berufliche (Neu-)Orientierung in Krisenzeiten – Teil 4: Latente Talente entdecken und entwickeln

Von Andrea Landschof

Manch einer mag sich in diesen Tagen fragen, ob seine Talente jemals wieder gebraucht werden. Nicht wenige haben ihren Job verloren oder versuchen ihre Arbeitsstelle unter veränderten Bedingungen zu halten. Sicherlich gibt es auch Branchen und Menschen in der Pandemie, die ihre Talente und Stärken einsetzen können und gewinnbringend und gestärkt durch die Krise kommen. Das Gros der Menschen zweifelt in diesen Zeiten jedoch an den eigenen Kompetenzen. Vieles wird aktuell nicht mehr gebraucht, ist nicht mehr gefragt und verschwindet in der Versenkung. So schildern es mir Klient*innen in den Coachingsitzungen. Menschen in beruflichen Orientierungsprozessen und Schwebezuständen wissen oftmals nicht oder nicht mehr, was ihre Stärken und besonderen Talente sind. – Ein guter Grund, zunächst die bekannten Kompetenzen und Fähigkeiten in das Sichtfeld zurückzuholen. Im zweiten Schritt geht es um das Aufspüren der latenten Talente.

„Ein Talent zeigt sich durch eine frühe und spezifische Ansprechbarkeit, für ein bestimmtes Material, eine bestimmte Aufgabe, eine bestimmte Sache, die wir mit Freude und Leichtigkeit machen“. (Josephine Baker)

Latente Talente sind vorhandene Potenziale, die in uns angelegt sind und im Verborgenen schlummern (latent: unbemerkt, unterschwellig, verdeckt, verhüllt, verschleiert). Sie bestehen aus einer Mischung von genetischen Komponenten, spezifischer Förderung und der Möglichkeit des Einsatzes der Begabung. Talent meint nicht nur außergewöhnliche Leistungen oder Hochbegabungen, sondern sowohl ganz praktische Fertigkeiten als auch die Fähigkeiten des Denkens, Fühlens und Verhaltens. Die Latenz wird aufgehoben, indem sich jemand seiner oder ihrer Potenziale bewusst wird, sie einsetzt und sichtbar werden lässt.

 

Übertragbare Fähigkeiten

Wie häufig haben Menschen den gut gemeinten Ratschlag erhalten, doch einfach den eigenen Stärken und Talenten zu folgen und sie einzusetzen, dann würden sie schon im richtigen Job landen. Doch genau dieses Wissen der eigenen Talente fehlt Vielen. Sie sind verunsichert und wissen nicht oder nicht mehr, was ihre Stärken und besonderen Talente sind. Sie sind verlorengegangen durch erfahrene Verletzungen im Job; oder aufgrund von jahrelang durchgeführten und als Selbstverständlichkeit, erlebten Tätigkeiten, die keine Anerkennung fanden. Möglicherweise haben sie auch in der Kindheit keine Rolle gespielt, und der jetzige Beruf wurde aus finanziellen Gründen oder aus Loyalität mit dem Elternhaus ausgewählt. Mit der folgenden Anregung kommen wir unseren verborgenen Talenten auf die Spur.

 

 Talentscouting – Anregung zur Selbstreflexion

Eine Besinnung auf das, was Du früher gut konntest und gerne gemacht hast, als auch der Blick auf das, was Du heute gut kannst und gerne machst, ist bei der Spurensuche hilfreich.

Erkunde zunächst frühe Bedeutungsphasen in Deinem Leben und entdecke bisher Ausgeschlossenes neu. Wähle eine Lebenserinnerung rund um Dein 10. Lebensjahr aus, die Dir gerade jetzt in diesem Moment wichtig erscheint und beantworte folgende Fragen:

  • Mit wem oder was hast Du Dich als Kind beschäftigt?
  • Was fiel Dir leicht in dieser Zeit?
  • Woran hattest Du Freude?
  • Was hast Du zu dieser Zeit oft gemacht/gespielt?
  • Was hast Du zu dieser Zeit gerne gemacht/gespielt?
  • Was hast Du zu dieser Zeit besonders gut und gerne gemacht?
  • Für was hättest Du gelobt werden können?

