Und täglich grüßt der Narzisst?!

Menschenführung beginnt mit Selbstführung – Über narzisstische Führungskräfte und den Umgang mit ihnen

Von Horst Lempart

„Ich muss es halt wieder selber machen, die sind zu blöd für alles!“ – Entwertungen und die Idealisierung der eigenen Person sind zwei typische Verhaltensformen für narzisstisch geprägte Menschen. Ihr Ehrgeiz und ihre darstellerischen Fähigkeiten bringen sie oft bis in die höchsten Etagen von Management und Politik. Führungskräfte mit einem narzisstischen Persönlichkeitsstil formen einen entscheidenden Teil ihres Selbstbildes aus den Beziehungen zu ihren Mitarbeitern. Die Qualität dieser Beziehungen basiert dabei vor allem auf der Bewertung von Menschen und deren Leistungen. Und diese Bewertungen werden gespeist aus einem idealisierten Selbstbild der Führungskraft: Wie weit kann der Mitarbeiter mir gerecht werden? Wie gefährlich kann er mir werden? Wie gut erfüllt er meine Erwartungen? Die Fragen stellt er sich allerdings nicht nur im beruflichen Kontext. Bisweilen reichen sie weit in den Privatbereich, wie das folgende Beispiel zeigt:

Stefan M. ist 46 Jahre und Inhaber einer Bäckerei. Den Betrieb führt er zusammen mit seiner Frau Karin M., 51 Jahre. Die beiden haben sich die Aufgabenbereiche aufgeteilt: Während Karin für den Verkauf und das Marketing zuständig ist, kümmert sich Stefan um die Produktion und die Finanzen.

Der Erstkontakt für das Coaching kommt über seine Frau Karin M. zustande. Frau M. beobachtet, dass die Motivation der Mitarbeiter immer weiter nachlässt. Gerade bei den Mitarbeiterinnen im Verkauf werde das besonders deutlich: Unfreundlichkeit gegenüber Kunden, Nachlässigkeiten bei der Hygiene und steigende Krankheitsraten seien unverkennbare Zeichen mangelnder Einsatzbereitschaft. Im ersten Kennenlern-Gespräch berichtet Karin über unterschiedliche Führungsstile: Während sie sehr kooperativ auftritt, Konsens fördert und über die Beziehungsebene führt, leitet ihr Mann die Produktion mit der Überzeugung „Alles Idioten!“. Wenig Zutrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter und ein daraus resultierender Hang zum Kontrollieren und Nachbessern prägen seinen Führungsalltag. Karin hebt hervor, dass die betrieblichen Differenzen zunehmend auch ihre Beziehung belasten. Stefan habe ihre Entscheidung unterstützt, sich Hilfe bei einem Coach zu holen. Vielleicht könne sie ja etwas dazulernen, um die Leute wieder „auf die Spur zu bringen“.

Das Spannungsfeld zwischen Bewunderung und Abgrenzung

Am Ende der Stunde bitte ich Karin M., zur nächsten Arbeitseinheit ihren Mann Stefan mitzubringen. Ich benötige ihn, um Expertenwissen über die „problematischen Mitarbeiter“ sowie den Führungsstil seiner Frau zu erhalten. Mit den bisherigen Anmerkungen von Karin entwerfe ich die Arbeitshypothese, dass Stefan narzisstische Tendenzen aufweist. Ich experimentiere nach dem Verfahren: Versuch und Irrtum. Vielleicht liege ich ja richtig. Mit der Einladung befriedige ich gleich zwei narzisstische Bedürfnisse: Das Bedürfnis nach Bewunderung („Ich benötige einen Experten“) und das Bedürfnis nach Abgrenzung („Das Problem haben die anderen“). Ich verspreche mir von dieser Strategie, dass Herr M. ebenfalls den Weg zu mir findet. Tatsächlich geht meine Rechnung auf. Bei der nächsten Begegnung sitzen wir zu dritt in der Praxis.

„Wie haben Sie das überhaupt geschafft, den Laden quasi im Alleingang so erfolgreich zu machen?“ Um seine Bereitschaft zu fördern, den Prozess aktiv mit zu gestalten, knüpfe ich an seinem Image an. Dahinter verbirgt sich sein idealisiertes Selbstbild, das er sich seit Jahrzehnten aufgebaut hat. Es bietet ihm Sicherheit in dem unkalkulierbaren Coaching-Prozess. Stefan erzählt von den schwierigen Aufgaben nach der Betriebsübernahme, seinen durchgearbeiteten Nächten und dem Neid der Wettbewerber. Karin verstärkt seine besonderen Leistungen. Sie betont seine außerordentliche Einsatzbereitschaft und die hohen Ansprüche an sich selbst.

