Resilienz – Licht in unserer Seele

Von Fabienne Berg

Stellen Sie sich vor, Sie stehen wochentags am Abend in der Küche und sind gerade dabei, Tomaten für eine Soße klein zu schneiden. Die Spagetti sind bereits im Topf und im Hintergrund verliest ein Radiosprecher die Katastrophen aus aller Welt.

Plötzlich geht über Ihnen die Deckenlampe aus. Der Nachrichtensprecher verstummt mitten im Satz und der Kühlschrank hört auf zu brummen. Stromausfall. Ausgerechnet jetzt! Aber kein Wunder – heute war schon den ganzen Tag der Wurm drin: Ärger bei der Arbeit, Stau auf der Autobahn, eine Nachzahlung im Briefkasten und jetzt scheint es noch nicht einmal mit dem Abendessen zu klappen.

Sie verharren einen Augenblick und lauschen in die Dunkelheit. Aber außer dem Pfeifen des Windes, der den Novemberregen gegen die Fensterscheiben treibt und Ihrem eigenen Herzschlag ist nichts zu hören. Dann denken Sie an das Naheliegende. Irgendwo hier in den Schubläden müssten Teelichter und ein Feuerzeug sein. Aha. Gefunden! Sie zünden ein Teelicht an und gehen zum Sicherungskasten. Doch da scheint alles in Ordnung zu sein. Vermutlich ist die ganze Straße, wenn nicht sogar das ganze Viertel betroffen. Sie beschließen, während Sie mit dem Teelicht in der Hand durch den Flur in Richtung Badezimmer tappen, das heutige Datum unter der Kategorie „Nicht mein Tag“ abzuhaken und ins Bett zu gehen. Doch kurz vor der Badezimmertür gibt die kleine Flamme ihren Geist auf und der Docht erlischt.

Na, toll. Sie machen vorsichtig wieder kehrt und tasten sich zurück in Richtung Küche. Küchentüre öffnen, Schublade finden und ein neues Teelicht anzünden. Besser zwei. Sicher ist sicher. Also drei. Das sieht schön aus! Vier. Das macht Spaß, ist fast wie Weihnachten. Apropos: Wo ist eigentlich die hübsche Kerze, die Sie letztes Jahr geschenkt bekommen haben? Sie machen sich im Wohnzimmer auf die Suche. Die Kerze finden Sie nicht. Dafür eine Postkarte aus Lissabon, die Ihnen eine alte Schulfreundin im Sommer geschickt hatte. Was die wohl macht? Sie legen die Karte auf den Wohnzimmertisch und suchen nach weiteren Kerzen. Eine viertel Stunde später leuchtet das ganze Wohnzimmer. Schön sieht das aus und der Raum fühlt sich irgendwie ganz warm an. Sie machen es sich auf der Couch bequem und nehmen die Postkarte in die Hand. Als Motiv hat der Fotograf das Castelo de Sao Jorge gewählt. In natura ist es steinfarben. Jetzt im Kerzenschein schimmert es golden.

Sie versuchen sich zu erinnern. Hatten Sie sich eigentlich für die Karte bedankt? Nein. Warum eigentlich nicht? Vermutlich war wie meistens zu viel los gewesen und die Karte ist irgendwie untergegangen. Ihr Handy liegt neben Ihnen auf dem Tisch. Ihre Freundin nimmt nach dem dritten Läuten ab und freut sich total über Ihren Anruf. Sie führen ein sehr nettes Gespräch. Später wählen Sie noch eine Nummer. Die vom Lieferservice eines portugiesischen Restaurants. Ihre Freundin hat Ihnen ein Gericht empfohlen und der Fisch schmeckt wirklich großartig.

Und noch etwas später kommt Ihnen die Idee, bei Ihrer Nachbarin nachzufragen, ob alles in Ordnung ist. Normalerweise haben Sie sich nicht so viel zu sagen. Und wenn ja, dann geht es meistens darum, dass Sie Ihr Auto aus der Einfahrt wegparken sollen oder die Nachbarin bemängelt, dass Sie gelegentlich vergessen die Haustür abends abzuschließen. Komisch, dass Sie gerade jetzt an sie denken müssen. Und noch merkwürdiger, dass die alte Dame ganz aus dem Häuschen ist, als Sie sich nach ihr erkundigen. Offenbar passiert ihr das nicht so häufig.