Welche Fähigkeiten waren in Deinen Lebenserinnerungen in diesem Alter besonders gefragt? Aktiviere die positiven Anlagen aus Deiner Kindheit und übertrage sie in Dein jetziges Leben. Wichtig ist dabei die Differenzierung zwischen gut und gerne. Ob damals oder heute. Was Du gut kannst, aber nicht gerne machst, solltest Du lassen. Was Du gerne machst, aber noch nicht gut kannst, ist Dein Potenzial und benötigt noch Übung und Praxis. Und was Du gut und gerne machst, kannst Du als Deine Stärke und Talent bezeichnen.

Eine Klientin erzählte mir beispielsweise im Coaching, dass sie gut organisieren konnte, dies aber nicht gerne machte. Als sie von ihrer Kreativität und Lust bei der Gestaltung von Marketingprozessen sprach, war ihre Freude hörbar und bei ihr körperlich sichtbar. Ihr Potenzial in diesem Bereich war also angelegt, und sie hatte bereits Ideen, wie sie ihre Kompetenzen ausbauen und festigen konnte. Was ihr richtig gut gelingt und womit sie bisher gerne ihre Zeit verbringt, ist das Schreiben von Fachartikeln für ihre Firma.

 

Hast Du aktuell Gelegenheit, Dinge zu tun, die Du besonders gerne und gut machst?

Schau abschließend auf Dein aktuelles berufliches Thema. Gibt es eine Verbindung zwischen den Erinnerungen aus der Kindheit und Deiner aktuellen Situation? Beim Talentscouting kommt es darauf an zwischen den Zeilen zu lesen, Fähigkeiten zu übertragen und einen Transfer herzustellen, der für Dich eine Bedeutung hat. Welche Talente und Stärken von damals kannst Du mit Deinen Jobvorstellungen und Wünschen in Verbindung setzen? Wo werden Deine Talente aktuell gebraucht?

Der letzte Teil der Blogbeitrags-Reihe „Berufliche (Neu-)Orientierung in Krisenzeiten“ erscheint am 18. Juni.

 

Mehr zum Thema „Latente Talente entdecken“ in: Landschof, Andrea. (2018). Das bin ich!? Verborgene Talente entdecken und Veränderungen gestalten. Paderborn: Junfermann; S. 65-73.


Andrea Landschof, Lehrende Transaktionsanalytikerin, Autorin, Dipl.- Pädagogin, Coach für berufliche (Neu-) Orientierung, Inhaberin vom Beraterwerk Hamburg begleitet seit mehr als 25 Jahren Menschen und Organisationen sicher durch Zeiten von Umbruch und Veränderung.

Podcast-Episode 2: Apropos … Mut!

Davon haben wir meist viel zu wenig: Mut! – Den Mut, etwas Neues zu wagen, den Anfang zu machen, das alltägliche Hamsterrad zu verlassen. Aber: Wir trauen uns nicht! Wieso eigentlich? Angst vor Fehlern? Uralte Glaubenssätze, die uns im Weg stehen? Irrwitzige Schönheitsideale, denen wir nachjagen? Tausend Wenn und Aber im Kopf?

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Was bedeutet – für Sie persönlich – ein gelungenes Leben?

Raum für Neues

Alle Menschen wünschen sich ein Leben, das ihrer Persönlichkeit, ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht. Ein gelungenes Leben also. Was „gelungen“ aber genau bedeutet, entscheidet jeder selbst. Und da beginnt die Herausforderung. Unsere Freiheit beglückt und verunsichert uns zugleich. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken. Unzufriedenheit erfüllt sie, obwohl sie doch scheinbar alles haben, um glücklich zu sein.

Das neue Buch von Andrea Landschof Das bin ich!? richtet sich an Menschen, die Lust auf Veränderung haben und ihre verborgenen Talente entdecken möchten. Es hilft dabei, Lebensgeschichten (und -lügen) zu überprüfen und den Blick zu weiten auf noch nicht genutzte Chancen und Potenziale. Mit Methoden der Transaktionsanalyse gelingt es, unsere Persönlichkeit und unsere Beziehungen zu uns selbst und anderen zu reflektieren, zu verstehen sowie Veränderungen zu initiieren.