Partnerschaften sind eine Form von Arbeitsverträgen

Was sich zwischen Stefan und Karin M. abbildet ist eine abhängige Bindung von narzisstisch geprägten Menschen und ihren Bewunderern, den sogenannten Co-Narzissten. Während Stefan sich im Haus seiner Grandiosität bewegt, steht Karin quasi unter seinem Vordach. Sie nutzt den Schein ihres Partners für ihr eigenes Ego, kommt aber nur bis zu seiner Fassade und erhält keinen wirklichen Einblick in sein Innenleben. Im Grunde begegnen sie sich nicht wirklich, sie bleibt draußen vor der Tür. In gleichberechtigten Partnerschaften werden die Anteile von Geben und Nehmen, Nähe und Distanz, Führen und Sich-führen-Lassen immer wieder neu definiert. Das ist ein dauerhaftes Ausbalancieren und gleicht einem partnerschaftlichen Arbeitsvertrag.

Was sich zwischen den beiden Partnern abspielt ist auch ein Thema in der Personalführung. Wer sich als bewundernder Mitarbeiter unter das Dach des narzisstischen Chefs begibt, der behält trockene Füße. Wer aber versucht, ein eigenes Haus zu bauen, und damit die Statik der Chef-Etagen gefährdet, der wird durch eine „passendere Säule“ ersetzt. In der Zwickmühle des „sich Anpassens“ und „sich Abgrenzens“ stecken sowohl narzisstische Vorgesetzte als auch co-narzisstische Mitarbeiter. Meistens sind es jedoch die Spiegelhalter, die irgendwann aus der Rolle des Co-Narzissten aussteigen wollen. Ihre Zurückhaltung entwickelt sich mit der Zeit von einer Anpassung zur Überanpassung, was Selbstwertzweifel, Interessenlosigkeit und Antriebsarmut zur Folge haben kann (in Abbildung 1 als Quadrat „depressiv“ gekennzeichnet). Nicht selten werden die Symptome pathologisch. Aus ökonomischer Sicht ist das ein Worst-Case für den Unternehmer. Narzisstisch strukturierte Führungskräfte halten das System eher stabil. Sie klagen zwar über die unselbständigen Mitarbeiter, was aber ihrem idealisierten Selbstbild eher zuträglich ist. Grundsätzlich haben jedoch alle Beteiligten die Chance, ihr Problem vertiefendes Verhalten zu erkennen und zu verändern. Wir sprechen daher auch von Persönlichkeitsentwicklung und nicht von Persönlichkeitsverwicklung.

Abbildung 1 Entwicklungsquadrat beim narzisstischen Persönlichkeitsstil

Im Coaching gibt es einen spannenden Ansatz, um dem Dilemma zwischen der Angst vor Nähe und der Angst vor Zurückweisung entgegenzuwirken. Mit dem Entwicklungsquadrat (siehe Abbildung 1) betritt man das Haus des Narzissten quasi durch die Hintertür. Es setzt der Grandiosität, die ein Narzisst nach außen hin vorgibt, die Minderwertigkeit gegenüber, die ebenfalls stark im narzisstischen Gefühlsrepertoire repräsentiert ist. Sie verkörpert dadurch die beiden Seiten der narzisstischen Medaille. Bestenfalls werden oberflächliche Verhaltensweisen sichtbar, die Fassade bekommt Risse. Auf jeden Fall aber werden Chancen und Risiken deutlich, die ein narzisstischer Persönlichkeits- und Führungsstil mit sich bringt. Außerdem ermöglicht es Co-Narzissten wie angepassten Mitarbeitern einen Blick über den Tellerrand. Beide stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis, das nicht schicksalhaft verlaufen muss. Voraussetzung ist, dass alle Teilnehmer ihre Verantwortlichkeiten erkennen.

Die Unterscheidung nach männlicher und weiblicher Domäne ergibt sich aus geschlechtsspezifischen Verhaltensmustern. Während der männliche Narzissmus eher von Prestige, Macht, Abgrenzung und Selbstdarstellung geprägt ist, charakterisiert sich der weibliche Narzissmus aus Eigenschaften wir Anpassung, Selbstwertzweifel und emotionaler Instabilität. Diese Stereotypie gilt nicht grundsätzlich sondern beschreibt Tendenzen.