Möglicherweise kommen Ihnen noch ganz andere Ideen, wie Sie den Abend ohne Strom verbringen. Vielleicht nehmen Sie bei Kerzenschein ein duftendes Schaumbad oder laden jemanden zu sich ein. Oder etwas ganz anderes. Etwas später, kurz bevor Sie schlafen gehen wollen, geht auf einmal das Licht in der Küche und im Flur an. Der Kühlschrank fängt nach einem verschluckenden Geräusch wieder an zu brummen und im Radio spielen sie gerade einen alten Song, den Sie über alles lieben. Sie gehen noch einmal ins Wohnzimmer und blicken auf das flackernde Kerzenmeer. Auf dem Tisch liegen die Postkarte aus Lissabon, zwei leere Schachteln vom Portugiesen und daneben steht eine Flasche Pfälzer Wein. Den wollte Ihnen Ihre Nachbarin unbedingt mitgeben, weil sie sich so sehr über Ihren Besuch gefreut hat.

Dieser Abend wird Ihnen noch Jahre später in Erinnerung sein. Nicht so sehr als der Abend, an dem bei Ihnen der Strom ausfiel; vielmehr als jener besondere Abend, an dem Sie sich dafür entschieden haben, ein Licht anzuzünden.

Wenn es Zeiten in unserem Leben gibt, in denen wir das Gefühl haben, dass um uns herum alles dunkel ist, so kann ein noch so kleines Licht viel bewirken.

Wenn wir uns allein und traurig fühlen, kann uns ein einziger mitfühlender Satz wie ein Leuchten in der Dunkelheit sein.

Und wenn wir seelisch frieren, kann uns der Gedanke an ein Licht der Hoffnung innerlich wärmen und uns neuen Mut schenken.

Zwei Lichter oder besser drei oder vier besitzen die Kraft, die Dunkelheit zu vertreiben und unsere Situation in einem ganz neuen Licht zu betrachten.

Dieses neue Licht kann uns Handlungsspielräume und Möglichkeiten eröffnen, an die wir bislang vielleicht noch nie gedacht hatten.

Nichts anderes ist Resilienz.

Resilienz bedeutet, da ein Licht zu entzünden, wo es dunkel bei uns ist.

Resilienz bedeutet, darauf zu vertrauen, dass es Lösungen für unsere Schwierigkeiten gibt und diese Haltung kann uns dabei helfen, den Lösungen Schritt für Schritt näher zu kommen.

Resilienz ist die Verbindung aus positiver innerer Einstellung und praktischer Handlungskompetenz. Wir akzeptieren, was nicht geht; suchen nach Lösungen, statt zu klagen; lassen los, was uns schadet; schlagen neue Wege ein, wo alte versagen und gehen optimistisch unseren Weg, anstatt uns zu sehr auf das Negative zu konzentrieren und es dadurch über Gebühr mächtig werden zu lassen.

Nach einem Stromausfall geht gewöhnlich irgendwann das Licht auch wieder an. Nicht von allein, sondern weil die Stadtwerke den Fehler behoben haben. Auch das Leben geht irgendwie immer weiter. Doch dafür, wie es uns dabei geht, ist ganz entscheidend, wie wir unser Leben empfinden. Normalerweise wird nicht wie von Zauberhand das Licht wieder angeknipst, wenn wir das Leben als dunkel und kalt wahrnehmen. Damit wir das Leben als hell, warm und glücklich empfinden, braucht es ein Licht in uns selbst. Ein Licht, das unsere Seele wärmt; ein inneres Feuer, das uns Motor ist für unsere Träume und Wünsche und das uns immer weitermachen lässt.

In uns allen gibt es dieses Licht.

Es kann von innen entzündet und von außen inspiriert und berührt werden.

Das Leben ist voll von Ereignissen, die wir weder vorausahnen noch beeinflussen können. Schlimme Erlebnisse, die uns mit voller Wucht treffen, können und schmerzen, genauso wie die schönen Situationen und Augenblicke, die uns für immer im Gedächtnis bleiben.

Diese schönen Momente gilt es wahrzunehmen und sich von ihnen inspirieren und berühren zu lassen. Sie können uns dabei helfen, das Licht unserer Seele immer intensiver und wahrhaftiger zum Leuchten zu bringen.

Und wenn dann irgendwann mal wieder der Strom ausfällt, wird es nie wirklich dunkel sein.

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