 

Lust auf einen ersten (Lese-)Eindruck? Na, dann los …

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Einleitung

Liebe Leserinnen und Leser,

gehören auch Sie zu den Menschen, die ihren persönlichen und/oder beruflichen Weg aus den Augen verloren haben? Haben Sie das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken? Vielleicht sind Sie unzufrieden und drehen sich im Kreis; wissen nicht, ob Sie gehen oder bleiben sollen und ob die Entscheidung, zu der Sie tendieren, tatsächlich die richtige ist. Sie empfinden Leidensdruck aufgrund der aktuellen Situation und haben dennoch Angst vor einer Veränderung? Sie können nicht genau sagen, was Ihnen fehlt oder woher Ihre Unzufriedenheit rührt? Sie sind unsicher und wissen nicht, was Sie wollen – oder gar können – und wie Sie eine Veränderung initiieren sollen? – Dann begeben Sie sich mithilfe dieses Buches auf eine ganz persönliche Zeitreise und lassen Sie sich überraschen, was in Ihnen steckt!

Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, über welche Möglichkeiten sie verfügen. Unsere frühen Prägungen haben oftmals unsere Potenziale untergraben. Sie wurden verdrängt oder abgespalten, weil sie nicht gefragt, nicht erlaubt oder nicht erwünscht waren. „Kinder mit einem Willen kriegen was auf die Brillen!“, „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ oder „Sei sittsam und bescheiden, das ist die schönste Zier, dann kann dich jeder leiden, und dieses wünsch ich dir“ sind möglicherweise früh übernommene Glaubenssätze, die uns noch heute beeinflussen und boykottieren können. Wir wissen nicht mehr, was wir wollen, weil wir den Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen und Impulsen verloren haben. Wir zeigen keine Gefühle, weil diese uns selbst fremd geworden sind, und verhalten uns anspruchslos und angepasst. So bewegen wir uns jedoch mit angezogener Handbremse durchs Leben. Unsere in uns schlummernden Talente liegen brach. Dabei geht es im Leben doch darum, Veränderungen kraftvoll und selbstbestimmt zu gestalten, gute Entscheidungen zu treffen und neue Pfade zu gehen, zu sich zu stehen, mit Rückschlägen konstruktiv umzugehen, mit unliebsamen Gewohnheiten zu brechen oder gesetzte Ziele zu verfolgen.

Es muss also etwas anders werden, damit sich die Unzufriedenheit in Zufriedenheit und innere Ruhe verwandelt.

Seit über drei Jahrzehnten beschäftige ich mich mit persönlicher und beruflicher Entwicklung. In meiner Arbeit als Beraterin und Ausbilderin begegnen mir viele Menschen, die in Sackgassen feststecken und wieder Vertrauen in ihre eigene Selbstwirksamkeit gewinnen möchten, die sich fragen: „Wer bin ich eigentlich?“ und „Wohin möchte ich mich verändern?“. Sie wünschen sich Gewissheit, all ihre Potenziale und Talente im Leben auszuschöpfen.

Talent meint im Volksmund in der Regel eine besondere Begabung mit hervorstechenden Merkmalen, die nicht selten geldwerte Vorteile bringt. Es herrscht dabei heute noch der Mythos eines begnadeten Genies vor, dem alles ohne Mühen zufliegt. Wenn ich in diesem Buch von Talenten spreche, verbinde ich damit allerdings keine außerordentliche Begabung oder besondere Leistungsvoraussetzung einer Person auf einem bestimmten Gebiet. Es geht nicht um Talente, die sich mit genetischer und sozialisationsbedingter Unterstützung als überdurchschnittliche Fähigkeiten zeigen, die dann durch Übung weiter gefördert werden. So möchte ich Talente an dieser Stelle nicht verstanden wissen, sondern vielmehr als generelle Anlage und die Befähigung eines Menschen, sein Leben mit all seinen Herausforderungen zu meistern und dabei seine Fähigkeit zu denken, zu fühlen und zu handeln zu nutzen, um stimmige Lösungen zu kreieren.