Zurück zum Fall:

Ich bitte die beiden, sich wortlos einander gegenüber zu setzen und sich nur gegenseitig wahrzunehmen. Dabei sollen sie in ihrer Aufmerksamkeit pendeln zwischen den Entdeckungen beim Gegenüber und ihren eigenen Gefühlen und Gedanken. Nach fünf Minuten richte ich mich zuerst an Stefan. Er soll seine Eindrücke wiedergeben. Folgende Aussagen halte ich dabei fest: „Ich möchte Dich in den Arm nehmen“, „Das ist doch alles nicht so schlimm, wir bekommen das schon hin“, „Komm, lass uns vertragen“. Seine Frau findet die folgenden Worte für Ihre Empfindungen: „Er berührt mich, um aus der Situation rauszukommen“, Ich muss ihn gehen lassen, er steht unter Druck, er ist hilflos“, „Ich fühle mich missbraucht und spüre Gefühlswallungen“.

Brauchen oder missbrauchen?

Die Energie dieser Übung und der Aussagen ist spürbar im Raum. Frau M. fühlt sich von der „Nähe“ extrem eingeengt und wenig berührt. Sie reagiert damit auf  zwei wesentliche charakteristische Eigenschaften narzisstisch strukturierter Menschen wie Stefan: Sie instrumentalisieren andere und sind an einer wirklichen Begegnung nicht interessiert. Auf der anderen Seite betont Stefan, dass er doch alles in seiner Machte stehende tut, um Karin ein angenehmes Leben zu bereiten: gemeinsame Reisen, ein neues Auto, eine herausfordernden Aufgabe in seinem Betrieb und sogar seine Bereitschaft, mit ins Coaching zu kommen. Er bringt damit typische Merkmale seiner Partnerin auf den Punkt: Anpassung und Sonnen in der Grandiosität des anderen.

Beide verbindet eine große Angst vor dem Verlust der Bindung einerseits und vor Nähe und Intimität andererseits. Karin hat die männliche Domäne eines gesunden Narzissmus nicht integriert, nämlich selbst zu strahlen und das Vordach zu verlassen. Wer aber im Licht steht wirft auch Schatten. Sie müsste sich dann mit den Persönlichkeitsanteilen an sich auseinandersetzen, die sie bisher in sich ablehnt.

Stefan fehlt die weibliche Domäne eines gesunden Narzissmus. Ihm fehlt der Zugang zu seiner empfindlichen Seite, die Bereitschaft sich in Abhängigkeiten zu begeben und sich einzulassen. Wer sich authentisch zeigt wird angreifbar und riskiert Zurückweisung. Solange beide die gegenüberliegende Domäne nicht integrieren und die Ergänzung nur im Partner suchen, können sie keine Partnerschaft auf Augenhöhe eingehen. Sie bleiben abhängig voneinander. Gegenüber den Mitarbeiten äußert sich das in teilweise extremen Standpunkten oder Verhaltensweisen, teilweise mit widersprüchlichen Signalen. Im betrieblichen Kontext stabilisieren sie damit das problematische System: Die Mitarbeiter bleiben unmündig, unzufrieden und flüchten schlimmstenfalls in die Krankheit.

Mit Hilfe des Entwicklungsquadrates arbeiten die Beiden in den nächsten Stunden daran, ihre Persönlichkeitsstrukturen besser zu verstehen. Das typische Entweder-oder-Denken ersetzen sie sukzessive durch ein Sowohl-als-Auch. Mithilfe verschiedener Coaching-Übungen gehen sie in Kontakt mit den positiven Gegenwerten im Entwicklungsquadrat:

Abbildung 2 Entwicklungsquadrat beim narzisstischen Persönlichkeitsstil – positive Gegenwerte erkunden

Karin entdeckt für sich, dass es neben Konsens und Kooperation gelegentlich notwendig ist, „unbeliebte“ Entscheidungen zu treffen – notfalls auch mit Belastung des Beziehungsguthabens. Je nach Kontext bleiben Anpassungsfähigkeit und Bescheidenheit wertvolle Ressourcen für sie.