Ich gehe davon aus, dass in jedem von uns von Geburt an ein unverwechselbares Wesensmuster angelegt ist. Wir reifen heran zu dem, was den Kern unserer Identität ausmacht, sofern uns die Gelegenheiten dazu gegeben sind und wir die Chancen nutzen, die uns das Leben bietet. Wir sind nicht nur ein von außen determiniertes Wesen, und wir sind nicht nur abhängig von Genetik und soziokulturellen Faktoren. Wir haben die Wahl, den Spuren unseres Wesens und unserer Talente zu folgen. Dabei muss unsere Talententwicklung nicht zu etwas Spektakulärem führen, wie etwa zu bahnbrechenden physikalischen Erkenntnissen im Ausmaß der Relativitätstheorie oder zu grandiosen Kompositionen wie die von Mozart. Talente auszuleben und sich zu etwas berufen zu fühlen kann auch bedeuten, dass Sie Ihren kreativen oder mathematischen Begabungen nachgeben, dass Sie verantwortungsvoll für Ihre Großmutter sorgen oder eine Familie gründen. Vielleicht entspricht es Ihrem Wesensmuster, eine bestimmte Lebensart zu pflegen oder einem bestimmten Hobby nachzugehen. Um seelisch und körperlich gesund zu bleiben, gilt es, unser Wesen zu respektieren und mit uns in Einklang zu bringen. Manche Prägungen drängen uns jedoch von diesem Kurs ab. Und damit geraten auch unsere Talente aus dem Fokus. Und werden zu sogenannten latenten Talenten. Unter latenten Talenten verstehe ich verdeckte, verhüllte, schlummernde, unbewusste, ungenutzte und im Verborgenen liegende Befähigungen, Anlagen und Potenziale des Denkens, Fühlens und Handelns. Um unsere Authentizität zu wahren, gilt es, unsere in uns schlummernden Talente zu entdecken, zu entwickeln und auszuschöpfen.

Die meisten Menschen tragen eine Sehnsucht in sich, ihr Leben so zu verändern, dass sie das Gefühl haben, „heil“ zu sein, wie es einmal eine Klientin ausdrückte. Dieses Buch ist ein Leitfaden und Arbeitsbuch für Menschen, die ihre eingefahrenen Sackgassen überprüfen und die ihre Blicke auf (nicht genutzte) Chancen und (nicht gelebte) Potenziale richten möchten; Menschen, die Lust auf Veränderung haben; die ihr Leben wieder in Passung mit ihrem Wesenskern bringen und es in Verbindung mit ihren äußeren Umständen gestalten wollen.

Sie werden zu einer persönlichen Zeitreise eingeladen, Ihr Leben im Heute zu reflektieren, mit Erfahrungen von gestern umzugehen und Visionen für morgen zu entwickeln. Und dabei soll die Wahrnehmung des bereits Gelungenen nicht außer Acht gelassen werden. Entdecken Sie Ihre verborgenen Talente, um mit deren Hilfe gute Entscheidungen zu treffen, Ihre persönlichen und beruflichen Herausforderungen zu meistern und stimmige und aktuelle Lösungen für unterschiedliche Problemlagen zu kreieren. Dazu spüren Sie aktuelle Störfaktoren auf und prüfen, was für Sie und Ihre Veränderungsprozesse jeglicher Art hilfreich sein könnte: die Komfortzone verlassen, sich von alten Sehnsüchten verabschieden und unsere Potenziale in den Erinnerungen entdecken. Sie entdecken den roten Faden in Ihrem Leben, der sich als Grundmuster Ihrer Persönlichkeit durch Ihre Biografie zieht und der nicht mehr passende und einschränkende Glaubenssätze zum Vorschein bringt. Sie entlarven Ihre Selbstsabotageaktionen. Das heißt, Sie werfen einen Blick auf Ihre unbewusst und selbst entwickelten „Stolpersteine“, mit denen Sie sich bisher in unterschiedlichen Lebenslagen ein Bein gestellt haben, zum Beispiel, indem Sie immer wieder an den „falschen“ Partner oder in den „falschen“ Job geraten sind. Und Sie erhalten Ideen zur Auflösung dieser Glaubenssätze. Mithilfe dieses Buches finden Sie heraus, warum Sie in bestimmten Situationen immer gleich reagieren, obwohl Sie es eigentlich anders wollen, und welche psychologischen Spiele Sie dabei immer wieder unbewusst spielen. Sie entkräften die Antreiber, die Sie im Alltag stressen, und lernen, was Sie brauchen, um stimmige persönliche und berufliche Entscheidungen treffen zu können. Zum Abschluss erfahren Sie, wie Sie sicher durch Zeiten des Umbruchs und der Veränderung kommen. Für die Übergangsphase werde ich Ihnen zur Unterstützung sechs konkrete Handlungsschritte zur inneren und äußeren Neuentscheidung zur Verfügung stellen, die Sie individuell für Ihren Prozess gestalten können.

Sie werden in diesem Buch immer wieder Ausführungen zur Transaktionsanalyse (TA) finden:

Die TA wurde von dem US-amerikanischen Psychiater und Psychotherapeuten Eric Berne (1919–1970) auf der Basis tiefenpsychologischer und verhaltenstheoretischer Ansätze entwickelt. Die TA fördert die Wahrnehmung des eigenen Erlebens, Denkens und der Emotionen und lädt zur Realitätsüberprüfung ein: Stammt mein Fühlen, Denken und Handeln aus dem Gestern oder ist es stimmig mit mir als Person und mit meiner heutigen Lebenswelt? In einfachen Worten umschrieben, bietet die TA Erklärungen für komplexe Sachverhalte in Ihrem Leben. Sie schärft den Blick für das Wesentliche.

Wenn Transaktionsanalytiker auf soziale Interaktionen oder einzelne Personen schauen, leitet sie die Überzeugung, dass Menschen von ihrem Wesen her in Ordnung sind und jeder die Fähigkeit hat zu denken. Transaktionsanalytiker gehen davon aus, dass es jedem Menschen möglich ist, durch das Nutzen seiner ihm innewohnenden Ressourcen autonome Entscheidungen für sich und andere zu fällen und die Verantwortung für diese Entscheidungen zu tragen. Damit verbunden, leitet sich die Lern- und Veränderungsfähigkeit eines jeden Menschen ab. Die Transaktionsanalyse hat das Ziel, Menschen darin zu unterstützen, ein selbst gestaltetes, selbst verantwortetes und autonomes Leben in Verbundenheit mit anderen Menschen und der Welt zu führen. Dazu benutzen wir unsere Fähigkeit zur Bewusstmachung der momentanen Gegebenheiten und unsere Fähigkeit, aus einer Bandbreite verschiedener energetischer Zustände auszuwählen. Diese als Spontaneität bezeichnete Fähigkeit beinhaltet eine Flexibilität, mit der wir in der Lage sind, Alternativen im Fühlen, Denken und Verhalten zu kreieren und im Hier und Jetzt zu handeln. Wir können frei auswählen und entsprechende unterschiedliche Reaktionsmuster einsetzen, ohne auf festgefahrene Erlebens- und Verhaltensmuster zurückzugreifen. Dabei sind wir bereit, uns auf einen echten emotionalen Kontakt mit anderen Menschen einzulassen. Diese Form von Intimität erlaubt es uns, Beziehungen und Begegnungen mit anderen zu gestalten, die frei von Spielen und Manipulationen sind. Wir können Nähe und Zuwendung geben und annehmen. Autonomie wird als „bezogene Autonomie“, die den Menschen in seiner Verantwortung als Teil der Welt darstellt, angesehen. Die TA bietet Instrumente zur Analyse und stellt Strategien zur Veränderung von inneren und äußeren Prozessen zur Verfügung.

Im Folgenden werden Sie die grundlegenden Konzepte der TA kennenlernen sowie Fallbeispiele, Erfolgsgeschichten, Tests und Anregungen zur Selbstreflexion erhalten, mit deren Hilfe Sie Ihre Verhaltensmuster untersuchen, verstehen und verändern können.

Ebenso kann dieses Buch auch von Beratern und Coaches in der Beratungspraxis eingesetzt und zum Thema persönliche und berufliche (Neu-)Orientierung und Entwicklung genutzt werden.

Je nachdem, an welchem Punkt Sie sich gerade befinden, können Sie das Buch chronologisch oder auch abschnittsweise lesen.

Aus Gründen der Lesefreundlichkeit verwende ich die männliche Form, wenn männliche wie weibliche Personen gemeint sind.

Zum persönlichen Schutz der Klienten sind alle Namen von Personen und Daten, die in diesem Buch als Anwendungsbeispiele verwendet werden, von mir geändert worden.

 

1. Alter Trott oder neue Wege? Wie Veränderung gelingt

 

1.1 Die Komfortzone verlassen

Denken Sie gerade intensiv über Ihre aktuelle private und berufliche Lebenssituation nach? Haben Sie Lust, die Ziele, die Sie verfolgen, zu überprüfen? Glauben Sie, dass in Ihnen noch verdeckt liegende Potenziale schlummern, und möchten Sie Ihren latenten Talenten auf die Spur kommen? Dann sind Sie in guter Gesellschaft! Das Bedürfnis nach Sinnerfüllung in Beruf und Privatleben entspricht inzwischen dem Zeitgeist. Das an sich ist völlig legitim und nachvollziehbar. Im Zeitalter des „Anything goes“ haben wir jedoch fast unendlich viele Wahlmöglichkeiten und stehen vor ganz individuellen Entscheidungen, wie wir unser privates und berufliches Leben gestalten wollen. In unserer mobilen Gesellschaft sind die unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsformen erlaubt. Lebensläufe sind nicht mehr vorgegeben, und entscheidende Veränderungen sind in jedem Lebensalter möglich. Identitäten können frei gewählt werden und laden Menschen zu stetigen Anpassungsleistungen ein. Was ein gelungenes Leben bedeutet, steht jedem frei, selbst zu entscheiden.