Stefan fällt es sichtlich schwerer, sich auf die weibliche Domäne einzulassen. Während der Sitzung betont er immer wieder mit besonders „männlichen“ Worten seine Überlegenheit: „Arsch geleckt – ich lasse mir nicht auf der Nase rumtanzen!“ oder (mit gestrecktem Mittelfinger) „Fuck – da geht gar nix mehr!“. An den Reaktionen seiner Frau (peinlich berührt, körperlicher Rückzug) kann ich beobachten, dass Karin mehr und mehr auf Distanz geht und zwischenzeitlich ganz aus dem Kontakt zu Stefan aussteigt. So wiederholt sie in der Praxis das Verhalten der Mitarbeiter im Betrieb: Auch dort geht der Kontakt verloren, wenn Stefan oder sie zu sehr in ihren „typischen“ Domänen hängenbleiben.

Doppelbremse: Zu viel von guten Gewohnheiten

Der betriebliche Alltag bietet ausreichend Möglichkeiten, ein ausbalanciertes Eingehen auf die Mitarbeiter zu testen. Dabei lauern zwei Gefahren: Die übermächtige Kraft der Gewohnheiten blockieren adäquate Reaktionen (diese Gefahr sehe ich besonders bei Stefan). Oder der Wunsch nach Veränderung mündet in einem Zuviel des Guten. Dann wird übertrieben viel von dem getan, was bisher abgelehnt wurde. Karin könnte also von einem angepassten Führungsstil in einen Aktionismus verfallen. Ihr dringender Wunsch nach Veränderung birgt auf jeden Fall dieses Gefahrenpotenzial.

In einer späteren Stunde berichten mir die beiden von ihren bisherigen Erfahrungen mit den Mitarbeitern. Stefan hat den Eindruck, dass die Leute seine Anweisungen besser befolgen. Nachdem er ihnen klargemacht hat, dass Unzuverlässigkeiten und Krankfeiern Arbeitsplätze kosten können, hätten sich die meisten sehr gefangen und machten nun vorschriftsmäßig Dienst.

Karin beobachtet sowohl an den Mitarbeiterinnen im Verkauf als auch an sich Veränderungen. Die Verkäuferinnen würden in den letzten Wochen sehr viel selbständiger arbeiten, nachdem Karin klare Rollen und Aufgaben mit ihnen abgesprochen hatte. Gleichzeitig beobachtet sie aber, dass die Solidarisierung der Verkäuferinnen zu einer deutlichen Abgrenzung zum Betrieb führt. Die Damen klagen zunehmend über Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der Produktion.

Karin M. hat für sich selbst die Frage aufgeworfen, ob sie Verkauf und Marketing dauerhaft überhaupt leiten möchte. Sie würde im Moment sehr daran zweifeln, ob sie für diesen anspruchsvollen Job die Richtige wäre. In einem Vier-Augen-Gespräch offenbart mir Karin außerdem, dass sie intensiv über die Beziehung zu Stefan nachdenkt. Sie fühlt sich zunehmend unwohl und hat das Gefühl, etwas von ihr würde extrem auf der Strecke bleiben.

Inzwischen sind mehrere Monate seit unserem Erstkontakt vergangen. Stefan M. ist nach der fünften Stunde aus dem Prozess ausgestiegen. Er könne den Betrieb im Moment nicht alleine lassen, weil „alles drunter und drüber geht“. Karin setzt die Arbeit an ihrem Führungsverhalten fort. Sie hat allerdings ihr Anliegen inzwischen modifiziert von „Personalführung“ auf „Selbstführung“. Sie ist quasi Mitarbeiterin im Unternehmen ICH.

Karin M. hat als Frau vom Chef einige Fragen auf den Punkt gebracht, die sich auch Mitarbeiter in narzisstisch geprägten Führungsbeziehungen stellen:

  • Kann und möchte ich den Erwartungen, die an mich und die Aufgabe gestellt sind, überhaupt gerecht werden?
  • Möchte ich mich dauerhaft auf diese zwischenmenschliche Beziehung einlassen?
  • Kann ich mich ausreichend gut in meiner Persönlichkeit entfalten?

Narzisstisch geprägte Partnerschaften, und darunter verstehe ich auch Arbeitsbeziehungen, leben mit einem erhöhten Risiko des Beziehungsabbruchs. Die Fähigkeit und die Bereitschaft der Selbstreflexion sind gering. Sie können aber zum Beispiel mit geeigneten Coaching-Instrumenten sowohl bei Mitarbeitern wie auch bei Führungskräften entwickelt werden. Gerade bei dominanten Persönlichkeitsstilen wie dem Narzissmus ist es wichtig zu erkennen, welchen Beitrag auch Co-Narzissten zum Problem leisten. Dadurch werden vereinfachende Täter-Opfer-Zuschreibungen durchbrochen. Der Mitarbeiter (wie auch die Chef-Gattin) wird wieder mit-verantwortlich, erhält neue Macht (im Sinne von „Ich kann was machen“) und erschließt sich bisher verdrängte Facetten der eigenen Persönlichkeit.