In meiner Arbeit erlebe ich die Freude vieler Frauen und Männer über ihre unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeiten und gleichzeitig ihre damit verbundene Verunsicherung. Die große Auswahl an Lebensentwürfen bietet uns eine bisweilen verwirrende Vielfalt. Viele scheinen erschöpft zu sein ob des stetigen Entscheidungsdrucks und des empfundenen Zwangs, dauerhaft ihr Wohlgefühl zu maximieren.

Um der Dynamik um uns herum gewachsen zu sein und ihr standzuhalten, ist es hilfreich, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen und das Leben so zu gestalten, dass wir im Einklang mit uns selbst und der Umwelt leben. Trotz oder gerade wegen der rasanten Veränderungen im Außen ist es wichtig, eine innere Stabilität zu wahren. Sonst werden wir zum Spielball der äußeren Verhältnisse. Psychische Widerstandsfähigkeit, die sogenannte Resilienz, erlangen wir unter anderem, indem wir uns mit der eigenen Biografie aussöhnen und unsere Potenziale ausschöpfen.

(…)

Das klingt zunächst recht simpel. Wie oft haben Sie schon gehört, dass Sie „einfach nur“ Sie selbst sein sollen und auf sich hören müssen, um ein authentisches Leben führen zu können? Aber so einfach ist es für viele Menschen eben nicht, da ihnen das Entscheidende fehlt: Die Erkenntnis, wer sie sind. Sie kennen ihre Potenziale nicht, und auch ihre inneren Motive sind ihnen fremd.

Um das subjektiv „Beste“ in uns zu entdecken, lohnt es sich, unsere Komfortzonen zu verlassen. Und es lohnt sich, unsere Persönlichkeit infrage zu stellen und lieb gewonnene Gewohnheiten abzulegen. Um Platz machen zu können für das Neue in uns.

Wir können auch als Erwachsene unsere Resilienzfaktoren fördern, wenn wir sie als Kind nicht erworben haben. Beispielsweise können Sie in diesem Buch herausfinden, wie die Muster, mit denen Sie die Welt erfassen, Ihre Reaktionen auf Stress- und Entscheidungssituationen prägen. Ganz im Sinne von Aaron Antonovsky (1997), einem israelisch-amerikanische Medizinsoziologen, geht es darum, Ihr Kohärenzgefühl zu stärken. Das Kohärenzgefühl ist eine Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß Sie ein Gefühl des Vertrauens darauf haben, dass Ereignisse und Dinge, die sich im Lauf Ihres Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit), Ihnen Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen dieser Ereignisse und Dinge zu begegnen (Bewältigbarkeit), und dass diese Anforderungen allesamt Herausforderungen sind, die Ihre Anstrengung und Ihr Engagement wert sind (Sinnhaftigkeit).

Im Zusammenhang mit Persönlichkeits- und Potenzialentwicklung ist auch die Frage interessant, ob unsere Persönlichkeit eigentlich festgelegt ist – oder in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß wir uns oder unsere Charaktereigenschaften verändern können. Damit verbunden sehe ich auch die Frage, auf welche Weise wir Menschen an unsere Potenziale herankommen. Können wir überhaupt etwas entwickeln, das nicht da ist? Und wenn es vorhanden ist – als im Verborgenen liegende Ressource angelegt –, wie kommen wir dann an die Potenziale heran und können sie „ent-wickeln“?

Unterschiedliche Erklärungsansätze gehen heutzutage davon aus, dass unsere Persönlichkeit teilweise genetisch verwurzelt und teilweise durch Sozialisation geprägt ist. Ruhen Sie sich bitte nicht darauf aus, dass Sie dieses oder jenes vererbt bekommen haben oder dass Sie unwiderruflich durch Ihre Familie geprägt wurden. Diese Sichtweise würde uns jeglicher Freiheit berauben und uns zu Sklaven unserer Gene und Sozialisation machen. Unsere Persönlichkeit und damit auch unsere Lebensweise wären in diesem Fall durch innere (genetische) und äußere (sozialisierte) Vorgaben (vor-)bestimmt und eingeschränkt. Manche Persönlichkeitsanteile werden sicherlich immer unverändert bleiben. Sie werden als leiser Mensch nicht von heute auf morgen zu einem lauten Menschen werden. Aus einem extravertierten Menschen wird kein introvertierter Mensch. Wir haben aber die Gabe, bestimmte Persönlichkeitseigenschaften flexibel und zeitlich begrenzt einzusetzen, auch wenn sie unserer Natur wiedersprechen. So mussten Sie vielleicht auch schon einmal vor einer größeren Ansammlung von Menschen eine Rede halten, obwohl Sie solche Auftritte nicht sonderlich mögen. Mir geht es jedoch nicht um solche strategisch konstruierten und zeitlich begrenzten Aktionen, die wider unsere Natur sind. Es geht darum, dass Sie sich Ihren bisherigen Prägungen entgegenstellen und diese hinterfragen. Es ist möglich, über die beiden Einflussfaktoren Gene und Umwelt hinaus unsere individuellen Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster zu verändern und die darin liegenden Potenziale ans Tageslicht zu bringen.

Lassen Sie uns mit einer Übung zur Potenzialentwicklung beginnen, und spüren Sie nach, ob Ihre Komfortzone dadurch berührt wird.

Bei der folgenden und allen anderen praktischen Übungen in diesem Buch sind Sie eingeladen, in Ihrem eigenen Tempo zu arbeiten und diesem entsprechend Pausen einzulegen, bevor Sie weiterlesen. Manche Fragestellungen und Anregungen benötigen vielleicht ein wenig mehr Zeit, damit das Gelesene und von Ihnen Geschriebene „sacken“ kann. Unterbrechen Sie dann gern die Aufgaben, gehen Sie spazieren oder unterhalten Sie sich mit einem lieben Menschen über Ihre Gedanken. Die Antworten auf die Fragen zur Selbstreflexion und zum Selbstanalysebogen werden Sie zu einer sehr persönlichen Zeitreise einladen. Sie identifizieren Ihre Schwachstellen und neuralgischen Punkte als auch Ihre Stärken und Ressourcen. Gehen Sie bitte nachsichtig und milde mit sich um. Alles, was Sie bisher entwickelt haben, hatte seinen Sinn und Zweck und seine Berechtigung zu seiner Zeit. Ich finde, es verdient eine Würdigung, dass Sie Ihr Leben auf Ihre eigene Art und Weise bis hierhin und heute gestaltet haben.

Die erste Anregung zur Selbstreflexion finde ich sehr wirksam, wenn es darum geht, unsere persönlichen Komfortzonen zu verlassen. Hinterfragen Sie Dinge, von denen Sie glauben, sie nicht zu können, oder von denen Sie glauben, sie tun zu müssen.

 

Anregung zur Selbstreflexion 1:  „Ich kann nicht“ und „Ich muss“

Schauen Sie auf Ihre derzeitige Lebenssituation und auf all das, was Sie meinen, nicht zu können. Typische Antworten wären zum Beispiel: „Ich kann diese Ungerechtigkeiten von X nicht mehr ertragen“ oder „Ich kann nicht Klavier spielen“. Lassen Sie sich Zeit und schreiben Sie so viele Sätze, wie Sie mögen, zu diesem Satzanfang auf.

Ich kann nicht …

Denken Sie nun an Dinge, von denen Sie glauben, dass Sie sie tun müssen. Zum Beispiel: „Ich muss jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen und zur Arbeit gehen“ oder „Ich muss nachgiebiger werden“. Schreiben Sie einfach alles das auf, was Ihnen spontan aus Ihrem privaten und beruflichen Bereich einfällt:

Ich muss …

 

„Ich will nicht“

Wiederholen Sie nun bitte Ihre Ich-kann-nicht-Sätze und ändern Sie sie um in Ich-will-nicht-Sätze (z. B. „Ich will diese Ungerechtigkeiten von X nicht mehr ertragen“).

„Ich entscheide mich“

Wiederholen Sie nun Ihre Ich-muss-Sätze und ändern Sie sie um in Ich-entscheide-mich-Sätze (z. B. „Ich endscheide mich, jeden Morgen um sechs Uhr aufzustehen“).