Ich lade Sie ein, mit mir über den Fall und Ihre eigenen Erfahrungen zu diskutieren. Haben Sie selbst schon mit narzisstischen Chefs zusammengearbeitet? Haben Sie als Coach schon mit narzisstisch geprägten Führungskräften oder auch Co-Narzissten zu tun gehabt? Wo sehen Sie Unterschiede und Parallelen in privaten wie beruflichen Beziehungen? Ich freue mich sehr über Ihre Kommentare.

Über den Autor:

Horst Lempart arbeitet als Personal Coach/psychologischer Berater in eigener Praxis in Koblenz.

Im Mai erscheint sein Buch „Ich habe es doch nur gut gemeint – Die narzisstische Kränkung in Coaching & Beratung“. Es liefert eine umfassende Einführung ins Thema, viele praktische Fälle und jede Menge Arbeitshilfen.

Weitere Informationen zum Autor erhalten Sie hier.

4 Kommentare
  1. Gisela
    Gisela sagte:

    Lieber Horst Lempart,

    Ihren Artikel habe ich mit großem Interesse gelesen. Leider habe ich auch einen narzisstischen Chef und befinde mich häufig in einer Zwickmühle, da ich versuche das Spannungsverhältnis zwischen ihm und meinen anderen Kollegen aufzufangen. Im Klartext heisst das:
    da mein Chef alles besser kann und macht als wir (seine Mitarbeiter) kann er nie ein Lob aussprechen, sondern wir werden ständig kritisiert. Ebenfalls ist sein Ton meistens vorwurfsvoll. Da ich als Sekretärin bei ihm arbeite, versuche ich dies auszugleichen indem ich meine Kollegen lobe bzw. für gute Stimmung (Kaffee, Kekse und Obst sowie meinem Humor) sorge. Dies überfordert mich jedoch auch, und ich habe seit ein paar Jahren mit Depressionen zu kämpfen. Ich war in einer Klinik und habe ebenfalls eine Therapie gemacht. Ohne mein Medikament (Cymbalta) schaffe ich es nicht.
    Ich versuche ihn zu loben und seine vermeintlichen Stärken hervorzuheben. Vieles empfinde ich als Übergriff, z.B. klopft er lautstark, wenn er morgens kommt, an meine Bürotür, steht aber im selben Moment bereits im Raum und will Aufmerksamkeit. Ebenfalls ist er beleidigt bzw. gekränkt, wenn man seine Mittagspause nicht mit ihm verbringen möchte (kann), weil man eine andere Verabredung hat. Welche Strategien kann ich noch anwenden, um mich abzugrenzen? Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

    Antworten
    • Horst Lempart
      Horst Lempart sagte:

      Hallo liebe Gisela,

      ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsanteile in Führungspositionen sind weit verbreitet. Für die Mitarbeiter wird die Zusammenarbeit schwer, wenn der Chef seinen Aufmerksamkeits „Anspruch“ um jeden Preis durchsetzen möchte und gleichzeitig die Leistungen der Mitarbeiter bagatellisiert.

      Sie versuchen die Situation abzufedern, indem Sie Aufgaben übernehmen, die in Chef-Hände gehören. Sie merken, das kostet Sie jede Menge Kraft; bis zur Erschöpfung. Und vielleicht wird auch Ihre Depression von der beruflichen Situation gespeist.

      Wenn Sie versuchen die sozialen Defizite Ihres Vorgesetzten „auszugleichen“, dann verhalten Sie sich „komplementär“: Sie füllen das Vakuum Ihres Chefs aus. Damit entsteht bei ihm noch weniger Bedarf etwas zu ändern. Das ist in etwa so wie bei Substanzabhängigkeiten: Wenn der Mann trinkt und die Frau ihm das Bier kauft, damit er wenigstens halbwegs zu ertragen ist. Damit machen Sie sich dann „co-abhängig“ und sorgen „in gutem Glauben“ für eine Verschlechterung der Situation.