Welche Auswirkungen hat das Ersetzen der Formulierung „Ich muss …“ durch „Ich entscheide mich …“ für Sie? Was verändert sich dadurch für Sie? Warum ergeben die Änderungen für Sie einen Sinn und warum nicht?

Haben Sie gemerkt, welchen Unterscheid der Austausch von „Ich kann nicht“ durch „Ich will nicht“ macht?

Einige Sätze bleiben natürlich in ihrer Wirkung bestehen und lassen sich durch die neuen Satzanfänge kaum umwandeln (zum Beispiel: „Wir müssen alle sterben“). In meinen Seminaren kommt daher zu Recht immer wieder die Frage auf, ob es nicht auch Muss-Sätze gibt, die bleiben, weil wir keine Wahl haben. Es gibt tatsächlich einige Sätze, bei denen ein „Ich entscheide mich“ infrage zu stellen wäre. So wie in dem angegebenen Beispiel. Doch wir haben trotz aller Bedingtheit immer die Wahl. Auch in größter Eingeschränktheit können wir bis zuletzt entscheiden, wie wir den jeweiligen Situationen begegnen. Beim Thema Sterben wäre es interessant, darüber nachzudenken, wie viel leichter wir „gehen“ könnten, wenn wir uns bewusst dazu entscheiden würden.

Als ich die obige Übung vor vielen Jahren in einem Seminar das erste Mal anbot, formulierte eine Teilnehmerin, die selbst als Trainerin arbeitete, den Satz: „Ich kann nicht vor großen Menschenmengen reden.“ Daraus wurde dann: „Ich will nicht vor großen Menschenmengen reden.“ Ihr fiel ein Stein vom Herzen, weil sie damit eine bewusste Willensäußerung machte, dann eine Entscheidung traf und es somit nicht mehr um ein Defizit ging: Ich will nicht und ich entscheide mich, nicht vor großen Massen von Menschen zu reden, weil es nicht meinem Wesen entspricht. (Eine alternative Formulierung könnte lauten: Ich entscheide mich, wann, wie häufig und wo ich es tue, weil es zu meinem Beruf gehört.)

Ende der 90er-Jahre begannen viele Trainerinnen eine Ausbildung zum „Speaker“ und stürmten auf die großen Bühnen. Dadurch entstand bei vielen Kolleginnen und Kollegen ein großer Erfolgsdruck, es ihnen gleichzutun. So auch bei meiner Teilnehmerin. Wie eine innere Erlaubnis, es auf ihre eigene Art zu tun oder zu lassen, wurde daher die Aussage „Ich will nicht“ empfunden. Sie macht selbstbestimmter. Dieses selbstbestimmte „Ich will nicht“ lag zuvor im Verborgenen und war ein latentes Talent, bevor es zum Vorschein und zum Einsatz kam und dadurch sichtbar wurde. Eine Fähigkeit also, die bis dahin nicht genutzt wurde.

Durch die vorausgegangene Übung wird unsere Komfortzone „irritiert“, und wir werden auf die Macht der Worte aufmerksam gemacht. Durch den Austausch von nur einem Verb können Sie Haltung und Gefühl zu einer Situation oder einer Begebenheit verändern! Und damit auch Ihr Verhalten. Sie bringen sich in Kontakt mit Ihren Potenzialen. In den Sätzen, die mit „Ich will nicht“ und „Ich entscheide mich“ beginnen, zeigt sich Ihre Fähigkeit, bewusst und selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Etwas nicht zu wollen entspringt einer anderen Haltung, als etwas nicht zu können. Etwas tun zu müssen beinhaltet eine andere Haltung, als sich für etwas zu entscheiden. Haben Sie bemerkt, dass die Verantwortung und die Entscheidung dafür bei Ihnen liegen? Natürlich ziehen Entscheidungen immer Folgen und Konsequenzen nach sich. Damit dürfen wir umgehen und daraus lernen. Und darum geht es!

(…)

***

Das Buch ist ab dem 21. September im Handel erhältlich.

 

Über die Autorin

Andrea Landschof ist Transaktionsanalytikerin, Lehrsupervisorin und Lehrcoach. Als Inhaberin des Beraterwerkes Hamburg, einem Institut für Fort- und Weiterbildung von Berater*innen und Transaktionsanalytiker*innen, begleitet sie seit über 25 Jahren Menschen bei der beruflichen Orientierung.