      Wie die anderen Mitarbeiter mit dem Chef umgehen muss jeder für sich selber herausfinden. Im Moment dürfen Sie zuallererst an sich denken und daran arbeiten, wie SIE mit dem Chef zurechtkommen können. Stark narzisstisch strukturierte Menschen empfinden sich nicht als Teil des Problems: Die Schwierigkeiten haben die anderen!

      Sie „versuchen ihn zu loben“ und das klingt nach einer ganz vernünftigen Strategie. Die braucht allerdings Zeit. Und eine zielführende Herangehensweise, die ich nicht näher kenne. Wichtig scheint mir, die sozialen Kompetenzen beim Lob besonders anzusprechen. Davon können Sie dem narzisstischen Anteil gar nicht genug geben.

      Bei aller Verantwortung, die Sie auf Ihren Schultern spüren: Sie sind weder Coach noch Therapeut Ihres Chefs oder Ihrer Kollegen. Sorgen Sie in erster Linie für sich. Dazu gehört, wie Sie es richtig betonen, auch die Fähigkeit sich abzugrenzen. Das ist dann IHR ganz persönliches Thema. Ein Coaching kann hierbei hilfreich sein 😉

      Lesen Sie auch mein Buch „Ich habe es doch nur gut gemeint – Die narzisstische Kränkung“, das im Junfermann-Verlag erschienen ist. Hier stehen sicher noch viele wertvolle Anregungen für Sie drin.

      Ich wünsche Ihnen alles Gute.

      Horst Lempart

      Antworten
  2. Horst Lempart
    Horst Lempart sagte:

    Hallo liebe Isabel,

    gerade in Beziehungen mit stark ausgeprägten Persönlichkeitsstilen kommt es oft vor, dass sich die Partnerin oder der Partner mit der Zeit „angleicht“, um dauerhaftenKonfrontationen aus dem Weg zu gehen. Mit angleichen meine ich nicht, dass sich zwei Narzissten gegenüberstehen. Vielmehr füllt der Narzisst, wenn es pathologisch ist, die dominante Rolle, während die Partnerin eher in eine abhängige Rolle schlüpft. Das funktioniert in etwa wie ein Schlüssel-Loch-Prinzip. Erst, wenn für einen der Beiden die Kosten zu hoch werden, besteht die Möglichkeit, aus diesem System auszusteigen. In der Regel ist es nicht der Narzisst, der das Spiel beendet, sondern der Partner. Abhängig ist ja auch der Narzisst, in hohem Maße sogar. Allerdings wird ihm dieses Angewiesen-Sein nicht klar, da er ja einen Teil der Wahrnehmung ausblendet.

    Sie haben offenbar sehr viel Kraft in den letzten Jahren bewiesen und Erfahrungen gesammelt, auf die die meisen sicher gern verzichten würden. Wenn Sie sich klarer darüber werden wollen, welche Möglichkeiten Sie zur Gestaltung solcher Bzeiehungen haben, dann schlage ich Ihnen zwei Buchtitel vor:

    – Die Zweierbeziehung (Jürg Willi) rororo Verlag

    – Die narzisstische Kränkung (von mir) Junfermann Verlag

    Ihnen wünsche ich alles Gute.

    Horst Lempart

    Antworten
  3. Isabel
    Isabel sagte:

    Hallo, dieser Artikel war sehr aufschlussreich für mich. Ich lebe selber mit einem narzisten zusammen seit paar Jahren ,der Umgang,Gespräche mit ihm sind sehr anstrengend. Ich habe ihn’durchgeschaut‘.was mich sehr unsicher und Angst macht,sind seine luegen. Da er sie so gut “verkauft“,weiss ich nicht immer,ob er Wahrheit oder luege im bestimmten Moment mir erzählt. Dann fange ich an ,an der Beziehung zu zweifeln. Ich blocke und lasse innerlich nicht zu,ehrlich meinen narzisten zu lieben,damit ich von ihn nicht verletzt werden könnte. Ich war Ca.20 Jahre in verheiratet mit einem psychisch gestörten Menschen,wo ich Co-abhängig würde.er war Alkoholiker. Da ich das Problem erkannt habe und mich abgegrenzt habe,habe ich mich“gerettet“.wie ich in der jetzigen narzisstischen Beziehung es meistern werde und ob ich mich trenne,denke ich noch sehr viel nach,ich habe nur an mir erkannt,dass ich viel gleichgültiger geworden bin……,lg.isabel,ich hoffe,mein Kommentar ist angekommen …

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